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Einleitung | Sachalin-2 | Folgen für die Ureinwohner und die Umwelt |
Sachalin: Heimat für indigene Völker
| Widerstand formiert sich
Einleitung [ oben ]
Vor der Küste der Insel Sachalin, im äußersten
Nordosten Russlands, lagern die größten noch zu
erschließenden Öl- und Gasvorkommenden der Welt. Das
Ölvorkommen wird auf 13 Billionen Barrel (ein Barrel gleich
159 Liter) geschätzt. Bereits erschlossene Öl- und
Gasfelder sind Sachalin-1 bis Sachalin-6. Sie ziehen die
Großinvestoren unter den internationalen Ölmultis nach
Russland. Exxon-Mobil, Chevron-Texaco, BP und Royal Dutch/Shell
haben sich mit weiteren Ölunternehmen zu Konsortien
zusammengeschlossen. Yuzhno-Sachalinsk, die Hauptstadt der Insel
hat sich zu einer Boomtown entwickelt. "Dieses Jahr geben wir 100
US Dollar pro Sekunde aus", sagt David J. Greer, der Programmchef
von Shell auf Sachalin.
Leidtragende dieser Entwicklung sind die Ureinwohnervölker
Sachalins, die Niwchen, Nanai, Oroken, Orochen und Ewenken. Sie
sind traditionell Fischer und Rentierzüchter. Deshalb sind
sie auf eine intakte Umwelt angewiesen. Ihre Interessen wurden
bislang übergangen, Versuche der Vereinigung der
Urvölker auf Sachalin und des Dachverbands der
Ureinwohnervölker Sibiriens RAIPON, Verhandlungen über
größere Mitbestimmung mit den Konzernen und der
lokalen Behörden zu führen, scheiterten im Dezember
2004. Deshalb haben die Ureinwohner beschlossen, am 20. Januar
2005 mit gewaltlosen Besetzungen der Baustellen für den
Pipelinebau, auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
Vorgeschichte In den 1960er und 1970er Jahren gewann die
Öl- und Gasindustrie im Nogliki Bezirk auf Sachalin
erstmalig an Bedeutung. Seit Ende der 1980er Jahre sind die auf
dem Land befindlichen Ölquellen jedoch am Versiegen. 25
Millionen Tonnen Öl wurde hier gefördert. Nun wurden
der Küste vorgelagerte neue Öl- und Gasvorkommen
ausgemacht. Die einzelnen Projektstufen werden wie die Öl-
und Gasfelder Sachalin-1 bis Sachalin-6 genannt. Wie mit einem
Lineal sind sie auf den Seekarten eingezeichnet
Schon allein Sachalin-1 schluckt Investitionen in Höhe von
zwölf Milliarden Dollar. Der Exxon-Mobil Konzern führt
ein Unternehmenskonsortium mit 30% der Anteile an, zu dem
außerdem die japanische Sadeco (30%), die russische Gasprom
(früher Rosneft) und die indische India's Oil & Natural
Gas Crop (jeweils 20%) gehören. Der amerikanische
Ölmulti Exxon-Mobil hat im August 2004 bekannt gegeben, dass
die Probebohrungen im Chayvo-Feld, das zu Sachalin-1 gehört,
erfolgreich abgeschlossen worden seien. Allein hier werden 2,3
Milliarden Barrel Erdöl und 480 Milliarden Kubikmeter Erdgas
vermutet. In diesem Jahr will das Konsortium
Ölförderung beginnen. Damit das Öl auch
fließen kann, muss aber noch eine 200 km lange Pipeline
gebaut werden.
Sachalin-2 [ oben ]
Zurzeit richtet sich der Protest der Ureinwohner vor allem gegen
Sachalin-2. Hier ist Royal Dutch/Shell mit einem Anteil von 55%
größter Anteilseigner. Mit den japanischen Firmen
Mitsubishi (20%) und Mitsui (25%) hat Shell 1998 die "Sakhalin
Energy Investment Company" (SEIC) gegründet. Bislang wurden
in Sachalin-2 zehn Milliarden Dollar investiert. Mit der
Russischen Regierung schloss dieses Konsortium eine Vereinbarung
über die Gewinnbeteiligung ab ("Production Sharing
Agreement"). Shell werden hierbei deutlich über das
übliche Maß hinausgehende Gewinnanteile zugesprochen.
