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Bhutan

Die Vertreibung der "Staatenlosen" - Bhutan verleugnet seine ethnische Vielfalt

Bolzano, 21.12.2006

Wappen Bhutans "Als Blut aus meiner Nase und meinem Mund kam, sagte einer meiner Folterer: Macht weiter, erst wenn er drei Flaschen Blut verloren hat, wird er sterben". Hari Bangaley starb nicht. Dem 29-Jährigen gelang es, mit seiner Familie vor den ethnischen Säuberungen in Bhutan in das Nachbarland Nepal zu fliehen. Bangaley hätte seinen Protest gegen ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz fast mit dem Leben bezahlt. Gemäß diesem 1985 eingeführten Gesetz mussten alle als Nicht-Bhutaner innerhalb von vier Tagen das Land verlassen.

Betroffen waren vor allem nepali-stämmige Süd-Bhutanesen. Die vor 1985 ausgestellten Staatsangehörigkeitsdokumente wurden für ungültig erklärt. Die Behörden begannen, neue Ausweise auszugeben. Ab 1988 setzte eine gezielte Verfolgung der nepali-stämmigen Bevölkerung und der ostbhutanesischen Sarchops ein. Als Staatsbürger wurde nun nur noch angesehen, wer nachweisen konnte, dass Mutter und Vater Staatsbürger Bhutans waren, und mit Steuerquittungen aus den Jahren vor 1958 belegen konnte, dass sie in Bhutan lebten. Selbst alte Leute, deren Kinder und Enkelkinder nachweislich in Bhutan geboren waren, wurden mangels Schriftstücken als "Ausländer" behandelt. Wer seine Staatsbürgerschaft nicht dokumentieren konnte, musste das Land verlassen.

Die königliche Regierung verfolgte seit 1989 die Politik "Eine Nation, ein Volk". Mit aller Macht versuchte das regierende Volk der Ngalong, alle anderen Ethnien unter Androhung von Strafen zur Aufgabe ihrer Kultur, Sprache und Kleidung zu zwingen. So wurden auch hinduistische Rituale und Nepali als Verkehrssprache verboten. Mit Gewalt ließ das Königshaus Proteste der anderen Volksgruppen niederschlagen, Demonstranten wurden festgenommen, viele Dörfer von der Armee zerstört, in denen Kritiker des Königshauses vermutet wurden, und mutmaßliche Unterstützer vertrieben.

1989 wurde der Parlamentsabgeordnete der Südbhutanesen, Teknath Rizal, festgenommen. Er hatte in einer Petition gefordert, Dokumente aus dem Jahr 1985 zur Ausgabe von Staatsbürgerschaftsnachweisen heranzuziehen. Rizal wurde gefoltert und erst zehn Jahre später wieder freigelassen. Heute lebt er in Nepal und ist dort einer der Sprecher der Flüchtlinge und der Demokratiebewegung Bhutans. Seit 15 Jahren lebt Bangaley mit seiner Familie als Flüchtling in Nepal. Sein Schicksal teilen 105.000 weitere Süd-Bhutanesen. Sie leben seither in sieben Lagern im Osten Nepals. Vergeblich hofften sie bislang auf eine Rückkehr in ihre Heimat. Mehrere Verhandlungsrunden zwischen den Regierungen Bhutans und Nepals haben keine Lösung gebracht. Sie einigten sich 1993 grundsätzlich nur auf die Einteilung der Flüchtlinge in vier Kategorien: Den Vertriebenen, den Immigranten, den Nicht-Bhutanesen und den Bhutanesen, die Straftaten begangen haben. Es ist aber nicht klar definiert, welche Strafdelikte berücksichtigt werden sollen. Und zurückkehren durfte bisher niemand.

Die Flüchtlinge sowie Menschenrechts- und Hilfsorganisationen werfen Bhutan eine Verschleppungstaktik vor, die nur darauf abziele, jede Wiedereinbürgerung der Vertriebenen zu verhindern. Auch der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie die USA und die Regierungen verschiedener europäischer Staaten mahnten in den letzten Monaten erneut eine schnelle Rückführung der Flüchtlinge an. Die königliche Regierung Bhutans unterband alle Versuche der Vertriebenen, heimzukehren. So wurden Flüchtlinge, die versuchten, über Indien nach Bhutan zurückzukehren, an der Grenze abgewiesen und nach Nepal abgeschoben.

In den Lagern in Nepal nehmen Frustration und Verzweiflung immer mehr zu. Denn die Vertriebenen sehen für sich keine Lebensperspektive in Nepal, wo sie nicht arbeiten dürfen. Sie fühlen sich vergessen von der internationalen Staatengemeinschaft, die ihren Einfluss auf Bhutan nicht nutzt, um das Flüchtlingsdrama zu beenden. Aus Verzweiflung über die Tatenlosigkeit der internationalen Gemeinschaft begannen 40 Flüchtlinge aus Bhutan am 2. Juni 2006 einen Hungerstreik vor dem Büro des UNHCR in Nepal. Geht es nach dem Willen des UNHCR, dann sollten die Flüchtlinge nicht nach Bhutan zurückkehren, sondern in ein Drittland verschoben werden. Die UN-Flüchtlingsorganisation bietet dabei auch Hilfe an, doch die Bhutaner und Bhutanerinnen wollen nicht in die USA oder nach Australien, sondern in ihre Heimat zurückkehren.

Doch ihre Rückkehr wird nur möglich sein, wenn die internationale Staatengemeinschaft sich des Schicksals der Flüchtlinge mehr annimmt und ihren Druck auf Bhutan erhöht. Zwar spendete die Europäische Union im Juni 2006 zwei Millionen Euro für die Flüchtlinge aus Bhutan, doch mehr als humanitäre Hilfe brauchen diese Vertriebenen politische Hilfe aus dem Ausland. Die Flüchtlinge hoffen, dass der von König Jigme Singye Wangchuck für 2008 angekündigte Rückzug vom Königsthron sowie die für 2008 geplanten ersten demokratischen Wahlen Veränderungen bewirken werden.

Aus pogrom-bedrohte Völker 239 (5/2006)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/asia/bhutan.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/nepal/nepal.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/bergen.html

* www: http://de.wikipedia.org/wiki/Bhutan | www.tourism-watch.de/dt/19dt/19.bhutan2/index.html | www.geocities.com/bhutaneserefugees/ | web.amnesty.org/library/eng-btn/

Letzte Aktual.: 15.3.2007 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/asia/bhutan1.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

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