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Von Ulrich Delius
Bozen, Göttingen, Dezember 2018
Der Nil bedeutet Leben. Doch am längsten Fluss Afrikas kriselt es: Seine Anrainerstaaten sind sich über eine faire Nutzung des Wassers nicht einig. Ein Krieg um das Nilwasser hätte jedoch katastrophale Folgen für die gesamte Region in Nordostafrika - und würde kein Problem lösen.
Die Bauern im Mündungsdelta benötigen das Wasser des Nils zum Bewässern ihrer Felder und Tränken ihrer Tiere. Foto: NH53/Flickr BY 2.0.
Für den Bauern Abdel Aziz bedeutet der Nil alles. Denn
ohne das Wasser des Flusses könnte er seine Reisfelder im
Nildelta Ägyptens nicht bewässern. Der Nil schafft
Leben und eine Existenz für Millionen Menschen. Baumwolle,
Weizen und Reis werden an seinen Ufern seit Jahrhunderten
angebaut. Das Nildelta gilt als eine der am dichtesten
bevölkerten Regionen Ägyptens. Fast 1.000 Menschen
leben hier pro Quadratkilometer, rund doppelt so viel wie im
dicht besiedelten Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Doch seit fünf Jahren klagen die Bauern im Delta über
immer mehr Probleme. Das Wasser bleibt oft aus oder ist so
verschmutzt, dass es große Umweltprobleme verursacht. Denn
Industrie-Unternehmen und Städte verfügen nicht oder
nur über unzureichende Kläranlagen. Oft wird der Abfall
in Kanälen entsorgt, die schließlich in den Nil
einmünden und die Wasserqualität stetig
verschlechtern.
Außerdem nimmt die Versalzung der Böden in
bedenklichem Maße zu, weil der Meeresspiegel des
Mittelmeeres auch aufgrund des Klimawandels deutlich ansteigt.
Doch salzige Böden erschweren die intensive
landwirtschaftliche Nutzung des Landes. Zum Teil sind dies
hausgemachte Probleme Ägyptens, die die Lebensbedingungen im
Nildelta erschweren.
Noch mehr fürchtet Abdel Aziz aber, dass bald kaum mehr
Wasser für die Bewässerung der Felder zur
Verfügung stehen könnte. Denn es gibt Streit über
die Nutzung des Wassers. Für Abdel Aziz sieht es nicht gut
aus. Viele Anrainerstaaten des Flusses werfen den Ägyptern
vor, ein System der Ungleichheit bei der Bewirtschaftung des
Flusses aufgebaut zu haben. Dieses benachteilige andere Staaten
systematisch und schürt somit Krisen.
Mit rund 6.800 Kilometern ist der Nil nicht nur der
längste Strom Afrikas, sondern ringt auch mit dem Amazonas
um den Titel des längsten Flusses der Welt. Wenn vom Nil die
Rede ist, denken zwar die meisten Menschen an Ägypten. Doch
der Weiße Nil entspringt in den Bergen Ruandas und Burundis
und fließt über Tansania, den Südsudan und den
Sudan nach Ägypten. Der Blaue Nil hingegen entspringt im
regenreichen Hochland Äthiopiens. Im Sudan vereinigt er sich
mit dem Weißen Nil. Auch weitere bedeutende Zuflüsse
des Nils kommen aus Äthiopien. Insgesamt machen sie rund 86
Prozent des Nilwassers in Ägypten aus.
Nach Ägypten ist der Sudan der intensivste Nutzer des
Nilwassers. So wurden dort seit dem Jahr 2003 sechs
größere Staudämme errichtet. Mit dem Stauwasser
können rund 18.000 Quadratkilometer Land bewässert
werden.
Neben Ägypten und dem Sudan gibt es andere Anrainerstaaten
des Stromes, die seit Jahren immer massiver auf eine faire
Nutzung des Flusswassers dringen. Zehn Staaten werden als
Anrainer des Stromes angesehen: Ruanda, Burundi, Kongo, Tansania,
Kenia, Uganda, Äthiopien, Südsudan, Sudan und
Ägypten. Geht es nach den Ägyptern, haben die anderen
Länder keine Vorstellung von der Bedeutung des Flusses
für Ägyptens Kultur und Hochzivilisation schon vor
tausenden Jahren.
In den Nachbarländern Ägyptens und des Sudan wurden
in den vergangenen Jahren die Stimmen immer lauter, die eine
gerechtere Nutzung des Wassers verlangen. Insbesondere wollen
diese Staaten nicht mehr hinnehmen, dass sich Ägypten und
der Sudan im Jahr 1959 in dem von Großbritannien
vermittelten Abkommen zur Nutzung des Nilwassers darauf
verständigten, die Nutzung dieser Ressourcen alleine unter
sich aufzuteilen. So sollte Ägypten 82 Prozent des Wassers
nutzen dürfen, während auf den Sudan 18 Prozent
entfielen. Die Bedürfnisse der acht weiteren Anliegerstaaten
wurden in dem Abkommen ignoriert.
Niemand zweifelt daran, dass dieser Vertrag heute nicht mehr
zeitgemäß ist. Doch in Ägypten geht nicht nur bei
den Bauern im Delta die Angst um. Denn Ägyptens Politiker
wissen um die enorme Bedeutung des Nilwassers für den
sozialen Frieden im Land. Bei einem jährlichen
Bevölkerungswachstum der 82 Millionen Bewohner von 1,5
Prozent wissen sie, wie groß die Herausforderung ist, immer
mehr Menschen Arbeit und ein Auskommen zu gewährleisten.
Bislang war der Nil dabei eine wichtige Stütze. Doch die
Zeiten ändern sich.
Vor allem in Äthiopien ist die Kritik an dem unfairen
Abkommen unüberhörbar. Das Land schafft mit dem Bau des
Grand-Renaissance-Staudamms am Blauen Nil zudem neue Fakten. Das
mehr als drei Milliarden Euro teure Staudamm-Projekt gilt als
Vorzeige-Vorhaben des Landes und wird weitgehend aus eigenen
Mitteln finanziert.
Mit einer Einweihung des Großstaudamms, der 6.000 Megawatt
Elektrizität produzieren soll, wird aber erst in einigen
Jahren gerechnet. Beim Bau hat es Verzögerungen gegeben.
Äthiopiens Regierung behauptet, dass der Staudamm keine
Folgen für den Wasserlauf des Nils haben wird. Doch diesen
Zusicherungen vertraut man in Ägypten nicht. Dort werden
Horror-Szenarien eines austrocknenden Nils für
wahrscheinlicher gehalten.
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat viel
versucht, um Äthiopien wegen der Staudamm-Frage
international zu isolieren. So traf Sisi im Dezember 2016
Eritreas Diktator Isaias Afewerki, um eine Koalition gegen
Äthiopien zu schmieden. Damals war Äthiopien noch
Eritreas Erzfeind. Doch mit der Friedensinitiative des neuen
äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed gegenüber
Eritrea ist diese Strategie Ägyptens gescheitert.
Sechs Staaten aus dem Nil-Gebiet (Äthiopien, Kenia,
Ruanda, Burundi, Tansania und Uganda) unterzeichneten im Jahr
2010 in der ugandischen Stadt Entebbe das "Nile River Basin
Cooperative Framework Agreement" (dt. etwa: Rahmenvertrag zur
Kooperation über das Nilbecken), das die ungerechten
Verträge aus der Kolonialzeit ersetzen soll. Zehn Jahre
hatten die Staaten über diese Grundsatzerklärung
verhandelt.
Ägypten und Sudan lehnen die Erklärung bis heute ab.
Sie bestehen darauf, dass alle Unterzeichner zusichern sollten,
durch Eingriffe in den Wasserhaushalt andere Staaten nicht zu
gefährden. Letztlich geht es ihnen noch immer um ihre alten
Vorrechte aus den Kolonialverträgen. So wachsen die
Spannungen zwischen den Anliegerstaaten des Nils weiter - vor
allem zwischen Ägypten und Äthiopien. Aber auch
zwischen Ägypten und dem Sudan bestehen so große
Differenzen, dass ein Krieg nicht ausgeschlossen ist.
Angesichts der langen Geschichte von Krieg und schwersten
Menschenrechtsverletzungen in Nordostafrika hätte ein Krieg
um das Nilwasser katastrophale Folgen für die gesamte
Region. Keines der anstehenden Probleme würde durch einen
bewaffneten Konflikt gelöst. Doch Nationalismus und
Drohungen gegen andere könnten vom eigenen Versagen ablenken
und die Unterstützung zu Hause stärken. So ist die
Gefahr eines Krieges um das Nilwasser groß, selbst wenn
Ägypten zusichert, keine bewaffnete Auseinandersetzung zu
suchen.
Aus pogrom-bedrohte Völker 309 (6/2018)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/h2o/rechte.html | |
www.gfbv.it/3dossier/africa/nomad-del.html |
www.gfbv.it/3dossier/africa/nuer-dinka-de.html
in www: https://de.wikipedia.org/wiki/Nil