Von Mariagrazia Gioiosa
Bozen, 10. Mai 2007
INDEX
| Einführung |
Sudan bedeutet "Land der Schwarzen", aber die Zusammensetzung des Landes ist viel verschiedener als diese Definition meinen lässt. Der Sudan ist das ausgedehnteste Land Afrikas: es bedeckt einen Grund in Grösse wie das westliche Europa, circa acht Mal Italien, mit einer Einwohnerzahl von 30.000.000 Personen, die verschiedene Sprachen reden. Der Sudan ist Theater längsten Zivilkonflikt des afrikanischen Kontinents: mehr als ein halbes Jahrhundert lang haben sich im Sudan Kriege abgespielt, die mindestens zwei Millionen Tote, Leidende an Hungersnot, Armut und Krankheiten verursacht haben. Der Sudan ist das Land, in dem die politische Situation vieler afrikanischer Staaten am offensichtlichsten ist: eine äußerst zerbrechliche interne Politik hat das Land zum Opfer Interessen der Aussenmächte und seines eigenen Machtzentrums, der Regierung in Khartoum, gemacht. Ich glaube, dass der sudanesische Fall in genereller Linie die schlechten Konditionen offenbart, denen auch viele andere afrikanische Staaten unterliegen.
Als erstes muss man sich fragen, was diese jahrelangen Kriege hervor gerufen hat, bei denen es nicht nur um Norden gegen Süden des Landes geht, sondern die eine Vielfalt interner Gruppen betreffen, und welche die Faktoren sind, die zu solch einer komplexen Situation geführt haben. An erster Stelle denke ich, dass es wichtig ist, die Rolle der kolonialen Mächte zu schildern. Nach einem halben Jahrhundert britischer Kolonie, hat das Land die Auferlegung von Grenzen erdulden müsse, die im wahrsten Sinne des Wortes an einem Schreibtisch entschieden wurden und die mutwillig Gruppen getrennt oder Gruppen, die nichts gemeinsam hatten, vereint haben. Jahre lang haben zum Beispiel viele Süd-Sudaner ihren Wohnort gewechselt und die Grenze überquert, um jenseits der Grenze Familien und Verwandte wieder zu finden, von denen sie von den Kolonialisten getrennt worden waren. Nach Angriffen der Milizen ist die schwarze Bevölkerung des Darfur in den nahe gelegenen Tschad geflohen, wo sie sich wieder mit stammeseigenen Personen vereint hat.
In anderen Worten hat die britische Kolonialmacht einen Staat gebildet, in dem in einem einzigen Land mutwillig arabisch-sprechende und afrikanische Menschen und Völker zusammen geworfen worden sind, ohne dabei das Teilhaberecht der verschiedenen Völker zu beachten. In einem einzigen Territorium, wenn auch sehr ausgedehnt, sind künstlich völlig verschiedene kulturelle Welten zusammen geworfen worden. Die ethnische Zersplitterung und Vielfalt, wie sie durch die mutwillige Aufteilung des Territoriums entstanden sind, ist sehr oft als Konfliktursache vereinfacht worden; aber dies ist eine zu leichte Auslegung und deshalb ableitend. Es ist nicht die Vielfalt , die Auseinandersetzungen und Kriege verursacht, aber so ist die Lage geschildert und gehandhabt worden: Karthoum hat diese Vielfalt ausgenutzt, im Versuch, die verschiedenen Gruppen zu trenne und zu monopolisieren und hat die lokalen Konflikte zum eigenen Vorteil ausgenutzt. Das sudanesische Regierungssystem hat den verschiedenen Gruppen im Land nie erlaubt, sich offenbaren und realisieren zu können, es hat immer versucht die verschiedenen Wirklichkeiten zu ersticken und zu verbieten und es war niemals Absicht der Regierenden, all jenen Gehör zu geben, die die mutwilligen Grenzentscheidungen und das darauf ruhende regionale System in Frage gestellt haben. Ausschlaggebend ist in dieser Hinsicht, dass es dem sudanesische Staat nie gelungen ist, die Komplexität des ethnischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Mosaiks zu verwalten. Diese Unfähigkeit hat wiederum neue Forderungen seitens der verschiedenen Identitäten hervor gerufen und jahrzehntelange Auseinandersetzungen bewirkt, unter denen das Land immer noch leidet und die für die es noch immer keine wirkliche Lösung gibt.
