Bozen, Göttingen, 7. Oktober 2004
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat vor
dem heute in Hanoi beginnenden ASEM-Gipfel (Asia-Europe Meeting)
an Bundeskanzler Gerhard Schröder und an alle anderen
europäischen Regierungschefs appelliert, sich in Vietnam
für ein Ende der Verfolgung von Christen und Ureinwohnern
einzusetzen. "Dort droht mit dem Inkrafttreten eines
Religionsgesetzes am 15. November die Legalisierung der
Christenverfolgung", warnte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius.
Dies sei eine alarmierende Entwicklung. Der Ausbau der
Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Asien dürfe
keinen Vorrang vor Menschenrechtsfragen haben. Der ASEM-Gipfel in
Hanoi ist die zweite Station der Asienreise von Bundeskanzler
Schröder.
Das neue Religionsgesetz werde die Verfolgung vor allem der
offiziell nicht anerkannten und deshalb im Untergrund
tätigen protestantischen Hauskirchen noch weiter
erleichtern. Denn das Gesetz sehe vor, dass nur Gläubige
staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften ihren Glauben
praktizieren dürften. Auch dabei gebe es zahlreiche
Einschränkungen. Erst in der vergangenen Woche hatten sechs
Pastoren der Hauskirchen öffentlich gegen das neue Gesetz
protestiert und die Regierung in einer von 50 führenden
Persönlichkeiten der Hauskirchen unterzeichneten Petition
aufgefordert, allen Gläubigen Religionsfreiheit zu
garantieren. Regelmäßig werden Protestanten,
Katholiken und Buddhisten aufgrund ihres Glaubens von den
Behörden eingeschüchtert, mit Bußgeldern belegt,
verhaftet und gefoltert.
Unter dem neuen Religionsgesetz werden auch die Ureinwohner
leiden, befürchtet die GfbV. Sie werden sowohl aufgrund
ihres christlichen Glaubensbekenntnisses als auch wegen ihrer
Forderung nach mehr Rechten für die indigenen Völker
verfolgt. Rund zwei Drittel der eine Million Protestanten in
Vietnam sind Ureinwohner. Artikel 8 des neuen Gesetzes schreibt
vor, Religion dürfe nicht missbraucht werden, um Streit
zwischen ethnischen Gruppen zu provozieren. Dies sei eine
Klausel, die bereits gegen die indigenen Völker angewandt
werde, berichtete die GfbV. Berechtigte Forderungen der
Ureinwohner nach Rückgabe ihres für Kaffeeplantagen
genutzten Landes würden von der Regierung mit der
Begründung zurückgewiesen, sie gefährdeten das
friedliche Zusammenleben der Ethnien.
Siedler aus dem Tiefland haben sich mit Unterstützung der
Regierung in den vergangenen zehn Jahren weite Gebiete des von
Ureinwohnern bewohnten Hochlandes in Zentralvietnam angeeignet,
um dort Kaffee anzubauen. Vietnam ist zweitwichtigster
Rohkaffeelieferant Deutschlands. Im Jahr 2003 ist die
Kaffeeproduktion in Vietnam erneut um zehn Prozent auf 790.000
Tonnen gesteigert worden.