Bozen, 9. Mai 2005
Der mit
10.000 Euro dotierte Alexander-Langer-Preis geht in diesem Jahr
an Irfanka Pasagic. Im Rahmen der heutigen Pressekonferenz hat
Helmuth Moroder, Präsident der Fondazione Alexander Langer
Stiftung, im Beisein der Gastrednerin Vesna Terselic, Vertreterin
des Verona Forums und Mitbegründerin der Antikriegskampagne
Zagreb die Preisträgerin gekannt gegeben. Der
unabhängige Wissenschafts- und Garantiebeirat der
Alexander-Langer-Stiftung hatte Pasagic einstimmig am 22.1.2005
zur Preisträgerin gewählt worden.
1953 in Srebrenica geboren, studierte Irfanka Pasagic
zunächst in Sarajewo und Zagreb, wo sie sich auf Psychiatrie
spezialisierte, bevor sie in ihre Heimatstadt zurückkehrte,
um dort zu arbeiten. Sie wurde deportiert, als im April 1992 die
ersten ethnischen Säuberungen durchgeführt wurden, die
im Völkermord um Srebrenica gipfeln sollten, und erreichte
nach erheblichem Leid mit einigen Tausenden Vertriebenen die
bosnische Stadt Tuzla.
Hier gründete sie mit der Unterstützung des seit 1993
aktiven internationalen Netzwerks "Ponti di donne tra i confini",
das aus dem gemeinsamen Einsatz einiger engagierter Frauen von
"Spazio Aperto" aus Bologna und aus Ex-Jugoslawien geboren wurde,
"Tuzlanska Amica". Mit der Unterstützung einiger
Organisationen der Emilia Romagna und Ligurien konnte das Zentrum
in den vergangenen Jahren Fernadoptionen für weit mehr als
850 Kinder vermitteln. "Tuzlanska Amica" ist eines der wenigen
Zentren, die traumatisierten Frauen, Kindern und Männern
psychologische und medizinische Hilfe, sowie soziale und
rechtliche Beratung leisten.
Doch mit den Fernadoptionen wird nicht bloß wertvolle
finanzielle Hilfe gesammelt und verteilt. Die Adoptiveltern
werden ständig über körperliche und seelische
Verfassung, persönliche und schulische Fortschritte
informiert. Sie werden ermutigt, ihre Schützlinge in Tuzla
zu besuchen oder sie auf einen Erholungsurlaub zu sich
einzuladen. Mithilfe der niederländischen Organisation "Mala
Sirena", konnte Irfanka Pasagic ein weiteres ihrer wichtigen
Vorhaben verwirklichen: sie gründete eine mobile
Hilfsgruppe, die unter den über 250.000 Flüchtlingen,
die auf dem Land zwischen Tuzla und Srebrenica verstreut in
oftmals sehr prekären Verhältnissen leben, jene
aufsuchen und betreuen, die im Verborgenen leben, aber oft am
Schwersten betroffen sind. Nach einer ersten humanitären
Hilfeleistung prüft die Gruppe, ob in der Familie auch
besonders empfindsame Mitglieder leben, die eine zusätzliche
psychologische Betreuung erfahren sollen.
Irfanka Pasagic arbeitet auch am Projekt "Promoting a Dialogue:
Democracy cannot be built with the hands of broken souls", das
den interethnischen Dialog mit dem Ziel fördert, das
"verschwörerische Schweigen" zu brechen. Denn Schweigen
trägt maßgeblich dazu bei, dass sich Traumata und
Konflikte von Generation zu Generation wiederholen. Das Projekt
steht unter der Leitung Yael Danielis, eine in New York lebende
Psychologin und Traumatologin, die als Beraterin der UNO
tätig war und in verschiedenen Ländern, wie z.B.
Rwanda, Untersuchungen durchführte. Unter demselben Zeichen
steht Pasagics Zusammenarbeit mit dem Verein "Women of
Srebrenica" und vielen anderen Menschen, darunter auch Vjosa
Dobruna aus dem Kosovo und Natasa Dobruna aus Belgrad,
Alexander-Langer-Preisträgerinnen 2000, deren Arbeit auch
auf diesen Bereich fokussiert ist.
Die Vertriebene Pasagic hat es vom Beginn ihrer Tätigkeit an
verstanden, den Flüchtlingen eine angemessene Hilfeleistung
zu bieten und sich durch Sensibilität und Überlegtheit
hervorgehoben. Sie ließ den NGOs ständige
Aufmerksamkeit zukommen (indem sie sich beispielsweise im Rahmen
der Frauenhilfsprojekten dafür einsetzte, dass auf die
Kinder nicht vergessen werde und die Notwendigkeit geeigneter
Hilfseinrichtungen auch für Männer aufzeigte), schob
stereotyper Rhetorik einen Riegel vor und sparte auch in den
eigenen Reihen nicht mit Kritik. Begriffe, wie "Serben",
"Kroaten", "Bosniaken" finden in ihrer Sprache kaum Verwendung.
Jeder einzelne Mensch, so Pasagic, hat seine Tat selber zu
verantworten. Tausende Schreckensgeschichten hat sie
angehört, in den vielen Jahren, die sie nun schon mit
traumatisierten Frauen und Kindern arbeitet. Doch, nachtragend
sind ihre Worte nie, selbst dann nicht, wenn sie von den Menschen
spricht, die ihr Haus besetzten. "Bestimmt sind sie auch
vertrieben worden", erklärt Pasagic.
Wird sie gefragt, wie die Lage in Bosnien sei, so antwortet sie:
"Komm her, schau's dir an". Gespannt wartet sie dann auf die
Eindrücke ihrer Gäste oder der jungen Freiwilligen, die
sie unterstützen, unermüdlich geht sie auf die vielen
Fragen ein und nimmt die Betroffenheit der besonders Empfindsamen
wahr. Mit diesem Preis will die Stiftung die notwendige Reflexion
über den Völkermord in Srebrenica anregen und im Geiste
Alexander Langers Weg beschreiten, der in ihm die
Überzeugung erstarken ließ, für ein
interethnisches Tuzla einzutreten.
Er wird Irfanka Pasagic am 1. Juli 2005 im Rahmen des
Internationalen Festivals Euromediterranea überreicht.
Irfanka Pasagic: c/o Tuzlanska Amica, Hasana Kikica, 1, 75000 Tuzla (BiH) tel. 00387 75 256014 fax 312321 Mail: tz-amica@bih.net.ba