Herausgegen von Anna Stüssi
Bern, 1990
Inhalt
Einleitung | Zahlen | Herkunft und etwas Geschichte | Die
Sprache der Sami | Das Rentier | Zusammenleben | Weltanschauung |
Joik | Samische
Organisationen | Das
Alta-Kautokeino-Kraftwerk | Tschernobyl |
Aus dem politischen Programm | Quellen und Literaturverzeichnis
Einleitung [ oben ]
Von klein auf, seit wir in Bilderbüchern
blätterten, kennen wir Mitteleuropäer die "Lappen", so
wie wir auch die Indianer, Eskimos und "Neger" kennen... Wir
sehen das arktische Paradies noch vor uns: Rentierschlitten
sausen über weisse Weiten dem Nordlicht zu, zwischen krummen
Birkenstämmen steht die Mitternachtssonne, ein lachender
Mensch in rotem Rock tritt vor sein Zelt, die Füsse stecken
in Fellschuhen mit aufgebogener Spitze, die eine Hand greift ans
Lappenmesser mit den geheimnisvollen Zeichen am Horngriff, die
andere Hand ans Geweih eines freundlich blicken- den Rentiers.
Wahrscheinlich haben wir später die "Lappen" vergessen,
allenfalls rührte Reisewerbung für die "letzte Wildnis
Europas" noch an unsere Träume - bis dann im Jahr 1986 mit
Tschernobyl ein böses Erwachen über uns kam:
ausgerechnet das unschuldige Bilderbuch-Volk, die "Kinder des
Nordlichts", die uns ein Stück wilde Natur und ungebundenes
Leben bewahrten, die noch an Himmel und Erde, an Tier und Mensch
dachten und nicht wie wir an Macht, Erwerb und Besitz,
ausgerechnet diesen tröstlichen Traum hatte die Giftwolke
unseres Wachstumswahns zerstört.
Mit Schaudern hörten wir von Massen geschlachteter Rentlere,
von den Tränen der Lappen über ihre auf Jahre hinaus
verseuchten Weiden, Wälder und Gewässer. Nun merkten
wir erst, wie sehr wir heimlich aus dem Trost gelebt hatten, dass
es irgendwo Menschen gab, die es noch nicht verlernt hatten, in
Ehrfurcht vor der Schöpfung und in Einklang mit sich und der
Natur zu leben. Jetzt wollten wir endlich wissen, wer diese
"Lappen" eigentlich sind ... Nicht "Lappen", sondern "Sami"
(auch: "Sapmi") nennt sich das Volk in seiner eigenen Sprache und
setzt sich begreiflicherweise vehement für diese Bezeichnung
ein. Denn das finnische Wort "Lappi" heisst "Oedland",
"Grenzlandbewohner" und tönt in den Ohren der Bewohner
Lapplands so abschätzig wie das Wort "Barbaren".
Gebräuchlich ist mittlerweilen bei uns die Bezeichnung
"Samen" oder "Saamen", in letzter Zeit setzt sich "Sami"
international durch.
Zahlen [ oben ]
Die Sami, die sich als ein Volk begreifen, leben heute auf dem
Territorium von vier Staaten. Norwegen, Schweden, Finnland und
Russland haben sich den Lebensraum der Sami einverleibt und das
unkriegerische Volk, das sich nicht als Staat organisierte und
den Begriff "Landbesitz" nicht kannte, im Lauf der Zeit immer
mehr in die unwirtlichen Gebiete des hohen Nordens
abgedrängt, wo der Winter neun Monate dauert, der Boden
gefroren bleibt und die Sommer kurz und veränderlich sind.
Dort brachten die Sami etwas zustande, was kein Skandinavier sich
zugemutet hätte und was eine Kunst zu nennen ist: das
Überleben in arktischer Gegend, im Umgang mit einer
sensiblen Umwelt und herausfordernden klimatischen Bedingungen.
Der Mensch darf nicht "stören", wenn er dort bestehen will.
Die grosse Kunst der Zurückhaltung, der Anpassung und
Einstimmung in ein heikles Gleichgewicht wird von ihm
verlangt.
Wieviele Sami gibt es noch? Die Angaben sind mit Vorsicht zu
geniessen, denn die Kriterien der Zählung sind schwer
bestimmbar. Sollen Mischlinge mitgerechnet werden? Oder Sami, die
nicht mehr samisch sprechen? Oder jene, die Angst vor
Diskriminierung haben und leugnen, dass sie Sami sind? Es soll
etwa 40 000 - 60 000 Sami geben, davon leben 20.000 - 30.000 in
Norwegen, 10.000 - 20.000 in Schweden, 3.000 - 5.000 in Finnland
und rund 2.000 In der Sowjetunion.
Einst bevölkerten die Sami grosse Teile Skandinaviens, dann
waren sie lange Zeit die alleinigen Bewohner der nördlichen
Gebiete, eben "Lapplands"; heute sind sie auch dort nur noch eine
Minderheit: in Nord-Norwegen machen sie ca. 5% der
Bevölkerung aus, im Norden Schwedens und Finnlands liegt der
Prozentsatz sogar noch tiefer. Von den 444 Gemeinden Norwegens
haben bloss 4 eine samische Mehrheit! Und Utsjoki, die letzte
finnische Gemeinde mit samischer Bevölkerungsmehrheit, hat
diese vielleicht jetzt schon verloren, weil so viele Finnen sich
dort Zweitwohnungen zulegen.
Herkunft und etwas Geschichte [ oben ]
Die Sami sind ursprünglich mit den
Skandinaviern nicht verwandt, sind kein von Besitz geprägtes
Bauernvolk wie jene. Natürlich ergab sich im Lauf der
Jahrhunderte eine Vermischung mit den Nachbarn. Eine reine Kultur
gibt es nicht, immer ist sie ein Produkt von gegenseitigem Geben
und Nehmen.
