Bozen, 8. September 2000
Inhalt
200 Jahre Vertreibung und Völkermord | Die "gestohlenen Generationen" | Elend und Arbeitslosigkeit | Landrechte der Aborigines massiv bedroht | So hilft die GfbV
In wenigen Tagen werden in Sydney die 27. Olympischen Sommerspiele eröffnet. Im Zeichen der Völkerverständigung werden Sportler aus aller Welt das Miteinander der Kulturen vorleben, denn der Olympische Gedanke will die "Entstehung einer friedlichen, um die Wahrung der Menschenwürde bemühten Gesellschaft fördern".
Doch von diesem Ideal ist das Gastgeberland Australien weit entfernt. 1996 kam die liberal-konservative Regierung von John Howard dort an die Macht. Seitdem stockt der 1991 eingeleitete Prozess der Versöhnung mit den Ureinwohnern des Kontinents, den Aborigines. Massiv reduzierte die Regierung Howard das Budget und die Kompetenzen des halbstaatlichen Selbstverwaltungsorganes der Aborigines, der "Aboriginal and Torres Strait Islander Commission" (ATSIC). 1998 setzte sie den Großteil der bis dahin anerkannten Landrechtsansprüche der Aborigines außer Kraft. Wegen dieser und anderer diskriminierender Praktiken wurde Australien 1999 und im März 2000 als erstes westliches Land vom Expertenkomitee der Vereinten Nationen für die Abschaffung rassistischer Diskriminierung scharf gerügt.
Die Aborigines haben die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) dazu aufgerufen, anläßlich der Olympischen Spiele die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Verletzung ihrer Rechte zu lenken. Sie selbst haben im Victoria Park in Sydney am 14. Juli 2000 eine Zeltbotschaft errichtet. Dort wollen sie während der Olympischen Spiele über die Menschenrechtsverletzungen in Australien informieren. Mit strengen Auflagen versucht die Stadtverwaltung allerdings immer wieder, diese Zeltbotschaft zu verhindern.
200 Jahre Vertreibung und Völkermord [ top ]
"Aborigines" ist der Sammelbegriff für die
Ureinwohner-Gemeinschaften Australiens, die heute mit ca. 380.000
Angehörigen zwei Prozent der Gesamtbevölkerung
ausmachen. Als Großbritannien 1788 seine erste
Strafgefangenenkolonie auf dem 5. Kontinent gründete, lebten
dort nach Schätzungen noch etwa 750.000 Aborigines. Doch die
"Terra Nullius (Niemandsland-) Doktrin" erklärte das Land
für unbewohnt. Die Treibjagd auf Aborigines begann. 1830
hatten gerade 80.000 überlebt. Erst 1992 wurde diese Doktrin
in einem Urteil des Obersten Gerichtshofes Australiens für
nichtig erklärt.
Vertreibungen durch Viehzüchter oder Bergbauunternehmen und Zwangsumsiedlungen, z.B. im Zuge der britischen Atombombentests zwischen 1953 und 1963, haben die Aborigines immer mehr ins Abseits gedrängt. Nur wenigen ist es heute noch möglich, wie ihre Vorfahren Nahrung zu sammeln und zu jagen. Die meisten leben in den Bundesstaaten Northern Territory, Queensland und New South Wales. Hinzu kommen die Torres Strait Islanders, die auf den gleichnamigen inseln in der Meerenge zwischen Australien und Papua Neuguinea leben.
