Ulrich Epperlein
1. Einleitung | 2. Identität als Nation | 3. Wahlbetrug von 2002 | 4. Koalition YATAMA - FSLN regiert die RAAN |
1. Einleitung .: oben :.
Ein seltsamer Pakt. Yatama bildet derzeit eine
Regierungskoalition mit der FSLN in der nördlichen autonomen
Region der Atlantikküste RAAN (Region Autónoma del
Atlántico Norte) von Nicaragua. Und ein Yatama-Mitglied,
der Misquito Bekker, ist der Gouverneur. Yatama hatte bei den
letzten Wahlen nicht die Mehrheit gewonnen, aber diese Koalition
stellt im Regional-Parlament die Mehrheit. Wie kommt es dazu,
dazu dass die ehemaligen Erzfeinde aus dem kriegerischen Konflikt
der achtziger Jahre nun in einer Regierung zusammenarbeiten? (1)
Hier soll die historische Entwicklung der Indianerbewegung an der
nicaraguanischen Karibikküste seit den siebziger Jahren
unter folgenden Aspekten skizziert werden:
- Identität der Misquitos und historischer Hintergrund von
YATAMA
- Hintergrund des Widerstandes
- Wahlen von 2000 und 2002
Ich versuche dabei die eigenen Erfahrungen in der Zusammenarbeit
mit verschiedenen Sektoren an der Karibikküste einzubeziehen
und die Problematik aus dem Blickwinkel der Ureinwohner zu
erörtern. (2)
2. Identität als Nation (3) .: oben
:.
Im wesentlichen muss die Geschichte der Indianervölker an
der Atlantikküste Nicaraguas über die Jahrhunderte
hinweg als ein Prozess des Widerstands verstanden werden.
Gleichzeitig aber gingen die Küstenvölker verschiedene
gesellschaftliche und politische Allianzen ein, die ein komplexes
Geflecht bilden und auf deren Grundlage sie ihr eigenes Projekt
stets neu formulieren. Auf Grund der vielfältigen
Erfahrungen gewinnen sie dadurch neue Möglichkeiten, ihr
historisches - utopisches und politisches - Projekt neu zu
verstehen und zu überarbeiten. Von daher versteht sich
jegliches Volk aus seinen eigenen Fundamenten, und jedes
indianische Volk ist so auch die Geschichte einer Ethnie.
Die Misquitos haben über die Jahrhunderte
hinweg - im Gegensatz zu den Sumo-Mayangnas und Ramas - nicht nur
eine erstaunliche Fähigkeit bewiesen, sich an die jeweiligen
wirtschaftlichen, politischen und militärische Bedingungen
zu assimilieren, sondern auch ansehnliche Erfolge davongetragen,
obwohl nicht alle Kritiker dies so bewerten.
Ein wesentliches Element für die Unsicherheit der Bewertung
des Konfliktes zwischen Sandinisten und Misquitos ist, dass es
sich hier einerseits um einen Konflikt zwischen einem
revolutionären Regime zur Befreiung eines Volkes von einer
Diktatur und der Dominanz der USA handelt/e und auf der anderen
Seite um eine indianischen Autonomiebestrebung. Jedoch
beinhaltete die nicaraguanische Befreiungsbewegung keine
indianischen Aspekte, trotz aller revolutionärer
Bestrebungen und Änderungen, die sie (teilweise) umsetzen
konnte.
Recht wenig ist bekannt über die Existenz des
Misquito-Volkes in vor-kolumbianischer Zeit. Es scheint, als
bildeten sich wesentliche Elemente ihrer Entstehung als Volk im
Zusammentreffen mit den Kolonialmächten an der
Atlantikküste, also in diesem Sinne als eine Antwort auf den
europäischen Kolonialismus. Der erste Kontakt mit
Europäern erfolgte 1631 über die Providencia Island
Company, aus denen sich relativ intensive Handelsbeziehungen
ergaben; hauptsächlich tauschten sie Lebensmittel und andere
Produkte des Landes gegen metallische Produkte ein, die zur
Anfertigung von Waffen dienten.
Nicht zufällig oder aus besonders gutwilligen
Motiven erlaubten die Briten das Überleben der Misquitos,
vielmehr waren deren Gemeinden wichtig als Stützpunkte der
Briten in den Auseinandersetzungen in der Region mit den anderen
Kolonialmächten und im Ausbau ihrer wirtschaftlichen
Interessen.
