Von Yvonne Bangert / Sarah Reinke
Bozen, Göttingen, 16. September 2005
Russland ist der größte Erdöl- und
Erdgasproduzent der Welt. Der Export ist eine der wichtigsten
Stützen der russischen Wirtschaft. Leidtragende des
Exportbooms sind die 200.000 in Sibirien ansässigen
Ureinwohner, unter deren Land die Vorkommen liegen. "Unser Wasser
ist ölverseucht, der Fisch schmeckt nach Öl", klagt
Andrej Semenowitsch D'jaschkow aus der Republik Komi. "Die
Rentiere sterben am Öl, auch die Kühe, die im Sommer
das Gras von den ölverschmierten Schwemmlandweiden fressen.
Früher haben die Frauen die Wäsche im Sommer im Fluss
gewaschen, heute macht das keine mehr."
Förderlizenzen werden vergeben ohne Rücksicht darauf,
ob die Landrechte der Ureinwohner geklärt sind. Gesetzliche
Bestimmungen zum Schutz der 40 indigenen Völker Russlands
werden im Konjunktiv formuliert und - da ohne
Ausführungsbestimmungen verabschiedet - nicht umgesetzt. Aus
dem Gesetz zu den Rechtsgarantien für indigene Völker
wurden wichtige Artikel für den Schutz der Wirtschaft, der
Kultur, der traditionellen Lebensweise und über das
Mitbestimmungsrecht indigener Völker in den Gremien der
Legislative ganz einfach gestrichen. Das Gesetz wurde am 22.
August 2004 von Präsident Putin unterzeichnet.
Trügerische Idylle
"Der Himmel ist in orangenes Licht getaucht, als sei gerade die
Sonne untergegangen. Eine romantisch anmutende Atmosphäre.
Doch der Anblick täuscht: Es ist Mitternacht, bei 20 Grad
minus in der kleinen westsibirischen Siedlung Trom-Agan. Das Dorf
ist umgeben von vier Erdöllagerstätten. Meterhohe
Fackeln, Begleitgase des geförderten Öls, lodern 24
Stunden und 365 Tage im Jahr gen Himmel" (Florian Stammler / www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html#stammler).
Die Folgen der Ausbeutung der Ressourcen sind verheerend: In
Westsibirien waren 28 größere und 100 kleinere
Gewässer bereits 1989 biologisch tot. Andere Gewässer
sind infolge maroder Pipelines und rücksichtsloser, jeden
Umweltschutz missachtender Fördermethoden so stark mit
Öl verseucht, dass der dort gefangene Fisch nicht mehr
genießbar ist.
Öllachen auf Rentierweiden vergiften das Futter der Tiere.
Etwa 8-10 % des russischen Erdöls gehen durch Lecks in
maroden Pipelines verloren. Auch neue Arbeitsplätze
entstehen für die Indigenen durch die Förderprojekte
nicht, denn sie sind für die Arbeit an den Bohrstellen nicht
qualifiziert genug, so dass die Konzerne Arbeiter aus anderen
Landesteilen anwerben.
Deutsche Beteiligung
Deutsche Unternehmen verdienen an dem Geschäft mit
sibirischem Öl und Gas kräftig mit. Erdgas gewinnt
dabei zunehmend an Bedeutung. Bei einer deutsch-russischen
Unternehmerkonferenz, zu der Bundeskanzler Gerhard Schröder
mit einer prominenten Wirtschaftsdelegation am 8. Juli 2004 nach
Moskau reiste, schloss das deutsche Unternehmen Eon, das
über seine Essener Tochter Ruhrgas schon jetzt mit 6,5 % am
größten russischen Gasunternehmen Gazprom beteiligt
ist und 31% seines Gasbedarfs aus Russland bezieht, ein
milliardenschweres Kooperationsabkommen über den Ausbau der
gemeinsamen Energiegewinnung ab. Die Verträge der Ruhrgas AG
mit Gazprom laufen noch bis 2020. Vor allem im westsibirischen
Tiefland erschließen beide Konzerne neue
Gasvorkommen.