Die "gestohlenen Generationen" [ top ]
Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung
von Völkermord (1948) bezeichnet die "gewaltsame
Überführung von Kindern einer Gruppe in einer andere
Gruppe" als Völkermord. Australien hat diese Konvention
unterzeichnet. Trotzdem wurden den Aborigine-Gemeinschaften bis
in die jüngste Vergangenheit hinein zwangsweise ihre Kinder
entzogen. Der 1997 veröffentlichte Bericht einer staatlichen
Untersuchungskommission geht von 100.000 Angehörigen dieser
"stolen generations" aus. Bevorzugt Kinder aus Verbindungen mit
Weißen wurden ohne Zustimmung ihrer Angehörigen zur
Adoption freigegeben oder in staatliche wie kirchliche
Institutionen verbracht, um sie von ihrer Aborigine-Kultur zu
entfremden. Auch die Aborigine-Leichtathletin Cathy Freeman wurde
zwangsadoptiert und leidet nach eigenen Angaben bis heute unter
diesem Trauma. Die geraubten Kinder verloren jeden Kontakt zu
ihren Angehörigen und zu ihrer Tradition. Oft wurden sie
misshandelt, sexuell missbraucht, als billige Arbeitskräfte
ausgenutzt. Dennoch haben australische Gerichte die beiden ersten
Klagen von Kindesraub-Opfern auf Wiedergutmachung abgewiesen: Der
Sachverhalt sei nicht mehr eindeutig zu klären.
Elend und Arbeitslosigkeit [
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Die Armut unter Aborigines ist auffällig. Ihre
Lebenserwartung liegt mit 62 bei Frauen und 57 bei Männern
etwa 20 Jahren unter dem Landesdurchschnitt. Aufgrund der Armut
leiden viele Kinder unter Mangelernährung. Andernorts
längst verschwundene Elendskrankheiten wie Lepra und das
Trachom, ein ansteckendes Augenleiden, das zur Erblindung
führt, sind unter den Ureinwohnern häufig. 13 Prozent
der Aborigine-Kinder besuchen nie eine Schule, 50 Prozent brechen
sie ohne Abschluss ab. In weiterführenden Schulen, die in
den ländlichen Gebieten oft mehr als 100 km vom Wohnort der
Schüler entfernt sind, oder an Universitäten ist ihr
Anteil verschwindend gering. Entsprechend hoch ist die
Arbeitslosigkeit mit gebietsweise sogar über 50 Prozent.
Auch für Bagatelldelikte werden Aborigines häufig zu Haftstrafen verurteilt, weil sie die alternativ dazu verhängten Geldbussen nicht aufbringen können. Aborigine-Jugendliche stellen z.B. 69 Prozent der Gefangenen im Jugendstrafvollzug des Bundesstaates Northern Territory, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung unter zwei Prozent liegt. Im Juli 2000 hat das UN Komitee für die Abschaffung rassistischer Diskriminierung auch das australische Strafgesetzbuch kritisiert.
Landrechte der Aborigines massiv bedroht [ top ]
Vom "Versöhnungsprozess" fühlen sich die Aborigines
mittlerweile eher verhöhnt. Durch das "Native Title
Amendment"-Gesetz von 1998 stieß die Regierung Howard zwei
frühere Landrechtsurteile um, welche die Aborigines
begünstigt hatten. Mit einem Schlag wurden alle
Landrechtsansprüche der Aborigines gegenüber den
Ansprüchen weißer Rancher und Unternehmer für
zweitrangig erklärt. In der Folge davon wurde Yvonne
Margarula, Sprecherin der Mirrar-Aborgines und Inhaberin des
Landtitels über das Gebiet, auf dem die Jabiluka Uranmine
entstehen soll, deshalb verhaftet, weil sie sich durch die
gewaltlose Besetzung der Baustelle wehrte. Das Land der Mirrar
liegt wie eine Insel inmitten des Kakadu Nationalparks, der auf
der Welterbe-Liste der UNESCO steht. Auch andernorts kommt es
immer wieder zu Konflikten um Aborigine-Land, das von
Weißen okkupiert wurde.
So hilft die GfbV [ top
]
Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich die Gesellschaft
für bedrohte Völker für die Ureinwohner
Australiens ein. Schon 1979 machten wir mit einem Buch ihren
Kampf gegen Landraub und Uranabbau bekannt. Seitdem haben wir die
Aborigines mit unserer Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit
kontinuierlich unterstützt, zuletzt mit einer
großangelegten Postkartenkampagne für die Erhaltung
des Kakadu Nationalparks.
Im Rahmen unserer neuen Kampagne fordern wir jetzt: