Von Lioba Rossbach de Olmos, November 2002
An nationalen Souveränitätsansprüchen wird sich entscheiden, ob der auf dem jüngsten Den Haager Biodiversitätsgipfel (7. bis 19. April 2002) vollmundig verkündete Übergang von Worten zu Taten, d.h. von der Politikgestaltung zur Umsetzung, noch rechtzeitig in die Gänge kommt. Bisher hat die Biodiversitätskonvention nach Einschätzung des Worldwatch-Instituts nicht gegriffen, und ihre Zielsetzungen zum Schutz der biologischen Vielfalt, der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile und der gerechten Nord-Süd-Aufteilung daraus erwachsender Gewinne haben dem weltweiten Niedergang der Biodiversität noch keinen Einhalt geboten. Dies ist im Vorfeld der großen Johannesburg-Konferenz, auf der zehn Jahre internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand stehen werden, nicht ohne Tragik.
Tragischer aber noch ist, dass die "nationale Souveränität" dabei eine unrühmliche Rolle spielt. Sie war es, der seinerzeit auf dem Erdgipfel in Rio (1992) die biologische Vielfalt unterstellt wurde, nachdem diese vormals als "Erbe der Menschheit" allen überall uneingeschränkt zugänglich war. Damit sollte eine größere globale Umwelt- und Entwicklungsgerechtigkeit geschaffen werden, denn vom "Erbe der Menschheit" hatten bis dahin vor allem pharmazeutische und kosmetische Unternehmen profitiert sowie die Konsumenten des Nordens, die sich von Pflanzen ernähren, die einst in den heutigen Entwicklungsländern domestiziert wurden, ohne dass den Ursprungsländern von Kartoffel, Tomate, Tabak oder Reis darauf jemals Vorteile erwachsen wären. Heute allerdings scheint es, als ob es die neu erlangte nationale Souveränität sein könnte, die sich als der eigentliche Hemmschuh erweist. Das Schicksal der Waldbiodiversität, einem Schwerpunktthema der Konferenz, kann sich daran entscheiden. Greenpeace spricht vom gescheiterten UN-Urwaldgipfel in Den Haag, da Länder, wie Brasilien, Kanada und Malaysia, das zur Verhandlung stehende Wald-Aktionsprogramm, das mit 130 Maßnahmen gigantische Ausmaße annimmt, systematisch verwässerten, konkrete Zielsetzungen blockierten, Festlegungen auf den Schutz von Primärwäldern verhinderten und schöngefärbte Sprachregelungen zur Durchsetzung verhalfen ("unautorisierte Holzernte" statt "illegaler Holzeinschlag").
Auch die indigenen Völker, von denen nicht wenige in den Wäldern leben, bekommen im Rahmen der Biodiversitätskonvention die Folgen der nationalen Souveränität das ein um das andere Mal zu spüren. Einerseits will die Konvention auf das traditionelle Wissen dieser Völker nicht verzichten, dass diese im Laufe von Generationen über die belebte Umwelt ausgebildet haben. Dieses Wissen soll dabei helfen, den Schutz und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt zu erreichen. Deshalb sind Bestimmungen zu traditionellem Wissen in der Konvention enthalten, und indigenen Völkern wurde eine Beteiligung an den Verhandlungsprozessen zugestanden. Das in Den Haag zum achten Mal tagende Internationale Indigene Forum zur Biodiversität hat eine eigene Arbeitsgruppe zur Umsetzung des einschlägigen Artikels 8(j) über "traditionelles Wissen" durchgesetzt und seit dem Jahr 2000 einen Beraterstatus vor der Vertragsstaatenkonferenz erstritten. Dennoch stellt sich den Indigenen die nationale Souveränität in den entscheidenden Fragen immer wieder in den Weg. Da hilft es wenig, wenn an anderer Stelle der Vereinten Nationen ein überfälliger Entkolonisierungsprozess dieser Völker in Gang gekommen ist, wenn Land- und Selbstbestimmungsrechte sowie weitgehende Beteiligungsrechte bei staatlichen und internationalen Prozessen Zustimmung finden.