Mudawi Ibrahim Adam (Verantwortlicher der Sudo, eine sudanesische NGO, die in verschiedenen Regionen, besonders im Darfur arbeitet) äußert sich so zu Sudans Situation: "Viele denken, dass die Sudaner eine Nation wie viele andere sei, aber wenn man vom Sudan redet, sind die Dinge anders. Sudan bedeutet "Land der Schwarzen" und in diesem Sinn sind wir alle Sudaner. Die vom Kolonialismus bestimmten Grenzen sind nicht von den Sudanern ausgesucht worden. Es gibt mindestens 600 verschiedene Gruppen, die nie gefragt wurden, ob sie hier leben wollen. Die Gruppen haben nie ein Wort im Kapitel gehabt, weil die koloniale Macht beschlossen haben, dass Khartoum das Zentrum des Landes ist, alles sollte von Karthoum aus gehen und kein anderer Teil des Landes hat je entscheiden können, wie es verwaltet werden wollte. Khartoum hat das ganze Land an den Rand getrieben, es hat niemandem eine Wahl noch lokale Kontrolle gelassen. Sämtlicher kultureller Reichtum des Land sind zu nur einer Sache reduziert geworden: muslimische Araber zu sein. Das Land aber ist reich an Vielfalt. In der Tat gibt es Probleme zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, aber auch zwischen den Stämmen des Nordens unter einander, so wie zwischen den Stämmen des Südens. Die Regierung hat versucht, den Menschen die Identität der Araber und des Islams auf zu erzwingen, aber das ist die Identität des Staats und nicht der Menschen. In allen Teilen des Landes leben verschiedene Gruppen und ich kann euch versichern, dass jeder Sudaner vor allem sagt, " ich bin ein Nuer oder ein Dinka, oder ich gehöre zum Stamm der so und so". Dem Volk ist eine Identität aufgezwungen worden, eine arabisch-islamische Identität, in der sich zwar der Staat wieder erkennt, nicht aber die Menschen in ihrer Eigenheit und Vielfalt. Eine auf erzwungene Identität kann, in diesem Fall von der nicht-muslimischen Bevölkerung, nicht als eigen gefühlt und erlebt werden.
Die Definition einer Ethnie und der ethnisch bedingten Identität stützen sich auf kulturelle nicht aber natur-bedingte Elemente. Einer bestimmten Gruppe anzugehören bedeutet, sich in deren symbolischen Weltvorstellung wieder zu erkennen und dazu reicht es nicht, sich das gleiche Territorium oder die gleiche Hautfarbe zu teilen. Einer Gruppe an zu gehören, bedeutet, sich als integrierten Teil der Gruppe zu sehen, mit der man ein geschlossenes Wertsystem und Normen teilt. Es handelt sich also nicht um einen Lebensweise, die auf erzwungen werden kann, noch um ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das übertragen oder eingetrichtert werden kann. Der Zwang seitens des Staats, allen Sudanern eine bestimmte Kultur und Identität auf zu zwingen, hat seitens der Minderheiten, die immer an den Rand gezwungen wurden, verschiedenen Formen der Proteste ausgelöst. Die ethnische Vielfalt des sudanesischen Mosaiks spiegelt sich auch in der Vielfalt der Freiheitsbewegungen der verschiedenen Regionen wieder: sie widersetzen sich aus verschiedenen Motiven dem Zentralstaat und gebrauchen ihre eigenen ethnische Einheit und Werte um die eigenen Rechte geltend zu machen. Viel zu oft werden afrikanische Konflikte als Stammes-Streitigkeiten vereinfacht, die in genereller Linie von angeblichen kulturellen Unterschiedenen ausgelöst seien.
Die Ethnisierung ist nicht eine Tendenz zum Separatismus, einem besonderen Stamm eine bestimmte Rolle anzuordnen, sondern das Ergebnis eines Interessenkampfs, es ist eine bestimmte Art, die eigene Identität wahr zu nehmen, die nur im Zusammenhang genauer sozialer und geschichtlicher Situationen verstanden werden kann. Einige Aspekte der Kultur hervorhebend, bilden die verschiedenen Gruppen politische Allianzen, die bei einer oberflächlichen Betrachtung als ein Zurück zur Tradition gesehen werden können. Der Fall Darfur ist ein Beispiel dafür: die augenblickliche Tragödie darf nicht ethnisch begründet werden. Das Gleiche gilt für den Süd-Sudan: auch hier stehen wir nicht vor Stammesauseinandersetzungen; man muss beachten, dass jegliche Konfliktformen nicht von verschiedenen Traditionen, Religionen oder Sprachen ableitbar sind, sondern von der Art und Weise, in der diese Vielfalt verwaltet und gebraucht worden ist. Oftmals ist das ethnische Element, die Ethnisierung das beste Instrument, Konflikte zwischen den Gruppen zu schüren. In gleicher Weise wird der Ursprung der Konflikte mit so genannten kulturellen Unterschieden erklärt. Wie aber Fabietti unterstreicht, ist der Begriff "Kultur" im nicht anthropologischen Sinn ein alles erklärender Begriff geworden: mit dem Begriff "Kultur" werden heute Benehmen, politische Ideen, Interessen, Konflikte und das Aufeinanderprallen von Kulturen erklärt. In dieser Weise werden die Begriffe "Kultur" oder "Ethnie" eine Ausrede, um alles und alle zu rechtfertigen. Es ist hingegen notwendig, artikulierte und genaue Analysen der sozialen Motivierung, und der Modelle der Annahme bzw. Verweigerung, die Menschen motivieren, aus zu arbeiten. Um die Komplexität eines Kriegs oder eines Konflikts zu verstehen, so wie sie viele Gegenden unseres Planeten plagen, reicht die Annahme einer vermutlichen kulturellen Verschiedenheit oder vermutlicher ethnisch bedingter Unterschiede nicht aus.
