Von Ulrich Delius
Nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 drohte vielen
Seenomaden im Süden Thailands und Burmas das Aus. Zwar
hatten die meisten Ureinwohner die Flutwellen überlebt, weil
sie das Meer seit Generationen kennen und die Warnzeichen der
Natur richtig deuteten. So brachten sie sich rechtzeitig auf
Anhöhen in Sicherheit. Auf den Surin-Inseln in Thailand
retteten Seenomaden sogar von ihren Langbooten aus viele
Touristen vor dem Ertrinken.
Doch nach der Flutkatastrophe drohte vielen Seenomaden-Gruppen,
die vor den Küsten Thailands und Burmas leben, der
Untergang. Denn vielerorts hatten die Flutwellen ihre Boote
zerstört, auf denen diese "Menschen der Meere" traditionell
einige Monate des Jahres leben und fischen. Mit der
Zerstörung ihrer Boote verloren sie nicht nur ihre
Einkommensquelle, sondern auch ihre Identität. Denn das Meer
steht traditionell im Zentrum ihres Lebens. 5.000 "Menschen der
Meere" leben entlang der Küsten Burmas, Thailands,
Indonesiens und der Philippinen.
Einer dieser in ihrer Existenz bedrohten Seenomaden-Gruppen hat
die Gesellschaft für bedrohte Völker sehr wirksam
helfen können. Die Großfamilie der "Seeelefanten",
eine Gemeinschaft von rund 70 Personen auf der Insel Ko Phi Phi
nahe dem thailändischen Urlaubsort Phuket, hatte alle ihre
Boote und ihre am Strand errichteten Pfahlhäuser in der
Naturkatastrophe verloren. Die Überlebenden waren monatelang
traumatisiert. Jeden Abend zogen sie sich auf Anhöhen im
Landesinnern zurück, da sie Angst hatten, die Küste
könnte erneut von einer Flutwelle heimgesucht werden.
Tatsächlich hat es seit dem Seebeben mehr als 400 Nachbeben
gegeben.
Den Ureinwohnern drohte die Zerstörung ihrer Kultur und
Identität. Denn traditionell leben die "Seeelefanten" nicht
nur vom Fischfang und dem Tauchen nach Muscheln, sondern das Meer
steht auch im Zentrum ihrer Kultur. Das Meer ist für sie
Nahrung, Medizin, Haus, Freund und Heimat des Gottes ihrer Ahnen.
Wenn ein Kind geboren wird, werfen sie die Nabelschnur ins Wasser
und vergraben die Plazenta am Strand, damit ihre Ahnen das
Neugeborene sein ganzes Leben lang beschützen.
Die großen Hilfsorganisationen und die thailändischen
Behörden interessierten sich lange nicht für das
Schicksal der "Menschen der Meere", die in der
thailändischen Öffentlichkeit als
"rückständig" gelten. Gemeinsam mit dem
Düsseldorfer Fotograf Markus Bullik initiierten wir ein
Hilfsprojekt für die 27 Familien. Dank der
Unterstützung der österreichischen GfbV gelang es uns,
60.000 Euro für den Bau neuer Boote zu sammeln. Bei einem
Besuch bei den Seenomaden im August 2005 konnte sich Markus
Bullik davon überzeugen, wie wirksam unsere Hilfe war.
Niedergeschlagenheit waren Freude und Lebensmut gewichen.
Aufgrund der Spenden aus Europa verfügen heute wieder alle
Familien der Seeelefanten über Boote, mit denen sie ihre
traditionelle Lebensweise fortsetzen können.
Aus pogrom-bedrohte Völker 234 (6/2005)