Von Theodor Rathgeber
Bozen, Göttingen, Mai 2008
"Australien war vor der europäischen Eroberung ein
unbewohntes, leeres Land": Diese rechtliche Fiktion der
sogenannten "terra-nullis-Doktrin" hat sich bis in die 1970er
Jahre gehalten. Damals setzte die Labour-Regierung im Northern
Territory, einem unter Bundesverwaltung stehenden Landesteil,
eine Landrechtsreform in Gang. Streiks von Aborigine-Arbeitern um
gleiche Löhne und gleichen Zugang zu höheren
Lohngruppen Ende der 1960er Jahre waren in eine Protestbewegung
umgeschlagen, die insgesamt Gerechtigkeit für die Aborigines
und damit auch Landrechte forderte. Da ihr
Bevölkerungsanteil im Northern Territory traditionell hoch
und somit wahlbedeutend ist, erließ die Labour-Regierung
1976 eine umfassende Landrechtsgesetzgebung (Aboriginal Land
Rights (Northern Territory) Act).
Den Durchbruch markierte 1992 das Mabo-Urteil des Obersten
Gerichtshofes. Höchstrichterlich wurde festgestellt, dass in
ganz Australien spezifische Besitzrechte der Aborigines
existieren, die geltend gemacht werden können, wenn die
Kläger die traditionelle Nutzung des eingeforderten Landes
nachweisen. Das Urteil bezog sich auf Landstücke in
öffentlichem Besitz. Eine zweite Entscheidung des Obersten
Gerichtshofes (Wik-Urteil) räumte den Aborigines 1996
darüber hinaus einen Anspruch grundsätzlich auch auf
Land von privaten Pächtern ein. Der Besitzstandswahrung der
Pächter etwa für Weideland sollte im Streitfall zwar
größeres Gewicht beigemessen werden, aber der Zugang
etwa zu heiligen Stätten oder traditionellen Jagd- und
Fischfanggebieten stand den Aborigines jetzt zu. Es wurden
ausgeklügelte Verfahren entwickelt, um Streitfälle im
Konsens lösen zu können.
Die Freude auf Seiten der Aborigines trübte sich schnell. Im
Juli 1998 verabschiedete das Parlament ein Ergänzungsgesetz
zum 1993 verabschiedeten Native Title Act, das den
Landrechtsanspruch wieder beschnitt. Es tastete zwar den
grundsätzlichen Anspruch auf traditionelle Landrechte nicht
an, verfügte jedoch, dass im Streitfall die Aborigines nur
noch dann selbst die Verhandlungen führen könnten, wenn
es sich um ungenutztes Staatsland handelte. Bei genutztem
Staatsland (etwa als Park oder verpachtete Weide), lag die
Verhandlungsführung bei der Regierung. Teilweise sollten die
Aborigines nur noch konsultiert, die Interessenabwägung also
ohne direkte Beteiligung der Betroffenen vorgenommen werden. Mit
dieser Entscheidung läutete die Regierung Howard (1996-2008)
für die Aborigines eine lange Eiszeit, nicht nur in Sachen
Landrechte, ein.
Australiens Premierminister John Howard betrachtete die
unveräußerlichen Kollektivrechte am Land - d.h. Land
im Eigentum der Gemeinschaft - als Entwicklungshindernis, das
durch die Privatisierung des Landbesitzes zu beseitigen war. Er
dachte darüber nach, die Überführung von
gemeinschaftlichem in privates Eigentum gesetzlich zu erzwingen.
Ab dem Jahr 2005 gab John Howard dann aber ‚freiwilligen'
Maßnahmen den Vorzug, wobei dieser Strategiewechsel nicht
ganz aus freiwilligen Stücken zustande kam. Der UN-Ausschuss
zur Überwachung des Abkommens zur Überwindung von
Rassismus und rassisch motivierter Diskriminierung (englische
Abkürzung UN-CERD) hatte der Regierung in dieser
Angelegenheit mehrfach die rote Karte gezeigt.