Der Sudan ist seit je her ein komplexes Szenarium, in dem sich verschieden artige Interessen gebildet haben und heterogene Dynamiken ausgelöst wurden, oftmals von minderheitlichen Gruppen. Die Strategie des Zentralstaats in Khartoum ist immer dem Leitspruch "divide et impera" gefolgt: Bilde Trennungen und regiere. Karthoum hat sich meist der politischen Auseinandersetzungen, des Ehrgeizes der Leader und de lokalen Unterschiede bedient, um die verschiedenen Einwohnergruppen gegen einander auf zu hetzten.
Vor den Forderungen einer jeglichen Region gestellt, hat sich der Staat immer der lokalen Konflikte bedient, um den Protesten entgegen zu treten. Zwischen den einzelnen Gruppen hat es immer Wetteifer, z. B. für den Zugang zu Wasser oder den Gebrauch des Lands, gegeben, aber der Staat hat die Situation immer komplizierter gemacht, und ist nicht davor zurück geschreckt, eine Gruppe zum Nachteil einer anderen zu bewaffnen und sie zum Kampf an zu stiften. Das Ergebnis ist nun ein andauernder Machtkampf zwischen Gruppen, der scheinbar keinen Ausweg findet, und die sudanesische Situation zu einem der schlimmsten Kriegszenarien und Menschenrechtsverletzungen gemacht hat. Das menschliche und wirtschaftliche Potential des Sudans wurde nicht als einzigartiges und bereicherndes Element verstanden, sondern als ein Mittel, um Auseinandersetzungen und Konflikte zu schüren.
Aufgezwungene Landesgrenzen, die Tendenz, Unterschiede zu unterdrücken und Identitätsforderungen diskriminierter Minderheiten sind einige der Faktoren, die zu der komplexen Situation des Sudans geführt haben. Meiner Meinung nach sind dies Aspekte von grundlegender Wichtigkeit, die zur Erklärung der Auseinandersetzungen nicht unterschätzt werden dürfen. Die sudanesische Wirklichkeit ist jedoch derart komplex, dass eine Reihe von ausschlaggebenden Faktoren, die die Geschichte des Landes beeinflusst haben, berücksichtigt werden müssen. So darf z.B. der Einfluss der internationalen Mächte in der sudanesischen Innenpolitik nicht ausser Acht gelassen werden. Als ein an Naturschätzen reiches Land (Wasser des Nils, Erdöl), ist der Sudan seit jeher Opfer internationaler Einmischversuche, die von der Regierung in Karthoum direkt oder indirekt unterstützt wurden. Um die Nutzung dieser Reichtümer weiter zu entwickeln und zu potenzieren, hat der Staat immer versucht, das südsudanesische Volk zu unterwerfen bzw. zu eliminieren und so in den Besitz der Gebiete und der Bodenschätze des Südens zu kommen. Die Strategien sind vielfach und wurden nie zum Schutz des Volkes eingesetzt. Als gegen Mitte der neunziger Jahre die lokale Führung wieder im Stande war, die Erdölförderung zu entwickeln, kamen sofort die Investitionen der ausländischen Firmen. Ziel der multinationalen Firmen war und ist es, den Sudan zum hauptsächlichen Produzenten und Verteiler des sub-saharianischen Afrikas zu machen, wobei das Land noch zahlreiche unerforschte Gegenden und vielfache ausländische Investitionsmöglichkeiten bietet.
