Bozen, 8.1.2002
Mehr als tausend Flüchtlingsmädchen der Volksgruppe Hazara aus Afghanistan besuchen Dr. Sima Samars Schulen in Quetta. Einige dieser Mädchen haben mir ihre Geschichte erzählt. Ich fange an mit der Geschichte von Fatima, die trotz ihrer 13 Jahre die erste Klasse in der Ariana-Mädchenschule besucht.
Fatima
Fatima ist ein sehr intelligentes Mädchen und
sie ist schon dreizehn Jahre alt, besucht jedoch erst die 1.
Primarschulklasse, und zwar nicht weil sie mehrmals die Klasse
wiederholen musste sondern ganz einfach weil sie in Kabul lebte,
wo Mädchen seit 1996 auf Verbot der Taleban, nicht zur
Schule gehen dürfen. Vor sechs Monaten ist sie mit ihren
Eltern und ihrer um ein Jahr älteren Schwester von Kabul
nach Quetta geflohen. Spielen ist für sie kein Thema, denn
in Kabul stickte sie den ganzen Tag, um Geld zu verdienen, denn
ihr Vater, hatte keine Arbeit. Auch hier in Quetta sticken die
Mutter und die beiden Mädchen um sich den Lebensunterhalt zu
verdienen, denn der Vater hat immer noch keine Arbeit. Das Zimmer
in dem die ganze Familie, im von Flüchtlingen
überfüllten Stadtteil Mareeabad, lebt kostet sie im
Monat 1000 pakistanische Rupien und Fatima muss für dieses
Geld Dutzende von Schleiern und Taschentücher sticken. Ihr
gefällt Quetta nicht, denn hier ist sie ein
Flüchtlingsmädchen und sie wäre lieber in Kabul
geblieben, denn das ist ihre Heimat. Ihre Freundinnen leben immer
noch in Kabul und hin und wieder durfte Fatima sie besuchen
gehen, versteckt unter einem Burqa und begleitet von einem
männlichen Verwandten, denn nur so dürfen Frauen und
Mädchen im von den Taliban beherrschten Afghanistan aus dem
Haus. Nun ist sie glücklich endlich zur Schule gehen zu
dürfen und ihr Traum ist es eines Tages Ärztin zu
werden, genau wie Doktor Sima.
Latifa
Latifa ist elf Jahre alt und ist vor 2 Monaten aus dem Dorf
Hulqul in der Provinz Jaghori (Afghanistan) nach Quetta gekommen.
Sie hat in Hulqul Dr. Simas Schule besucht und geht nun hier in
Quetta in die dritte Klasse, denn sie muss einige Fächer wie
z.B. Urdu (die in Pakistan gesprochene Sprache) nachholen. Ihr
gefällt es in Quetta, denn das Leben in Afghanistan war
für sie langweilig, nach der Schule musste sie zuhause
bleiben und dem Vater helfen. Ihr Vater ist Schneider und Latifa
stickte für ihn. Hier in Quetta arbeitet sie zwar immer
noch, aber manchmal darf sie mit ihren neuen Freundinnen spielen.
Sie knüpft hier zusammen mit ihren 2 kleinen Brüdern
und ihrer Schwester Teppiche bis tief in die Nacht, um das
Einkommen der Familie aufzubessern. Sie sagt: "Das Leben hier in
Quetta ist sehr teuer, aber dafür haben wir hier in der
Schule Schulbänke und müssen nicht auf dem Boden sitzen
und Schreiben." Latifas Vater ist nicht hier in Quetta, er ist in
Afghanistan umgekommen. Deshalb müssen sich die 4 Kinder und
die Mutter den Lebensunterhalt selber verdienen. Die Miete
für das Zimmer in dem sie wohnen und die Lebensmittel, die
sie auf dem Markt kaufen sind teuer. Zum Frühstück gibt
es nur Tee und Brot vom Vortag, Milch hingegen kostet zu
viel.
Salima
Die 18jährige Salima ist 1998 aus
Afghanistan nach Quetta gekommen. Sie besucht hier in der
Arianaschule die sechste Klasse. Auch sie hat es nicht einfach im
Leben. Der Unterricht der sechsten Klasse findet am Nachmittag
statt, von 12.15 Uhr bis 16.30 Uhr. Am Vormittag und nach der
Schule hilft Salima im Haushalt, denn sie hat 3 Brüder und 2
Schwestern, Tanten, Nichten und Neffen. Sie wohnen alle
zusammengepfercht in 2 Zimmern im Stadtteil Mareeabad. 11
Personen in 2 Zimmern, da bleibt kaum Raum um sich auf die
Hausaufgaben zu konzentrieren. Zeit für Hausaufgaben hat
Salima sowieso kaum, sie gibt Nachhilfestunden für
Mädchen und Jungen die erst dieses Jahr aus Afghanistan
angekommen sind und einige Fächer aufarbeiten müssen.
Abends stickt sie Schals bis Mitternacht, vom Erloes ihrer
Stickerei kann sie sich die Schulhefte kaufen. Zum spielen bleibt
Salima keine Zeit. Sie moechte Klassenbeste werden und dann nach
der zwoelften Klasse das Science Institute besuchen um Lehrerin
zu werden, denn ihr Wunsch ist es ihrem Volk zu helfen. "Es ist
nicht schoen hier in Quetta als Flüchtling zu leben, die
Leute schauen dich schief an und verlangen überrissene
Preise, jeder versucht einem auszunützen und zu
übervorteilen, ich wünsche mir nach Afghanistan
zurückkehren zu koennen und dort Lehrerin zu sein. Ich
hoffe, dass in Zukunft niemand sein Land verlassen muss.
Afghanistan ist schoen, wir haben da Berge und alles, hier gibt
es nur Staub, aber in Afghanistan ist Krieg und deshalb muss ich
hier in Quetta leben".
Fahima
"Ich bin 21 und lebte bis vor einem Monat in
Kabul. Nun studiere ich hier am Science Institute in Quetta. Ich
lebe mit weiteren 3 Mädchen in einem Zimmer in der
Studentenunterkunft von Dr. Sima. Mir gefällt der Unterricht
im Institut, ausser den anderen Fächern lerne ich hier auch
Englisch und Computer. Ich hatte nie zuvor einen Computer gesehen
oder gar berührt und nun lerne ich ihn zu benutzen. In Kabul
knüpfte ich den ganzen Tag lang Teppiche, 4 Kinder aus der
Nachbarschaft arbeiteten mit mir, 3 Mädchen und ein Junge.
Wir fingen um 7 Uhr früh an und hoerten um 20 Uhr auf. Wir
brauchten einen Monat für einen Teppich. Ich verdiente den
Lebensunterhalt für die Familie. Nun hat mein Vater mir
erlaubt hier in Quetta zu studieren, denn mein Bruder schickt
Geld aus der Ukraine, wo er schwarz arbeitet. Wenn das nicht
gewesen wäre hätte er mich niemals nach Quetta kommen
lassen. Mir gefällt es hier in Quetta, aber meine Familie
fehlt mir sehr.