Während der Hannover Messe im April 2005 landete dann die
BASF-Tochter Wintershall durch einen Vertrag mit Gazprom einen
Coup im Geschäft mit der Erschließung des Gasfeldes
Yushno Russkoje in Westsibirien. Erstmals ist nun ein deutsches
Unternehmen bereits an der Erschließung eines russischen
Gasfeldes beteiligt. Der Vertrag für den Bau einer
großen Pipeline von Petersburg an die deutsche
Ostseeküste, der Teil dieses Projektes ist, wird am 8.
September 2005 im in Berlin im Beisein der beiden Staatschefs
Putin und Schröder unterzeichnet.
Enteignung durch Waldkodex
Auch Holz ist ein wichtiges Exportgut der Russischen
Föderation. Ein neuer Waldkodex, der am 19. September 2005
besiegelt wird, öffnet der Privatwirtschaft Tor und
Tür. Die riesigen Wälder der sibirischen Taiga sollen
parzelliert und meistbietend versteigert werden - mit einem
Nutzungsrecht von bis zu 99 Jahren. Die Ureinwohner, die auf den
Wald als Quelle für Nahrung und das Holz als Baustoff und
Heizmaterial angewiesen sind, haben kein Geld, um mit zu bieten.
Bisher mussten sie für Selbstversorgung nichts zahlen. Doch
die sibirischen Ureinwohner setzen sich gegen die Zerstörung
ihrer Heimat zur Wehr. Der Dachverband der 40 Völker, die
Russische Föderation der indigenen Völker des Nordens
RAIPON, vertritt ihre Interessen in Moskau, aber auch bei den
Menschenrechtskonferenzen der Vereinten Nationen in Genf.
Die Organisation Lauravetlan (Informationszentrum der indigenen
Völker Russlands) engagiert sich stärker bei der
Interessenvertretung in den indigenen Gemeinden. Beide
Organisationen schickten im Sommer Vertreter nach Genf zur
diesjährigen Konferenz der UN-Working Group on Indigenous
Issues, wo sie während einer Veranstaltung der Gesellschaft
für bedrohte Völker die UN über ihre Situation
informieren konnten. Sie fordern nicht, die Förderung von
Öl und Gas einzustellen. Aber sie verlangen von den
Konzernen, dass sie Umweltkriterien einhalten, als würden
sie in ihren eigenen Staaten aktiv sein. Sie wollen mitbestimmen
können, wo und auf welche Weise gefördert wird und
einen Anteil an den Einnahmen bekommen, damit sie sich
Alternativen zu den Erwerbsmöglichkeiten erschließen
können, die durch die Förderung von Öl und Gas
zerstört werden.
Diese Forderungen vertritt auch Aleksej Limanso, der die
Ureinwohner der Insel Sachalin bei RAIPON repräsentiert. Vor
der Küste der Insel lagern die größten noch
unangetasteten Öl- und Gasvorkommen der Welt. Insgesamt
sechs Erdöl- und Erdgasfelder werden dort erschlossen. Bei
einer Tagung der Evangelischen Akademie Iserlon warb er um
Verständnis für die Sorgen der indigenen Völker.
Auf Sachalin richten sich die Proteste der Ureinwohner derzeit
vor allem gegen den Abschnitt Sachalm 2. Im Januar und Juli 2005
errichteten sie Straßenblockaden an den Zufahrten zum
Fördergebiet. An Sachalin 2 ist Royal Dutch/Shell
größter Eigner. Die japanischen Firmen Mitsubishi,
Mitsui und Shell gründeten 1998 die "Sakhalin Energy
Investment Company" (SEIC). Die GfbV konnte Limanso
Gespräche mit Vertretern des Umweltministeriums, des Finanz-
und des Wirtschaftsministeriums vermitteln. Dass die indigenen
Völker Sibiriens durchaus in der Lage sind, sich neue
Erwerbszweige zu erschließen, zeigt die kleine
Fischereikooperative der Itelmenen auf der Halbinsel Kamtschatka.
Sie konnten mit Hilfe der GfbV zehn neue Fischerboote bauen, mit
denen sie nun auch wieder im Meer fischen und sich durch Verkauf
der Überschüsse eine Einnahmequelle erschließen
können.
Aus pogrom-bedrohte Völker 232 (4/2005)