In der Biodiversitätskonvention wird an die Forderungen der indigener Völker zunächst stets erst einmal die Messlatte der nationalen Souveränität (bzw. Gesetzgebung) angelegt. Davon zeugen ganz aktuell die Anstrengungen, die nötig waren, damit in die Richtlinien zur ökologischen, kulturellen und sozialen Folgenabschätzung für Maßnahmen auf heiligen oder traditionell von indigenen Völkern bewohnten Gebieten, die in Den Haag erneut zur Beratung standen, der Mechanismus der "vorherigen gut unterrichteten Zustimmung" (kurz PIC - für "prior informed consent") durch betroffene indigene Gemeinschaften aufgenommen wurde. Einige Regierungen hätten dies lieber mit sich alleine abgemacht und selbst die Zustimmung erteilt. Die für die Konvention zweifellos wichtigeren Richtlinien über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die gerechte Nord-Süd-Aufteilung der kommerziellen Erträge aus der (nachhaltigen) Ressourcennutzung, die im Oktober 2000 in Bonn vorverhandelt worden waren, hatte man die Belange indigener Völker einfach außen vor gelassen. Wenn die Verabschiedung der sogenannten Bonn-Richtlinien durch die Konferenz in öffentlichen Stellungnahmen als Erfolg gefeiert wird, ist davon nicht die Rede. Auch nicht, dass die indigenen Belange nochmals in einer Arbeitsgruppe zu traditionellem Wissen nachberaten werden müssen. Dann wird sich zeigen, ob die nationale Souveränität erneut zuschlägt und ob die Nationalstaaten sich selbst als die zuständigen PIC-Instanzen sehen oder ob sie auf die vorherige gut unterrichtete Zustimmung der indigenen Gemeinschaften Wert legen, wenn sie Dritten Zugang zu den genetischen Ressourcen auf indigenen Territorien für die kommerzielle Nutzung gewähren oder gar Zugang zum traditionellen Wissen der Indigenen.
Auf der Den Haager Konferenz wurde das Fehlen konkreter Vorgaben bei der Verfolgung der Ziele der Biodiversitätskonvention und Indikatoren zu deren Überwachung erstmals offen angesprochen. Eine Änderung fand aber nicht statt. Es überwogen Wiederholungen von Bekannten und es dominierte ein behäbiger Beamtenapparat, der selbst das Ziel der in der zweiten Konferenzwoche tagenden Ministerrunde, das Biodiversitätssterben bis 2010 zu stoppen, wieder zu Fall bringen wollte. Am Vorabend von Johannesburg wiegt dies schwer, schwer wiegt auch, dass es an neuen Visionen zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Biodiversität und attraktiven Mitmachangeboten der Öffentlichkeit fehlt. Und dies gilt gerade auch für die indigenen Völker und ihr indigenes Biodiversitätsforum. Sie mögen zahlenmäßig vielleicht wenige sein. Angesichts der Tatsache aber, dass die meisten indigenen Völker in Regionen mit einer großen biologischen Vielfalt leben, sind sie als Partner zu wichtig, um ihre berechtigten Anliegen immer wieder angesichts nationaler Souveränitätsinteressen zu blockieren.
Lioba Rossbach de Olmos ist Mitarbeiterin der Geschäftsstelle Frankfurt des Internationalen Klimabündnisses.
Oil-Watch Ecuadors Regenwald-Indianer legen sich mit Öl-Multis an. Ihre Verbündeten vor Ort, die Accion Ecologica, Gewerkschafts-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in Nordamerika und Europa im Verbund mit dem Klimabündnis, verschaffen den Öl-Anklägern politische Freiräume. "Derzeit prozessieren die Indianerorganisationen gegen US-Multis und könnten hohe Schadenersatz erstreiten sowie die Konzerne zur Änderung ihrer Förderungsmethoden zwingen," verweist der Koordinator des Südtiroler Klimabündnisses, Norbert Lantschner, auf den indigenen Widerstand. Ein Widerstand, den auch die Gemeinden des Klimabündnisses mitfinanzierten; sie sorgen dafür, dass Angehörige der indigene Völker im Öl-Fördergebiet in Equador als "Oil-watcher" ausgebildet werden, die Umweltschäden dokumentieren. Und die sind erschreckend hoch. US-amerikanische Umweltgruppen schätzen, dass aus den Pipelines in Equador mehr als 70 Millionen Liter Rohöl in den Dschungel geflossen sind. Doppelt so viel als beim Tankerunfall der Exxon Valdez vor der Küste Alaskas. Ein Liter Öl verseucht eine Million Liter Flusswasser und tötet darin alles Leben ab. Neben dem Rohöl, das bei Bohrungen austritt und Böden und Wasser mit einem Ölfilm überdecken, sickern auch Sulfate, Blei, Schwefelwasserstoff und Quecksilber ins Erdreich. Die equadorianischen Provinzen Sucumbios und Napo besonders stark betroffen. Wegen fehlender Umweltbestimmungen und Kontrollen wird ohne Rücksicht auf die Umwelt gefördert. Überlaufende Auffangbecken, deren ölverseuchtes Wasser die Flüsse vergiftet, Chemikalien für die Reinigung der Bohrlöcher, Lecks in den kaum gewarteten Pipelines bezeugen die rücksichtslose Ausbeutung. Die Straßen der Konzerne führen Landlose in den Regenwald, die mit Kahlschlag und extremer Landwirtschaft den Boden zerstören. Auf drei Millionen Hektar Land wird derzeit im equadorianischen Amazonasgebiet Öl gefördert. Eine Million Hektar sind bereits unwiderruflich zerstört, das ergab das sogenannten "Monitoring" der Oil-watcher. Die Fördergebiete sollen um weitere 1,6 Millionen Hektar ausgeweitet werden - für den staatlichen Konzern Petro-Equador, für US-Unternehmen und europäische Konzerne wie Agip aus Italien. (Wolfgang Mayr) |