Im Kontakt mit Kaufleuten, Piraten und Matrosen ergaben sich
für die Misquitos weitreichende und tiefgehende kulturelle
Veränderungen. Ihr Zugang zu metallischen Produkten und
damit zu Waffen und deren Herstellung trug dazu bei, dass die
Misquitos einen regionalen Machtzuwachs erfuhren. Dieser leistete
ihnen nicht nur Hilfe in der Abwehr der anderen europäischen
Kolonialnationen, insbesondere der Spanier, sondern war
ausschlaggebend für ihr Übergewicht gegenüber den
anderen indianischen Völkern der Ramas, Sumos und Payas. Die
Misquitos verwandelten sich in der Region zu einer lokalen
Macht.
Im Verlauf ihrer Beziehungen zu den Briten erscheinen nun die
Misquitos nicht nur in den "Diensten" der Piraten und Filibuster,
mit denen sie offensichtlich regelmäßig und
häufig in Austausch standen, sondern auch als deren
Beauftragte, deren Interessen sie wahrnahmen. Sie entwickelten
ähnliche koloniale Verhaltensmuster, indem sie Gebiete ihrer
Nachbarvölker besetzten und Kriegsgefangene als Sklaven
benutzten. Es ist daher keine Überraschung mehr, dass sie
1687 auch ein monarchisches Regierungsmodell annahmen,
* einerseits ein adoptiertes kulturelles Element,
* andererseits Ausdruck der im Rahmen der militärischen
Aktionen entstehenden Konzentration der politischen Macht,
* und zum Dritten ein Mittel um diplomatische Beziehungen zu den
Briten in Jamaica aufzunehmen, und dort um Unterstützung
gegen ihre Intimfeinde einzuholen - die Spanier.
Selbstverständlich diente diese Monarchie - in erster Linie
eine repräsentative Einrichtung - als Gegenüber zu den
Nachbarvölkern: So trieben sie im Namen der Monarchie
Tribute ein und erlangten leichter die diplomatische Anerkennung
als britisches Protektorat. 1786 traten die Briten in einem
Vertrag ihre Herrschaft über das Protektorat an Spanien ab.
Die Misquitos waren damit der spanischen Kolonialmacht
überlassen, die jedoch wegen fehlender Mittel und
Desorganisation den Widerstand der Misquitos nicht brechen
konnten. Sie versuchten, mit den Misquitos ein ähnliches
Abkommen wie die Briten abzuschließen, aber ohne Erfolg.
Die Spanier waren nicht fähig, die Misquitos zu beherrschen,
und nach der Unabhängigkeit Mittelamerikas von Spanien
nahmen die Küstenindianer ihre früheren Beziehungen zur
britischen Krone wieder auf, und 1838 erkannte die
nicaraguanische Regierung das erneuerte Protektorat an.
Generalkonsul Patrick Walker führte 1844 mehrere
wirtschaftliche Reformen durch und förderte eine Politik
einer kapitalistischen Modernisierung, die die Schaffung von
exportorientierten landwirtschaftlichen Unternehmen und das
Lohnsystem mit sich brachte. Dabei stützte man sich auch auf
kommunale Strukturen der Misquitos und Creoles (von den
karibischen Inseln geflüchtete schwarze Sklaven, die
teilweise die Misquitos verdrängten und dann an gewissen
Orten in den sozialen und kulturellen Strukturen dominierten).
1860 traten die Briten als Kolonialmacht zurück, und der
nicaraguanische Staat besetzte die Atlantikküste
("reintegración"). Die Misquitos, die die Regierung in
Managua aus ihrer geschichtlichen Sicht als Nachfolgemacht
Spaniens ansahen, organisierten Widerstand gegen die entsandten
Truppen. Dieser Anti-Hispanismus ist Teil der Kultur der
Misquitos geworden, womit sich ihre ethnische Identität
(auch) über einen negativen Aspekt definiert/e.
Gleichzeitig sind zwei einschneidende Prozesse zu verzeichnen: In
dieser Epoche begann der nordamerikanische Einfluss in dieser
Region, und zunehmend verloren die Misquitos die Vorherrschaft an
die Creoles. Zum anderen setzte auf Einladung der Briten die
Herrnhuter Mission mit ihrer Arbeit ein. Die Briten, die vorher
die Misquitos "bis an die Zähne" bewaffnet hatten, leiteten
durch Evangelisierung und Integration in das kapitalistische
System die Befriedung ein und schufen letzten Endes Reservate
für ein marginalisiertes Volk in einer mestizischen Nation.
Die Autonomiebestrebungen sind der Widerstand gegen diese Politik
der Reservate(aus den USA übernommenen), die letzten Endes
die Eliminierung der Indianer und ihrer Kultur aus
wirtschaftlichen Interessen heraus fördern sollen. Mit
Sicherheit trug die Mission zur geographischen und
demographischen Reduzierung der Indianer bei, andererseits
leistete sie aber auch einen wesentlichen Beitrag zur Bewahrung
grundlegender kultureller Merkmale der (aktuellen) indianischen
Identität so dass ein großer Teil der Ureinwohner
heute noch mit der Herrnhuter Kirche identifiziert.