Geldgeber des Projekts sind die US- amerikanische Private
Übersee Investment Körperschaft (OPIC), die
Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
(EBRD) und die Japanische Bank für Internationale
Kooperation (JBIC).
Die Bohrinsel Molikpaq wurde direkt vor der Nordwestküste
Sachalins im errichtet. Sie stellt eine erhebliche Gefahr
für die Meeresumwelt dar. Die Gewässer in
Küstennähe, die Buchten und das Weideland der Rentiere
aber auch die reichen Lachsbestände und eine kleine Gruppe
sehr seltener Grauwale sind bedroht. Ein Leck in den Pipelines
oder ein durch ein Erdbeben verursachter Schaden an der Bohrinsel
wäre eine Katastrophe für die Umwelt, aber auch
für die Menschen, die von ihr abhängen.
Schon 1999 wurden die Folgen der Ölbohrungen auf Sachalin
spürbar: Fischer entdeckten im Juni des Jahres 900 Tonnen
tote Heringe, die im Meer trieben. Offiziell dementierte Shell
die Verantwortung für das Fischssterben, aber
Wissenschaftler fanden Öl und Schwermetalle in den
Körpern der meisten toten Fische (www.pacificenvironment.org).
Anwohner, unter ihnen die indigene Minderheit der Nivchen,
stellten Umweltveränderungen fest. So ging auf einmal die
Anzahl der Robben zurück und es wurden viele Tiere tot
aufgefunden. Vögel, die normalerweise Plankton fraßen,
ernährten sich plötzlich von Landinsekten. Viele Fische
wurden vergiftet und rochen stark nach Öl. Dennoch werden
sie auch heute noch von der armen lokalen Bevölkerung
gegessen, die es sich nicht leisten kann, sich andere
Lebensmittel zu besorgen. Der Rückgang der
Fischbestände und die sinkende Bedeutung des Fischfangs auf
Sachalin hat auch direkte Auswirkungen auf Russland. Die
Hälfte aller in Russland konsumierten Fische und sonstiger
Meerestiere kommt von hier.
Derzeit plant das Konsortium um Shell, Mitsubishi und Mitsui, das
Sachalin-2 Projekt erheblich auszuweiten. Die zweite Phase des
Projektes umschließt die Errichtung zweier neuer Öl-
und Gasplattformen im Norden Sachalins sowie den Bau zweier 800
km langer Pipelines die sich der Länge nach durch die
gesamte Insel ziehen werden. 10 Milliarden Dollar sollen
dafür investiert werden. Die Pipelines sollen die
bestehenden und geplante weitere Bohrinseln im Nordosten der
Insel mit einem Hafen im Süden Nahe der Hauptstadt
Juzhno-Sachalinsk verbinden, von wo Erdöl und Erdgas nach
Nordamerika und Japan geliefert werden soll. Sie sollen teils
über dem Meeresboden, teils auf Land verlaufen. Geplant ist
ebenfalls der Bau einer Pipeline von über 200 Kilometer
Länge für den Block Sachalin-1 im Norden der Insel.
Hinzu kommt der Bau einer LNG-Station (Liquid Natural Gas
Production Plant) für die Verflüssigung von Erdgas und
eines dazu gehörenden Hafens in der Aniva Bucht. Sachalin-2
ist damit das weltweit größte Öl- und Gasprojekt
mit der weltweit höchsten finanziellen Aufwendung.
Folgen für die Ureinwohner und die
Umwelt [ oben
]
Gegen diese Pipelines richtet sich der aktuelle Protest der
Ureinwohner. Die Röhren werden 1.103 Flüsse und
Bäche durchkreuzen, Laichgründe für Lachs
zerstören, Wildwechsel und die letzten noch
zusammenhängenden Rentierweidegründe zerschneiden. Die
über Land gelegten Pipelines werden auf Erdbeben
gefährdeten Zonen liegen. Transnationale Konzerne wie Shell,
Exxon, British Petroleum und die Firma Sachalin Energy
führen diese Projekte durch. Die indigenen Völker
Sachalins, die 3150 Nivchen, Nanai, Oroken und Ulchen sind
besonders stark von der Öl- und Gasförderung betroffen.