Im Dezember 1998 hat die Zentralregierung verkündet, dass eine Vereinigung einer kanadischen, malaysischen, argentinischen, deutschen, englischen und chinesischen Gesellschaft die Errichtung einer Erdöl-Pipeline in der Länge von 1.110 km gebaut hatte, dank der das Erdöl von den Gebieten des westlichen Upper Nils in den Norden transportiert werden konnte. Die Einwohner des Südens wurden nicht nach ihrem Einverständnis befragt, noch wurde vorgesehen, dass ein Teil der aus der Pipeline hervorgehenden Gewinne an die lokale Bevölkerung abgetreten werden könnte. Im Gegenteil, diese Ressourcen wurden zu ihrem Nachteil verwendet und genutzt, mit der Folge, so dass sich als Folge eine bisher nie gekannte Gewaltspirale ergab. Die grosse Menge an Erdöl, die dank der Pipeline gewonnen werden konnte, hat in der Tat in nur kurzer Zeit die wirtschaftliche Situation der sudanesischen Regierung und damit ihre internationale Position verändert. Ein beträchtlicher Anteil dieses neuen Reichtums wurde von Khartoum in die Produktion von hoch-technologischen Waffensystemen investiert, mit denen man den jahrelangen Angriffen der Südsudaner entgegentreten wollte. Man wird sehen, dass die Gewalt im Süden, aber generell auch im ganzen Land, in Folge des wachsenden militärischen Drucks der Zentralregierung auf die lokale Bevölkerung zugenommen hat.
Die Ressourcen und das enorme Potential an Reichtums des eigenen Landes haben sich für die südsudanesische Zivilbevölkerung in Kriegsinstrumente verwandelt, ohne dass sie je Vorteile aus den reichen Gewinnen gehabt hätten. So hat der Staat im Laufe der Neunziger Jahre zum Beispiel Milizen bewaffnet und die Rivalität zwischen alliierten lokalen Anführern des Südens manipuliert. Die daraus hervorgehende Gewalt hat Tausende von Nuer, schuldig, in einem erdölreichen Gebiet zu leben, zur Flucht gezwungen. Die ausländischen Erdölgesellschaften haben sich nie der Regierungspolitik widersetzt und in einigen Fällen haben sie sogar mit Karthoum zusammengearbeitet. Die Regierungen der staatlichen chinesischen und malaysischen Firmen haben die sudanesische Regierung mit schweren Waffen ausgestattet und sie so im Kampf gegen die Südsudanesische Freiheitsbewegung SPLA/M unterstützt. Die SPLA/M hat sich schon immer der Regierung widersetzt, im Kampf um ein "neues, freies und vereinte Sudan". Aber nicht nur die Erdölvorkommen werden ausgenutzt, sondern auch das Wasser des Nils, das somit seinerseits Streitobjekt und Grund zu Einmischungsversuchen, sowohl seitens der Regierung als auch ausländischer Mächte, wird. Auch in diesem Fall wurde der südlichen Region dieses Landteils eine Randrolle zugeschrieben: die Völker der Nuer und der Dinka, die vorwiegend von Viehzucht leben, haben sich dem Regierungsprojekt des Jonglei-Kanals widersetzt, auch weil dieses eine Verwertung des oberen Talabschnittes und den Gebrauch von grossen Mengen Wassers vorsah.
Die zwei Völker hatten Angst, dass die Trockenlegung der Sumpfgebiete und das Hindernis, das der Kanal für die Wanderwege der Vieherden darstellte, ihre traditionelle Lebensweise eingeschränkt hätte, ohne dass es dabei für sie selbst irgendeinen Gewinn gegeben hätte. Der bau des Kanals brachte eine Reduzierung der Trinkbrunnen, an denen die Herden in der Trockensaison trinken konnten, mit sich. Der Süden des Landes war es leid, wiederum die Gewinne eines Bodenschatzes des Südens an den Norden abgeben zu müssen. Trotz der Proteste ist da Kanalprojekt zu Ende gebracht worden, auch wenn der Kanal schlussendlich nicht genutzt wird. Nur der Friedensvertrag von Nairobi von 2005, der dem langen Krieg zwischen Nord und Süd ein Ende gesetzt hat, hat erlaubt, dass die Wasserwege des Nils zu Gunsten der Bevölkerung wenigstens zur Verteilung von Vorräten und humanitärer Hilfe befahrbar wurden. Ein weiterer Aspekt der Einmischungsversuche seitens internationaler Akteure betrifft die militärische Hilfe, die der Sudan ab den 80er Jahren von den USA, China, Iran und Russland bekommen hat. Die Auflage Chinas, mit dem Import von Panzern, Schusswaffen und Flugzeugen, scheint besonders intensiv gewesen zu sein. Dieser beeindruckende Waffenimport hat eindrucksvolle Veränderungen verursacht: außer der unvermeidlichen Gewalt, die in den sudanesischen Regionen gewachsen ist, hat der vom Waffenimport betroffene Bevölkerungsanteil zunehmend die eigenen Gewohnheiten und Formen des rituellen Lebens geändert.