So prägten also unterschiedliche koloniale Einflüsse
die Identität der Misquitos in Kultur, Wirtschaft,
gesellschaftlichen Strukturen und ihrer Sprache. Daraus bildete
sich auch eine Sicht der eigenen Geschichte und der Nicaraguas,
die sich von der der Mestizen auf der Pazifikküste deutlich
unterscheidet. Und folglich traten diese Unterschiede in mehreren
historischen Momenten zu Tage, und zwar in ihrer Tiefendimension
im Verlauf von Konflikten.
Aufgrund dieser geschichtlichen Einflüsse
entstand unter den Misquito ein Bewusstsein als Volk, das sich
grundsätzlich unterscheidet vom Rest des Landes. Dieser
Zusammenhang erklärt ihren Widerstand gegen das Projekt der
Sandinisten, die Atlantikküste - wobei bezeichnend ist, dass
die Bezeichnung "Atlantikküste" eben die Sicht Managuas von
der Pazifikküste aus widerspiegelt und nicht die Sicht der
Misquitos selbst aufnimmt, Teil der Karibik zu sein - in die
Revolution zu integrieren und sie gleichzuschalten (nämlich
vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung der
Re-Integration mit 19. Jahrhundert !) mit den nationalen,
ideologischen und kulturellen Zielen.
Der Widerstand der Misquitos gegen eine Regierung, die durch eine
Revolution legitimiert war - also der Befreiung von
Unterdrückung und einer politischen und wirtschaftliche
Reform sozialistischer Prägung - wurde als Konterrevolution
interpretiert und die Misquitos, einschließlich die
Brüderkirche, als CIA-Agenten verdächtigt und
disqualifiziert.
Wir wollen uns hier nicht auf eine Interpretation
der Geschichte stützen, die nicht eine der Misquitos selbst
ist, wie es verschiedene Autoren in den achtziger Jahren
versuchten haben. So spricht beispielsweise Gillian Brown von
einer Manipulation des Misquito-Volkes durch die US-Regierung,
und Carlos M. Vilas setzt den Beginn des Aufstandes in die Zeit
der Sandinisten und als Folge der politischen und
wirtschaftlichen Maßnahmen der Sandinisten an. Diese
Interpretationen erklären sich eigentlich nur aus der
Unkenntnis der Autoren und der Sandinistischen Regierung.
Sicherlich haben die ethnischen Bewegungen an der
Atlantikküste unter den Sandinisten einen (vorläufigen)
Höhepunkt erreicht, aber es ist offensichtlich, dass dieser
Prozess eine Fortsetzung einer prä-sandinistischen
historischen Entwicklung ist und nur teilweise durch die
sandinistische Revolution beeinflusst wurde . Dies nicht zu
erkennen, ist also eher ein Problem der Sandinisten und der ihnen
nahestehenden Intellektuellen, aber kein Problem der Misquitos
selbst.
Augusto Sandino in seinem "Krieg gegen den US-Imperialismus"
suchte Rückhalt für seine Aktionen an der
Atlantikküste und diese in seinen Kampf zu integrierern,
doch er scheiterte und ließ zudem durch den tragischen Mord
am Herrnhuter Missionar Karl Bregenzer eine nachhaltige bittere
Erinnerung zurück. Die Vorläufer der Aufstandsbewegung
der Misquitos (und - soweit bisher erkennbar - in verminderter
Intensität der Sumo-Mayangnas und Ramas sowie Creoles) sind
in den zwei Jahrzehnten vor der sandinistischen Revolution zu
suchen. Mehrere Elemente spielten eine entscheidende Rolle.
Einerseits entwickelte sich ein - ich würde ihn implizit
nennen - Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik der
Somoza-Diktatur, andererseits entstanden autochthone
Organisationen zur Entwicklung in der Region, insbesondere am Rio
Wangki / Coco. Die bekannteste war ALPROMISU, gegründet von
der Iglesia Morava (bei personeller Beteiligung durch mehrere
Pfarrer unter den Gründungsmitgliedern), die die Rechte der
Misquitos durchsetzen helfen sollte.
General Somoza wollte einerseits die Wirtschaft in der Region der
Atlantik-Küste beschleunigen und für seine Interessen
benutzen, scheinbar kooperative Organisationsformen der Indianer
benutzend. Zum anderen erlebte Lateinamerika ein Erwachen der
indianischen Völker im Rahmen einer internationalen Bewegung
der Ureinwohner, und bei deren 2. Kongress im Jahre 1971 auf
Barbados nahm auch erstmals ein Misquito teil (der Jurist Dr.
