Bozen, Göttingen, 1. Juni 2004
Die wachsende Nachfrage nach Erdöl wird für
Ureinwohner und ethnische Minderheiten nach Auffassung der
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) katastrophale
Folgen haben. Mehr als vier Millionen Ureinwohner und
Angehörige ethnischer Minderheiten in Sibirien, Kamerun,
China, Angola, Ecuador und Peru sowie in zahlreichen weiteren
Staaten seien durch die Erschließung neuer Ölfelder
und den Bau von Pipelines akut in ihrem Überleben bedroht,
warnte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag anlässlich
der Konferenz über erneuerbare Energien in Bonn. Der Run auf
das Öl heize auch Konflikte und Krieg in Nigeria, Angola und
dem Sudan an.
In der nördlich von Angola gelegenen Exklave Cabinda
verübe die angolanische Armee unbeachtet von der
Weltöffentlichkeit schwere Verbrechen an der
Zivilbevölkerung, um die Ölförderung zu sichern,
berichtete die GfbV. Mit Vergewaltigungen, willkürlichen
Verhaftungen, Folter und Erschießungen werde Aussagen
katholischer Bischöfe und angolanischer Menschenrechtler
zufolge gegen die 300.000 Cabinder vorgegangen. Die
Zivilbevölkerung Cabindas werde in dem Krieg zwischen Armee
und Unabhängigkeitsbewegung zerrieben. Aufgrund der
Ölförderung vor den Küsten Cabindas ist Angola im
Jahr 2004 zum zweitwichtigsten Öllieferanten der USA
geworden.
Die Bevölkerung im ölreichen Nigerdelta Nigerias
verarme trotz steigender Ölförderung immer mehr. Dort
nehme auch die Gewalt immer mehr zu. Die Region befände sich
am Rande eines Bürgerkrieges. Erst am vergangenen Wochenende
hätten die nigerianischen Behörden eine Intervention
der Sicherheitskräfte angekündigt. Diese werde zu
weiteren ethnischen Spannungen und einer Gewalteskalation
führen, befürchtet die GfbV.
In der Russischen Föderation seien die sibirischen
Minderheiten der Chanten, Manzen, Nenzen und die Ureinwohner der
Inseln Sachalin und Kamtschatka - insgesamt knapp 100.000
Menschen - von Schäden durch die Erdöl- und
Erdgasproduktion am stärksten betroffen. Zehn Prozent der
weltweiten Primärenergie kommen aus der Russischen
Föderation. Dort lagern 15,6 Prozent der weltweiten
Reserven, 70 Prozent davon in den von Minderheiten bewohnten
nördlichen Gebieten. In der Region Chanty-Mansi seien 100
Flüsse schwer verseucht und 11.000 Hektar Rentierweiden und
20.000 Hektar Laichgebiete irreparabel zerstört, kritisierte
die GfbV. Im Gebiet Yamal-Nenets könne in 28 Flüssen
und Dutzenden von Seen nicht mehr gefischt werden, 17.000 Hektar
Laichgebiete seien verseucht und mehr als 500.000 Hektar
Wälder und Rentierweiden durch Explorationsarbeiten
zerstört worden. Bis zu zehn Prozent des russischen Öls
gelangt durch Lecks in die Böden und Gewässer.
Von den katastrophalen Folgen der Ölförderung im
Regenwaldgebiet Ecuadors, dem Oriente, seien über 100.000
Angehörige unterschiedlicher indigener Völker
betroffen, schon 30 Prozent des Regenwaldes seien zerstört.
In den letzten Jahren seien aus mehr als 30 Leckagen über
eine halbe Million Barrel Öl in das Flusssystem gesickert.
Diese Verseuchung hätte zu Krankheiten und massivem
Fischsterben geführt.