Außerdem hat die zunehmende Zahl der Toten, ausgelöst von nächtlichen Angriffen, Zerstörungen, Hungersnot und Krankheiten, die seit je her das Land plagen, den Eingriff von internationalen Hilfsorganisationen und humanitären Agenturen nötig gemacht. Aber auch so sind die ausländischen Interessen dem Wohlergehen der lokalen Bevölkerung vorrangig. Die humanitären Hilfen in den südlichen Regionen wurden und werden immer noch von Khartoum und von den Rebellenbewegungen behindert. Vor allem behindert der Zentralstaat die Ankunft sanitärer Fachkräfte im Darfur und die Arbeit der wenigen lokalen NGOs, die sich im Darfur um das Wohlergehen und den Schutz der Zivilbevölkerung bemühen. Ein wichtiger Aspekt dabei betrifft sicherlich die Zweideutigkeit, die diese Organisationen in Anlehnung an den sudanesischen Staat gehabt haben. Das World Food Programm z. B. bringt den südlichen Einwohnern Beistand und Hilfe, ohne jedoch zu versuchen, die regionalen Schätze und Möglichkeiten zu kräftigen bzw. weiter zu entwickeln. Das Gebiet der Äquatoria im Südsudan könnte z.B. ein besonders fruchtbares Land werden, in dem verschiedene Produkte hergestellt werden könnten. Mit der Ausrede aber, den ärmsten Regionen Hilfe bringen zu müssen, zwingen die internationalen Firmen ihre eigenen Produkte auf. Die Folge ist die andauernde Verschlechterung der Lebensbedingungen, nicht nur der lokalen Bevölkerung sondern des ganzen Landes. Angesichts der schlechten Lage des Sudans haben die USA beschlossen, im Südsudan einzugreifen. Wiederum ist der auslösende Grund von eigenen Interessen gegeben: ein Eingriff vor allem in den Erdöllieferungen des Südsudans schützt die USA im Fall einer möglichen Verschlechterung der Beziehungen mit dem jetzigen Erdöllieferanten Saudi Arabien.
Die ausserordentliche Vielfalt wurde nicht erhalten, im Gegenteil, es wurde versucht, das ganze Land zu vereinheitlichen. Die wirtschaftlichen Ressourcen, die potentielle Entwicklungsmöglichkeiten für die lokale Zivilbevölkerung darstellen, wurden dazu verwendet, Konflikte an zu schürfen bis hin zu einer Gewaltspirale, der hauptsächlich die Zivilbevölkerung zum Opfer fällt. Dies zeichnet in wenigen Zügen die allgemeine prekäre Situation des Sudans aus. Wie in allen Kriegen oder bei instabilen politischen Verhältnissen werden die höchsten Kosten von der Zivilbevölkerung getragen und zwar nicht nur im Sinn von Menschenopfern, sondern auch wegen der Unmöglichkeit, die traditionelle Lebensweise fort zu führen. Die Bevölkerung des Südsudans, vor allem Bauern und Schafzüchter, ist ein Beispiel dafür: der Krieg hat Äcker und Weideland zerstört und die Menschen haben ihre traditionellen Ernährungsquellen verloren. Die Folgen sind Krankheiten und Hungersnot. Plünderungen und Angriffe der Milizen haben das Land unfruchtbar gemacht und die Brunnen vergiftet; das Wasser ist zum Krankheitserreger für Mensch und Tier geworden.
Männer und Kinder sind gezwungen geworden, die eigenen, vom Krieg zerstörten Ackerböden aufzugeben und sich besseres Land zu suchen. Meine Analyse konzentriert sich auf die Auswirkungen auf die traditionellen Lebensweisen der zwei zahlreichsten Völker des Südsudans (Nuer und Dinka) im Zuge der Konflikte, die von Karthoum direkt oder indirekt gehandhabt wurden. Der Konflikt zwischen diesen zwei Gruppen fängt 1991 an, als Folge der Spaltung des SPLA/M, der Völkerbewegung für die Befreiung des Sudans. Der Zivilbevölkerung erscheint dieser Konflikt von Anfang an als eine neue Art der Auseinandersetzung, anders als die gewöhnlichen Streitigkeiten über das Vieh. Diesmal ging es um Unstimmigkeiten zwischen den zwei politischen Führer, dem Dinka John Garang und dem Nuer Riek Machar, die ihrerseits von der Zentralregierung in Karthoum manipuliert wurden. Im Laufe des Konflikts und vor allem mit der Einführung von Schusswaffen hat es eine bedeutende Verschärfung der Gewalt gegeben, die die traditionellen Lebensformen stark beeinflusst hat.
Die Nuer nennen sich selbst Naath. Sie leben in den Sumpfgebieten und weiten Savannen längs des Nils, südlich des Zuflusses des Sobat und des Bahr al-Gazal und an den Ufern dieser zwei Flüsse. Sie leben getrennt von den Dinka, auch wenn sie in Folge der Ausbreitung und der Migrationen des XIX Jahrhundert bemerkenswert viel von der Kultur der Dinka angenommen haben. Die Dinka sind die zahlreichste Volksgruppe des Süd-Sudans; sie nennen sich selber Jieng (in der Region Upper Nile) und Moni--Jang (in Bahr al-Gazal). Sie leben in Bahr al-Gazal, in den Regionen des Upper Nile und des südlichen Kordofan. Die Naath kontrollieren große Teile der Regionen des Upper Nile, der sich vom Fluss Zeraf bis zu den Stränden des Baro und Pibor, der Regionen Luo und Jinaki ausdehnt. Sie nennen die Dinka Jiang, aber generell gebrauchen sie diesen Terminus für jeglichen Stamm gegen den sie Razzien durchführen und von dem sie Gefangene nehmen. Es sind zwei sehr ähnliche Völker; sie bilden beide eine Untergruppe der nilotischen Bevölkerung, die einen Teil des Kulturgebiets Ost-Afrikas bewohnt. Die Nuer unterscheiden die Stämme, die in den Gebieten des westlichen Nils leben von denen, die in den Osten ausgewandert sind; deswegen spricht man auch von westlichen Nuer und östlichen Nuer. Auf Grund der Umweltbedingungen haben beide Völker eine sehr einfache materielle Kultur. Sie leben vorwiegend von Viehzucht, Fischerei und Landwirtschaft, wenn auch im geringeren Maße.
Diese sind die Aspekte und Eigenschaften, mit denen sie sich ihren Lebensunterhalt "verdienen". Für diese Analyse will sich jedoch auf die Beziehungen zwischen den zwei Völkern konzentrieren, so wie vor dem Ausbrechen der Konflikte gepflegt wurden. Wenn sie auch nie friedliche Beziehungen hatten, so gibt es dennoch keine plausiblen Gründe, die sie zu einer absichtlichen Form der Gewalt hätten bewegen sollen. Die Motivationen, die die jeweiligen Gruppen vor 1991 zu Auseinandersetzungen bewegt haben, haben nie mit "ethnischen" Auseinandersetzungen zu tun gehabt, sondern waren immer mit Raubzügen von Vieh und dem Wunsch nach Ausbeutung und Reichtum verbunden. Die anglo-ägyptische Domination hat in der Tat ihren Wetteifer um politische Macht auf ein Minimum reduziert; ihre Streitigkeiten um die Aufteilung des Lands, des Viehs oder um andere wirtschaftliche Gründe wurden mit Lanzen und Schildern ausgetragen. Der Geschichte, der Tradition und sogar der Weltanschauung der beiden Völker nach, hat es zwischen Dinka und Nuer immer Auseinandersetzungen gegeben. Die Aggressionen gegenüber den Dinka werden als "normal" betrachtet, sogar eine Pflicht in Übereinstimmung der Weltanschauung. Laut dem Mythos sind Dinka und Nuer zwei Söhne Gottes, der Dinka eine ältere Kuh versprach und Nuer sein junges Kalb schenken wollte. Dinka ging bei Nacht in den Stall Gottes und die Stimme Nuers nachahmend liess er sich das junge Kalb geben.
Als Gott entdeckte, irregeführt worden zu sein, wurde er zornig und ordnete Nuer an, diese Beleidigung zu rächen und Dinka bis ans Ende der Zeiten das Vieh zu rauben. (Evans - Pritchard 1949: 178). Dieser Mythos begründet die dauernden Vieh-Razzien der Nuer und spiegelt die politischen Verhältnisse zwischen den beiden Völker wieder. Seit Menschengedenken haben die Nuer haben die Rolle der Angreifer gehabt; die Verhaltensmuster und Beziehungen mit den Nachbarn werden von der Liebe für das Vieh bestimmt: die Raubzüge sollen den Wunsch der Nuer befriedigen, Vieh zu besitzen und Weideland zu kontrollieren. Das hat allerdings nicht verhindert, dass die zwei Völker auch andere Beziehungen als den Krieg hatten. Vor Anfang des Konflikts heirateten Dinka und Nuer, sie haben gemeinsame Vorfahren und haben eine gemeinsame Wirtschaftsform (Viehzucht und Ackerbau).
Beide Völker sind patrilinear organisiert: die Volkszugehörigkeit wird durch den Vater, nicht durch die Mutter, bestimmt und so haben bei den Nuer männliche Nachfahren grosse Wichtigkeit, wie eigentlich bei fast allen patrilinearen Verwandtschaftssystemen. Um auch nicht verheirateten oder kinderlos Verstorbenen männliche Nachkommen sichern zu können, gibt es bei den Nuer die so genannte "Heirat mit dem Gespenst". Ein Mann aus dem gleichen Clan des Verstorbenen kann im Namen des Verstorbenen eine Frau heiraten und die Kinder, die aus dieser Vereinigung geboren werden, gelten als rechtliche Nachkommen des Verstorbenen. Sowohl Nuer als Dinka sind durch patrilokale Wohnsitze charakterisiert, d.h. ein Paar lebt bei bzw. In der Nähe der Verwandten des Mannes. In beiden Gruppen können Frauen auch ausserhalb der eigenen Gruppe heiraten. Die Frauen beider Völker sind "ohne festen Wohnsitz", denn dieser ist immer nach dem Wohnsitz des geheirateten Mannes bestimmt. Da Frauen auch mehrere Männer heiraten können, ändert sich dem entsprechend auch der Wohnsitz der Frauen. Die Kinder dieser Vereinigungen gehören immer der Volksgruppe des jeweiligen Vaters an.
