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Von Hanno Schedler
Göttingen, Bozen, 22. Juli 2013
Frauen schöpfen Wasser aus einem Brunnen in Natriguel, Mauretanien. Foto: Pablo Tosco/Oxfam.
"Plötzlich taucht hinter dem Rande des Mondes in langen,
zeitlupenartigen Momenten von grenzenloser Majestät ein
funkelndes, blauweißes Juwel auf, eine helle, zarte,
himmelblaue Kugel, umkränzt von langsam wirbelnden
weißen Schleiern. Allmählich steigt sie wie eine Perle
aus einem tiefen Meer empor, unergründlich und
geheimnisvoll. Du brauchst eine kleine Weile, um ganz zu
begreifen, dass es die Erde ist", notierte der US-amerikanische
Astronaut Edgar Mitchell im Januar 1971, als er in der Raumkapsel
Apollo 14 saß. Die Erde trägt nicht zu Unrecht den
Beinamen "blauer Planet", denn sie ist zu 70 Prozent mit Wasser
bedeckt. Sauberes Trinkwasser ist jedoch ungleich verteilt.
Mindestens 768 Millionen Menschen trinken UNICEF zufolge unreines
Wasser.
2,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberen
Sanitäranlagen. 2.000 Kinder unter fünf Jahren sterben
täglich an Durchfallerkrankungen, weil sie verschmutztes
Wasser getrunken haben oder die hygienischen Bedingungen
mangelhaft sind. Regierungen geben jährlich hunderte
Milliarden Euro für die Behandlung dieser Krankheiten aus,
anstatt vorzubeugen und in die Trinkwasserversorgung und
Sanitäranlagen zu investieren. 2001 verkündeten die
Vereinten Nationen (UN) die Absicht, die Zahl der Menschen ohne
dauerhaft gesicherten Zugang zu hygienisch einwandfreiem
Trinkwasser zu halbieren. 2010 erklärten die UN das Recht
auf sauberes Wasser und Sanitärversorgung zum
Menschenrecht.
122 der 163 anwesenden Staaten, vor allem ärmere
Länder, stimmten dafür. Das Menschenrecht auf Wasser
ist je doch völkerrechtlich nicht verbindlich und somit auch
nicht einklagbar. Bolivien stellte seinerzeit den Antrag bei der
UN-Generalversammlung, weil Wasserkonflikte die jüngste
Geschichte des Landes geprägt hatten.
1997 hatten sich mehrere Unternehmen, angeführt vom US-Konzern Bechtel, die Rechte an der Wasserversorgung in Boliviens drittgrößter Stadt Cochabamba gesichert. Die Wasserpreise erhöhten sich um 300 Prozent. Gerade ärmere Menschen, unter ihnen viele Indigene, konnten sich kein sauberes Wasser mehr leisten. Anfang 2000 schlossen sich mehr als 40 Organisationen zum Dachverband "Koordination der Verteidigung von Wasser und Leben" zusammen. Nachdem es zu massiven Zusammenstößen zwischen Aktivisten und Polizei gekommen war, kündigte die bolivianische Regierung schließlich die Verträge mit den Unternehmen auf. Die Wasserversorgung ist in dem überwiegend von indigenen Quechua- und Aymara-Völker bewohnten Bolivien nun wieder in öffentlicher Hand.
"Fiji Water" ist das Export-Produkt Nummer eins des
Inselstaates Fidschi. Es wird als unberührt und besonders
gesund angepriesen und in Deutschland für mehr als vier Euro
pro Liter verkauft. Dass Fidschi seit 2006 eine
Militärdiktatur ist, wissen wohl nur die wenigsten
Konsumenten. Oppositionelle werden immer wieder entführt,
geschlagen oder gefoltert. Noch weniger ist anscheinend bekannt,
dass nur 47 Prozent der Menschen in Fidschi Zugang zu sauberem
Wasser haben. Einwohner eines reichen Landes, in das "Fiji Water"
verschifft wird, haben leichter Zugang zu sauberem Wasser aus
Fidschi als die Inselbewohner. Die Eigentümer der Marke
"Fiji Water" sitzen in den USA.
Die Abfüllung von Trinkwasser in Flaschen ist auch in
Pakistan problematisch. Der Schweizer Konzern Nestlé
produziert dort "Pure Life", die meistverkaufte Marke des
Unternehmens. Der Zürcher Journalist Res Gehriger zeigt in
der preisgekrönten Dokumentation "Bottled Life" (2012) die
Situation der Menschen, die nahe der Fabrik leben, in der das
Flaschen wasser abgefüllt wird: Der Grundwasserspiegel ging
zurück; aus den Brunnen schöpfen die Menschen nur noch
dreckige Brühe. Auch diejenigen, die in den Wasserfabriken
arbeiten, können sich "Pure Life" nicht leisten.
Maude Barlow, einst Beraterin der Vereinten Nationen für
Wasserfragen, findet deutliche Worte: Nestlé beraube die
Menschen ihrer Wasservorräte und entziehe ihnen die
Lebensgrundlage. Nestlé-Chef Peter Brabeck hingegen stuft
die Auffassung, dass Wasser ein öffentliches Recht sei, als
zu extrem ein. Wasser sei vielmehr ein Lebensmittel, das einen
Marktwert haben solle.
Nicht nur in Südamerika und Asien entbrennen Konflikte um
Wasser. Selbst vor der Haustür wird heftig debattiert. Noch
Anfang 2013 diskutierte die EU-Kommission für Wettbewerb
über eine EU-Richtlinie zur Liberalisierung der
Wasserversorgung. Kommunen könnten demnach die Versorgung
ihrer Bürger mit Wasser an private Unternehmen abtreten. Die
europäische Bürgerinitiative "Right2Water" ("Recht auf
Wasser") sammelte mehr als 1,5 Millionen Unterschriften gegen
dieses Vorhaben. Ende Juni 2013 erklärte die EU-Kommission,
dass die Trinkwasserversorgung in der EU nicht privatisiert werde
- das Ganze sei ein Missverständnis gewesen; man habe nie
die Absicht gehabt, die Trinkwasserversorgung in private
Hände zu legen.
In der EU hat also großer öffentlicher Druck
dafür gesorgt, dass Wasser nicht als Ware gesehen wird, die
gewinnbringend veräußert werden kann, sondern als
Ressource, auf die alle Menschen ein Anrecht haben. Dass aber
beispielsweise die Menschen auf den Fidschi-Inseln die
Möglichkeit haben, derartigen Druck auf ihre Regierung
auszuüben, ist zu bezweifeln. Politischer Druck von
außen ist nötig, um Regierungen, denen es vor allem um
Selbstbereicherung geht, dazu zu bewegen, mehr in
öffentliche Infrastruktur zu investieren, damit eines Tages
kein Mensch mehr sterben muss, weil er verschmutztes Wasser
getrunken hat.
97 Prozent des auf der Erde befindlichen Wassers sind das Salzwasser der Ozeane. Die anderen drei Prozent Wasser sind Süßwasser, das überwiegend gefroren (70 Prozent) an den Polen, in Gletschern und im Permafrostboden vorkommt. Trinkbares Wasser ist ein knappes Gut, das ungleich verteilt ist. Trinkbares Wasser werde jedoch durch Verschwendung, Missmanagement und ineffiziente Bewässerung immer knapper, schätzt Martin Geiger von der Umweltorganisation WWF. Der Klimawandel verursacht zudem höhere Temperaturen, so dass mehr Wasser verdunstet, bevor es genutzt werden kann.
Aus pogrom-bedrohte Völker 275 (1/2013)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2013/130610de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2013/130320de.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/wasser.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/staud.html |
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/sud2010-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/biobio.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/indien.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/lateinam.html
in www: www.right2water.eu | www.unwater.org | www.worldwaterweek.org