So plante die Regierung Howard, die Unveräußerlichkeit
des Gemeinschaftslandes mit einer Erbpachtregelung über 99
Jahre zu umgehen. De jure sollte es Gemeinschaftseigentum
bleiben, de facto könnten privatrechtliche
Nutzungsverträge mit Individuen, Unternehmen oder der
Regierung abgeschlossen und das Land, so Premierminister John
Howard, in den wirtschaftlichen und politischen Mainstream
zurückgeholt werden. Der erste Versuch war im Northern
Territory vorgesehen. Neu zu gründende
Gemeindeausschüsse sollten mit den traditionellen Eignern
und Landrechtskomitees der Aborigines die Pachtverträge
aushandeln. Der Nießnutz der Erbpachtregelung würde
auf den Gemeindeausschuss übergehen, der privatrechtliche
Nutzungsverträge mit den Interessenten abgeschlossen
hätte. Es sollte möglich sein, ganze Siedlungsgebiete
privaten Nutzern zu überlassen. Die jährliche
Pachtzahlung würde maximal fünf Prozent des
Verkehrswerts des Landes betragen.
Unwillige Aborigine-Gemeinschaften sollten mit
funktionsfähigen sozialen Dienstleistungen geködert
oder mit der Drohung gefügig gemacht werden, vorhandene
Leistungen wegen Unwirtschaftlichkeit aufzugeben. Dies hätte
insbesondere Siedlungen mit weniger als 100 Gemeindemitgliedern
betroffen. Im Übrigen handelte es sich um Dienstleistungen
wie zum Beispiel kostenlose Gesundheitsversorgung und soziale
Unterstützung, die Aborigines rechtlich zustehen und
australischen Staatsbürgern in anderen Gegenden problemlos
zugänglich sind. Ohne solche Dienstleistungen hätten
die kleinen Gemeinschaften kaum eine Überlebenschance
gehabt, und die Familien wären wohl abgewandert; so hatte
die Regierung es sich vorgestellt.
John Howard wurde inzwischen abgewählt, aber seine
Pläne finden auch in der Labour-Partei, die jetzt die
Regierung stellt, Anklang. Der Aborigine-stämmige
Parteiführer Warren Mundine teilt die Ansicht, dass
gemeinschaftliches Eigentum wirtschaftliche Entwicklung
behindert; und er ist nicht der einzige prominente Aborigine, der
so denkt. Die Gefahr für Aborginie-Landrechte, die zurzeit
etwa 20 Prozent der Landmasse Australiens umfassen, ist also
nicht gebannt. Es handelt sich überwiegend um trockene,
karge, wenig fruchtbare Landstriche oder Küstenstreifen.
Dort lebt nach wie vor ein gutes Drittel der rund 470.000
Aborigines, die ihre Identität unmittelbar aus dem
gemeinschaftlichen Besitz an Land und Fischgründen
beziehen.
Beistand leistet den Aborigines einmal mehr ein Gericht. Das
oberste Landesgericht des Bundesstaates Western Australia sprach
den Angehörigen der Nyoongar im September 2006 den Anspruch
auf Land in der Landeshauptstadt Perth zu. Das Gericht befand,
die Nyoongar hätten für einen dortigen Park eine
kulturell bedingte, dauernde Verbindung hinreichend glaubhaft
gemacht und seien insofern berechtigt, den Landtitel zu
beanspruchen. Ob dieser Richterspruch Bestand hat, ist jedoch
ungewiss. Regierung und Bundesanwaltschaft legten umgehend
Berufung ein. Der Oberste Gerichtshof hatte 2002 (Yorta
Yorta-Urteil) den Nachweis der fortgesetzten, kulturellen
Inanspruchnahme von Land in dicht besiedelten Gebieten wie einer
Großstadt eigentlich ausgeschlossen. Möglichweise
besinnt sich der neue Ministerpräsident Kevin Rudd aber auch
darauf, dass die Entschuldigung zwar eine wichtige Geste gewesen
ist, die aber verpufft, wenn die Essenz der indigenen
Lebensführung nicht gesichert wird.
Aus pogrom-bedrohte Völker 247 (2/2008).