Die Mapuche ziehen zwölf Jahre nach dem Rücktritt
von General Pinochet eine negative Bilanz. Die 1980 gehegten
Hoffnungen, ein neues Verhältnis zum Staat und zur
chilenischen Gesellschaft aufbauen zu können, wurde nicht
erfüllt. Ungelöst blieben die Fragen nach einer
Anerkennung ihres Status als Volk und institutionelle Garantien
zur Sicherung dieses Status; offen blieb die Frage nach einer
Rückgabe der Ländereien ihrer Vorfahren. Die Mapuche
sind mit fast einer Million Menschen eines der zahlreichsten
indigenen Völker Amerikas. Seit der Besetzung des
Mapuche-Landes Ende des 19. Jahrhunderts, beschönigend die
"Befriedung von Araukanien" genannt, mussten und müssen sie
gegen schwierigste Bedingungen ankämpfen. Die Besetzung und
Aufteilung ihrer Gebiete und die Errichtung von Reservaten
führten zur Verarmung der Mapuche sowie zu einem
Umweltkollaps in der indigenen Regionen. Die Ausbeutung begann
mit der "Befriedung von Araukanien", in deren Verlauf 30
Millionen Hektar Land enteignet wurden. Diese Situation spitzte
sich während des Militärregimes unter Pinochet zu.
Indigene verloren ihr Land, das verbliebene Reservatsterritorium
wurde parzelliert.
Unsere Organisation "El Canelo de Nos" arbeitet mit den
Mapuche-Gemeinschaften um den See Lleu Lleu in der Provinz Arauco
(500 km südlich von Santiago) zusammen. Wir müssen
zudem feststellen, dass die Zerstörung der Umwelt
unaufhaltsam weitergeht. Die Erosion der Böden, die
Zerstörung der ursprünglichen Wälder, die
Aufforstung mit Kiefern und Eukalyptus, die Abnahme des
Tierbestandes, die versickernden Wasserläufe und die
Aufsplitterung der indigenen Ländereien sind die
offensichtlichsten Schäden. In Tirúa, einer der
ärmsten Regionen des Landes, besitzt eine einzige Holzfabrik
70 Prozent des Landes. Die Folgen sind die geringer werdenden
Einflussmöglichkeiten, der Sprachverlust (die
Mapuche-Sprache wird bis heute nicht in den Schulen gelehrt), die
kulturelle Verarmung und die Migration vieler Mapuche in die
Städte. Dadurch verlieren die Mapuche langsam ihr
Siedlungsgebiet.
Insgesamt zeigt Chile im Prozess des Übergangs zur
Demokratie, der schon 12 Jahre dauert, wenige Fortschritte und
große Widersprüche gegenüber der wichtigsten
Forderung der indigenen Völker: Anerkennung und
Respektierung ihrer kollektiven und individuellen Rechte als
Volk. Die Versuche des chilenischen Staates in den 90er Jahren,
rechtliche und institutionelle Änderungen hin zu einer
Anerkennung der indigenen Völker voranzubringen, bewerten
die Mapuche auf Grund der dürftigen Erfolge kritisch.
Die große Errungenschaft war das Land-Gesetz (Nr. 19.253
von 1993), das indigenes Landeigentum schützen und eine
weitere Veräußerung von Gemeindeland verhindern soll.
Mit dem Gesetz wurden auch die "Nationale Kommission für
indigene Entwicklung" (CONADI) gegründet. Die Conadi soll
über die Einhaltung und Umsetzung des Gesetzes wachen. Die
Mapuche-Organisationen bewerten das Gesetz als protektionistisch
und überflüssig, da es die Anerkennung ihrer
wesentlichen Rechte als Volk nicht beinhaltet. Außerdem
kritisieren sie, dass mangels politischen Willens das Gesetz
nicht umgesetzt wird.
Tatsächlich sind die indigenen Gebiete immer noch
ungeschützt und die dort vorkommenden natürlichen
Ressourcen sind weiterhin unter der Kontrolle großer
Holzfabriken, Minen oder Wasserkraftwerke. Der Bau von Staustufen
zur Energiegewinnung am Fluss Bio Bio, durch den die
Ländereien von zwölf Mapuche-Familien überschwemmt
wurden, ist eines von vielen Beispielen. Die indigenen
Völker Chiles leiden wesentlich stärker unter der
Ungleichheit als die nicht-indigene Bevölkerung: 2000
gehörten 42 Prozent der indigenen Bevölkerung zum
ärmsten Fünftel der chilenischen
Gesamtbevölkerung, während der nicht-indigene Anteil an
diesem Fünftel nur 22 Prozent betrug.
Die Mapuche-Gemeinden fordern den chilenischen Staat in der
indigenen Frage zu tiefgreifenden Reformen auf, wie zur
- Anerkennung der indigenen Völker in der Verfassung,
- grundlegende Änderungen in der Gesetzgebung zum Schutz
indigener Rechte,
- Einrichtung eines Verzeichnisses der Ländereien und der
darauf befindlichen natürlichen Ressourcen, um deren Erhalt
zu erleichtern und die Möglichkeit einer nachhaltigen
Nutzung durch die Gemeinden sicherzustellen
- Ratifizierung aller internationalen Verträge, die zu einer
Verbesserung der Situation indigener Völker beitragen
(ILO-Konvention 169).
Gabriel Sanhueza Suárez ist Leiter der chilenischen NGO El Canelo de Nos, www.elcanelo.cl. Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 217 - 1/2003).