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Rio + 10

Mehr als ein Prinzip Hoffnung?

von Theodor Rathgeber, November 2002

Im Jahr 1992 trafen sich die Staaten dieser Welt in Rio de Janeiro zur UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung. Sie verabschiedeten mit der Agenda 21 ein ambitioniertes, jedoch rechtlich nicht bindendes "Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert". Es sollten in den folgenden Jahren Aktionspläne erarbeitet werden, um die notwendige Umkehr zu einer nachhaltigen Entwicklung mittels konkreter umwelt- und entwicklungspolitischer Maßnahmen zu bewältigen. Im Kapitel 26 der Agenda 21 wurden indigene Völker ausdrücklich als Akteure aufgeführt, die in die Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung, insbesondere um den Fortbestand seltener Tier- und Pflanzenarten einzubeziehen seien. Schon der "Brundlandt-Report" von 1987 (Our Common Future) führte aus: "Indigene Gemeinschaften stellen eine Quelle umfassenden traditionellen Wissens und Erfahrung dar, das die Menschheit mit ihren Ursprüngen verbindet. Ihr Verschwinden bedeutet einen Verlust auch für die übrige Gesellschaft, die von den traditionellen Fähigkeiten zur Regelung komplexer ökologischer Systeme noch eine Menge lernen könnte." Spätere Studien haben diese Aussagen belegt: Die ca. 300 Mio. Angehörigen indigener Völker, etwa 5 Prozent der Weltbevölkerung, siedeln in Gebieten, die 20 Prozent der Gesamtlandmasse ausmachen und auf der sich 80 Prozent der die biologische Vielfalt ausmachenden Arten konzentrieren; vor allem in den tropischen Wäldern Amazoniens, Zentralafrikas, Asiens und Melanesiens. Vom 2. bis 11. September 2002 findet in Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt, um eine vorläufige Bilanz zu ziehen und weitere Schritte zu vereinbaren. Wie könnte eine Bilanz der Ureinwohner aussehen? Wenig Licht und viel Schatten, da eine grundlegende Wende in Politik und Wirtschaft insbesondere in den industrialisierten Ländern des Nordens immer noch aussteht. Der Begriff nachhaltige Entwicklung steht vor allem in regierungsamtlichen Verlautbarungen mittlerweile für alles und nichts, und faktisch entscheiden die Interessenkonstellationen von Konzernen und Regierungen über die Inanspruchnahme, d.h. die profitable Verwertung von Mensch und Natur.

So bedrohen nach wie vor Staudämme, Bergwerke, Erdöl- und Erdgasförderung, die ungezügelte Abholzung großer Waldflächen, das Leerfischen von Flüssen, Seen und Meeren oder die touristische Erschließung bislang schwer zugänglicher Gebiete etwa in Indonesien, Indien, Bangladesh, Malaysia, den Philippinen, Peru, Kolumbien, Guyana, Guatemala, Mexiko oder Ghana - um nur einige Länder zu nennen - weiterhin das Überleben indigener Völker. Die jüngste Auseinandersetzung um das streng geschützte Rückzugsgebiet für Fauna und Flora in Alaska, das die Regierung Bush der Erdölförderung preis geben wollte, ist kennzeichnend für den kaum gebremsten Fortschrittswahn und die kommerzielle Zurichtung der Welt. Das Worldwatch-Institut in Washington stellte im Jahr des Erdgipfels, 1992, fest, dass die Gier nach Ressourcen und die Suche nach Märkten die Lebensräume und Lebensweisen aller Ureinwohner extrem gefährdet. Dabei haben sich Repräsentanten indigener Völker in die Debatten um eine nachhaltige Entwicklung intensiv eingemischt und auf die Dringlichkeit zentraler Themenfelder für ihr kulturelles Überleben hingewiesen: Erhalt der biologischen Vielfalt, Klimaschutz, nachhaltige Waldbewirtschaftung, Projekte zur Rückgewinnung verseuchter Landstriche und umgekehrt die Folgen für Mensch und Umwelt durch die Liberalisierung des Handels, artenverbrauchende Konsummuster sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Hemisphäre, Patentierung von Pflanzen und menschlichen Genen oder die Verschuldungsmisere und die daraus folgende, verstärkte Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Es gibt auch etwas Licht und Hoffnung. Die Proteste und sozialen Mobilisierungen der indigenen Völker haben dazu geführt, dass in einigen Ländern wie Kolumbien, Nicaragua oder Brasilien der juristische Schutz für indigene Territorien ausgeweitet wurde. Ebenso sind im internationalen Rahmen mit der ILO-Konvention 169 von 1989, den Diskussionen um eine Charta zu den Rechten indigener Völker - sowohl auf der Ebene der UNO als auch der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) - sowie einer generell stärkeren Thematisierung von individuellen wie kollektiven Menschenrechten Normen und Anspruchsgrundlagen entstanden, die den Widerstand indigener Völker gegen die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen unterstützen. Solche Rechte treten im Konfliktfall hinter die Ausbeutungsinteressen von Regierung und Wirtschaft in der Regel zurück, aber die Verfahren für die Betreiber von Staudämmen oder Bohrlöchern sind aufwendiger und von den Kosten her unkalkulierbarer geworden.

In den Auseinandersetzungen der U'wa (Kolumbien) gegen die Erdölförderung, der Embera-Katío gegen einen Staudamm (ebenfalls in Kolumbien), der Ureinwohner in Brasilien gegen die Verwässerung ihrer Rechte durch ein neues Indianer-Statut oder der Adivasi gegen diverse Staudammprojekte in Indien spielten die rechtlichen Möglichkeiten, Einspruch einlegen und auf internationale Rechtsnormen verweisen zu können, immer wieder eine wichtige Rolle, um lebensbedrohende Entscheidungen bremsen oder aussetzen zu können. Leider haben es gerade die politisch und wirtschaftlich schwergewichtigen Staaten der EU - wie die Bundesrepublik Deutschland oder Italien - versäumt, zur Entwicklung dieser internationalen Rechtsstandards einen nennenswerten Beitrag zu leisten. Von den hehren Ankündigungen der 1998 gewählten Bundesregierung, eine Politik der Nachhaltigkeit zu betreiben und in Bezug auf indigene Völker eine neue Partnerschaft anzustreben, ist wenig Konkretes umgesetzt worden. Um so aktiver mischten sich die Ureinwohner - notgedrungen - selbst ein. Im Jahr 2002 versammelte sich zum ersten Mal das "Permamente Forum" der indigenen Völker, ein Organ der UNO zum Schutz der Ureinwohner. Ihm zur Seite steht der Sonderberichterstatter über die Lage der Menschenrechte indigener Völker, Rodolfo Stavenhagen, der zwar kein Indigener aber ein ausgewiesener Kenner der Lebensumstände und vor allem der Gefahren für das Überleben indigener Völker ist. In der Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt erreichten die Ureinwohner, dass ihr traditionelles Wissen zur natürlichen Umwelt anerkannt wurde und Verfahren gesucht werden sollen, dieses Wissen zu schützen. Hingegen kritisierten sie heftig das bei uns so gelobte Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz, da die Definitionen und Bewertungen der Waldnutzung der traditionellen Nutzung durch indigene Völker völlig widerspricht. Darüber hinaus geht der Holzeinschlag selbst in staatlich ausgewiesenen Naturschutzzonen und Reservationen der Ureinwohner - wie etwa in Brasilien - fast unvermindert weiter. So ähnlich fallen letztlich alle Analysen aus, die sich mit nachhaltiger Entwicklung im Kontext indigener Völker beschäftigen. Der 'Gipfel' zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg wird sich also mit mageren ‚Erfolgen' seit Rio de Janeiro bescheiden müssen; etwa die Ökologisierung der Landwirtschaft oder die sensible Reaktion der Verbraucher auf genmanipulierte Nahrungsmittel, die bislang kaum absetzbar sind. Beide Erfolge resultierten jedoch wesentlich aus den sozialen Bewegungen, die diese Ziele seit langem formulierten und durchzusetzen begannen. Ebenso wird es in Zukunft überwiegend der Dynamik und den Aktivitäten der Ureinwohner, unterstützt von Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen, geschuldet sein, den Erhalt der kulturellen Vielfalt und indigenen Lebenswelten einzufordern und umzusetzen.

Aus pogrom 214 (4/2002)


Siehe auch:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/169.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/ind-contra.html | www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-de.html | ILO 169, 1998 | www.survival-international.org | www.ilo.org
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