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Radioaktiv verseuchtes Grundwasser bei den Lakota in Pine Ridge

"Safe Water is a Basic Human Right"

Christina Voormann

Bozen, Göttingen, April 2010

Verseuchtes Trinkwasser ist seit vielen Jahren ein besorgniserregendes Thema in den meisten Lakota, Reservaten in Süd Dakota, besonders betroffen im Pine Ridge Reservat. 80 Prozent aller Reservats-Brunnen werden vom Arikaree Aquifer (Grundwasserfluss) versorgt. Die restlichen 20 Prozent beziehen das Wasser von den Grundwasserressourcen Inyan Kara, Pierre Shale und Whiter River Group.

Die Badlands wurden zwischen 1942 und 1976 von der US-Luftwaffe für Artillerie- und Waffentests genutzt. Foto: Christina Voormann. Die Badlands wurden zwischen 1942 und 1976 von der US-Luftwaffe für Artillerie- und Waffentests genutzt. Foto: Christina Voormann.

Eine Aktivistengruppe traditioneller Lakota aus Porcupine trug dazu bei, dass der US Congress 1988 das sog. Mni-Wiconi/Wateris-Life-Projekt in Washington D.C. genehmigte. Weite Teile des Südens und Südostens von South Dakota sowie drei Lakota Reservationen sollten dadurch bis spätestens 2008 mit Missouri-Wasser versorgt werden. Zwar war dies von der Oglala Sioux Stammesregierung (OST) und den Reservatsbewohnern ursprünglich abgelehnt worden. Doch nach Konzeptänderungen zu ihren Gunsten wurde 1994 mit dem Bau der Pipeline begonnen, unter Federführung der Oglala Sioux.

2008 sollte das Pine Ridge Reservat an die Pipeline angeschlossen werden. Geplant war, das behandelte Missouri Wasser 1:1 mit Wasser aus den Aquiferen zu mischen, um dadurch die von der EPA (Environment Protection Agency) vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten. Doch das Mni-Wiconi-Projekt wird noch Jahre bis zur wirklichen Vollendung benötigen, und selbst dann wird ein großer Teil der über das Reservat verstreuten Haushalte nicht angeschlossen werden können.

Dieses Ziel ist utopisch. Mike Watson, OST-Chefingenieur erläuterte gegenüber der Presse am 20. Dezember 2008 den Konzeptverlauf und erklärte u.a. "Unser Volk wird auch weiter die Möglichkeit haben, Grundwasser oder Missouriwasser zu nutzen. In Pine Ridge werden letztendlich 50 Prozent aus Grundwasser bester Qualität kommen und 50 Prozent aus dem Fluss. ("The tribe will have the flexibility to continue using groundwater or Missouri River. On Pine Ridge, 50 percent of the final supply will come from high-quality groundwater and 50 percent from the river…")".

Für Wasserqualitätskontrollen auf Privatland sind die jeweiligen Besitzer zuständig. In Pine Ridge fnanziert der Fund 'Safe Water is a Human Right' nun solche Untersuchungen. Foto: Christina Voormann. Für Wasserqualitätskontrollen auf Privatland sind die jeweiligen Besitzer zuständig. In Pine Ridge fnanziert der Fund "Safe Water is a Human Right" nun solche Untersuchungen. Foto: Christina Voormann.

Hier stellt sich die Frage: Wo befindet sich das von Herrn Watson genannte Grundwasser bester Qualität, und wenn es vorhanden ist, wozu betreibt man dann den immensen Aufwand, Missouri Wasser ins weit davon entfernte Reservat zu pumpen? Das Mni-Wiconi-Projekt ist nach wie vor innerhalb der Bevölkerung umstritten. Über 400 Millionen US-Dollar hat es mittlerweile verschlungen. Man munkelt, ein großer Teil des Betrages sei in diverse andere Kanäle geflossen, die nicht viel mit Wasser zu tun haben.

Aus Sorge um die Gesundheit der Reservatsbewohner beantragte die OST-Stammesregierung bereits vor 20 Jahren eine umfangreiche Wasserstudie, welche zwischen 1992 und 1997 von der US-Geologischen Gesellschaft (USGS) durchgeführt wurde. Beprobt wurden 14 Quellen, u.a. im Gebiet der Badlands Bombing Range. Das etwa 1.388 Quadratkilometer große Gebiet wurde zwischen 1942 und 1976 von der US-Luftwaffe und -Artillerie für Ausbildungs- und Waffentestzwecke genutzt. Alle 44 Brunnen des öffentlichen Reservat-Wassersystems wurden ebenfalls getestet.

Die 1997 vorgelegte USGS-Studie zeigte, dass ein großer Teil der getesteten Wasserproben deutlich über den Grenzwerten lag: Neben Bakterien waren die radioaktiven Werte und die Überschreitungen der Schwermetall- Grenzwerte besonders bedenklich. Doch obwohl die Mehrheit der Reservatsbevölkerung und Schulen über Privatbrunnen mit Trinkwasser ver- sorgt werden, wurden diese Anlagen nicht getestet. Für uns Grund genug, eigene Recherchen zu starten.

Der Poor Bear Dam im Pine-Ridge-Reservat. Foto: Christina Voormann. Der Poor Bear Dam im Pine-Ridge-Reservat. Foto: Christina Voormann.

Das Ergebnis war skandalös. Es gibt keine Behörde, die zuständig ist. Auf Anfrage, wer für Privatbrunnen verantwortlich sei, antwortete die EPA: "Private Trinkbrunnenbesitzer in den USA sind selbst für Untersuchungen des Wassers verantwortlich. Wenn Hausbesitzer ihre Privatbrunnen als Trinkwasserquelle nutzen, sind sie selbst verantwortlich für die Verbesserung der Wasserqualität. ("Individual private U.S. household well owners are responsible to test their own water. If home owners use their own private well as their source of drinking water, they are responsible for any remediation the water may need.")".

Das Gesetz zur Trinkwassersicherheit reguliert nur die Wasserangelegenheiten staatlicher und gemeindlicher Anlagen, und hier wiederum nur Brunnen, die mehr als 25 Personen mit Wasser versorgen. Laut EPA erhalten in den USA 90 Prozent der Bevölkerung Trinkwasser über öffentliche Wassersysteme, nur 10 Prozent über Privatbrunnen. In vielen Reservationen sieht das prozentuale Verhältnis jedoch anders aus. Im Pine Ridge Reservat werden rund 65 Prozent der Bevölkerung über Privatbrunnen versorgt. Die meisten von ihnen leben in ärmlichsten Verhältnissen. Eine Wasseruntersuchung kostet aber je nach Parameter durchschnittlich 300 Dollar. Aufbereitungsanlagen sind nicht billig, sie zu warten kostet ebenfalls. Für die Filterentsorgung benötigte Sondermüll- Anlagen gibt es im Reservat nicht.

The Death comes from the Water - Wasser bringt den Tod. Ein Satz, der immer wieder von den Lakota zu hören ist. Die abenteuerlichsten Geschichten werden erzählt. Von verrosteten Fässern nahe Stronghold Table, aus denen stinkende, orangefarbene Flüssigkeit in den Sandboden sickert, von tumorübersäten Wildvögeln mit gestörtem Brutverhalten, Menschen mit weißen Astronauten-Overalls in den Badlands, dieser faszinierenden Sakralwildnis und gleichzeitig Sondermülldeponie. Was ist Dichtung, was ist Wahrheit?

Im Pine-Ridge-Reservat werden 65 Prozent der Bevölkerung über Privatbrunnen versorgt. Foto: Christina Voormann. Im Pine-Ridge-Reservat werden 65 Prozent der Bevölkerung über Privatbrunnen versorgt. Foto: Christina Voormann.

Das OST-Gesundheitsamt, das seit einigen Jahren einen auffallenden Anstieg von Krebs, Diabetes, Nierenschäden sowie Tot-, Miss- und Fehlgeburten beklagt, befürwortete bereits 2008 die Zusammenarbeit mit unserer Gruppe. Ziel ist eine umfassende Gesundheits- und Umweltstudie um festzustellen, ob sich Haushalte mit hoher Rate an Erkrankungs- und Todesfällen mit den trinkwasserverseuchten Gebieten decken. Trotz Präsident Obamas Gesetz zur Informationsfreiheit ist schwer an konkrete Statistiken zu gelangen, welche vom IHS (Indian Health Service) erstellt und zur Verfügung gestellt werden müssten. Nachdem sich selbst in unmittelbarer Nähe die Todes- und Erkrankungsfälle alarmierend häufen, beschlossen wir selbst nach Fakten zu suchen. Wir begannen im Sommer 2008 mit ersten Wasserbeprobungen auf Privatland. Zwischen Juni und Oktober 2009 führten wir eine große Beprobungskampagne durch und entnahmen Wasser in 18 Gemeinden quer über das Reservat verstreut.

Die Analysen wurden von durch EPA-zertifizierte Wasserlabors durchgeführt. Finanziert wurden die Untersuchungen von ersten Funds des Projekts "Safe Water is a Human Right", einer Kooperation des Lakota Village Fund (LVF) und Voormann & Friends for Charity. Zusammen mit mehr als 30 Künstlern (u.a. Paul McCartney, Ringo Starr, Yusuf/Cat Stevens, Dr. John) soll die Initiative Lakota-Familien zu sauberem Trinkwasser verhelfen. Die Analyseergebnisse sind erschütternd.

Von bislang 64 untersuchten Wasserproben sind 29 radioaktiv verseucht und 14 kontaminiert durch Arsen und Blei. Bei allen Ergebnissen zeigte sich ein deutliches sog. radioaktives Ungleichgewicht, was zur Verwirrung unter einigen Wissenschaftlern führte. Ein Nuklear-Chemiker des Math & Sience Staf des Oglala Lakota College erkannte hierin das Alpha-Recoil-Phänomen, also eine selektive Löslichkeit durch Rückstoß beim Alpha-Zerfall.

Neben den Wasseranalysen wurden auch drei Bodenbeprobungen innerhalb des ehemaligen Waffentestgebietes entnommen, da es sich um Gebiete mit einer Vielzahl essbarer Wildpflanzen handelt. Einige Ergebnisse lassen größere Uranvorkommen vermuten, weisen allerdings einen hohen Wert an Radium 226 auf, was einem natürlichen Ursprung des Urans widersprechen könnte. Unsere Analyse-Ergebnisse wurden heftig innerhalb der betroffenen Stammesbehörden diskutiert, was einige Vertreter in Verteidigungsnotstand trieb.

Tatsache ist, dass es sich um eine sehr komplexe Angelegenheit handelt. Es gibt keinen Hauptverursacher, sondern die Summe verschiedener möglicher Auslöser:

Die Wassersituation schien einigen Vertretern der Stammesregierung und diversen Stammesbehörden seit Jahren bekannt zu sein. Man hatte es jedoch vermieden, dies der Öffentlichkeit mitzuteilen. Aus Nachlässigkeit, Angst oder wegen eines korrupten Netzwerks, in das sogar namhafte Hilfsorganisationen verstrickt sind? Während Touristen in den Black Hills über geringere Arsen-Grenzwertüberschreitungen des Trinkwassers auf den Toiletten des Mount- Rushmore-Geländes seit Sommer 2008 offiziell gewarnt werden, ist man innerhalb gewisser Stammesbehörden im Pine Ridge Reservat nicht begeistert über die Veröffentlichung unserer Daten. Diese zeigen teilweise zwei- bis vierfache Überschreitungen der von der EPA und WHO (Weltgesundheitsorganisation) vorgegebenen Grenzwerte.

Anonyme Telefonanrufe, Einschüchterungsversuche und das Einfordern von Genehmigungen, die man gar nicht benötigt, trugen dazu bei, dass wir morgens statt Kaffee eher einen doppelten Whiskey benötigt hätten. Uns wurden langpraktizierte Methoden offenbar, die eher mit einem totalitären System vergleichbar sind als mit dem idealisierten Lakota Way of Life. Auf Initiative des Lakota Village Fund hat sich im Reservat eine kleine Gruppe betroffener Lakota-Brunnenbesitzer zu einer Selbsthilfe-Organisation formiert mit dem vorläufigen Namen "Lakota for Safe Water". Zusammen mit Vertretern vom Sierra Club (ältester und größter US-Umweltverband) und internationalen Wissenschaftlern werden weitere Untersuchungen durchgeführt, um bis Ende 2010 ein kurz- und mittelfristiges Lösungskonzept zu entwickeln.

Dazu gehört eine Gruppe themenerfahrener deutscher Wissenschaftler, die seit Jahren für ein ähnliches Forschungsprojekt in Saudi Arabien und in Namibia tätig sind. Schwerpunkt sind Aquifere und damit verbundene radioaktive Grundwasserressourcen. Denn dies ist keine Angelegenheit der privaten Brunnenbesitzer, es ist ein öffentliches und politisches Te- ma. Kontaminiertes Wasser kennt keine Grenzen, Religionen und Rassenunterschiede. Ein Teil der geplanten Strategie soll die Bildung einer Weiß- Rot-Allianz sein, die ihr Recht auf sauberes Trinkwasser einfordert, denn SAFE WATER IS A BASIC HUMAN RIGHT.

Aus pogrom-bedrohte Völker 258 (1/2010).