Armando Rojas). Anregungen für die Eigenständigkeit der
ethnischen Minderheiten und für den Widerstand gegen
aufgezwungene politische und wirtschaftliche Maßnahmen
entstanden. Die Misquito-Bewegung trat also in einen weiteren
politischen Rahmen ein. Es handelte sich also um ein - sicherlich
nicht zufälliges - Zusammentreffen, als die Sandinisten mit
ihrer Machtübernahme auch an der Karibikküste
erschienen und die sich ethnische Bewegung in Nicaragua
angesichts einer neugewonnenen Sensibilität gegenüber
den Ureinwohnerbewegungen verstärkte. Außerdem schuf
und radikalisierte der revolutionäre Prozess der Sandinisten
einen neuen Freiraum für diese Bewegung.
Insbesondere an der Autonomie-Frage schieden sich die Geister -
auf der einen Seite mit den Politikern Steadman Fagoth, Brooklyn
Rivera, Alfonso Smith, andererseits Hazel Lau, Mirna Cunningham
und andere - alle Misquitos, die in den siebziger Jahren in
Managua und Leon studiert hatten und sich von der
zeitgenössischen hispanisierenden Tendenz weg für die
indianische Linie entschieden hatten. Sie alle unterstützten
zunächst die Interessen der FSLN, aber weniger aus einer
real-sozialistischen Überzeugung heraus, sondern um im
antisomozistischen Kampf ihre eigenen Interessen zu vertreten und
verwirklichen. Dieses Kriterium wurde wohl nur von wenigen
Historikern wahrgenommen, und auch falsch interpretiert
("Opportunismus").
Erklären lässt sich diese Fehleinschätzung und
irrige Analyse der Besonderheiten der Misquito-Bewegung nicht
zuletzt von den eigenen ideologischen Grundlagen her. Die FSLN
ging davon aus, eine demokratische und nationale Volksbewegung zu
sein; sie vertrat ein Konzept von Nation, das auf Integration,
Einheit und Gleichheit basierte, in dessen Programm die ethnische
Verschiedenheit der Völker im nicaraguanischen Territorium
keinen Platz fand. Andererseits folgte die FSLN der gleichen
sozialistischen Staatslehre wie in allen sozialistischen
Ländern, die die ethnischen Minderheiten und ihre Bewegungen
übergingen oder unterdrückten. Einzelne theoretische
Ansätze wurden dabei in der politischen Wirklichkeit durch
die zentralistischen Strukturen Lügen gestraft. Ideologische
Indifferenz und Unwissenheit waren dann wohl auch der Hintergrund
für das brutale Vorgehen (das in einigen Phasen - z.B. in
der Massenumsiedlung vom Wangki ins Landesinnere unter dem Namen
Tasba Pri - den Tatbestand des Ethnozids erfüllt) der
sandinistischen Regierung gegen den indianischen Widerstand, die
sich aus der Sicht eines modernistischen Staatsmodells
rechtfertigten. Die Sandinisten erkannten erst spät, dass
sich die Sensibilität für die Autonomiebestrebungen
international gewandelt hatte, auch in Sektoren, die die
sandinistische Revolution begrüßten. Bezeichnend war,
dass die Sandinisten zum Zeitpunkt der Integration der Misquitos
kein spezifisches Programm für diesen ethnischen Sektor
hatten.
Die Protagonisten der Indianerbewegung, die sich aus dem
Entwicklungsprogramm ALPROMISU zu einer pro-revolutionären
Organisation MISURASATA gewandelt hatte, setzten ihr Vertrauen in
die neue Regierung, um so ihre Forderungen realisieren zu
können. Zu ersten Differenzen kam es während der
Alphabetisierungskampagne, die zunächst auch für die
Atlantikküste in spanischer Sprache durchgeführt werden
sollte; erst nach harten Auseinandersetzungen konnten die
Indianer in den eigenen Sprachen alphabetisiert werden, was auch
in sich als ein positiver Beitrag der Regierung gesehen wird.
Nachdem die radikale Fraktion zu Gunsten einer Autonomie um
Fagoth und Rivera im Mai 1980 die Oberhand in MISURASATA gewonnen
hatte, wurde auf die Regierung Druck ausgeübt, die
Gebiets-Autonomie zu verwirklichen.
