In: Home > DOSSIER > Minority Safepack: FUEV trickst die EU-Paragrafen-Reiter aus
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Wolfgang Mayr
Bozen, 3. Juli 2017
Roma in dem rumänischen Dorf Frumusani. Der Minority Safepack enthält auch Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Minderheiten. Vor allem die Roma brauchen diesen Schutz. Denn sie leben oft am Rand der Gesellschaft, egal, wo sie beheimatet sind. Foto: Dominic Chavez/World Bank BY-NC-ND 2.0.
Der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen
(FUEV) ist ein großer Wurf gelungen: Mit einer
Bürgerinitiative wird die EU-Kommission aufgefordert, den
Schutz nationaler und sprachlicher Minderheiten zu verbessern
sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union zu
stärken. Eine Million Unterschriften müssen dafür
gesammelt werden, in sieben EU-Mitgliedsländern. Bis April
2018. Anlässlich des FUEV-Kongresses in Klausenburg im
rumänischen Siebenbürgen im Mai 2017 wurde die
Unterschriften Kampagne gestartet. Der Weg bis zum
Kampagnenauftakt war ein bürokratisches und juristisches
Hürden laufen.
Kongressorganisator Kelemen Hunor von der Demokratischen Allianz
der Ungarnin Rumänien (RMDSZ) sagte beim Kampagnenstart:
„Wir haben Recht und wir tun, was rechtens ist.“
Hegedüs Csilla vom RMDSZ rief dazu auf, Bündnispartner
zu suchen, um die EU-Staaten für Minderheitenrechte zu
gewinnen. Getragen wird die FUEV-Kampagne von einem
Bürgerkomitee, wie es der Lissaboner EU Vertrag
vorsieht.
Angestoßen wurde die Initiative Minority Safepack unter dem
Leitmotiv „Du bist nicht allein. Eine Million
Unterschriften für die Vielfalt Europas“ 2011 auf dem
FUEV-Kongress in Eisenstadt im österreichischen Bundesland
Burgenland. Im Januar 2013 fand im Europaparlament auf Initiative
des Europaparlamentariers Iulu Winkler, der der ungarischen
Minderheit in Rumänien angehört, eine Anhörung zum
Minority Safepack statt. Fachleute wie der Südtiroler
Gabriel Toggenburg von der Europäischen Grundrechteagentur
in Wien, oder der Kärntner Günther Rautz von der
Europäischen Akademie in Bozen bezeichneten den Safepack als
„wohl begründet und inhaltlich solide“. Die
Kampagne ist nur dann erfolgreich, wenn sich alle Minderheiten in
der EU solidarisch an der Aktion beteiligen, warb Winkler
für ein breites Bündnis zwischen kleinsten
Sprachgruppen mit dürftigen Rechten und Minderheiten, die
ihre Regionen autonom verwalten können. Safepack ist
für Winkler ein Langzeitvorhaben. Der Werdegang
bestätigt seine Aussage.
Im Mai 2013 wurde in Siebenbürgen das Bürgerkomitee
gegründet, das die Bürgerinitiative auf dem Weg bringen
soll. Im Juni 2013 wurde das „Paket“ mit
Maßnahmen für einen EU-Minderheitenschutz
geschnürt, auf dem FUEV-Kongress in Brixen, im autonomen
Südtirol in Italien. Zu den Autoren zählen der
FUEV-Berater Frank de Boer und weitere Anwälte. Das Paket
enthält elf Maßnahmen zu Bildung und Kultur,
Gleichheit, Regionalpolitik und politische Teilnahme.
Das Bürgerkomitee übergab das wohl begründete
und inhaltlich solide Minority Safepack im Juli 2013 der
EU-Kommission. Mit der Hoffnung, dass die Initiative registriert
wird, dass die Kommission ihr Okay für die
Unterschriftensammlung gibt. Doch sie sprach sich gegen die
Initiative aus. Begründung: Das Minderheiten Paket liege
„außerhalb des Kompetenzrahmens der EU“. Die
Artikel 2 (Minderheiten) und 3 (kulturelle und sprachliche
Vielfalt) des Lissaboner Vertrages verpflichte die EU nicht zum
Minderheitenschutz.
Der damalige FUEV -Präsident Hans Heinrich Hansen
kritisierte diese Entscheidung: „Sie ist im Widerspruch zum
europäischen Gedanken, sie komme jenen zugute, die
Minderheiten ausgrenzen“. „Wir lassen uns von der
Kommission nicht gängeln“, forderte Hansen zum
Einspruch gegen die Entscheidung auf. Ein Treffen zwischen FUEV
und EU-Kommission sowie Vertretern der Intergruppe für
nationale Minderheiten im Europäischen Parlament brachte
keine Annäherung. Im Gegenteil, die von der und ihres
Bürgerkomitees angestoßene Initiative ist nicht
EU-tauglich, beharrte der Kommissionsvertreter. Nils Torvald,
Abgeordneter der schwedischen Minderheit in Finnland, sprach
deshalb von einer Schande, von einem extrem formalistischen und
technokratischen Vorgehen. Der Vorsitzende der Intergruppe Csaba
Tabajdi befand, auf diese Weise mache die Kommission die
europäische Bürgerinitiative zu einem nutzlosen
Instrument.
Die FUEV ging in die Offensive. Ihr Bürgerkomitee, das
Basisinstrument der FUEV, wandte sich im Dezember 2013 mit einer
Klage an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Im
Februar 2015 lud das Europaparlament zu einer weiteren
Anhörung ein. Dieses Mal ging es um das Instrument
Bürgerinitiative. Die FUEV wehrte sich dagegen, dass aus
juristischen Überlegungen unbequeme Initiativen gekippt
werden.
Erst im September 2016 behandelten die europäischen
Richter die FUEV-Klage. Während der Anhörung wurde
klar, dass die Minority-Safepack-Vorschläge EU-konform sind
und die begründete Ablehnung durch die Kommission nicht
haltbar ist. Tatsächlich, die EU-Richter bezeichneten die
Ablehnung sogar als rechtswidrig. „Es ist ein Tag des
Sieges für die autochthonen nationalen Minderheiten in
Europa“, kommentierte FUEV-Präsident Lorant Vincze das
Urteil. „Wir sind noch nicht am Ende unserer Reise, aber
haben heute einen wichtigen Schritt gemeistert.“
Nach dem Rechtsspruch entschied die Europäische Kommission
Anfang April dieses Jahres neu: Nun nahm sie neun der
ursprünglichen elf Maßnahmen an. Aber nicht nur, das
erste Mal seit der Gründung der EU erwähnt die
Europäische Kommission in einem amtlichen Dokument den
Minderheitenschutz. „Wir haben es geschafft, den
europäischen Status quo in Bezug auf den Minderheitenschutz
in Frage zu stellen – das ist ein Ergebnis einer richtigen
europäischen Zusammenarbeit“, bedankte sich Vincze bei
den FUEV-Mitgliedsorganisationen. Und Hunor Kelemen von der
Demokratischen Allianz der Ungarnin Rumänien ergänzt:
„Ich denke, dass es untragbar ist, dass die EU gespalten
ist. Dass es Minderheiten gibt, deren Probleme in Westeuropa
gelöst wurden, während die Situation der autochthonen
Minderheiten in Osteuropa nicht verbessert wurde.“
Ziel der Initiative ist, dass der Schutz der autochthonen
Minderheiten keine innere Angelegenheit von Mitgliedsstaaten
bleibt, sondern ein verbindliches europäisches Regelwerk.
Mit EU-Gesetzen soll die kulturelle und sprachliche Vielfalt in
der Union gestärkt und gefördert werden. Und zwar auf
Unionsebene zugunsten der Regional- und Minderheitensprachen,
Regionalpolitik, Partizipation sowie regionale (staatliche)
Förderungen. „Wir hoffen auf eine Gesetzgebung, die
eine verbindliche Verhaltensnorm, ein verbindliches Regelwerk
vorsieht“, wünscht sich Kelemen. Der Präsident
des Europaparlaments, Antonio Tajani von der italienischen
Mitte-Rechts-Partei Forza Italia, übernahm Anfang Mai die
Schirmherrschaft einer Veranstaltung zum Safepack im
Europäischen Parlament. Nach Ungarn, der von Nationalisten
regierte minderheitenfeindliche Staat, wollen die dänische
und die deutsche Regierung die Initiative unterstützen. Auch
die Europäische Volkspartei signalisierte ihre
Solidarität.
Vertreter des FUEV-Bürgerkomitees trafen sich bereits mit
Mitgliedern der dänischen Regierung: mit Kulturministerin
Mette Bock und der Politikerin Eva Kjer. „Ihr habt bereits
jetzt Geschichte geschrieben. Dass ihr es trotz allen
Widerstandes geschafft habt, ist ein wichtiger Sieg auf dem Weg
zum Ziel. Es wird aber auch sicher ein steiniger Weg. Es ist
entscheidend, dass die Bevölkerung einbezogen wird und
mitzieht. Erst dann ist es eine wirkliche europäische
Erfolgsgeschichte“, wünschte Ministerin Bock. Kjer
betonte: „Es geht darum, eine Plattform für die
Minderheitendebatte zu schaffen. Wichtig ist die Frage, wie die
Minderheiten es schaffen, das Verständnis für die
Wichtigkeit dieser Sache zu wecken. Denn wenn die eine Million
Stimmen da sind, erst dann geht es los, dass wir konkret werden
können. Und dafür muss die Öffentlichkeit bereits
jetzt geschaffen werden.“Das Treffen mit dänischen
Regierungsvertretern war bewusst gewählt. Die Kopenhagener
EU-Beitrittskriterien sehen den Minderheitenschutz vor. Auch
deshalb setzt die FUEV auf dänische
Unterstützung.