Im Zuge der weiten Migrationzüge der Nuer gegen Anfang des 19. Jahrhunderts, haben die Nuer viele Völker, wie z.B. Dinka, Anyuak, Maban, gleichberechtigt assimiliert. Die Expansion der Nuer und die volle Assimilation anderer Völker, dank der viele "Jiang" zu "Naath" wurden, hat bewirkt, dass die Nuer sich selbst als höchst gastfreundlich und offen bewerten. All jene, die während ihrer Razzien entführt werden, werden dann in das eigene System integriert, wobei ihren vorherigen Status als "Jiang" verlieren und dafür den des "Naath" gewinnen. Für die Nuer selbst liegt der Unterschied zwischen einem "Jiang" und einem "Naath" nicht direkt in seiner Abstammung, sondern vielmehr in seiner Verhaltensweise. Barth spricht dabei von "expliziten Merkmalen", die von den Mitgliedern einer ethnischen Gruppe an den Tag gelegt werden. Diese Merkmale reichen von einer bestimmten Art, die Sprache zu gebrauchen über die Wichtigkeit, die dem Viehbesitz zugesprochen wird, bis hin zur Art und Beschaffenheit der Wohnhütte. Es sind dies alles Aspekte, die sich die Nuer über Generationen überliefert haben und die als augenscheinliche Merkmale ihrer ethnischen Angehörigkeit bewertet werden.
In anderen Worten, vergangene und gegenwärtige Generationen von Nuer haben eine Art der Identitätsbildung entwickelt, die Fabietti wie folgt beschreibt: "eine Identität, die von interessierten Subjekten entwickelt wird". Das Schlüsselelement der Identitätszuweisung ist für die Nuer das Vieh. Wer kaum oder kein Vieh besitzt wird missachtet, Viehbesitzer identifizieren sich selbst mit ihren Tieren. Natalina Sala (Vorsitzende der NGO Arkengelo Ali Association Sudan) hat mir erzählt, dass ein Nuer die ganze Nacht bei einem kranken Tier bleibt und dass eine kranke Kuh die gleichen Medikamente wie ihr Besitzer bekommt.
"Die Nuer lieben ihre Kühe auf aussergewöhnliche Weise; sie besitzen Behälter, die mit dem Urin der Kühe gewaschen werden. Sie selbst wie auch ihre Kinder trinken ihre Milch aus diesen Behältern und auch die Milch, die verkauft wird, wurde in diesen Behältern bewahrt." Diese Erzählung bestätigt die Beobachtungen von Evans-Pritchard (1940) und von Sharon Hutchinson (1996): für die Nuer gibt es keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier, sie sehen sich selbst als eine Einheit mit ihren Tieren. In den Tänzen, Liedern und sogar bei der Namenswahl feiern und ehren sich die Nuer gegenseitig mit der Ähnlichkeit mit den Tieren, denn beide sind aus Blut, das wichtigste Lebenselement. Bei der Adoptionszeremonie, die es einem Dinka oder allgemein einem nicht-Nuer ermöglicht, der Nuer-Gemeinschaft bei zu treten und die für die Nuer äusserst wichtig ist, wird der Beitritt zur Nuer-Gemeinschaft durch das Blut eines Tiers symbolisiert. Dank dieser Zeremonie wird man zum Von diesem Augenblick an ist Jaang-Naath (Dinka-Nuer): man ist ein anerkanntes Mitglied der Nuer geworden, mit dem gleichen sozialen und rechtlichen Status. Das grundlegende Element zur Definition der Nuer-Identität ist also das Vieh.
Der Lebensalltag und die Gewohnheiten bestimmen den Unterschied zwischen Nuer und nicht-Nuer: die Araber "heiraten durch das Geld", während bei den Nuer eine Hochzeit vom "Reichtum der Braut" abhängt (Bezahlung des Brautgelds in Form von Vieh). Geld ist bei den Nuer etwas Steriles, das keine Bindungen schafft, denn es hat kein Blut. Auch die Verhaltensmuster und die Arbeiten, denen man nachgeht, verraten wer Naath ist und wer nicht: alle einfacheren Arbeiten, die nicht die Viehzucht vorsehen, und die vor allem von den Völkern im Norden verrichtet werden, sind Arbeiten, die "nur ein Dinka machen möchte".
Die Zugehörigkeit zu den Nuer gleicht einem Ehrentitel, der durch die soziale Anerkennung seitens der gesamten Gemeinschaft verliehen wird. Ein jeder kann die soziale Anerkennung und somit die Nuer-Identität erlangen, wenn er bestimmte Verhaltensregeln annimmt, genauso wie er sie verlieren kann, wenn er die Regeln und Normen missachtet.
Im Gegensatz dazu, kann die Identität Dinka nur durch Geburt erlangt werden: um ein Dinka zu sein, muss man als Dinka geboren worden sein. Diese Auffassung der Identitätszuteilung ist sicherlich auch das Ergebnis der starken Expansion der Nuer im XIX Jahrhundert und der damit verbundenen Assimilation der Dinka. Die Dinka haben so eine Identitätszuteilung entwickelt, die vom "Geburtsrecht" abgeleitet wird: Abstammung und gemeinsame Herkunft sind die Trägerelemente der Dinka-Identität. Damit eine Gruppe sich selbst als "ethnisch" erkennt und auch von Aussen als solche anerkannt wird, müssen alle Elemente der ethnischen Zusammengehörigkeit anwesend sein: gemeinsame Herkunft bis weit zurück in der Vergangenheit, gemeinsame Kultur, Sprache und Religion.
Nuer und Dinka haben seit je her typisierte Vorstellungen des Anderen. Die Nuer werden von ihren Nachbarn als arrogant, impulsiv, feindselig gegenüber jeglicher Autorität und unfähig, eine Machtposition inne zu haben beschrieben. Die Dinka halten sich selbst für schlauer und zum Kommando geeignet. Solche vorgefassten Meinungen hat es bereits vor dem Konflikt gegeben, trotzdem hat man das Gefühl, dass sie absichtlich "von aussen" geschürt worden sind, so zu sagen als Rechtfertigungen für den Konflikt selbst.
Die Beziehungen zwischen Nuer und Dinka waren niemals reibungslos und harmonisch, wie auch die gegenseitigen Vorurteile beweisen, aber es gibt keinen Grund noch Beweise, um an zu nehmen, dass das aktuelle Ausmass an Gewalt von der Zivilbevölkerung gewollt war. Die Streitigkeiten zwischen den zwei Völkern drehten sich immer um das Vieh, wie auch ein Dinka-Anführer während der Friedensabkommen in Lokichokkio bestätigt: "Unsere Probleme mit den Nuer drehen sich nicht um ein totes Tier oder eine Weide oder anderen Dingen. Unser Problem sind immer die Kühe gewesen. Die Nuer sind ein Volk, dem die Kühe gefallen. Wenn sie eine unserer Kühe sehen, nehmen sie sie einfach. Das war schon immer unser traditioneller Streit, aber wir haben immer nur um die Kühe gestritten. Der aktuelle Konflikt hat nichts mit unseren traditionellen Streitigkeiten zu tun."
Trotz der schwierigen Beziehungen zwischen den zwei Völkern, waren die Streitigkeiten zwischen Nuer und Dinka niemals ethnischer Natur. Die ethnisch bedingten Unterschiede wurde jedoch von den militärischen Anführern aufgebauscht und ausgenutzt. Die Gewalt, die ab 1991 die Beziehungen zwischen Dinka und Nuer charakterisiert hat, hing nicht vom Willen der Zivilbevölkerung ab: "Es gibt nichts im Herzen der Dinka und Nuer, das diese Gewalt ausgelöst haben könnte. Es ist etwas geschehen, das weit über unsere Macht ging."
In der Tat ist der Krieg von der Regierung in Karthoum angestiftet worden, um so ihr Ziel zu erreichen und zu "beweisen", dass die Probleme im Süden des Landes ethnischer Natur sind und nicht etwa die Folge der eigenen diskriminierenden Politik. Die Konflikte zwischen den zwei Gruppen ermöglichen der Regierung die Kontrolle über Land und Bodenschätze des Südens. Karthoum hat die Meinungsverschiedenheiten zwischen den zwei Anführern Riek und Garang bewusst geschürt und diese gegeneinander ausgespielt und hat sich so einerseits die Loyalität der Nuer-Faktion gegen die SPLA/M, der hauptsächlich Dinka angehören, gesichert und andererseits den ethnischen Konflikt aufgebaut. Die darauf folgende Gewalt hat den Rest getan und das alltägliche Leben der Zivilbevölkerung radikal verändert. Um auch den letzten Willen der Bevölkerung zu brechen, hat Karthoum schlussendlich seine internationale Macht ausgespielt und den humanitären Organisationen den Zugang zur Region untersagt.
Geht in der italienischen Version weiter.
Übersetzung von Joseph Kaspareth