Weiteren Konfliktstoff bildete die angestrebte Vereinheitlichung
der Wirtschaftspolitik, die sich kaum noch mit der (teilweise)
autonomen Subsistenzwirtschaft der Indianer verbinden ließ,
die auch verschiedene Produkte exportierte (Tortuga, Reis,
Bohnen, etc.). Die radikalen Positionen der Misquitos setzten
sich durch, die die Autonomie der Misquitos forderten und in der
Folge einen Bruch mit dem harten Flügel der Sandinisten
hinnahmen. Diese Polarisierung brachte die Misquitos in zunehmend
extremere Positionen, die sie letztlich auch zur Annahme
nordamerikanischer Unterstützung provozierte. Für die
Misquitos ein logischer und aus der Geschichte erklärbarer
Schritt - in keiner Weise unverständlicher, aber aus der
Sicht der Sandinisten Verrat an der Revolution und Nation. Die
Misquitos zogen die Seite vor, die ihnen Möglichkeiten
für die Realisierung ihrer eigenen Ziele boten. Zudem waren
beide für sie "Fremde", die Nordamerikaner ebenso wie die
Sandinisten.
Anzufügen ist, dass nicht alle Misquito-Führer diese -
wie oben erwähnt - radikale und separatistische Linie
einnahmen, deren Protagonist Fagoth war. Die Sandinisten nahmen
dies auf, spalteten die Bewegung und integrierten einige
FührerInnen wie Hazel Lau und Mirna Cunningham in die
Regierungspolitik, um diese Differenzen auszunutzen. Mit der
Polarisierung und Radikalisierung des Konflikts waren weitere
Verhandlungen unmöglich; einige Anführer, an der Spitze
Fagoth, wurden inhaftiert, es kam zu blutigen
Zwischenfällen, juristische Kontroversen verwandelten sich
in bewaffnete Auseinandersetzungen, und die MISURASATA wandelte
sich zwischenzeitlich in MISURATA um.
Konsequenterweise (?) wurden die Misquitos von der Ex-Guardia
unterstützt, der neu entstehenden Contra-Bewegung und durch
nordamerikanischen Waffen, andererseits die sandinistische
Regierung durch Cuba und die UdSSR. Sie waren Teil der
Ost-West-Auseinandersetzung geworden. Keine der beiden Parteien
konnte dieser "natürlichen" Logik entfliehen. Traumatischer
Höhepunkt war die Evakuierung, oder wie sie auch genant
wurde: die Umsiedlung aller Misquito-Dörfer mit etwa 60.000
Bewohnern vom Rio Wangki ins Landesinnere zwischen 1982 bis 1984.
Als Folge dieser Umsiedlungsaktion flohen die meisten Indianer
nach Honduras, Costa Rica und in andere Länder. Die
Misquitos konnten diese Aktion nur als eine zynische und
unmenschliche Maßnahme verstehen, die sie des Wesentlichen
ihrer Existenz - des Landes - beraubte. Bis heute fällt es
ihnen schwer, über die brennenden Häuser, Kirchen,
Pflanzungen und sozialen Einrichtungen zu sprechen, zumal davon
auch kirchliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhaus,
Bibelinstitut und Kirchen nicht ausgenommen waren. Bei Versuchen,
mit Indianern über diese geschichtlichen Ereignisse und ihre
Erfahrungen zu sprechen, blenden die Alten diese Themen mit aller
Regelmäßigkeit aus.
Von etwa 1984 an gewannen die Sandinisten an Einsicht, dass ihre
Politik erfolglos sein dürfte, die Misquitos durch
militärische Mittel zu bezwingen, zumal sie spürten,
dass sie die Widerstandsbewegung falsch verstanden hatten. Der
Konflikt wurde aus dem Spannungsfeld des internationalen
Konflikts ausgegrenzt, und es begann eine Politik der
Verhandlung, Versöhnung und des Dialogs. Der entscheidende
Partner war dabei wiederum die Herrnhuter Brüderkirche, die
noch zu Beginn des Krieges von den Sandinisten der Kollaboration
mit den Contras verdächtigt und blutig verfolgt worden war.
Etwa fünfzig Pfarrer waren verhaftet worden, einige von
ihnen für zwei Jahre in Haft, andere starben oder wurden
gefoltert und leiden noch heute darunter (unter den Pfarrern, die
traditionell religiöse und kommunale Führer sind
besteht noch heute eine tiefe Abneigung gegen die Sandinisten).
Die Vermittlungen und Verhandlungen führten
schließlich dazu, die ursprünglichen Forderungen der
Misquitos zu akzeptieren, vor allem die angestrebte Autonomie. So
konnten die Flüchtlinge und Exilierten gegen Ende der
achtziger Jahre langsam wieder zurückkehren. Doch
hinterließ der Konflikt in den Gemeinden und Familien
tiefsitzende und unüberwundene Traumata, die (teilweise)
Zerstörung der Gemeindestrukturen und den Verlust vieler
kultureller Werte.
1987 wurde das Autonomieprojekt vom Parlament in die neue
Konstitution integriert, wenn es auch als Kompromiss und als
nützliches Instrument für die Zukunft der Bewegung
betrachtet wurde. Nicaragua bezeichnete sich nun als eine
unteilbare und gleichzeitig multi-ethnische Nation, wenngleich
diese Begrifflichkeit eben nur als Kompromissformel akzeptiert
werden kann. Der Begriff "Ethnie" wird grundsätzlich
abgelehnt, da von ihm keinerlei Recht abgeleitet werden kann, vom
Begriff "Volk" hingegen durchaus. Die Misquitos erkennen diesen
Fortschritt durchaus an, der unter einem revolutionären
Regime möglich wurde, das sich lernfähig zeigte und
bereit war, überholte und a-kontextuelle Ideologien zu
korrigieren. Die Misquito-Indianer sind mit Recht stolz auf diese
Erfolge, die sie unter tragischen Verlusten (auf beiden Seiten)
und Traumata errungen haben.
3. Wahlbetrug von 2002 (4) .: oben
:.
Auf diesem historischen Hintergrund ist nun die aktuelle
politische Situation ein wenig besser zu begreifen, wie eben die
Vorkommnisse in der Kommunalwahl von Ende 2000 und der energische
Protest der Misquitos und dann der Wahlerfolg von YATAMA bei den
Regionalwahlen mit anschließender Koalition mit der FSLN.
Am 26. April 2001 hatte YATAMA bei der Comisión
Interamericana de Derechos Humanos (Interamerikanischen
Menschenrechtskommission) der OEA die nicaraguanische Regierung
wegen Verletzung des Wahlrechts, des politischen Rechte, der
Gleichheit vor dem Gesetz und des juristischen Schutzes
angeklagt, nachdem ihm die Beteiligung bei den Kommunalwahlen
verboten worden war.
Am 16. Juni 2003 legte diese Kommission dem Corte Interamericana
de Derechos Humanos (Interamerikanischen Gerichtshof für
Menschenrechte) nun die Anklage gegen Nicaragua vor, die Rechte
der Kandidaten von YATAMA bei den Wahlen von 2000 nicht
respektiert zu haben. Besonderer Wert wird dabei darauf gelegt,
dass die Rechte der Ureinwohner, einer indianischen autochthonen
Partei verletzt und nicht respektiert wurden. Gleichzeitig war
den indianischen Bewohnern der Moskitia das Recht genommen
worden, ihre eigenen Repräsentanten zu wählen zu
Gunsten von den fremden Vertretern. Bis zur Veröffentlichung
dieses Artikels ist keine öffentliche Reaktion der Regierung
bekannt.
Damit ist den beiden dominierenden
Parteien, PLC und FSLN, und dem Zweiparteiensystem Nicaraguas
eine harte Abfuhr erteilt. Das oberste Wahlrechtstribunal
Nicaraguas, in dem die beiden Parteien allein entscheiden, wird
des offenen Missbrauchs seiner Macht bezichtigt. Im Oktober 2000
hatten die Anhänger YATAMAs und vor allem die Bewohner von
Bilwi mit Demonstrationen, Besetzungen von öffentlichen
Gebäuden und von den Wahllokalen der PLC gegen die
Verletzung ihrer Recht protestiert und ließen sich auch
nicht durch die Machtdemonstration des Staates, der die Stadt
militarisiert hatte (einige tausend Polizei- und
Armeestreitkräfte besetzten die Stadt von 40.000 Bewohnern
und versuchten den Widerstand zu ersticken) abschrecken. Durch
Vermittlung wurde weitere Gewalt v.a. von staatlicher Seite
verhindert, aber YATAMA nahm an den Wahlen nicht teil. Allerdings
hatte ihr Aufruf zum Wahlboykott durchschlagenden Erfolg. Die
Bürgermeister in den von Indianern dominierten Orten wurden
von weniger als 10 % der Wahlberechtigten gewählt. Dieser
Vorteil wurde von der FSLN genutzt, die sich während der
Demonstrationen teilweise solidarisch gezeigt hatte, aber nie
vorher noch nachher aktiv den Wahlbetrug zu verhindern suchte,
sondern eben Kapital daraus schlug.
Der wütende Widerstand der Misquitos gegen die
Missbräuche durch die Zentralmacht und die regierende Partei
hatte 2000 tiefe Verletzungen wieder aufleben lassen und das
tiefe Misstrauen gegen die Españoles bestätigt. Diese
benutzen ihre Macht ausschließlich für die eigenen -
wirtschaftlichen - Interessen, und der Diskurs von der einen
Nation dient allein dazu, die ursprünglichen Besitzer des
Landes und seiner Ressourcen auszuschalten. Daher wird auch die
FSLN weiterhin als ein Instrument jener Eindringlinge gesehen, da
sie eben keine autochthone Bewegung wie YATAMA ist, die die Idee
von Eigenständigkeit, Kultur, Unabhängigkeit und
indianischer Identität repräsentieren
könnte.
Deswegen wird dem Vertretungsanspruch selbst von indianischen
FSLN-Vertretern misstrauisch begegnet, von Mestizen
grundsätzlich abgelehnt. Das konnten auch die verschiedenen
Reden anlässlich der Wahlen von 2001 und 2002 des
Generalsekretärs der FSLN, Daniel Ortega, mit der Bitte um
Verzeihung für das geschehene Unrecht und die Fehler aus den
achtziger Jahren nichts ändern, denn:
* bis heute wurden die Opfer von damals nicht
entschädigt,
* bis heute wurde für damals entstandenen Schäden keine
Wiedergutmachung von der Regierung gezahlt,
* die Verbrechen werden weiterhin als Fehler tituliert.
4. Koalition YATAMA - FSLN regiert
die RAAN (5) .: oben :.
Am 6.März 2002 steht fest, dass YATAMA drittstärkste
Kraft nach den Wahlen für das regionale Parlament - Consejo
Regional - ist, vor allem durch eindeutige Stimmengewinne in
ihren traditionellen Gebieten am Wangki und im Gebiet von und um
Bilwi. Die konservative Partei PLC, die Regierungspartei in
Managua, hatte eindeutig verloren und bleibt stärkste Partei
nur durch die zwei Sitze, die ihr nach nicaraguanischem Gesetz
durch ihre beiden Abgeordneten im nationalen Parlament zustehen.
Es ist beabsichtigt - und so geschieht es auch wenig später,
dass die zweitstärkste Fraktion , die FSLN, und YATAMA eine
Koalition eingehen werden und unter sich die Funktionen aufteilen
werden. Im Parlament selbst wird die FSLN den Präsidenten
stellen, YATAMA bestimmt den Gouverneur. Erstaunlich ist nicht
nur, dass die drittstärkste Fraktion der indianischen Partei
das wichtigste Amt einnehmen wird, sondern dass es zu dieser
Allianz zwischen den beiden Erzfeinden aus dem Konflikt der
achtziger Jahre kommt. Seit den Vorkommnissen bei den Wahlen 2000
hat YATAMA teilweise seinen alten Einfluß
zurückgewonnen, so dass in den entscheidenden Gebieten der
Misquitos nichts ohne sie geht. Lediglich in den Minengebieten
(Siuna, Rosita, Bonanza), wo inzwischen die Mestizen die Mehrheit
in der Bevölkerung stellen, und in den Mayangna-Gebieten
(Musawas, Rosita) ist YATAMA kaum vertreten, dagegen stärker
die PLC.
Die Erfahrung der Korruption unter der PLC - Regierung auch in
den autonomen Gebieten, der Nichteinhaltung weitgehender
Versprechen hinsichtlich verbesserter Infrastruktur, die
Ablehnung der zügigen Durchführung der
Autonomie-Gesetze und die brutale Behandlung während jener
Gemeindewahlen, wird als Verrat an den Hoffnungen der Indianer
aufgefasst und die Zusammenarbeit mit den Konservativen
aufgekündigt und eine neue mit dem ehemaligen Feind
eingegangen. Damit wird ein neuer Versuch unternommen, zumindest
etwas von den ewigen Hoffnungen zu verwirklichen, die bisher nie
eingelöst werden konnten.
* Verbesserung der Infrastruktur (Transport, Energie,
Wasser)
* Erreichen eines angemessenen sozialen Niveaus (Bildung,
Gesundheit)
* Beteiligung an den immensen Gewinnen aus der Ausbeutung der
natürlichen Ressourcen
* Beteiligung an den politischen und wirtschaftlichen
Entscheidungen
* Verwirklichung der - versprochenen - Autonomie.
Es ist eine pragmatische Entscheidung, denn sonst wäre die
RAAN unregierbar oder weiterhin von der korrupten PLC
geführt oder schlichtweg von den interessierten, zumeist
internationalen Unternehmen (Fischfang, Gold, Holz) manipuliert.
Es ist vielleicht die letzte Chance der Misquitos, Einfluß
in den Entscheidungen nehmen zu können. Und die FSLN ist so
geschwächt, dass auch sie gerne diese Koalition eingeht, um
an der Macht teilzuhaben. Dies versucht sie auch auszunutzen, da
sie wesentlich besser organisiert ist als YATAMA, die eigentlich
bisher keinerlei Parteistrukturen aufgebaut hat, sondern
weiterhin in der Weise einer Volksbewegung agiert. Großer
Rückhalt für die FSLN ist dabei die Universität
URACCAN, unter sandinistischem Einfluß aufgebaut und auch
geleitet von Parteimitgliedern, während YATAMA ihre
Stütze in der CIUM-BICU, der von den Herrnhutern
gegründeten Universität, hat. Auch persönliche
Feindschaften, wie die zwischen dem YATAMA-Führer Brooklin
Rivera und Mirna Cunningham, FSLN, unter sandinistischer
Regierung Beauftragte für die Karibikregion und
URACCAN-Gründerin, werden ausgeklammert.
YATAMA versucht nun mit Hilfe von verschiedenen Projekten, die
Region nicht nur aus der Isoliertheit zu holen, sondern auch
etwas von den traditionellen Ideen der indianischen
Identität wiederaufleben zu lassen: kulturelle Aspekte,
Selbstverwaltung u.ä. , repräsentiert im Gouverneur,
auch wenn dieser durch die zentralistischen Strukturen wenig
Macht hat.
Anmerkungen
(1) Namen-Glossar:
YATAMA: Yabti Tasba Masraka Nanih Asia Takanka. Bewegung der
Indianer der Karibikküste Nicaraguas. Heute anerkannte
Partei.
FSLN: Frente Sandinista de la Liberación Nacional .
Befreiungsbewegung Nicaraguas. Seit 1979 Partei
RAAN: Region Autónoma del Atlántico Norte.
Departement Nicaraguas mit Autonomiestatus
Wangki: Grenzzfluß zu Honduras, im spanischen
Sprachgebrauch: Río Coco
Bilwi: ursprünglich aus der Mayangna-Sprache, im spanischen
Sprachgebrauch: Puerto Cabezas
(2) Hier kann auf die anderen Ethnien der Ramas, Mayangnas,
Garifunas, Schwarzen und Mestizen nicht eingegangen werden.
YATAMA wird von den Misquitos dominiert, obwohl die
ursprüngliche Organisationen ALPROMISU und MIRUSATA alle
drei indianischen Ethnien einschlossen.
(3) Dieser Teil ist teilweise aus meiner Homepage entnommen. Dort
finden sich auch die Literaturangaben.
(4) Comisión Interamericana de Derechos Humanos,
Organización de los Estados Americanos, Informe No.
125/01, Caso 12.388, YATAMA, Nicaragua, 3 de diciembre de 2001.
El 26 de abril de 2001, la Organización Yabti Tasba
Masraka Nanih Asia Takanka, Yatama, el Centro NicaragÜense
de Derechos Humanos, CENIDH, ... presentaron ante la
Comisión Interamericana de Derechos Humanos (CIDH) una
petición en contra de la República de Nicaragua por
la presunta violación de los derechos consagrados en los
artículos 8, 23, 24 y 25 en concordancia con el
artículo 1 (1) de la Convención Americana sobre los
Derechos Humanos. La denuncia se relaciona con presuntas
irregularidades cometidas por el Consejo Supremo Electoral y los
Tribunales de Justicia de Nicaragua en perjuicio de los derechos
políticos de las víctimas.
(5) El Nuevo Diario 7.3.2002:
Los partidos YATAMA y FSLN se preparan para la celebración
de su victoria en las elecciones de la Región
Autónoma del Atlántico Norte. De acuerdo a datos
preliminares los escaños están distribuidos
así: En Puerto Cabezas el partido YATAMA ocupa 9 puestos,
el FSLN tiene cinco y el Partido Liberal uno.
En la zona de Waspán, Río Coco el FSLN obtuvo tres
concejales igual YATAMA, el PLC dos y PAMUC uno sin embargo en
Siuna los liberales obtuvieron 8 concejales, el FSLN 4 y YATAMA
ninguno, en resumen el Consejo Regional quedaría
conformado por 17 miembros del PLC y sus dos diputados que por
derecho quedan como concejales, FSLN 17, YATAMA 13 y PAMUC
uno.
Lo nuevo de estas elecciones es que el PAMUC por primera vez
entrará al parlamento costeño. Se espera que el
partido YATAMA escuche propuestas de negociación del FSLN
porque consideran al partido liberal traicionero de la
Autonomía. Si se llega a un acuerdo el nuevo coordinador
de la Región estaría en manos de YATAMA y la
presidencia del consejo sería ocupada por el Frente
Sandinista, burlando así las expectativas de la
señora Alba Rivera, quien ha gobernado la zona desde
1998.
Ulrich Epperlein. Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 220 - 4/2003).