In: Home > DOSSIER > Destination Südindien: Lebenszeichen finden großen Anklang im Adivasi-Schulunterricht über indigene Völker
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Claudia Aufschnaiter
Bozen, Wien, 21. April 2010
Ambika (Paniya), 8th Standard (12 Jahre), blättert durch die Lebenszeichen 2006 and 2010 zu indigenen Heilmethoden und Literatur.
Seit Oktober 2009 wird die erste Generation von
Adivasi-Jugendlichen in der AMS-eigenen Kaderschmiede zu
kulturell selbstbewussten und in beiden Welten zu Hause
befindlichen LehrerInnen für Adivasi-Schulen herangebildet.
Bildung hat sich für die Adivasis und AMS über die
letzten beiden Jahre als Topagenda herauskristallisiert. Wo sie
vor einigen Jahren noch mit der Einschreibung und der Anwesenheit
von Adivasi-Kindern in Schulen zufrieden waren, richtet sich ihr
Augenmerk nun auf die Verbesserung der Qualität der
Schulausbildung, wofür Adivasi-eigene LehrerInnen gebraucht
werden.
Über 2700 Adivasi-Kinder gehen im Gudalur Taluk in
Regierungsschulen, viele davon jedoch nur bis zur 6. Klasse (11
Jahre), da sie es mangels Basis oft schwer finden, mit den
Lehrinhalten in den höheren Klassen mitzukommen. In einem
zweijährigen Intensivlehrgang werden nun 17
Adivasi-Jugendliche im Alter von 17-18 Jahren dazu herangebildet,
den Kindern in ihren Dörfern zumindest mit dem Stoff bis zur
8. Klasse helfen zu können. Sie sollen in der Lage sein, in
den Dörfern Abendklassen abhalten zu können und den
Kindern den Antritt für die A oder B
Schulabschlussprüfungen des National Institute of Open
Schooling, unter dem Vidyodaya registriert ist,
ermöglichen.
Neben Fächern wie Mathematik, Englisch, Naturwissenschaften,
Kinderpsychologie, Malen und Handwerk, Management von
Institutionen, Unterrichtsmethoden und Allgemeinwissen liegt der
Schwerpunkt der Ausbildung der LehramtsanwärterInnen jedoch
auch auf der Geschichte des AMS-Landrechtskampfes und aktuellen
Herausforderungen der Adivasi, und der Geschichte von indigenen
Völkern weltweit.
Ein "First Peoples Place" für "First
Peoples"
Seit Oktober letzten Jahres ist es auch, dass ich am Aufbau eines
interaktiven Zentrums für indigene Kulturen mit dem
experimentellen Namen First Peoples Place hier in Gudalur
mitarbeite. Der Erhalt und die Wiederbelebung der indigenen
Kulturen der Mullakurumba, Bettakurumba, Kattunaicken, Paniya und
Irular der Gudalur-Region war schon von Beginn an
Toppriorität in den Entwicklungsagenden von zunächst
ACCORD (Action for Community Organisation, Rehabilitation and
Development) und später AMS (Adivasi Munnetra Sangam). Seit
Mitte der 1980er findet mit zwei Ausnahmen jährlich ein
Kulturfestival statt, bei dem die unterschiedlichen
Adivasi-Gemeinschaften zusammenkommen, um zu tanzen, singen und
sich Geschichten zu erzählen. Der Stärkung der tribalen
Identität wurde hierbei als einender Faktor stets auch
große Bedeutung für sie sozio-ökonomische
Entwicklung beigemessen.
Besonders die junge Generation hat sich jedoch - unter anderem
als Resultat der erfolgreichen Entwicklungsinterventionen - im
Laufe der letzten drei Jahrzehnte immer weiter von der Kultur
ihrer Eltern und Großeltern entfernt und der
Hindu-"Mainstream"-Gesellschaft angenähert. Neben dem Erhalt
der "kulturellen Biodiversität", wie es ein Mitarbeiter
formuliert hat, ist es daher das Ziel des Zentrums, besonders in
dieser jungen Generation das Bewusstsein über ihr
kulturelles Erbe zu stärken und sie im Erhalt dessen zu
unterstützen - nicht jedoch als verstaubte Museumsobjekte,
sondern als ein dynamisches und lebendiges Fundament, von dem aus
die Gemeinschaften ihre Kulturen weiterentwickeln
können.
Im weiteren Sinne soll auch das Bewusstsein gestärkt werden,
dass Adivasi-Gemeinschaften in Indien viel mit anderen tribalen
und indigenen Gemeinschaften weltweit gemeinsam haben.
Schliesslich richtet sich das Zentrum auch an ein Nicht-Adivasi
Publikum, in der Hoffnung, Respekt für indigene Kulturen und
ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir besonders im 21.
Jahrhundert für einen verantwortungsvollen Umgang mit
unserem Planeten viel von indigenen Völkern lernen
können.
Mein großes Anliegen ist es, Mitgliedern von indigenen
Gemeinschaften zunächst die kritische Auseinandersetzung mit
(meist extern produzierten) Materialien über ihre und andere
indigene Völker zu ermöglichen und Diskussionen zu
Fremd- und Selbstrepresentation anzuregen. Im Sinne der
Förderung einer indigenen Anthropologie ist es das
große Ziel und der Traum von AMS/ACCORD, besonders die
junge Generation zu selbstbewussten, kritisch hinterfragenden und
begeisterten "WärterInnen" und "kulturellen
DolmetscherInnen" ihrer eigenen Kulturen heranzubilden.
Orale Literatur stärken
Kulturelle Ausdrucksformen der Adivasis sind vor allem eines:
oral. Adivasi-Kinder sind wandelnde Lexika ihrer Umwelt, aber
können mit dem schriftzentrierten Unterricht in Schulen
meist überhaupt nichts anfangen. Neben der kultursensiblen
und spielerischen Annäherung ans Lesen und Schreiben liegt
der didaktische Schwerpunkt des Vidyodaya Study Centre und des
First Peoples Place vor allem auf der oralen Vermittlung von
Inhalten. Neben Postern und Bildbänden sind Audio and Video
hierbei großartige Hilfsmittel, doch leider fehlt es
derzeit noch am Geld für einen schuleigenen Projektor. Wie
die folgende Beobachtung bestätigt, haben sich die
Lebenszeichen-Kalender, die ich Mitte März mitbrachte, als
hervorragende Unterrichtsmaterialien herausgestellt.
Bilder sind ausdruckskräftiger als
Worte
Die Aussagekraft der Bilder in den Lebenszeichen-Kalendern
bestätigt, dass es zur interkulturellen Kommunikation nicht
immer Worte bedarf, und sich Leute mit ähnlichen Problemen
und Anliegen über die Kontinente und Kulturen (und im Falle
Indiens über Bundesstaaten und -sprachen ) hinweg verstehen.
Umlängst sahen die Schüler und SchülerInnen
gemeinsam mit den LehramtsanwärterInnen den Film "Whale
Rider" über die gendergerechte und modernen Zeiten
entsprechende Wiederbelebung der indigenen Maori-Kultur in
Neuseeland. Als sie das Bild der Paikea Apirana im
diesjährigen Kalender entdeckten, löste dies gleich
eine animierte Diskussion über den Film aus, und
insbesondere über die Rolle der Frau in traditionellen
Gemeinschaften und das Faktum, dass sie traditionelle
Maori-Kleidung trägt.
Dass Worte oft überflüssig sind und sich Leute
über Tanz, Gesang und andere künstlerische
Ausdrucksformen über Kulturgrenzen hinweg verstehen, bewies
sich auch Ende März, als die berühmte indische
Tänzerin und Aktivistin Mallika Sarabhhai von der Darpana
Academy of Performing Arts in Gujarat im Nordwesten Indiens im
Adivasi-Dorf Chembakolli im Gudalur-Tal Halt machte. Neben
"typischen" Adivasi-Tänzen aus Gujarat mit ihren
farbenfrohen Kostümen führten die TänzerInnen der
Darpana Academy das hochaktuelle Tanz-Gesangsstück "Is It A
Dream?" (Ist es ein Traum?) auf, das die aktullen Probleme Indien
thematisiert - Kommunalismus, Mitgiftmorde, Frauenrechte,
Rassissmus, nationale Disintegration, Umweltverschmutzung.
All dies fand mitten im Wald statt und das Publikum bestand zum
überwiegenden Teil aus Adivasis, deren Dörfer zum
großen Teil noch im Wald liegen. Als einige
TänzerInnen mit kraftvollen Axthieben die Zerstörung
des Waldes darstellten, und andere mit ausgebreiteten Armen auf
die "Bäume" zuliefen, um sie zu beschützen, löste
dies allgemeine Betroffenheit im Publikum aus. Einige der
Nicht-Adivasi wie ich dachten sogleich "Chipko", die Adivasis
brachten es nach der Vorstellung jedoch auf den Punkt: Der Wald
ist unser Leben und ohne ihn sterben wir.
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2010/100305de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/091211de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/091116de.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-mmt.html
| www.gfbv.it/3dossier/asia/adivasi-he.html |
www.gfbv.it/3dossier/h2o/indien.html
in www:
www.infochangeindia.org/Agenda/Against-exclusion/Giving-adivasis-a-voice.html
| www.achrweb.org | www.adivasi.net