Baumaßnahmen haben schon jetzt Weideflächen für
Rentiere und Wälder zerstört. Die Ureinwohner leben im
Moment fast ausschließlich vom Verkauf traditionellen
Kunsthandwerks. Die Rentierzüchter wurden nicht in die
Entscheidung über den Verlauf der Pipelinerouten einbezogen.
Das unternehmen "MGP VAL", bei dem sie angestellt sind, trifft
über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen, die sich negativ
auf die Rentierzucht auswirken, und behauptet gleichzeitig, die
Interessen der Rentierzüchter zu vertreten.
Sowohl Shell als auch Exxon-Mobil verwenden in ihren
Projektabschnitten veraltete Technologien zum Bau ihrer Pipelines
und Bohrinseln. Ein Leck in den Pipelines hätte
katastrophale Folgen für die Grauwalpopulation, die
Fischerei und das Leben der Nivchen-Gemeinde. (www.globalresponse.org).
Gefährdet sind 25 verschiedene Meeressäuger, von denen
allein 11 Arten vom Aussterben bedroht sind - unter ihnen die
gerade noch 100 Grauwale. Auch zeichnet sich das Gebiet durch
seinen Fischreichtum aus: Es gibt dort Schalentiere, Heringe,
Dorsche und verschiedene Arten von Lachs.
Sachalin: Heimat für indigene
Völker [ oben
]
Sachalin, in der Sprache der Ureinwohner liebevoll "das wilde
zerzauste Tier" genannt, ist 948 Kilometer lang und zwischen 27
und 160 Kilometer breit. Von 650.000 Einwohnern gehören
3.150 Personen den indigenen Gruppen der Nivchen, Nanai, Oroken
und Ewenken an. Sie leben größtenteils als
Selbstversorger, Fischer, Rentierhirten oder vom Sammeln von
Wildpflanzen. Für Arbeitsplätze in der Ölindustrie
sind sie meist nicht ausreichend qualifiziert.
Die Nivchen sind traditionell vor allem Fischer und leben vor
allem im Norden Sachalins. Mit etwa 2000 Angehörigen sind
sie die größte der Ureinwohnergruppen Sachalins. In
den 1930er Jahren wurde der Fischfang kollektiviert, die Nivchen
sollten sesshaft werden und in Fischfarmen arbeiten, die durch
staatliche Subventionen künstlich am Leben erhalten wurden,
obwohl sie unrentabel waren. Die Kinder der Farmarbeiter wurden
wie die der anderen indigenen Gruppen in staatlichen Internaten
erzogen. Dort verlernten sie bald ihre eigene Sprache und
vergaßen vieles von ihrer Kultur, denn die Erziehung folgte
ausschließlich russischen Maßstäben.
In den 1960er Jahren wurden viele dieser Kollektivunternehmen
zusammengelegt. Die meisten Nivchen wurden in den Bezirk Nogliki
zwangsumgesiedelt, wo viele von ihnen keine Arbeit mehr in der
Fischerei fanden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden
die Programme zur Förderung der indigenen Minderheiten
eingestellt. Kindergärten und Internate wurden geschlossen,
soziale Privilegien abgebaut. Viele Nivchen wurden arbeitslos.
Viele von ihnen fühlen sich noch immer zu ihrem
früheren Wohnort hingezogen und kehren nun jedes in die
Nyski-Bucht zurück. Sie besannen sich auf ihre
traditionellen Wurzeln und nahmen den Fischfang als
Existenzgrundlage wieder auf (www.sakhalinenergy.com).
Die Ewenken sind traditionell teilsesshafte Rentierzüchter.
Domestizierte Rentiere dienen dabei als Reit- und Lastentiere,
wilde Rentiere werden bejagt. Auch die Ewenken wurden in der
Sowjetzeit sesshaft gemacht und in Kollektive gezwungen. Ihr
Sozialgefüge und ihre kulturellen Traditionen litten
darunter. Inzwischen werden große Anstrengungen
unternommen, den Nomadismus und die damit verbundene
Selbstversorgerwirtschaft wieder aufleben zu lassen. Das Rentier
ist noch immer das wichtigste Transportmittel. Moderne
Transportmittel haben sich bislang kaum durchgesetzt. Auf
sachalin leben etwa 1000 Ewenken.
Die kleine Gruppe der ca. 130 Oroken sind eng mit den Ulchen
verwandt, die am Amur leben. Auch sie sind traditionell
teilsesshafte Rentierzüchter, außerdem Jäger und
Fischer. Die Oroken im Norden Sachalins wurden 1932
Zwangskollektiviert und wurden im Gebiet der Kollektivfarm Val,
die sich auf Rentierzucht spezialisiert hatte, sesshaft. Die im
Süden Sachalins lebenden Oroken gaben im 19. Jahrhundert die
Rentierzucht auf wurden als Fischer sesshaft. Bis zum 2.
Weltkrieg gehörte dieser Teil Sachalins zu Japan. Den Oroken
wurde auf beiden Seiten der Grenze mit Misstrauen begegnet. Als
Sachalin bei Kriegsende an die Sowjetunion fiel, fürchteten
einige von ihnen die Verschleppung in sowjetische Arbeitslager
und wurden auf die Insel Hokkaido in Japan evakuiert.
Die etwa 170 Nanai sind traditionell sesshafte Fischer und
Jäger. Die meisten von ihnen leben auf dem Festland, nur
eine kleine Gruppe auch auf Sachalin. Heute betreiben vorwiegend
alte Menschen noch den Fischfang. Die meisten stellten sich im
Zuge der Kolchose-Wirtschaft auf Landwirtschaft und Viehzucht um.
Viele Nanai arbeiten auch in sehr qualifizierten berufen, z.B.
als Lehrer.
Auch die Orochen leben traditionell vom Fischfang und der Jagd.
Die meisten Orochen leben im Süden des Khabarovski Kray auf
dem Festland. Im 19. Jahrhundert zog eine Gruppe von ihnen auf
die Insel Sachalin, wo heute noch etwa 210 Orochen leben. Heute
sind sie in Dörfern sesshaft und leben vom Gemüseanbau
und der Viehzucht. Manche jagen und Fischen auch noch. Die
Pelztierjagd ist infolge einer strengen Regulierung durch
Jagdlizenzen jedoch stark zurückgegangen. (Ethnografische
Angaben nach: Nordpolarinstitut www.npolar.no/ansipra/english/index.html).
Widerstand formiert sich [ oben ]
Nach und nach formiert sich Widerstand gegen die
Ölförderung durch die internationalen Multis. Vertreter
der Indigenen aber auch ihrer Organisationen Vereinigung der
Urvölker auf Sachalin und der Dachverband von 40 Indigenen
Völkern Sibiriens RAIPON (Russian Association of Indigenous
Peoples of the North) haben versucht, die legitimen Forderungen
in Gesprächen mit russischen Behörden und
Konzernvertretern durchzusetzen. Diese Verhandlungen sind jedoch
im Dezember 2004 gescheitert. Die Ureinwohner sehen nun keine
andere Möglichkeit mehr, ihre Rechte und die
natürlichen Ressourcen ihrer Insel zu verteidigen, als die
Bauarbeiten und Zufahrtsstraßen zu den Großprojekten
zu blockieren. Sie haben auch an die an der Finanzierung der
Vorhaben maßgeblich beteiligten Banken, die
Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in
London und an weitere der Ölindustrie Kredit gewährende
Banken in Tokio, London und Washington geschrieben und sie um
Vermittlung gebeten. Sie wissen, dass sie die
Ölförderung nicht aufhalten können. Aber sie
wollen einen Kompromiss, der ihnen die Aufrechterhaltung einer
eigenständigen Wirtschaft ermöglicht und sie an den
Entscheidungen der Ölkonzerne angemessen beteiligt.
Ihre Forderungen an die Ölfirmen lauten: