Bozen, Göttingen, 24. Oktober 2003
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am
Freitag vor einem übereilten Friedensschluss im Sudan
gewarnt. "Nach 37 Jahren Völkermord und einem gescheiterten
Friedensvertrag von 1972 braucht der Sudan nicht einen schnellen
Frieden, sondern einen gerechten und dauerhaften
Friedensschluss", mahnte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius.
"Wenn nun US-Außenminister Colin Powell aus
innenpolitischen Gründen zu einem Friedensabkommen noch vor
Weihnachten drängt, so kann dies den Friedensprozess
nachhaltig gefährden." Denn ohne eine umfassende
Klärung der noch vielen offenen Fragen sei ein neuer und
noch brutalerer Krieg vorprogrammiert, da beide Konfliktparteien
zuvor ihre bewaffneten Einheiten hochrüsten und neu
strukturieren würden.
Noch sei keine Einigung über die Verteilung der Einnahmen
aus dem Rohölexport erzielt worden, begründete Delius
die Bedenken der GfbV. Der Kampf um die Kontrolle des im
Südsudan geförderten Öls habe in den vergangenen
drei Jahren zu einer Eskalation des Krieges und zur Vertreibung
von mehr als 200.000 Südsudanesen aus der
Ölförderregion geführt. Auch sei die Zukunft von
vier überwiegend von Afrikanern bewohnten Regionen im
mehrheitlich arabisch-muslimischen Nordsudan noch vollkommen
ungeklärt. So hätten die Menschen in den Nuba-Bergen
jahrelang an der Seite der südsudanesischen
Widerstandsorganisation Sudan People's Liberation Army (SPLA)
gegen die Regierung gekämpft. Nun erwarteten die Nuba, dass
sich die SPLA für eine Integration dieser afrikanischen
Siedlungsgebiete in den Südsudan einsetze. Die Regierung
beharre aber auf ihrer Zugehörigkeit zum Nordsudan.
Konflikte seien vorprogrammiert, nachdem sich die SPLA in den
Verhandlungen zu Sicherheitsfragen mit der sudanesischen
Regierung geeinigt habe, ihre bewaffneten Einheiten aus den
Nuba-Bergen abzuziehen. Auch der zwischen Christen, Animisten und
Muslimen umstrittene Status der muslimischen Religion in Politik
und Gesellschaft des Sudan sei in den Friedensverhandlungen noch
nicht abschließend geklärt.
Die Hoffnung der vom Krieg zermürbten Zivilbevölkerung
auf einen dauerhaften Frieden werde nur in Erfüllung gehen,
wenn eine Gesamtlösung für alle bewaffneten Konflikte
in dem Land gefunden werde. "Es ist blauäugig, auf einen
Frieden im Südsudan zu hoffen, während das Morden in
Darfur, im Westen des Sudan, weiter anhält", warnte Delius.
Alle Konflikte seien eng miteinander verwoben und dürften
nicht isoliert betrachtet werden. Weil in den vergangenen
fünf Monaten mehr als 30.000 Menschen vor den
Übergrifffen der sudanesischen Armee und verbündeten
Milizen aus Darfur in den benachbarten Tschad fliehen mussten,
deute wenig darauf hin, dass die sudanesische Regierung ernsthaft
zum Frieden bereit sei. "Zum derzeitigen Friedensprozess gibt es
keine Alternative, aber die internationale Staatengemeinschaft
darf nicht durch übertriebene Eile die Klärung
bedeutender strittiger Fragen behindern", forderte Delius.