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Tuareg

Nach Hungerkatastrophe vor dem Nichts

Von Ulrich Delius

"Wir hatten nichts mehr zu essen, aber mit diesen Gutscheinen können wir nun wieder Reis und Öl bekommen", erklärt Djoda Horty. Die alte Viehzüchterin vom Volk der Peulh hat wie viele in ihrem Dorf Oumdou Bammo fast ihr gesamtes Vieh verloren. Die 60 jährige ist zu geschwächt, um im Austausch für die Gutscheine zu arbeiten. Doch jüngere Viehzüchter in ihrem Dorf arbeiten in so genannten "Nahrung für Arbeit"-Programmen der Hilfsorganisation OXFAM. So beseitigen sie die Kadaver verhungerter Tiere, bauen Feuerschneisen, um ihr Weideland vor Bränden zu schützen oder engagieren sich in Umweltschutzprojekten.

Zehntausende Tuareg- und Peulh-Nomaden stehen nach der Hungerkatastrophe vom Sommer 2005 vor dem Nichts. In manchen Regionen Nigers sind 80 Prozent ihrer Tiere entweder aufgrund der Dürre verendet oder mussten notgeschlachtet werden. Besonders dezimiert wurden die Schafherden, die den größten Teil ihres Viehbestandes bildeten. Denn die Schafe gingen elendig beim Wiederkäuen zugrunde, da sie mit dem sehr kurz gewachsenen Gras auch Sand zu sich nahmen. Widerstandsfähiger waren hingegen die Kamel- und Ziegenherden. Die Notschlachtung vieler Tiere führte zu einem Preisverfall auf den Viehmärkten, so dass die Nomaden mit den geringen Erlösen nicht ausreichend Nahrungsmittel für die kommenden Monate kaufen konnten. Denn auf den Märkten waren auch die Preise für Hirse und andere Nahrungsmittel aufgrund geringen Angebots und Spekulation drastisch gestiegen.

Ohne Hilfe konnten die Nomaden den Sommer 2005 nicht überleben. Doch die humanitäre Unterstützung für die Nomaden hat auch ihre Kehrseite: So werden Viehzüchter, die traditionell stolz auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit sind, nun zu Bittstellern internationaler Nahrungsmittelhilfe. Der Verlust ihrer Viehherden zerstört nicht nur die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Nomaden, sondern auch ihre traditionelle Lebensform und Kultur. Nach den großen Dürrekatastrophen im Sahel 1973/74 und 1984/85 mussten die Nomaden schon einmal um ihre Existenz bangen. Damals hatten die Tuareg jahrelang vergeblich auf angekündigte Hilfsprogramme gewartet und sich schließlich im Frühjahr 1990 mit Waffengewalt gegen die Regierungen des Niger und Malis erhoben.

Auch im Sommer 2005 kam die Hilfe für die Hungernden im Sahel nur schleppend in Gang. Dabei war es eine angekündigte Tragödie, da Hilfsorganisationen schon im Herbst 2004 vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit gewarnt hatten. Als Journalisten im Frühjahr 2005 auf die drohende Katastrophe aufmerksam machten, warf ihnen die Regierung des Niger Panikmache und Verbreitung von Lügen vor. Journalisten wurden entlassen und gemaßregelt. Selbst auf dem Höhepunkt der Tragödie, leugnete Staatspräsident Mamadou Tandja noch öffentlich die Katastrophe. Dabei ist seine Regierung mit ihrer verfehlten Agrar- und Wirtschaftspolitik mitverantwortlich für das Ausmaß der Hungersnot.

Tuareg-Organisationen fordern seit Monaten neben der Einrichtung von Getreidedepots spezielle Förderprogramme für Nomaden. So sollen die Viehzüchter kostenlos Futter für ihre verbliebenen Herden zur Verfügung gestellt bekommen, der Aufkauf von geschwächten Tieren finanziert und der Aufbau neuer Herden gefördert werden. Einige Hilfsorganisationen haben die Hilfsappelle der Tuareg aufgegriffen und entwickelten Programme zu ihrer besonderen Förderung. Doch noch immer unterschätzen das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und andere internationale Helfer die Langzeitfolgen des Herdenverlusts. Angesichts besserer Ernten von Bauern sprechen sie von einer deutlich entspannten Lage, obwohl für die Nomaden das Ringen um das Überleben nun erst beginnt. Denn mit dem Verlust ihrer Herden büßten sie auch ihre gesamten Ersparnisse ein und sind nun von der Hilfe ihrer Mitbürger und des Auslands abhängig.

Aus pogrom-bedrohte Völker 234 (6/2005)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/africa/nomad-del.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060105de.html | www.gfbv.it/3dossier/sahrawi/sahrawi-de.html

* www: http://de.wikipedia.org/wiki/Tuareg

Letzte Aktual.: 23.1.2006 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/africa/tuareg.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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