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Ende der Scheinheiligkeit

Südtirol muss endlich seine eigene Vergangenheit aufarbeiten!

Bozen, 12. September 2003

Die Syinagoge in MeranJede Schuld und Mitschuld an Menschenrechtsverbrechen muss in Erinnerung bleiben. "Selektive" Geschichtsschreibung ist Geschichtslüge. Es ist überraschend, mit welcher moralischer Empörung - zurecht - sich jetzt SVP-Obmann Siegfried Brugger zum Thema Berlusconi/Mussolini zu Wort meldet. Noch vor wenigen Tagen drückte sich Brugger um ein Wort des Bedauerns für die Südtiroler Mittäterschaft am Holocaust herum. Der SVP-Parteiobmann fand kein einziges Wort der Verurteilung der Südtiroler, die sich an Nazi-Verbrechen beteiligt hatten.

Brugger erinnert daran, dass es in Südtirol Todesopfer des Faschismus gab. Die Geschichte beschränkt sich jedoch nicht auf Südtirol. Der Faschismus hat nicht nur in Südtirol eingesperrt, gefoltert und getötet. 1921/22 wüteten italienweit die faschistischen Schlägertrupps; 1929/31 wurden bei der "Rückeroberung" Lybiens bis zu 80.000 Angehörige der Nomadenstämme in der Gebel-Hochebene ermordet. Bei damals insgesamt 800.000 Einwohnern kommt dies laut dem Historiker Giorgio Rochat einem Völkermordverbrechen gleich. Bei der Eroberung und "Befriedung" Äthiopiens (Abessinien) kamen laut Darstellung der äthiopischen Nachkriegsregierung bis zu 730.000 Menschen ums Leben. Gewalttätig ging die faschistische Armee gemeinsam NS-Truppenverbänden während des spanischen Bürgerkriegs gegen die spanische Zivilbevölkerung vor. Teilweise gilt dies auch für die italienische Besetzung des Balkans.

Der Historiker Angelo del Boca kommt in seiner Aufarbeitung der verdrängten faschistischen Kolonialkriege zum Schluß, dass sich Tausende Italiener an Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Obwohl mehr als 1.200 Faschisten auf der UN-Kriegsverbrecherliste standen, kam es zu keiner Verurteilung.

Schon 1994, bei der ersten Berlusconi-Regierung, kündigte der Ministerpräsident eine Neuschreibung der italienischen Geschichte an. Das Parteienbündnis aus Forza Italia, Alleanza Nazionale und Lega Nord kritisierten den Antifaschismus als eine Diktatur des Geistes. Vergangenheitsbewältigung von rechts.

Die in Südtirol praktizierte - auch historische - Nabelschau sollte nicht mit Aufarbeitung der Geschichte verwechselt werden; auch muss endlich Schluß sein mit der ethnischen Geschichtsschreibung, die jeweils nur die Verbrechen der anderen Seite brandmarkt, über die Verbrechen der eigenen Seite jedoch schweigt.

Wenn man bei Südtirol bleibt, darf man nämlich die Opfer der Südtiroler Nazis nicht außer acht lassen. Eine Verurteilung, ein Wort des Bedauerns, eine Geste der Versöhnung ist bis heute nicht erfolgt. Seit 10 Jahren fordert die GfbV, der ermordeten Meraner Juden angemessen zu gedenken und die Südtiroler Täterschaft bei diesen Verbrechen zu verurteilen. Doch die Politik - fast durchwegs Vertreter aus Bruggers Partei - weigert sich hartnäckig: Der Südtiroler Nationalsozialismus wird verschwiegen, man verweigert die Diskussion darüber; man verweigert sogar den Opfern die Anerkennung. Während der NS-Herrschaft zwischen 1943 und 1945 wurden Dableiber, Juden und behinderte Menschen ermordet. Brugger selbst hat vor wenigen Tagen unsere Forderung abgelehnt.

Siegfried Brugger sollte auch einmal erklären, warum Mittäter am Holocaust in seiner Partei unbehelligt politische Karriere machen konnten. Oder warum Leute in seiner Partei mit widerlichen "Zigeunersprüchen" Karriere machen konnten? Stört der Faschismus nur, wenn er italienisch ist?


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030905de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030125de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020126de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010828de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/26-1-dt.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2-00/31-8-dt.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2-00/8-11-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/pogrom-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#shoah

* www: www.vhf.org | www.museodelleintolleranze.it | www.storiaxxisecolo.it | www.deportazione.too.it | www.olokaustos.org

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