Von Thomas Benedikter
Bozen, 10.10.2005
INDEX
Einführung | Eine
Trumpfkarte der Regierung | Der Traum der LTTE:
ein freies "Tamil Eelam" | Trincomalee: die
Moslems begehren auf | Wahlkampf in Colombo:
Weichenstellungen Richtung Frieden? | Verhandlungen blockiert, Minister ermordet | Welche Lösung für Sri Lanka?
Der 65.000 qkm große Inselstaat Sri Lanka ist seit 1948 unabhängig und eine Republik mit Präsidialsystem. Seine rund 20 Millionen Einwohner teilen sich auf drei größere und einige kleinere Gruppen auf: 74% sind Singhalesen, die unter religiösem Aspekt zur Mehrheit Buddhisten, zum kleineren Teil Christen sind; 18% sind Tamilen, die mehrheitlich Hindu und zum Teil ebenfalls Christen sind. Ein Drittel der Tamilen gehören zu den sog. "up country-Tamils", die von den Briten im 19. Jahrhundert als billige Plantagenarbeiter nach Sri Lanka geholt wurden und immer noch z.T. keine Staatsbürgerschaft haben. Die Muslime umfassen rund 7% der Bevölkerung. Daneben gibt es einige kleinere Gruppen. Nach drei Jahrzehnten politischem Kampf gegen ihre Diskriminierung radikalisierten sich Tamilen im Nordosten immer mehr unter der Führung der militanten Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Ein allgemeines Pogrom mit tausenden Opfern unter den Tamilen löste im Juli 1983 den Bürgerkrieg aus, der erst Ende 2001 ein vorläufiges Ende fand. 1983 bis 1987 kämpfte die LTTE gegen die Regierung, dann 1987-1990 gegen die indischen Interventionstruppen und andere Tamilenparteien, dann wieder gegen die Armee. Seit September 2002 wird verhandelt. |
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Jaffna macht einen deprimierenden Eindruck. Einst das kulturelle, wirtschaftliche und politische Zentrum des tamilischen Nordens Sri Lankas ist es heute eine Art Exklave, eine vom Militär besetzte Halbinsel, die lange Zeit nur per Schiff und Flugzeug erreichbar war. Unübersehbare Kriegsschäden, überall Warnungen vor den Minenfeldern und Soldaten an allen Ecken. Hier bewegen sich die meisten Menschen mit dem Fahrrad, denn für Privatautos reicht das Geld nicht und wer es sich leisten konnte, ist weggezogen. Die einzigen Ausländer sind die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen. Seit dem Waffenstillstand im Februar 2002 und der Öffnung der Hauptverbindungsstraße kehren die im Krieg geflüchteten Menschen zurück, aber nur tröpfchenweise, da die Armee die großflächigen "Hochsicherheitszonen" nicht frei gibt. Zum ändern hat der Tsunami auch hier eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Jaffna ist wirtschaftlich noch am Boden und ohne neue politische Rahmenbedingungen scheint die Bevölkerung kein Vertrauen in die Zukunft zu haben.
Die Jaffna-Halbinsel ist heute eine Art Trumpfkarte in der Hand der Regierung, um die LTTE an den Verhandlungstisch zu zwingen und von der Ausrufung eines unabhängigen Tamil Eelam ("Tamilenheimatland") abzuhalten, für das die LTTE von 1983 bis 2002 kämpfte. Ohne diese Stadt bliebe das erträumte Land ein Rumpf ohne Kopf und kulturelles Herz. Doch bis Jaffna wieder zur Hauptstadt einer wahrscheinlich autonomen Tamilenregion im Nordosten Sri Lankas wird, müssen noch viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Nach jahrelangen Kämpfen wird die ausschließlich tamilisch bewohnte Halbinsel seit 1995 wieder von den Streitkräften Colombos kontrolliert, obwohl die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) hier immer noch eine starke Basis hat. Zehntausende Zivilisten verloren ihr Leben, Hunderttausende Hab und Gut, tausende Kämpfer auf beiden Seiten fielen. Zeugnis davon legt der Friedhof von Kopai ab, wo 2400 LTTE-Kämpfer begraben sind, der einzige regierungskontrollierte Ort, wo die LTTE-Tigerfahne wehen darf. Die Hälfte 'der vormals 750.000 Einwohner der Halbinsel ist geflohen, entweder ins gegenüber liegende Tamil Nadu in Südindien, ins fernere Ausland oder in den von der LTTE kontrollierten Vanni.