Laut Vincze wurde das erste Ziel erreicht: Alle Mitglieder der
FUEV, immerhin 100 Organisationen, unterstützen das
EU-Minderheitenpaket. „Jetzt müssen wir diese
Solidarität der Minderheit erweitern und eine
europäische Zusammenarbeit erreichen, indem wir auch die
Mehrheiten einbeziehen und gewinnen.“ Die FUEV hofft, dass
das dänische Parlament die Safepack-Initiative
unterstützt. Vielleicht folgen dann auch andere EU-Staaten
dem dänischen Vorbild.
Eine Million für eine bunte
EU - www.minority-safepack.eu
Wer die Bürgerinitiative Minority Safepack unterschreibt,
stimmt für ein Europa, das auch die nationalen und
Sprachminderheiten einbezieht. Die FUEV will damit die EU dazu
bewegen, die eigenen Verträge umzusetzen.
Die sind sehr deutlich:
- Laut EU-Vertrag sind die Wahrung der Menschenrechte,
einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten
angehören, die Werte, auf denen sich die EU
gründet.
- Die EU soll soziale Ausgrenzung und Diskriminierung
bekämpfen, indem soziale Gerechtigkeit und sozialer Schutz
gefördert wird.
- Die EU verpflichtet sich, den Reichtum ihrer kulturellen und
sprachlichen Vielfalt zu wahren und zu dem Schutz und die
Entwicklung des kulturellen Erbes Europas beizutragen.
Immerhin gilt für neue EU-Kandidaten als ein
Aufnahmekriterium der Respekt vor Minderheiten und
Minderheitenschutz. Es ist deshalb nicht verständlich, warum
die EU, der Europäische Rat und die Europäische
Kommission den Minderheitenschutz nicht zu EU-Recht erhoben
haben. Eine EU-Politik für nationale und Sprachminderheiten
ist notwendig: Bedrohte Sprachen sterben aus, die aktuelle
Sprach- und Kulturpolitik begünstigt die offiziellen
Sprachen, Angehörige von Minderheiten werden diskriminiert,
sozial und politisch ausgegrenzt.
Im Minority Safepack führt die FUEV eine Reihe von
Maßnahmen auf, um die Lage für Angehörige
nationaler und sprachlicher Minderheiten zu verbessern. Dazu
gehören:
- Schutz und die Förderung der kulturellen und sprachlichen
Vielfalt der EU
- Ausweitung der Förderprogramme auf kleine Regional- und
Minderheitensprachgemeinschaften
- Aufbau eines EU-Zentrums für sprachliche Vielfalt
- Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt
über Europäische Fonds
- Erforschung des Wertes der sprachlichen Vielfalt
- Schaffung von Wahlbezirken für Minderheiten, um deren
politische Teilnahme zu garantieren
- Bekämpfung der Diskriminierung von Minderheiten
- Anerkennung von Staatenlosen als EU-Bürger
- Zugang zu eigenen öffentlich-rechtlichen Minderheiten
Medien wie Radio und Fernsehen sowie zu staatlichen und
Unions-Förderungen.
Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben die beiden
Minderheiten-Dokumente des Europarates – das Rahmenabkommen
zum Schutz nationaler Minderheiten und die Charta der Regional-
und Minderheitensprachen – ratifiziert. Die Inhalte beider
Abkommen könnten deshalb zu EU-Recht werden. Die EU soll
außerdem für ihre Sprach- und Kulturpolitik zugunsten
von Sprachminderheiten auf „Best-Practice“-Beispiele
zurückgreifen, wie auf die autonomen Regionen Südtirol,
Schottland, Katalonien oder Baskenland.
Wolfgang Mayr, Journalist und Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol, lebt und arbeitet in Bozen (Südtirol).
Aus pogrom-bedrohte Völker 300 (3/2017).
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/medien.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/finland.html |
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/autonomy-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/eu-min/autonom.html |
www.gfbv.it/3dossier/3indice.html#eu-min
| www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html
* www: www.minority-safepack.eu
| www.fuen.org | www.ciemen.cat