Bozen, 25. September 2003
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) fordert
zum heutigen Europäischen Tag der Sprachen (26.9.) den
Landtag auf, die ladinische Standardsprache endlich
einzuführen. Die GfbV verweist auf das Beispiel des Kantons
Graubündens, wo das Kantonsparlament die Standardsprache
Rumantsch Grischun als Behördensprache eingeführt hat.
2005 wird das Rumantsch Grischun auch zur Unterrichtssprache an
den Schulen. Bei einem Besuch im dreisprachigen Graubünden
lobte der Präsident des Regionalrates, Franz Pahl, die
Sprachpolitik des Kantons zugunsten der rätoromanischen
Sprachminderheit. Südtirol soll also dem Beispiel
Graubünden folgen und der rätoromanischen Sprache den
gleichen Stellenwert einräumen und die Standardsprache zur
Verwaltungssprache erklären.
Fachleute betrachten eine Schriftsprache als unerlässlich
Bedingung für das Überleben einer Sprachminderheit.
Gerade dieses Überleben hat die Landesregierung mit einem
Skandalbeschluss Anfang dieses Jahres sabotiert. Das Ladin
Standard wurde vom Gebrauch in der öffentlichen Verwaltung
explizit augeschlossen. Ein Sprachverbot also; dass dieses
beschämend ist, versteht sich von selbst. Die
Landesregierung hat damit ein unverzichtbares Instrument der
ladinischen Minderheit zu ihrem Überleben aus dem Weg
geräumt; vor dieser minderheitenfeindlichen Entscheidung hat
sie die Sprachexperten nicht befragt, ebenso wurde die
gewählte ladinische Vertretung im Landesparlament
übergangen.
Sprachminderheiten ohne eigene Schriftsprache sind einer
unaufhaltsamen Erosion ausgesetzt. Das bestätigt die Studie
der EU-Kommission "euromosaic". Laut dieser Studie sind mehr als
die Hälfte der Minderheitensprachen "nicht
überlebensfähig", weil die Sprachen nicht anerkannt
sind und/oder weil die Verschriftlichung fehlt." Die
Expertengruppe des SPELL hat bereits ein voll praxistaugliches
Konzept für das Ladin Standard ausgearbeitet - samt
Vokabular und Grammatik. Verschiedene Medien, wie die "Usc di
Ladins" und das Internetportal "noeles.net" verwenden
regelmäßig das Ladin Standard. Die Landesregierung
hatte aber die Mitarbeiter der SPELL nicht befragt und auch die
Ergebnisse ihrer Arbeit nicht begutachtet, sondern einfach ex
Cathedra beschlossen, dass das Ladin Standard noch nicht reif
für die Anwendung sei. Dabei kann der größte Teil
der Mitglieder der Landesregierung kein einziges Wort
Ladinisch.
Das Ladin Standard würde auch für alle Dolomitenladiner
gelten und damit die von Benito Mussolini
höchstpersönlich gewollte Dreiteilung auf die Provinzen
Bozen, Trient und Belluno ein wenig überwinden. Auch das
wollte die Landesregierung nicht akzeptieren. Unverständlich
ist zudem, warum der nicht demokratisch gewählte Landesrat
Florian Mussner die Beitragszahlung an die ladinische
Dachorganisation Union Generela di Ladins dla Dolomites
"überprüfen" lässt. Ist es Zensur, ist es
Erpressung? Die Union zählt zu den engagiertesten
Befürwortern der ladinischen Schriftsprache. Mussner
begründete die Überprufung mit dem Hinweis, dass die
von einer Mitte-Rechts-Koalition regierte Region Veneto die Union
Generela finanziell nicht unterstütze. Mussner folgt also
dem nationalistischen Beispiel jener Region, die immer als
Beispiel der Minderheitenfeindlichkeit und Assimilierungspolitik
angeführt wird.
Zum Tag der Sprachen fordert die GfbV die Landesregierung auch
auf, in den ladinischen Tälern die ladinischen Sprache zu
verwenden und die ladinische Toponomastik zu respektieren. Als
die GfbV vor einiger Zeit diese Forderung an die Landesregierung
richtete, gab es eine empörte Reaktion, nur hat sich an der
Situation nur wenig gebessert. Viele Aufschriften der
öffentlichen Verwaltung sind und bleiben zweisprachig
deutsch-italienisch, ohne die Sprache der ansässigen
Bevölkerung. Solches Verhalten wurde von der Landespolitik
immer als "nationalistisch" kritisiert, wenn es sich gegen die
deutsche Sprachgruppe richtete. Warum dieses Verhalten in Ordnung
oder gar vorbildhaft sein sollte, wenn es sich gegen die
ladinische Minderheit richtet, kann freilich niemand
erklären.