Mitten im flachen Dschungelland des Vanni im
Norden Sri Lankas liegt Killinochchi derzeitige Hauptstadt des
provisorischen Tamil Eelam, ein etwa 8.000 km2 großes, nur
von Tamilen bewohntes Gebiet. Nur einige Aufschriften und ab und
zu das Tiger-Emblem verraten, dass hier die LTTE residiert, eine
der gefürchtetsten und erfolgreichsten Guerrilla- Armeen der
Welt. Fast ohne Sicherheitskontrollen gelangt man in die Villa
des politischen Arms der LTTE. Überall prangt der
legendäre Oberkommandierende von den Wänden,
Vellupillai Pirabhäkaran, in Sri Lanka wegen
Terroranschlägen zu 200 Jahren Gefängnis verurteilt.
"Die LTTE hat ihre Vorstellungen zur Selbstverwaltung im Norden
vor zwei Jahren offengelegt," erklärt mir S. Pulidevan, der
Leiter des LTTE-Friedenssekretariats. Jetzt ist die Regierung in
Colombo am Zug. Doch dort gibt es keine Einigkeit, nicht einmal
bei den humanitären Fragen zum Tsunami-Wiederaufbau und der
Flüchtlingshilfe." So wartet man beid er LTTE die Wahl des
neuen Präsidenten Sri Lankas im November 2005 ab, um einen
neuen Anlauf für Verhandlungen zu starten.
Die LTTE will den Nordosten völlig autonom regieren und hat
die Frage der Souveränität und damit der
militärischen Kontrolle vorerst einfach ausgeklammert.
Für die Regierung in Colombo ist dies, vor allem unter dem
Druck der singhalesischen Nationalisten, die den Einheitsstaat
Sri Lanka nicht aufgeben wollen, unannehmbar. So forderte die
Regierung die LTTE auf, die Waffen abzugeben, sich in eine Partei
umzuwandeln und in einer Art Bundesstaat demokratisch
mitzuarbeiten. "Diese Vorschläge Colombos zur Devolution
sind für uns völlig unzureichend," stellt Pulidevan
dazu fest, "zudem ist es verfrüht über Entwaffnung zu
sprechen, wenn wir nicht wissen, wie die tamilische
Bevölkerung künftig geschützt werden soll. Das
Militär muss kein Monopol auf Bewaffnung haben. Viele
Lösungen sind denkbar wie das Beispiel Sudan zeigt. Dort
gibt es im Rahmen des Friedensvertrags drei Armeen: eine
Regierungsarmee im Norden, eine im Süden und dann eine
kombinierte Einheit."
Trincomalee ist der beste Naturhafen der
Ostküste Sri Lankas. Hier und im Süden hat der Tsunami
am 26.12.2004 am stärksten zugeschlagen. Die Stadt steht
aber aus anderen Gründen unter Hochspannung. Überall
bewaffnete Checkpoints und alle 50 Meter ein Soldat mit Finger am
Abzug. Schwarz vermummte Motorradpatrouillen drehen ihre Runden.
Letzter Stein des Anstoßes: eine von Sinhala-Nationalisten
als eine Art Siegesdenkmal mitten in die Stadt platzierte
Buddhastatue, die jetzt mit Stacheldraht und Sandsäcken
militärisch beschützt wird. Kein friedfertiger Buddha.
Trincomalee war mehrfach länger von der LTTE besetzt, die
heute noch unter der tamilischen Mehrheitsbevölkerung starke
Unterstützung genießt. 'Doch die zweitstärkste
Gruppe, nämlich die Moslems, würden die Rückkehr
des Gebiets unter LTTE- Oberhoheit nicht begrüßen. Mit
rund 7% die drittgrößte Bevölkerungsgruppe der 20
Millionen Inselbewohner waren sie zwischen den Fronten bisher
fast untergegangen. Ein gutes Drittel der Moslems Sri Lankas lebt
an der Ostküste vor allem im Gebiet um die Städte
Ampara, Batticaloa und Trincomalee. Obwohl die Moslems dort
Tamilisch als Muttersprache sprechen und über 1000 Jahre
gemeinsame Geschichte mit den Tamilen teilen, betrachten sie sich
als eigenständige "Nationalität" und pochen auf
Gleichberechtigung mit Tamilen und Singhalesen. Nicht von
ungefähr gerieten sie mit der LTTE während des Kriegs
im Nordosten in immer schärferen Konflikt. In den 90er
Jahren wurden die Jaffna-Moslems als vermeintliche "fünfte
Kolonne Colombos" von der LTTE kollektiv deportiert. Auch an der
Ostküste griff die LTTE immer wieder Moslem-Dörfer an
und massakrierte Hunderte. Kein Wunder, wenn das Vertrauen der
Moslems in die tamilische Befreiungsarmee annähernd bei Null
liegt.
Mohamed Rahmatullah gehört zum Sri Lanka Muslim Congress,
des politischen Dachverbands der Moslems, der die Muslime im
Parlament vertritt und in der Regierung sitzt "Wir Muslime wollen
als eigene Gruppe anerkannt werden und am Verhandlungstisch
vertreten sein, weil wir weder Colombo noch der LTTE vertrauen/'
sagt der junge Politiker, "die Tsunamihilfe hat gezeigt, dass
unsere Interessen immer wieder übergangen werden" Die
politische Organisation der Muslime ist der Gipfelpunkt einer
jahrzehntelang betriebenen Selbstfindung als eigenständige
Volksgruppe. Der SLMC findet sich nicht damit ab, dass die
gesamte Nordostregion einst ein fast unabhängiger Teilstaat
unter LTTE-Herrschaft werden soll. Mit den anderen Minderheiten
fordern die Moslems im Osten eine eigene Region mit Sonderstatut,
das seinem fast bosnisch multiethnischen Charakter Rechnung
tragen soll.
Zurück in der Hauptstadt herrscht schon
Präsidentschaftswahlkampf. Der bisherige
Ministerpräsident M. Rajapakse tritt gegen den
Oppositionsführer und früheren Premierminister R.
Wickremasinghe an. Zentrales Thema: der Friedensprozess und die
Umwandlung Sri Lankas in einen Föderalstaat. Beide
Kandidaten bekennen sich zu einer Verhandlungslösung und zu
föderaler Gewaltenteilung. Doch im Konkreten weicht man
stark voneinander ab. Mit einem Verfassungsentwurf von 2000 und
Vorschlägen zur Selbstverwaltung der Tamilen im Nordosten
hat das jetzige Regierungslager um Präsidentin Bandaranaike
gezeigt, dass man von einem echten Bundesstaat nach belgischem
Muster oder gar einer lockeren Föderation nach Geschmack der
LTTE noch Lichtjahre entfernt ist Autonomie und Föderalstaat
klingen in Colombo, so die herrschende Meinung, immer noch nach
völliger Loslösung. Zudem hängt die
Regierungspartei in verhängnisvoller Weise von den
kleineren, radikal-nationalistischen Parteien ab, die jedes
Zugeständnis an die LTTE bekämpfen. Dies kompliziert
jede Verhandlungslösung, denn ohne Verfassungsänderung
lässt sich der föderale Umbau des Einheitsstaates Sri
Lanka nicht bewerkstelligen und dafür wird eine 2/3-Mehrheit
im Parlament benötigt.
Zum ändern ist die Stimmung in der Bevölkerung ganz
für die Rückkehr zur Normalität, auch wenn dies
zur Anerkennung einer tamilischen Region im Nordosten führen
würde. Die Friedensorganisationen, so der Leiter des
National Peace Councü, Jehan Perera, drängen auf eine
breite gesellschaftliche Mehrheit für einen Bundesstaat und
gegen die nationalistische Scharfmache radikaler Sinhala-Gruppen.
Man müsse in Sri Lanka mit der Teilung der Macht mit den
Tamilen ernst machen, aber auch mit der Gleichberechtigung auf
allen Ebenen. Die Erfährungen mit 19 Jahren Krieg, Terror,
ethnischer Gewalt in jeder Form habe sich tief in die Köpfe
eingegraben. Es gebe noch viel Bitterkeit und Hass unter den
Menschen und damit eine gewisse Bereitschaft, mit alten Parolen
die Einheit Sri Lankas militärisch aufrechtzuerhalten. Doch
das führe unvermeidlich zu neuem Krieg und
Blutvergießen.