Die Frage nach der Herkunft der Sami lässt sich nicht mit
Sicherheit beantworten. Kulturell besteht auf jeden Fall eine
Verbindung mit sibirischen Völkern, z.B. den Samojeden. Noch
heute leben in Nentsi/Ural Rentier-Nomaden, die ihr Zelt genau
gleich aufbauen und einteilen wie die Sami. Waghalsige
Hypothesen, wonach der Ursprung der Sami weit östlich des
Urals, in der Mongolei liege, oder gar die Vermutung, sie seien
die letzten Vertreter eines gemeinsamen Urstammes der weissen und
gelben Völker, gehören allerdings in den Bereich der
Legende. Als gesichert kann, nach dem heutigen Stand der
Forschung, nur gelten, dass um 500 v.Chr. Vorfahren der Sami,
sogenannte Proto-Sami, zwischen dem Weissen Meer und Onega- und
Ladogasee lebten. Nachrückende Völker aus dem Ural, die
Vorfahren der Finnen und der baltischen Völker,
verdrängten sie weiter nach Nordwesten. Ungeklärt ist,
inwieweit die Proto-Sami ihre eigene Sprache behielten, oder
diese aufgaben, sodass das heutige Samisch aus einer Sprachform
der neuen Einwanderer entstanden wäre. Jedenfalls ging die
Nordwestwanderung unter dem Druck sesshafter Bauernvölker in
mehreren Wellen vor sich. Wahrscheinlich erreichten die Sami im
14. Jahrhundert - ungefähr gleichzeitig mit den sich
nordwärts ausbreitenden skandinavischen Völkern - in
Norwegen und Schweden die südlichen Grenzen ihrer heutigen
Wohngebiete.
Allerdings ist zu diesen Fragen das letzte Wort noch nicht
gesprochen: Es besteht die Tendenz, immer öfters auch
prähistorische Funde weiter südlich in Norwegen und
Schweden den Vorfahren der Sami zuzuordnen; Funde, die auf das
Ende der Eiszelt datierbar sind. Aber die Zuordnung
archäologischer Funde zu ethnischen Gruppen ist nicht nur
eine schwierige wissenschaftliche, sondern auch eine politische
Frage.
In seinem Werk "Germania" erzählt Tacitus,
der römische Geschichtsschreiber, im Jahr 98 n.Chr. von den
"Fenni" (d.h. Sami): "Sie sind arm und wild wie Tiere. Sie haben
keine Waffen, keine Pferde, kein Haus. Ihre Nahrung sind
Kräuter, ihre Kleidung Felle, ihr Bett ist der Erdboden.
Glücklich sind sie, denn sie schwitzen nicht bei harter
Ackerarbeit und mühen sich nicht ab mit Häuserbau. Sie
leben nicht in Furcht um eigenes und fremdes Gut. Sie haben das
Schwerste erreicht: wunschlos und zufrieden zu sein!"
Der Byzanthiner Prokopius nennt im 6. Jahrhundert dasselbe Volk
"scrithifinoi", ein langobardischer Geschichtsschreiber spricht
im 8. Jahrhundert von den "Skridfennen", das heisst "schreitende
Finnen", weil sie sich auf gebogenen Hölzern weit
ausholenden Schrittes über die Schneeweiten bewegen, um den
wilden Tieren nachzusetzen ... Die Sami sind die Erfinder des
Skis!
Die Sami waren von Anbeginn ein Volk der Jäger und
Fischer. Lange lebten sie ungestört in ihrem Land, bis ab
etwa 1000 n.Chr. Raub- und Handelszüge von Wikingern
("Nordmännern", d.h. Norwegern und Schweden, Finnen und
Kareliern) sie mehr und mehr nach Norden
zurückdrängten. Die Eindringlinge waren politisch,
wirtschaftlich und sozial stärker, weil sie in
grösseren Siedlungen und sesshaft lebten. Der Lebensraum der
Urbevölkerung erschien ihnen als herrenloses Niemandsland -
niemand war ja darin sesshaft, niemand beanspruchte den Boden als
Besitz, niemand setzte Zäune, niemand suchte die gewaltsame
Auseinandersetzung - die Sami kennen das Wort "Krieg"
nicht.
Im Spätmittelalter begann dann die planmässige
Kolonisation, verbunden mit der Christianisierung. Skandinavische
Siedler nahmen Grund und Boden in Besitz, führten ihre
Tierhaltung und Landwirtschaft ein. Die verschiedenen
Königreiche zogen Grenzen und nahmen die Verwaltung des
Samilandes an die Hand. Die nomadisierenden Ureinwohner mussten
oft in mehreren Staaten Steuern zahlen, oft auch eine besondere
"Lappentaxe". Der Steuereintreiber erschien nicht selten an der
Seite eines Missionars, der von seinem geistlichen Oberhaupt zum
Dienst im hohen Norden verknurrt worden war.
1544 verkündete der schwedische König Gustav Wasa:
"Land, das nicht einem Siedler gehört, gehört Gott und
der schwedischen Krone!" Seither und bis heute sind die
Landrechte der Sami, die Grundlage möglicher
Selbstbestimmung, unklar. 1751 regelten Schweden und Norwegen den
Grenzverlauf zwischen ihren Staaten, wodurch der samische
Lebensraum willkürlich zerschnitten wurde. Dieser Eingriff
wurde jedoch wettgemacht durch erstaunlich fortschrittliche
Bestimmungen im sogenannten "Lapp Codicil": Darin wurde den Sami
die freie Zirkulation ihrer Herden zugestanden (auch im
Kriegsfall, bei dem die Sami als neutrale Partei betrachtet
werden müssen!) und ihnen ihr angestammtes Recht auf Boden
und Wasser, ein ihren Bräuchen entsprechendes Nutzungs- und
kollektives Besitzrecht zugesichert. Dieses Recht wurde im Lauf
der Zelt immer wieder eingeschränkt und abgeschwächt
zum blossen Nutzungsrecht mit Bewilligungspflicht. Noch heute
gilt z.B. in Schweden und Norwegen, dass unbebautes Land dem
Staat gehört und die Nutzung vom Distrikt bewilligt wird. Im
Kampf für die Durchsetzung eines uneingeschränkten
Land-Rechtes, das eine Handhabe gegen die Übergriffe
wirtschaftlicher Interessengruppen gäbe, können sich
die Sami aber immer wieder und immer noch auf das wegweisende
Abkommen von 1751 berufen.
Das industrielle Zeitalter brachte den Sami neue Formen von
Verelendung, Entmündigung und Assimilierungszwängen.
Als sich das Niemandsland im Norden als begehrenswertes
Rohstofflager herausstellte, mussten seine Bewohner klein
beigeben vor den Sendboten einer ihnen ganz fremden
Mentalität, die die "Ausbeutung" der Natur als
selbstverständliches Menschenrecht für sich in Anspruch
nahmen. Schon 1635 eröffneten die Schweden In Nasa das erste
Silberbergwerk. Sami wurden gezwungen, in den Minen zu arbeiten,
Ihre Rentiere wurden zu Lasttieren degradiert. In der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts dann drangen
Holzfällergesellschaften in die Wälder ein, im Sold der
schwedischen Papier- und Zündhölzchenindustrie. Um 1900
wurden die reichen Erzvorkommen um Kiruna erschlossen - bis heute
die grösste Erzgrube der Welt. Die Sami mussten Minen- und
Transportarbeit leisten - bezahlt wurden sie mit Alkohol. Die
prosperierende Wirtschaft erforderte den Bau von Strassen und
Eisenbahnen - Rücksicht auf Weidegründe wurde nicht
genommen. Die Entwicklung setzt sich bis heute ungebrochen fort
mit dem Bau von Wasserkraftwerken, Staudämmen,
Militäranlagen, Tourismuseinrichtungen ...
Was den Tourismus betrifft: Viele Sami lehnen ihn nicht
grundsätzlich ab - er bringt Arbeitsplätze und
Verdienstmöglichkelten -, aber sie möchten selber
über Art und Ausmass seiner Entwicklung bestimmen
können. Die Norweger scheinen sich der Gefahr bewusst zu
sein und beginnen die Investition von Billionen Kronen in die
Tourismus-Industrie zu bremsen. Anders noch in Finnland: Der
Staat baut ungehemmt Hotels und Skilifte; kaum eine Herberge oder
Pension, die nicht in letzter Zeit gross ausgebaut worden
wäre. In Hetta wehrt sich die Bevölkerung gegen einen
im Naturschutzgebiet geplanten Skilift. Der Umweltminister, der
auf ihrer Seite steht, vermochte bisher mit seinem "Nein" bei der
Regierung nichts auszurichten.
Die Sprache der Sami [ oben ]
Samisch tönt so:
vuoi ilo, vuoi ilo - Freude, Freude
mat suorbmat doargistit - wie die Finger zittern
nies'teláv'ka bahálas - die verfluchte
Provianttasche
ajiha - verzögert die Reise
vuoi ilo, vuoi ilo - Freude, Freude
du lusa vuolgán - ich komme zu dir
Nils Aslak Valkeapää
Das Samische setzt sich zusammen aus 3
Hauptdialekten die sich in ca. 13 Subdialekte verästeln.
Nicht alle Sami können sich untereinander verstehen! Das
Nordsamische, der am häufigsten gesprochene Dialekt, hat
sich als Schriftsprache durchgesetzt. Erst 1979 wurden die Regeln
der samischen Rechtschreibung festgelegt. 1980 erschien eine
Grammatik. Samisch zählt man, wie das Finnische, zum
westlichen Zweig der finnisch-ugrischen Sprachfamilie, zu dem
etwa auch das Karelische und Estnische gehört, wobei die
Verwandtschaft zwischen samisch und finnisch bei weitem nicht so
eng ist, wie diejenige zwischen finnisch und estnisch.
Lebensweise und Lebensbedingungen der Sami spiegeln sich in
ihrer Sprache - sie ist sehr reich an Naturwörtern.
Fürs Rentier gibt es Hunderte von Bezeichnungen,
differenziert nach Geschlecht, Alter, Farbe, Geweihform,
Charakter. Hier eine Auswahl: gabba, heargi, aldu, nulpu, rotnu,
stainnat. miessi, valkko ... Das männliche Ren ändert
jedes Jahr seinen Namen, bis es siebenjährig ist; "Fell" am
Bein heisst nicht gleich wie "Fell" am Rücken oder an der
Flanke; "Schnee" hat unzählige Erscheinungsformen, also auch
unzählige Namen; ein langsamfliessender Bach, "Jokk", wird,
wenn er im Frühling anschwillt, zum "Atno"...
Die Sprache war ein wichtiges Instrument in der
Assimilierungspolitik der skandinavischen Länder. In
Norwegen durfte Samisch von 1888 bis zum 2. Weltkrieg an Schulen,
bei Androhung von Strafe, nicht gebraucht werden. Durch die
Unterdrückung ihrer Muttersprache verloren die Kinder ihre
kulturelle Identität, die Einübung
skandinavisch-europäischer Werte entfremdete sie ihrer
Herkunft und pflanzte ihnen Minderwertigkeitsgefühle ein.
Nur dank der Beharrlichkeit, mit der die Sami in Familie und
Gemeinschaft an ihrer Sprache festhielten, konnte diese wichtige
Grundlage ihrer Kultur überleben. Dennoch: In jenen
Gebieten, wo die Sami in der Minderheit sind, spricht die
mittlere Generation kaum samisch. Viele Menschen sind
"halbsprachig", sind weder in ihrer Muttersprache noch in der
Sprache ihres Staates zuhause.
Samisch am Radio:
Nordsamisch:
- 1 mal 10 Minuten Nachrichten,
- 1 Stunde Magazin am Nachmittag,
- 1 mal im Monat 1 Stunde Nachtmagazin.
Andere samische Dialekte: 10-15 Minuten in der Woche.
Samisch am TV:
Unregelmässig, etwa 5 mal im Jahr.
In Schweden wurde weniger eine Assimilierungs- als eine
bisweilen diskriminierende Ghetto-Politik betrieben: dort gab und
gibt es staatlich verwaltete Reservate für Sami, sog.
Lappen-Dörfer, wo die Sami ihre Sprache und Kultur frei
leben können und in speziellen Sami-Schulen unterrichtet
werden.
In den 70er Jahren, als das ethnische Selbstbewusstsein der Sami
sich festigte, revidierten die Staaten ihre Assimilierungspolitik
und die Situation der samischen Sprache besserte sich. Ihre
schrittweise Anerkennung und - je nach Gebiet - Gleichstellung
erfolgte. Für die effektive Durchsetzung als offizielle
Sprache (in Dokumenten, Formularen, auf Ortsschildern) wird noch
gekämpft. In Norwegen, Schweden und Finnland ist der
Basis-Unterricht (3 Jahre) für samische Kinder in ihrer
Muttersprache garantiert, in Schweden sogar für die ganze
obligatorische Schulzeit. Schweden bietet auch eine samische
Mittelschule und ein Lehrerseminar. In Karasjok, einem der
wichtigsten Sami-Orte in Norwegen, gibt es ein samisches
Gymnasium und eine Rentierhalterschule. In Kautokeino/Norwegen
ist eine samische Hochschule (high school) eröffnet worden.
In Tromsö und Kautokeino arbeiten samischsprachige
Wissenschaftler an samischen Instituten.
Allein der Schulunterricht vermag den Schutz von Sprache und
Kultur nicht zu garantieren. "Wir sind bekümmert! Was hilft
es, wenn wir unseren Kindern samisch beibringen? Wozu ist es
nutze, wenn sie in der Schule in Samisch unterrichtet werden?
Ausserhalb von Schule und Elternhaus verschwindet diese Sprache
aus ihrem Leben, denn sie werden durch Fernsehen und Radio nur
noch der norwegischen Sprache ausgesetzt. Die Medien zeigen ihnen
eine Lebenswelse, die mit unserer Wirklichkeit nichts mehr zu tun
hat. Es muss etwas geschehen, sonst werden unsere Sprache und
unsere Kultur erstickt", klagt eine samische Lehrerin aus
Norwegen.
In Norwegen gibt es eine samische Zeitung, die Sami Aigi, die in
Karasjok zweimal in der Woche herausgegeben wird. Diese Zeitung
berichtet über alle Bereiche des aktuellen Tagesgeschehens
und entwickelt dabei die Schriftform des Samischen ständig
weiter, indem sie für Begriffe der modernen Welt neue
Wörter erfindet. Die Produktion von Sami Aigi ist teuer, die
Zeitung ist deshalb ständig vom finanziellen Kollaps
bedroht, obwohl der Staat kleine Zeitungen etwas
unterstützt.
In der Sowjetunion gibt es, soweit wir wissen, noch keinen
samischen Schulunterricht, so wenig wie samische Zeitungen oder
Radioprogramme.
Das Rentier [ oben ]
Für einen Mitteleuropäer ist die
Vorstellung Lapplands unauflöslich mit dem Rentier
verbunden, mit Rentierschlitten, Rentierherden und mit dem
Nomadenleben im Zelt. Das Staunen ist gross, wenn man zur
Kenntnis nehmen muss, dass bloss 10% der Sami von Rentierhaltung
leben, bloss eine kleine Minderheit innerhalb der Minderheit.
Zahlenmässig sind weit mehr Sami in der Fischerei
beschäftigt - die seit langem sesshaften Küsten-Sami -
oder in der Landwirtschaft und in zahlreichen anderen Berufen.
Dennoch ist das Rentier für die Kultur und Tradition der
Sami zentral. Der Staat trägt dem Rechnung: in Norwegen und
Schweden ist die Rentierhaltung nur den Sami erlaubt.
Ursprünglich lebten die Sami als Jäger, Fischer und
Beerensammler. Pelze wurden bei den skandinavischen Nachbarn
gegen Lebensmittel und Stoffe getauscht. Wenige gezähmte
Rentiere hielten sie sich als Last- und Zugtiere und als
Locktiere für die Jagd wilder Rentiere.
Das änderte sich, als Im 17. Jahrhundert der Pelzhandel
wegen Einfuhr billiger Pelze aus Nordamerika zusammenbrach und
die skandinavischen Jäger das wilde Ren arg zu dezimieren
drohten. Da begannen einige Sami-Gruppen die Tiere in Herden
zusammenzufassen und zu zähmen und die Rentierhaltung ins
Zentrum ihrer Wirtschaft zu stellen. Sie entwickelten jene
Lebensform, mit der sie heute identifiziert werden: Nomadismus
mit Grossherden. Die Art des Umgangs mit dem Ren ist ein
eindrückliches Beispiel für die Haltung der Sami: der
Mensch passt nicht das Tier seinen Bedürfnissen an, sondern
sich selbst den Bedürfnissen des Tieres. Er gehorcht dem
Tier, folgt ihm wortwörtlich dorthin, wo es seine Nahrung
findet und das Klima ihm angenehm ist. Daraus ergibt sich das
Nomadenleben und die Wanderung mit der Herde zu den
Weideplätzen, Im Rhythmus der Jahreszeiten. Im Winter halten
sich die Herden in den südlichen Gebieten auf, in den
Kieferwäldern. Das Ren frisst hier die trockenen Flechten,
die es dank seiner gut spreizbaren Zehen unter der Schneedecke,
die nicht zu dick sein darf, hervorkratzt.
Die Flechten wachsen sehr langsam - l mm pro Jahr - die
Weideflächen müssen entsprechend gross sein. Im
April/Mai beginnt die Wanderung nordwärts - sie kann bis an
die Küste führen, oft über eine Strecke von 200 -
300 km, ja bis zu 500 km. Gereist wird in den blauen
Nächten, wenn der Schnee hart ist. Auf den Wanderungen kann
es Zwischenstationen geben, das Frühlingslager etwa, wo die
Renkühe kalben. Wenn der Schnee schmilzt, die Blaukehlchen
singen und mit wärmer werdenden Sonne die lästigen
Mückenschwärme kommen, geht es weiter auf die luftigen
Berghöhen (Fjälls), auf die baumlose Heide mit den
würzigen Kräutern. Zum Glück Ist das Ren beim
Weiden nicht phlegmatisch, sondern spaziert geniesserisch und
wählerisch von einem Blatt zum anderen. So zerstört es
mit den Hufen nicht die Nahrung von morgen und
übermorgen.
"Wenn einer eine Reise über 300 Meilen macht,
ist dies ein Grund, dankbar zu sein, wenn er zur beabsichtigten
Zeit am Ziel ankommt. Bei schlechtem Wetter kann eine Ankunft auf
die Woche genau schon als ziemlich gut betrachtet werden. Man
fühlt, dass Leute, die sich auf die Minute genau verabreden,
aus einer völlig andern Welt stammen - sie haben Sekunden
erfunden, ja bereits Hundertstel davon."
(N.-A. Valkeapää)
Einmal im Sommer wird die Herde, die sich weit verstreut hat,
zusammengetrieben, damit die Kälber am Ohr markiert werden
können. Das Ist ein Fest. Jeder Renbesitzer hat sein
gesetzlich geschütztes Zeichen, eine Kombination von
Schnitten, womit er sich sein Eigentum sichert. In Schweden sind
10 000 verschiedene Renzeichen registriert. Ohrstückchen,
die beim Markieren abfallen, werden auf eine Schnur aufgezogen;
sie sind die Buchhaltung des Renzüchters...
Nach der Herbstwanderung, bevor die Tiere auf die Winterweide
getrieben werden, findet der Poroerotus statt, auch das ein Fest,
die Rentierscheidung, bei der die Tiere auf ihre Besitzer
verteilt werden und etwa ein Fünftel bis ein Drittel der
Herde zum Schlachten ausgesondert wird, meist einjährige
Stiere - Nahrung und Kapital der Sami. Die Tiere werden in
Pferche getrieben; in wilder Jagd galoppieren sie darin herum.
Mit treffsicherem Auge vermag der Besitzer im rasenden Gewoge
seine Tiere am Ohrzeichen zu erkennen und wirft das sirrende
Lasso nach ihnen.
"Rentiere zu hüten ist nicht Arbeit. Rentiere
zu hüten war ein Teil des Lebens, ein Teil Natur - nicht
Arbeit. Und obgleich Rentiere zu hüten tatsächlich
physisch extrem streng sein konnte, es war noch immer nicht
"Arbeit". Bei der Arbeit mit Rentieren hat man sich, wenn auch
nicht im Sonntagsstaat, so doch wenigstens schmuck zu kleiden.
Nur wenn der Rentiernomade plötzlich zum Strassenarbeiter
wird, wird ihm bewusst, dass "Arbeit" eine Art von Bestrafung
sein kann, durch den Schweiss auf der Stirn und anderes
mehr."
(N.-A. Valkeapää)
Zusammenleben [ oben ]
Die Rentier-Sami leben traditionellerweise in Verbänden,
Sii'da genannt, die aus zwei bis zwanzig Familien bestehen
können und eine Wirtschaftseinheit darstellen. Sie
verfügen über ein ihnen zugeteiltes Gebiet, ziehen
gemeinsam von Weideplatz zu Weideplatz und halten ihre Rentiere
in derselben Herde. Privates Besitzrecht an den Tieren ist ver
knüpft mit kollektiver Pflege der Herde und gemeinsamem
Nutzungsrecht des Bodens. Ein Ältestenrat übernimmt die
Führungsaufgaben.
Heute hat fast jede Familie am Winterplatz ein kleines Haus und
meist auch am Sommerplatz eine stabile Hütte. Das Zelt (die
Kote) verschwindet mehr und mehr. Auch die malerische Rajd, die
locker aneinandergekoppelte Reihe von Rentierschlitten, die
Menschen und Hausrat von einem Platz zum andern bringt, hat
Konkurrenz erhalten durch den Jeep und den Lastwagen. Und wenn
früher die Rentierhirten auf Skiern sich zu ihren Herden
begaben, so tun sie das heute mit dem Motorschlitten oder mit dem
Geländemotorrad. Sogar der Helikopter wird eingesetzt, um
die Herden zusammenzutreiben. Lärm und Gestank Jagt den
Rentieren Angst ein und macht sie wild. Menschen lassen sie gerne
in ihre Nähe, Motoren weniger. Die Mechanisierung und
Technisierung der Rentierhaltung hat aber noch eine andere
Schattenseite: Sie führt zu erheblicher Kostensteigerung und
damit zwangsläufig zu grösserer Abhängigkeit von
der Industriegesellschaft. Die Selbstversorgerkultur wird eine
bargeldabhängige Züchterkultur. Das hat langfristig
politische Konsequenzen, denn je mehr die Rentierhaltung zu einem
integralen Teil der skandinavischen Volkswirtschaft wird, desto
stärker wird der Druck, profitorientiert zu wirtschaften und
den ökologischen Lebenswert hintanzustellen.
Die traditionelle samische Gesellschaft unterscheidet sich in
wichtigen Punkten stark von der skandinavisch-europäischen.
Schon Tacitus notiert in "Germania" mit Verwunderung, dass bei
den "Fenni" (Sami) Männer und Frauen auf die Jagd gehen.
Gleichberechtigung der Frau ist bei den Sami uralte Tradition.
Frauen waren stimmberechtigt in der Sii'da; Männer zogen bei
der Heirat zur Familie der Braut; Kinder können auch den
Familiennamen der Mutter tragen. Frauen besitzen noch heute ihre
eigenen Rentiere, schon von Kindheit an. Das gibt der Frau
ökonomische Unabhängigkeit. Frauen haben auch ihr
eigenes Ren-Markierungszeichen. 1978 gab es Proteste gegen ein
norwegisches Gesetz, das pro Haushalt nur noch ein
Markierungszeichen zulassen wollte.
Interessant sind auch die traditionellen samischen Familien- und
Verwandtschaftsstrukturen. Ein Haushalt besteht meist aus einer
Grossfamilie unter Einbezug von Grosseltern, Tanten, Onkel. Es
gibt zudem rituelle Verwandtschaftsformen, die es erlauben,
Freunde in die Familie einzubeziehen. Ein Pate beispielsweise
wird durch die Taufe mit dem Kind verwandt und die Kinder des
Paten werden zu Geschwistern des Täuflings. Ein Brauch, der
vor allem für "alleinerziehende" Eltern sehr sinnvoll ist!
"Geschwister" werden können aber auch Freunde, die zusammen
die Schule besuchten ("Schul-Bruder"), oder Menschen, die
denselben Namen tragen. Wo besondere Zuneigung besteht, kann ein
Erwachsener ein Kind "adoptieren", eine alte Frau zum Beispiel
ein Kind, das gerne bei ihr am Feuer sitzt und sich Geschichten
erzählen lässt.
