von Helen Kupiainen
Der wildromantische Bío Bío-Fluss, der etwa 500
Kilometer südlich von Santiago de Chile verläuft, hat
durch den Widerstand der Pehuenche gegen einen gigantischen
Staudammkomplex internationale Berühmtheit erlangt.
Während der Kolonialzeit war der Fluss die Grenze zwischen
dem spanischen Kolonialreich und dem Mapuche-Land. Hier fanden
die großen Schlachten zwischen dem jungen chilenischen
Staat und den Mapuche statt. Die Schlacht der Gegenwart tragen
die Mapuche mit einem transnationalen Konzern aus, der ENDESA,
und ihre Waffen sind internationale Solidarität, friedliche
Besetzungen und andere Formen des zivilen Widerstands, aber auch
Klagen vor Gerichten in Chile, bei der interamerikanischen
Menschenrechtskommission und vor den Menschenrechtsinstitutionen
in Genf. Sie bekamen renommierte Unterstützung von der
französischen Menschenrechtsorganisation FIDH und von
Rodolfo Stavenhagen, dem Sonderberichterstatter für die
Belange indigener Völker bei den Vereinten Nationen.
Der chilenische Staat, der mit Gewalt, Massenverhaftungen und
hohen Gefängnisstrafen gegen die "rebellischen Mapuche"
vorging, ließ sich als Waffe des mächtigen
Wirtschaftskonzerns instrumentalisieren. Kredite für das
auch von der Weltbank kritisierte Staudammprojekt gab es u.a. von
der Dresdner Bank.Der einstmals unberührte Fluss im
Stammland der Pehuenche soll durch den Bau von insgesamt sechs
Staudämmen zum wichtigsten Stromlieferanten Chiles werden.
Auftraggeber ist der Großkonzern ENDESA, der die gesamte
chilenische Stromerzeugung und -verteilung kontrolliert.
Hauptaktionäre des Konzerns kommen aus dem Kreis der
Streitkräfte und der Wirtschaft, seit 1999 ist ENDESA
España zu 60% am chilenischen Tochterunternehmen
beteiligt. Das gesamte Wasserkraftprojekt hätte die
Umsiedlung von etwa 10.000 Menschen, meist Mapuche, zur Folge.
Darüber hinaus beziehen 500.000 Menschen aus dem Bío
Bío ihr tägliches Trinkwasser.
1997 ging das erste Kraftwerk nach Fertigstellung der Staustufe
"Central Pangue" ans Netz. Unter der damaligen
christdemokratischen Regierung Eduardo Frei gab es weder eine
Indigenen- noch eine Umweltschutzgesetzgebung, die den
betroffenen Pehuenche juridische Mittel zum Eingreifen
zugestanden hätte. Der damalige Regierungschef hatte
außerdem private Interessen am Bau des Staudamms, an dem
seine Firma maßgeblich beteiligt war. Pangue machte im
Sommer 2003 Schlagzeilen, als die Provinzen Arauco,
Concepción und Bío Bío von einem
plötzlichen Wasserhochstand überrascht wurden. 80
Menschen mussten ihre Häuser verlassen, mehrere hundert
weitere wurden durch Wasser und Sturm geschädigt. Die
Einwohner, die ihre am Fluss gelegenen Häuser hatten
räumen müssen, machen die Kraftwerksbetreiber von
Central Pangue für die Katastrophe mitverantwortlich, da sie
durch Öffnung von vier Schleusentoren das Hochwasser des
Bío Bío mit verursacht hätten.
Die Bauarbeiten für die zweite Staustufe "Ralco" begannen
1998, 2004 Jahr soll "Ralco" ans Netz gehen. 700 Menschen,
darunter 450 Pehuenche-Mapuche, wurden dafür umgesiedelt. Am
16. September 2003 gaben die letzten vier Pehuenche-Familien
ihren Widerstand auf und unterzeichneten in Santiago einen
Vertrag, der ihnen Entschädigungsleistungen in Form von Land
und Geld garantiert. Fünf Jahre Kampf gegen ein
500-Millionen-Dollar-Projekt und die Regierung hatte die letzten
Pehuenche zermürbt. Das Ersatzland liegt in der Nähe
des Pangue Sees, der durch die Fertigstellung des ersten der
sechs geplanten Staudämme entstanden ist. Die Tradition der
Pehuenche, ihre Kultur und die Zeugnisse ihrer Geschichte werden
durch den Staudamm zerstört. Der künftige See wird
einige ihrer Friedhöfe, zeremonielle Orte für das
Nguillatún-Ritual und heilige Symbole, wie den Stein der
Machi, unter seinen Fluten begraben.
Eine neue Vereinbarung oder Paternalismus?
Gerade erst hat die "Kommission der historischen Wahrheit und des
neuen Vertrages" nach zweijähriger Arbeit ihren Bericht zum
Thema "Ethnien" vorgelegt. Unter der Leitung von
Ex-Präsidenten Patricio Aylwin empfiehlt die Kommission die
verfassungsrechtliche Anerkennung der indigenen Gruppen. Sie
sollen zur Wahrung ihrer Rechte eigene Repräsentanten im
Parlament stellen. Im Verwaltungsbereich wird die Einrichtung von
indigenen Territorien vorgeschlagen, innerhalb derer spezifische
Rechte und Bestimmungen für den unveräußerlichen,
kollektiven Besitz von Ländereien gelten sollen.
Die von den Indigenen abgelehnte Conadi, die derzeit an ihrer
Doppelrolle als staatliche Institution und Vertretung der
indigenen Minderheiten krankt, soll durch die Gründung eines
unabhängigen Indigenen Völker-Rates ergänzt
werden, der als Instanz für indigene Fragen innerhalb der
Politik und als Gremium für die Verteilung der Gelder des
Fonds General Indígena fungieren soll.
Es hagelte für den Neuen Vertrag aber auch herbe Kritik von
vielen Seiten: Die geplante Einrichtung von indigenen Territorien
schaffe rechtliche Unsicherheit. Grundgedanke der Kommission war,
den Ureinwohnern bestimmte Ländereien zu erhalten, doch da
diese Territorien als kollektives Eigentum gelten, wären die
Angehörigen der Ethnien dadurch gravierenden
wirtschaftlichen Beschränkungen ausgesetzt. Außerdem
leben in Chile 40% der Indianer in den Städten. Sie werden
in dem Bericht viel zu wenig berücksichtigt. Nach der
Fertigstellung von Ralco können die vier anderen
Staudämme nun in Planung gehen: Llanquen/Ranquil, Aguas
Blancas, Huequecura und Quitraman. Sollten sie alle Wirklichkeit
werden, dann werden eines Tages 10.116,9 ha Land überflutet
sein. ENDESA stellt diese Staudämme als unerlässlich
hin, um Chiles Autonomie im Energiesektor gewährleisten zu
können. Dabei liegen längst alternative
Energiegewinnungspläne vor und auch realisierbare
Vorschläge, den Energieverbrauch Chiles deutlich zu
reduzieren. Vielleicht gibt der neue Vertrag den Indigenen doch
noch eine wirksame Waffe in die Hand und ein zweites Ralco,
früher Symbol des Widerstands, kann vermieden werden.
Quellen: ILA Nr. 265, Mai 2003 Zum 30. Jahrestag des Putsches: Mapuche fordern Wahrheit und Gerechtigkeit. Memorandum der GfbV 2003 www.fondoindigena.org International Rivers Network, 23. Juni 2003.
Aus pogrom-bedrohte Völker 222 (6/2003).