Bozen, 30. November 2005
Es mutet mehr als seltsam an, wenn die Freiheitlichen einen
vorurteilsfreien und ehrlichen Dialog mit "Vertretern des
jüdischen Glaubens" ankündigen. Wer soll vorurteilsfrei
und ehrlich diskutieren? Wer hat es nötig, endlich
vorurteilsfrei zu werden - die "Vertreter des jüdischen
Glaubens" oder die Freiheitlichen?
Im Oktober 2002 textete die freiheitliche Landtagsabgeordnete
Ulli Mair zur Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit und des
millionenfachen Mordes an den jüdischen Europäern: "Es
ist unbestritten, dass eine Aufarbeitung der Geschichte und der
zu unrecht begangenen Gräueltaten an den Juden notwendig
ist. Die muss jedoch, in Anbetracht der jahrzehntelangen
Propaganda, zur Genüge erfolgt sein." Die Shoah, zu "unrecht
begangene Gräueltaten". Die Aufarbeitung dieses
industriellen Völkermordes nur das Produkt einer
"jahrzehntelangen Propaganda"? Ulli Mair forderte außerdem,
daß "endlich Schluss gemacht werden müsse mit
Schuldzuweisungen aus der Vergangenheit, wo immer nur die Juden
als Opfer dargestellt würden". Mair nennt die Shoah "falsche
Aktionen" der Vorfahren, die aber "für das eigene
Überleben notwendig" gewesen seien. Um ihre Kritik am
Denkmal für die Südtiroler Opfer des Holocaust zu
betonen, ergänzte Mair auch noch ein Lieblingsmotiv
rechtsextremer Ideologie hintan und verkündete, dass "die
Juden überall Machtpositionen inne haben, vor allem in den
USA". Das von der Weltherrschaft der Juden behaupteten auch schon
die Nazis. Das ist reinster Antisemitismus - auch wenn die
Freiheitlichen unsere Kritik damals entrüstet
zurückwiesen; Mair pflegt radikale Vorurteile, sie kann
deshalb keinen ehrlichen Dialog mit "Vertretern des
jüdischen Glaubens" führen. Die Ankündigung eines
solchen Dialogs möchten wird aus diesem Grund so verstehen,
dass Mair und die Freiheitlichen ein gründlichen Umdenken
bekannt geben und sich für die Ausfälle von damals
entschuldigen.
Die Südtiroler Freiheitlichen sind eine Kopie der
österreichischen Freiheitlichen, die seit ihrer
Gründung ein Sammelbecken von Alt-Nazis waren. Ein
vorurteilsfreier und ehrlicher Dialog ist nur dann möglich,
wenn sich die Freiheitlichen auch von ihrer Parteigeschichte
distanzieren. Zudem sollten sich die Freiheitlichen bei der
jüdischen Kultusgemeinde in Meran für die von
Südtiroler begangenen Verbrechen an Meraner Juden
entschuldigen. Im KZ-System des Dritten Reichs wurden auch
Meraner Juden ermordet, die von den Südtiroler Nazis vom
Ordnungsdienst an den SS-Sicherheitsdienst ausgeliefert wurden.
Ein gern verdrängter und vergessener brauner Fleck in der
Südtiroler Geschichte. In Meran plünderten die Nachbarn
die Wohnungen der jüdischen Bürger, deren Eigentum
wurde "arisiert". Die Meraner Shoah-Überlebenden erhielten
keine Wiedergutmachung, weder von der italienischen Republik noch
vom autonomen Südtirol. In Bozen errichteten die Nazis an
der heutigen Reschenstraße ein "Durchgangslager", indem
mehr als 11.000 Häftlinge auf ihre Deportation in die KZ
warten mussten. Die Brutalitäten im "Durchgangslager",
verübt auch von Südtirolern, beschäftigen heute
noch die Gerichtsbarkeit. Bis heute steht eine offizielle
Entschuldigung dafür aus, auch in der offiziellen
Geschichtsschreibung wurde dieses Kapitel bisher nicht
aufgearbeitet. Während in Deutschland und Österreich
Spitzenpolitiker sich für den Völkermord der Nazis an
den Juden entschuldigten, blieb dies in Südtirol bis heute
bedauerlicherweise aus.