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Von Sara Taibon
Bozen, 15. November 2013
Verteilung der indigenen Völker auf den Andamanen-Inseln im Jahr 1800 und heute. Quelle: wikipedia.
Die Jarawa zählen zu den rund 95 Millionen Ureinwohnern
in Indien und stellen unter ihnen die bedrohteste Gruppe dar. Die
Jarawa, in deren Sprache Ya-eng-nga, sind ein indigenes Volk auf
den Andamanen. Die Andamanen sind eine zum indischen
Unionsterritorium Andamanen und Nikobaren gehörende Gruppe
aus 204 Inseln in der Andamanensee. Die Jarawa beheimaten heute
vor allem den Westen der Inseln, auf Middle Andaman Island und
South Andaman Island. Schätzungen zufolge leben sie bereits
seit bis zu 60.000 Jahren auf den Inseln.
Die Jarawa werden zu den "Negritos" gezählt. "Negritos" ist
eine Sammelbezeichnung für dunkelhäutige, kraushaarige
und kleinwüchsige, in Süd- und Südostasien
lebenden Ethnien, darunter eben auch die Urbevölkerung der
Andamanen. Man nimmt an, dass deren Vorfahren wohl mit einer der
ersten Auswanderungswellen vor Zehntausenden von Jahren aus
Afrika emigriert sind. Traditionell leben die Jarawa noch immer
als Jäger und Sammler in den tropischen Regenwäldern
der Andamanen. Das Nomaden Volk besteht heute aus
schätzungsweise 400 Angehörigen, die in Gruppen von
etwa 40 bis 50 Personen in Gemeinschaftshäusern leben.
Sie jagen Wildschweine, Reptilien, Vögel und
Schildkröten, fischen mit Pfeil und Bogen aber auch mit
Netzen und sammeln Früchte, wilde Wurzeln,
Knollengewächse und Honig. Um Freude auszudrücken wird
während des Jagen und Sammelns stets gesungen. Ihre
Bögen fertigen sie aus einem besonderen Holz, das sie chooi
nennen. Dieses Holz wächst nur auf der Insel Baratang, das
heißt, das Volk muss oft weite Strecken wandern, um an das
Holz für ihre Bögen zu gelangen. Das Sammeln von
Früchten, Knollengewächsen, Wurzeln, usw. ist Aufgabe
der Frauen, während das Jagen von Wild Aufgabe der
Männer ist. Allein das Sammeln von Honig gehört zu den
Aufgaben sowohl der Frauen als auch der Männern.
Während des Honigsammelns kauen die Jarawa auf bestimmten
Blättern, von denen sie wissen, dass diese die Bienen nicht
mögen. Sie vertreiben die Bienen indem sie den Saft der
Blätter auf die Bienen spucken. Dann trennen die Sammler den
Bienenstock vom Baum und transportieren ihn in einem Holzkorb auf
ihrem Rücken in ihr Gemeinschaftshaus. Ein besonderes Ritual
der Jarawa ist das Baden im Meer nach dem Verzehr des gemeinsam
gesammelten Honigs.
"Die Jarawa auf den Andamanen Inseln erfreuen sich einer
Zeit des Wohlstandes. Ihr Wald gibt ihnen mehr als sie
benötigen."
Anvita Abbi, Professorin für Linguistik, Jawaharlal Nehru
University.
Jahre nach dem illegalen Bau einer 300km langen
Transitstrecke, der Andaman Trunk Road (ATR), in den 1970er
Jahren, die mitten durchs Jarawa Reservat führt, nahm das
indigene Volk verstärkt ungewollten Kontakt zur
"Außenwelt" auf. Diese Kontakte verursachten einerseits
gesundheitliche Probleme und andererseits auch kulturelle
Konflikte. Im Jahr 1998 verließen einige Mitglieder der
Jarawa zum ersten Mal den Wald und besuchten nahegelegene
Städte und Siedlungen.
1990 sollten die Jarawa laut einem langfristigen "Masterplan"
zwangsweise sesshaft gemacht werden. Dieser Plan enthielt
Vorgaben über die Art der Kleidung und ihren Tagesablauf
(Fischerei als Hauptaufgabe zum wirtschaftlichen Gewinn, das
Jagen und Sammeln ausschließlich zur Unterhaltung, also
Freizeitbeschäftigung). Dank des Engagements mehrerer
lokaler sowie internationaler Nichtregierungsorganisationen gaben
die lokalen Behörden diese Pläne auf. Daraufhin
erklärten die Behörden der Andamanen eine radikale neue
Politik: äußere Interventionen in das Leben des
indigenen Volkes sollten minimiert werden und die Jarawa sollten
selbst über ihre Zukunft entscheiden können. Auch
aufgrund dessen leben die Jarawa noch immer nomadisch und als
Jäger und Sammler.
Unter den vier verbliebenen Völkern auf den Andamanen (die
Jarawa, die Großen Andamanesen, die Onge und die
Sentinelesen), die heute gegenüber hunderttausenden
indischen Siedlern, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnten auf
den Inseln niedergelassen haben, eine Minderheit sind, ist die
Lage der Jarawa besonders schwierig. Das indigene Volk unterliegt
mehreren Bedrohungen. Die größte Bedrohung ist
sicherlich die Andaman Trunk Road. Diese 300km lange
Transitstrecke führt mitten durchs Jarawa Reservat und
bietet Außenstehenden die Möglichkeit, in das noch
traditionelle Leben der Jarawa einzudringen.
Durch die zehntausende Jahre lange Isolation sind die Jarawa
besonders anfällig für eingeschleppten Krankheiten. Im
Laufe ihrer Entwicklung war es für sie nicht nötig,
Abwehrstoffe gegenüber bestimmten Krankheitserreger zu
bilden. So sind sie gegen zahlreiche Infektionskrankheiten nicht
immun (bereits ein Jahr nach ihrem ersten Kontakt zur
Außenwelt im Jahr 1999 verbreitete sich unter ihnen eine
Masernepidemie, die sich 2006 wiederholte und ihre Zahl auf
derzeit geschätzte 200-400 Mitglieder dezimierte).
Ihre Lebensbedingungen verschlechtern sich durch illegale
Wilderei und Fischerei in ihren Reservaten, sowie durch
Umweltverschmutzung, die vom relativ neuen Massentourismus auf
den Andamanen erzeugt wird.
Die Andaman Trunk Road bietet Touristikunternehmen die
Möglichkeit auf schnelles Geld. Sie organisieren
"Menschensafaris", das heißt sie organisieren Busse, welche
Touristen die Möglichkeit bieten, die Jarawa aus direkter
Nähe zu beobachten. Touristen werfen Kekse und Bananen an
den Straßenrand um Stammesmitglieder aus den Wald zu
locken. Die Jarawa werden wie Tiere im Zoo behandelt. Seit dem
Bau der Andaman Trunk Road sind Jarawa-Frauen auch zunehmend
Opfer von sexueller Ausbeutung und Gewalt durch Busfahrer,
LKW-Fahrer, Wilderer, Siedler und andere.
Die in den 1970er Jahren erbaute Andaman Trunk Road, die
bereits zu Baubeginn gegen das 1956 verabschiedete indische Recht
zum Schutz indigener Völker verstieß, dient als
Transportweg zwischen Port Blair im Süden und Maya Bunder im
Norden, aber auch als Touristenattraktion. Sie sollte eigentlich
Touristen den Besuch zu Kalksteinhöhlen und einem
Schlammvulkan ermöglichen. Einige befragte Touristen gaben
aber offen zu, dass die eigentliche Sehenswürdigkeit die
Jarawa am Straßenrand sind.
Diese illegal errichtete Transportstraße bringt zahlreichen
Bedrohungen für das indigene Volk Jarawa mit sich. Sie
ermöglicht es Siedlern, Wilderern und anderen
Außenstehenden in das Leben der Jarawa und in das von ihnen
bewohnte Gebiet, das zugleich Heimat bedrohter Tier- und
Pflanzenarten ist, einzudringen. Mit Wilderern und anderen
Außenstehende kommen mögliche Ausbeutung, Gewalt und
Krankheiten ins Reservat. Als eines der letzten noch weitgehend
isoliert im Urwald lebenden Völker der Erde üben sie
eine große Anziehungskraft auf täglich Hunderte
Touristen aus. Menschenrechts-Organisationen kritisieren vor
allem die von Reiseanbietern angebotenen "Menschensafaris". Diese
Menschensafaris ermöglichen den Touristen das "Begaffen" des
Urvolkes. Touristen werfen Kekse und Bananen aus den Autos bzw.
Bussen, um die Jarawa anzulocken. Reiseanbieter bestechen Jarawa
Frauen mit Essen, damit sie für die Touristengruppen tanzen.
Diese Touren durch das Jarawa Reservat sind zwar offiziell
verboten, doch durch Bestechung der einheimischen Polizei ist es
den skrupellosen Touristikunternehmen möglich, die illegalen
Bustouren dennoch durchzuführen.
2002 verabschiedete das Oberste Gericht in Indien erstmals ein
Gesetz zur Schließung der Straße. Die Behörden
der Insel setzten dieses jedoch nicht um, sie widersetzten sich
der Anordnung widersetzen und versuchten, diese
rückgängig zu machen. Laut diesem Gesetz sind auch
jegliche Formen gewerblicher und touristischer Aktivitäten
im Umkreis von 5 km des "Jarawa Tribal Reservats", sowie alle
weiteren die Sicherheit oder die Interessen des Jarawa-Volkes
gefährdenden Aktivitäten verboten. Darunter fallen auch
Kontaktaufnahme oder Filmen sowie Fotografieren. Auch diese
Vorgaben wurden und werden nicht eingehalten.
Im Januar 2013 kam es zu einem zweiten gesetzlichen, aber
provisorischen Beschluss des indischen Obersten Gerichts, welcher
wiederum das Befahren der Andaman Trunk Road sowie gewerbliche
und touristische Aktivitäten im Umkreis des Jarawa Reservats
verbietet. Laut diesem Beschluss müßte die Anzahl von
Fahrzeugen, die durch das Schutzgebiet der Jarawa fahren, um zwei
Drittel reduziert werden. Nur 7 Wochen nach dem Erlass des
Beschlusses wurde dieser jedoch wieder aufgehoben und die
Behörden der Insel verdrehten die Vorschriften so, dass die
Menschensafaris weiterhin stattfinden können. Daraufhin kam
es seitens verschiedener Nichtregierungsorganisationen zu
zahlreichen Boykottaufrufen und Kampagnen vor allem gegen die
"Menschensafaris".
Derzeit erstreckt sich die touristische Saison der
"Menschensafaris" im Jawara Reservat von September bis Mai. Die
Andamanen Regierung plant jedoch eine ganzjährige
Destination für den Tourismus zu entwickeln. Dies hätte
zur Folge, dass die Jarawa künftig das ganze Jahr über
von Touristen belagert würden und gar keine Ruhe mehr
hätten. C. G. Vijay vom Directorate of Information,
Publicity and Tourism kündete kürzlich Pläne
für "Waldsafaris" und Wanderungen im Jarawa Reservat an, um
die Andamanen als ganzjähriges Reiseziel bei Tourismusmessen
in Indien und im Ausland zu verkaufen.
Stephen Corry, der Direktor von Survival International sagte nach
der Annullierung des gerichtlichen Beschlusses von Januar 2013:
"Bevor die Behörden der Andamanen die Inseln als
ganzjährige touristische Destination zu vermarkten beginnen,
sollten sie erst einmal für Ordnung im eigenen Haus sorgen.
'Menschensafaris' in den Wald der Jarawa sind ein Affront
für die menschliche Würde - es ist unerträglich,
auch nur daran zu denken, dass die Jarawa auch während der
Regenzeit nicht von dem Eindringen in ihr Leben verschont bleiben
könnten."
Zahlreiche Organisationen setzen sich seit langem für die
Schließung der Andaman Trunk Road ein, um damit den vielen
Bedrohungen für das indigene Volk der Jarawa ein Ende zu
setzten. Illegale Siedler, Wilderer, eingeschleppte Krankheiten
und Touristen sind leider nur die offenkundigsten Bedrohungen.
Bisher blieben die Proteste leider ohne Erfolg.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-mmt.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-he.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-kal.html
|
in www: de.wikipedia.org/wiki/Jarawa
|
www.tourism-watch.de/content/andamanen-strasse-durch-jarawa-gebiet-fuer-touristen-gesperrt
| www.survivalinternational.de/indigene/jarawa