Die vor drei Jahren in Thailand begonnenen Friedensverhandlungen sind zwar seit April 2003 ausgesetzt, doch trotz dem der LTTE zur Last gelegten Mordes an Außerminister Kadirgamar hält der von Norwegen vermittelte Waffenstillstand. Zum Stocken brachten den Prozess nicht die vielen Waffenstillstandsverletzungen, sondern vor allem die Uneinigkeit der Regierung Sri Lankas. Präsidentin Bandaranaike und die großen Parteien des Landes konnten sich bisher auf keine gemeinsame Linie zur unausweichlichen Reform des Staatsaufbaus zusammenfinden. Die tiefe Diskriminierung und Verfolgung der etwa 18% der Bevölkerung zählenden tamilischen Minderheit hatte zum Bürgerkrieg geführt und dieser hat de facto eine Zweiteilung der Insel verursacht. Sri Lanka ist sozusagen das Zypern Asiens. Die Vorschläge der LTTE zur weitgehenden Selbstregierung des gesamten Nordostens durch die Tamilen sind von der Regierung bisher rundum abgelehnt worden. Das politische Sri Lanka bekennt zwar immer wieder Friedenswillen, doch rüstet die Armee gleichzeitig mit einem 400-Mio-Dollar-Waffenkauf in Iran auf, was einen weiteren Waffengang nicht unmöglich erscheinen lässt.
Welche Perspektiven auf dauerhaften Frieden
ergeben sich aus dieser verfahrenen Situation? Die LTTE hält
an ihrer Forderung nach einem fast unabhängigen Nordosten
als "Tamil Eelam" fest und ist auf der Grundlage der
Oslo-Deklaration von 2002 allenfalls bereit, auf volle
Souveränität zu verzichten. So weit will die Regierung
und die beiden großen Parteien in Colombo nicht gehen, doch
wird um eine föderalistische Umgestaltung des bisherigen
Einheitsstaates seit den 90er Jahren heftig gestritten. In der
Praxis konnte man sich aber nur zu zögerlichen Schritten der
Dezentralisierung einiger Verwaltungsaufgaben an die neu
geschaffenen Provinzialräte durchringen. Diese sind weit
davon entfernt, dem Anspruch der Tamilen auf Selbstregierung
gerecht zu werden. Starke nationalistische Kräfte innerhalb
der großen Parteien, das Militär und der
institutionalisierte buddhistische Klerus sperren sich dagegen,
die LTTE zur zweiten Macht im Staat zu machen.
Auch ein Bundesstaat muss nicht zwingend zur Lösung dieses
alten Konflikts führen. Im Kern ist Sri Lanka ein
binationales Gebilde mit mehreren größeren
Minderheiten, die verschiedene Regionen bewohnen. Dies bedarf
einer Neuorganisation des Staates,' die
größtmögliche Selbstregierung in den tamilischen
Nordostengebieten mit einer gemeinschaftlichen Vertretung in
Parlament und Regierung in Colombo verbindet. Nicht zu Unrecht
holten sich die politischen Berater, die
Nichtregierungsorganisationen und Parteien immer wieder
Anschauungsmaterial aus Belgien und der Schweiz. Auch in
Südtirol weilte vor zwei Jahren eine offizielle
Parlamentarierdelegation aus Sri Lanka, die verschiedene Elemente
der Südtirol-Autonomie als sehr interessant befand.
Während der tamilische Norden völlige Autonomie
erhalten solle, benötige der ethnisch komplexere Osten - so
der Verfassungsrechtler Rohan Edrisinha vom Centre for Policy
Alternatives in Colombo - eine Art Subautonomie, einen
Sonderstatus, der das Gleichgewicht zwischen den Gruppen
gewährleisten und besondere Mechanismen zur Wahrung der
Rechte der internen Minderheiten einrühren müsse. Nach
der Präsidentschaftswahl am 17. November wartet auf die
Unterhändler der Tamilen, Singhalesen und Muslime viel
Arbeit.
Thomas Benedikter, erforschte in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen die Hintergründe der ethnischen Auseinandersetzungen in Sri Lanka (thomas.benedikter@dnet.it).