Samisches Märchen
In den alten Zeiten kam es auch vor, dass Menschen sich in
Wölfe verwandelten. Es waren die Zaubermänner, die
solches zuwege brachten. So war einmal durch Zauberkunst ein Mann
zum Wolf geworden und trieb sich viele Jahre auf den Lappenbergen
umher. Er konnte nicht so schnell wie andere Wölfe springen,
er konnte auch keine Rene reissen und sie auffressen. Wenn aber
andere Wölfe ein Ren gegriffen hatten, dann frass er das
auf, was die anderen übrig gelassen hatten - die Knochen und
die spärlichen Fleischresten. Auf diese Weise fristete er
sein Leben. Es war in der Zeit des Vorsommers, in der in den
alten Zeiten die Lappen nach Finnland zogen und dort den ganzen
Winter über blieben. Es traf sich damals, dass eines Tages
ein Lappenmädchen auf der Renwache war. Es hatte einen
Kaffeekessel bei sich und zündete ein Feuer an.
Als es am Feuer sass, hörte es jemanden kommen; aber wenn
man so nahe im Feuerschein sitzt und es dunkle Nacht um einen
ist, dann kann man auf weiten Abstand in der Dunkelheit nichts
erkennen, weil das Auge durch den Feuerschein geblendet wird.
Während das Mädchen zu essen begann, lagen alle Rene
ruhig auf dem Schnee. Da sah die Wächterin, dass ein Wolf
gesprungen kam. Er lief gegen die eine Seite des Zeltes und blieb
dort sitzen. Wenn sie ass, sperrte der Wolf nur seinen Rachen
auf, tat aber weiter nichts. Das Mädchen dachte: "Das ist
einmal ein guter Wolf, der meine Rene in Frieden lässt,
dafür will ich ihm auch gern ein Stück gekochtes
Fleisch geben." Es nahm ein Stück aus dem Kessel und warf es
dem Wolfe zu, und der verschlang es gierig, sprang dann seines
Wegs. Er hielt sich auch weiterhin vom Feuer fern und das
Mädchen dachte: "Oh, es war gut, dass ich ihn fütterte,
vielleicht hätte er doch noch meine Rene gejagt."
Als der Tag kam und es hell wurde, da kam ein schöner
Jüngling des Wegs. Angetan mit einem feinen schneeweissen
Pesk, fragte er das Mädchen: "Du bist immer noch hier? Ich
bin gekommen, um dir zu danken, dass du so verständig und
lieb warst, mir einen Brocken Fleisch zuzuwerfen. Ich habe es
gegessen und bin nun wieder ein Mensch geworden. Ich war sechs
Jahre lang ein Wolf, nun aber bin ich wieder ein Mensch geworden,
und dafür sage ich dir vielen Dank."
Weltanschauung [ oben ]
In Norwegen, Schweden und Finnland gibt es keine
diskriminierenden Gesetzte mehr, aber Schweden und Finnland
erwähnen die Sami nicht in ihrer Staatsverfassung, sie haben
keinen verfassungsmässigen Status eines eigenständigen
Volkes. In Norwegen liegt ein diesbezüglicher
Gesetzesvorschlag jetzt dem Parlament vor. Für die
juristische Festschreibung der angestammten Landrechte der
Urbevölkerung, die eine Handhabe gäbe gegen die
Übergriffe von Staat und Wirtschaft, braucht es wohl noch
viele Anstrengungen.
Im Kern geht es bei der Selbstbehauptung der Sami aber weniger
um Paragraphen, als um die Achtung und Erhaltung ihrer
Lebenswerte, ihres Natur- und Menschenbildes, das so sehr
abweicht von denjenigen der Industrienationen. Wenn wir
hören, dass ein Sami beim Picknick ein Stück Fleisch
oder einen Knochen übriglässt, weil die Natur, die ihn
nährt, auch etwas haben soll, oder dass er den ersten Fisch,
der an die Angel geht, dem Fluss zurückgibt als Dank, so
beschämt das unser Nützlichkeits- und Zweckdenken. Die
Sami fühlen sich bei all ihren Verrichtungen als Diener und
Teil der lebendigen Natur. Die Erde "gehört" ihnen nicht,
sie ist nur geliehen. Die Natur ist ihre Mutter. Sie tun ihr
nichts zuleide, sie nutzen sie, aber nutzen sie nicht aus,
versuchen ihr nützlich zu sein und dürfen darum einen
gewissen Lohn von ihr entgegennehmen.
In der samischen Sprache bedeutet das Wort "kennen" zugleich
auch "fühlen". Anders als der zivilisierte Europäer,
der sich ganz in sein rationales Selbstbewusstsein
hineingesteigert hat, leben die Sami, wie alle Urvölker,
noch aus dem Reichtum des Über- und Unterbewussten,
fühlen sich umfangen von der Weisheit eines Umfassenden,
Geheimnisvollen. Im Nordlicht zum Beispiel tanzen die Toten; in
besonderen Steinen lebt ein Geist und die nach langer Winternacht
wiederkehrende Sonne ist das wiederkehrende Leben. Zum Glück
haben sich die Sami etwas von ihrer ganzheitlichen, "heidnischen"
Spiritualität bewahren können, trotz der
Christianisierung, die im 16. und 17. Jahrhundert mit
unbeschreiblichem Terror vollzogen wurde und ihnen ihre
religiösen Bräuche verteufelte. Zwangstaufen und
Todesstrafe bei Widersetzlichkeit waren keine Seltenheit.
Die Sami hatten, wie andere arktische Völker, Schamanen als
religiöse Führer, sogenannte Noaidi, die sich auf der
Trommel selbst in Ekstase spielten, bis sie umfielen. In diesem
Zustand traten sie mit Göttern und Geistern in Verbindung,
reisten ins Jenseits und brachten von dort Rat und Hilfe für
den Einzelnen oder für die Gemeinschaft zurück. Die
Schamanen wurden umgebracht, ihre mit heiligen Zeichen
geschmückten Trommeln wurden verbrannt oder als
Kuriosität nach Europa gebracht. Kirchen wurden den Sami ins
Land gestellt, meist viele Tagreisen entfernt von jenen
bedeutsamen Geländestellen, wo die wandernden Sami das
Bedürfnis hatten, sich göttlicher Hilfe zu
vergewissern. Da taten die seit alters verehrten heiligen Steine
bessere Dienste, die "Sieidi'en", denen Rentiergeweihe,
Münzen oder Branntwein geopfert wurden - zum Teil noch
heute.
"Erst kommt immer das Tier - dann du selber und
zuletzt die toten Gegenstände, die man um sich hat. Selber
kommt man immer erst an zweiter Stelle, nie an erster. Das ist
die alte lappländische Regel. Wenn z.B. ich - ein
Rentierzüchter - hier auf Erden schnell zu Geld kommen
wollte, tja dann würde ich nicht Rentierzucht beginnen!
Wegfahren, vielleicht, und mein Glück woanders suchen, das
würde ich dann. Aber unsere Arbeit ist nicht nur eine Arbeit
- sie ist unser Leben, unsere ganze Lebensform."
(Lasse im Film "Bedrohung" von Stefan Jarl.)
Joik [ oben ]
Ebenfalls von den übereifrigen Geistlichen als heidnisches Teufelswerk unterdrückt wurde der Joik, der urtümliche Gesang der Sami, der Innigste Ausdruck ihres ursprünglich religiösen Natur- und Lebensgefühls. Der Joik konnte aber überleben und gilt heute als eine der ältesten Volksmusiken, die noch bestehen. Er erlebt heute unter den Jungen eine Renaissance, vor allem dank Nils-Aslak Valkeapää, der ihn in Verbindung brachte mit moderner Instrumentalmusik.
Bärenlied
Wach doch auf, mein Bruder. schon leuchtet der Tag auf den
Bergen, schon rennen die Ameisen an den Baumstämmen, schon
tönt der Vögel Gesang an mein Ohr. Alte Frauen
versorgen schon die Schleppnetze, alte Männer versorgen
schon die Ahlen, Kinder spielen schon tollend herum mit
Bogen.
(alter Joik)
Wie die Rhythmen der einstigen Schamanentrommeln, vermag auch
der Joik den Menschen aus dem Alltag in eine "andere Welt" zu
entrücken. Vielleicht ist er entstanden aus dem einsamen
Vor-sich-hin-Trällern beim Rentierhüten. Er ist
Meditation und Zwiesprache mit der Natur, er ist
Vergegenwärtigung des fernen Freundes, er ist Liebesklage
oder Spottgesang, er ist Eingebung eines Gefühls, von
tiefster Trauer bis zu höchstem Entzücken. Immer
entspringt er aus inniger Identifikation mit dem Besungenen. Man
joikt nicht über jemanden oder etwas, sondern man joikt
sie.
Der Reichtum des Joiks liegt im unmerklichen Wechsel des
Rhythmus und der Tonhöhen, in den Schattierungen der
Intonation, erzeugt durch eine besondere Kehlkopftechnik. Ein
Grundmotiv kann bis zu dreissigmal variiert werden. Mit
steigender Stimmung steigt die Tonhöhe, bis sie den
Höhepunkt erreicht - und der Joik unvermittelt
abbricht.
So drückt sich ein Sami aus, wenn er vom Joik
spricht:
"Joik ist wie die Morgensonne; er weckt, er gibt Auftrieb, er
belebt, inspiriert. Er gibt dir Mut für das tägliche
Leben. Er hilft dir, die Zusammenhänge und den Reichtum in
der Natur zu sehen und auch im Leben der Menschheit. Er ist wie
der zweite Namen eines Menschen. Ein Joik ehrt und kräftigt
das Selbstbewusstsein. Er schenkt Verständnis für
Verbindungen und Bindungen im Leben. Der Joik kommt mit dem Wind.
Er ist überall in der Luft. Er kennt keine Landesgrenzen, er
überquert sie ohne Hindernisse, er hält, wo er gutes
Weideland findet; und dann reist er weiter. Die Frage ist
für uns nur: Haben wir genug Ruhe und Geduld, um fähig
zu sein, unsern eigenen Platz in der Naturordnung zu sehen oder
unsern Platz auf unserem Planeten.
Wenn du guten Mutes und froh bist, wenn du dich geborgen
fühlst und Freude die Luft erfüllt, dann kann
plötzlich ein neuer Joik entstehen. Er macht glücklich,
er belebt und erhebt. Er kann ein Joik für mich sein oder
für dich. Wenn du fähig bist, einen andern zu joiken -
mich oder ihn - dann kommst du ihm sehr, sehr nahe." (Ante
Mihkkala; mitgeteilt v. H.U. Schwaar)
Samische Organisationen [ oben ]
Nach der Jahrhundertwende suchten die Sami erstmals nach
Möglichkeiten, ihre Rechte zu verteidigen. Es entstanden
viele, vor allem kulturelle Vereinigungen. Nach kurzem Aufschwung
schlief diese Bewegung wieder ein, zumal die Behörden und
die skandinavische Presse sie heftig bekämpften. Ausserdem
litten viele Sami unter dem Dilemma, skandinavische Methoden
anwenden zu müssen, um samische Rechte und Werte zu
bewahren. Dies behindert bis heute den samischen
Widerstand.
Als jedoch unter dem Eindruck der Charta der Vereinten Nationen
die skandinavischen Regierungen nach 1945 ihre offizielle Politik
den Sami gegenüber änderten, entstanden neue politische
Organisationen, Ausdruck eines gewachsenen samischen
Selbstbewusstseins. Seit 1956 existiert der Nordische Samirat,
zusammengesetzt aus je 4 Vertretern von Norwegen, Schweden und
Finnland. Er tagt viermal im Jahr und ist das gemeinsame Organ
der skandinavischen Sami. Er vertritt die wirtschaftlichen,
kulturellen und sozialen Interessen der Sami in den einzelnen
Ländern, fördert die Kontakte untereinander, setzt sich
ein für die Lösung gemeinsamer Probleme, vertritt und
koordiniert samische Interessen gegenüber den Behörden.
Seit 1976 ist der Samirat Mitglied des Welteingeborenenrates und
somit auch bei den Menschenrechtskonferenzen in Genf
vertreten.
Es entstanden aber auch nationale samische Verbände. In
Norwegen besteht seit 1948 der Reichsverband Norwegischer
Rentierzüchter, eine Organisation, die viel zur
Stärkung des Selbstbewusstseins der Sami beigetragen hat.
Politisch einflussreicher ist aber der Reichsverband Norwegischer
Sami, gegründet 1968 und hervorgetreten besonders
anlässlich der Auseinandersetzung um den Bau eines
Wasserkraftwerks am Alta-Fluss. In Norwegen und Schweden
diskutiert man seit längerer Zeit ein Sami-Parlament, jetzt
ist in Norwegen eines im Entstehen. Es ist aber noch unklar, ob
es mehr als beratenden Charakter haben wird. In Finnland besteht
seit 1973 ein solches Parlament, das den Ministern in Helsinki
seine Probleme vortragen kann, aber keine Möglichkeit hat,
seine Forderungen durchzusetzen.
Das Alta-Kautokeino-Kraftwerk [ oben ]
Der Konflikt um den Bau dieses Kraftwerks
brachte die Sami ab 1968 weltweit in die Schlagzeilen. Das
Projekt der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft hätte
Siedlungen und bestes Rentierweideland unter Wasser gesetzt und
das Leben eines der lachsreichsten Flüsse bedroht. Die Sami,
zusammen mit betroffenen Norwegern (Lachsfischerei!) setzten sich
14 Jahre lang zur Wehr, konnten eine Reduzierung der Höhe
des Damms bewirken, aber letztlich seine Ausführung nicht
verhindern. Das Kraftwerk ist fertiggestellt - die Energie wird
nicht gebraucht.
Dennoch war der Kampf nicht nutzlos. Er hat die Sache der Sami
bekannt gemacht und gestärkt. Eine breite
Solidaritätsbewegung entstand, politische und ethnische
Minoritäten fanden zusammen, Umweltschützer aus ganz
Europa unterstützten die Sami. Formen gewaltlosen
Widerstands wurden erprobt: Sami kampierten in ihren Zelten vor
dem Parlamentsgebäude in Oslo, es gab Hungerstreiks und
Sitzstreiks. 1979 wurde die Baustelle von rund 5.000 Menschen aus
ganz Europa besetzt. 1981, bei klirrender Januarkälte,
riegelten rund 2.000 Menschen aneinandergekettet das Gelände
ab, um den Beginn der Bauarbeiten zu verhindern. 800 Mann Polizei
wurden aufgeboten - der grösste und gewaltsamste
Polizeieinsatz in Norwegen seit dem Krieg. Fast l.000
Demonstranten wurden verhaftet und abgeführt - auf einen
Luxusdampfer. Das Militär hatte sich nämlich geweigert,
zur Inhaftierung von Demonstranten Baracken und Fahrzeuge zur
Verfügung zu stellen: die Verfassung verbiete es,
Militär auch nur hilfsweise gegen die eigene
Bevölkerung einzusetzen! Trotz ihres Scheiterns waren die
Sami nicht nur Verlierer. In der Folge waren die Norweger bereit
zu verschiedenen Zugeständnissen, die der samischen
Autonomie nützen: Sami-Parlament, Schulen, ein
Sami-Theater.
Alta wurde zum Symbol für den samischen Widerstand gegen
das Vordringen der Industriezivilisation. Denn was in Alta
geplant war, ist an vielen Stellen des Samiländes
längst Wirklichkeit oder drohende Zukunft: Stauseen und
Flussregulierungen haben Klimaveränderung, Rückgang der
Fischbestände, Störung des Rentierweidebetriebs und
Abwanderung der Bevölkerung mit sich gebracht. Bergwerke,
Holzschlag in grossem Massstab, Pipelines, Strassen, die dem
Tourismus und zugleich militärischen Zwecken dienen,
zerschneiden die Weidegebiete und stören das empfindliche
ökologische Gleichgewicht. Wo das Rentier einmal durch
Gestank und Lärm vertrieben worden ist, dahin kehrt es nicht
mehr zurück. Ja, selbst wenn bloss Wanderer über seine
Pfade gegangen sind, muss es diese fortan meiden. Zudem: Allein
auf Finnlands Strassen werden im Jahr rund 2.000 Rentiere
überfahren. Auch dem Meer wird mitgespielt. Industrielle
Fischerboote aus Norwegen und der Sowjetunion haben die Nordsee
praktisch leergefischt. Das spüren auch die an der
Küste und den Fjorden lebenden Fischer-Sami. Für
Ölbohrungen in der Barentssee bestehen Pläne. Niemand
kann die möglichen ökologischen Folgen ermessen. Und ob
das im Frühling 1989 dort auf Grund gesunkene sowjetische
Atomunterseeboot seine tödliche Ladung unter Verschluss
halten kann, ist noch nicht abzusehen.
Die Sami, die im 2. Weltkrieg extrem gelitten haben - die Nazis
hinterliessen der nachrückenden Roten Armee eine "verbrannte
Erde", fast 100.000 Menschen wurden vertrieben, viele Rentiere
niedergemetzelt - müssen sich heute gegen die
fortschreitende Militarisierung ihrer Heimat zur Wehr setzen. Die
Grenze zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt verlief mitten
durchs Samiland. Rentierweiden wurden zu Übungsplätzen.
Grosse Manöver fanden statt Radarstationen und
Flugplätze wurden gebaut. Bei Kiruna liegt ein
Raketentestgelände. Auf der Kola-Halbinsel wo die
sowjetischen Sami leben, gibt es Startrampen für
Interkontinentalraketen, zudem viele Kernkraftwerke, in deren
Umkreis die Natur tot und die Gewässer kontaminiert sind Ein
Gebiet notabene, das von Tschernobyl nicht betroffen ist. Der
wichtige Hafen von Murmansk und seine Umgebung sind extrem
aufgerüstet. Und neuestens ist der subarktische Raum wieder
ein bevorzugtes Gelände für Atomtests. Anfang 1990
mussten verschiedene Menschenrechtsorganisationen an Michail
Gorbatschow appellieren, mit den Testreihen aufzuhören, die
existenzbedrohend sind für die letzten Jager- und
Nomadenvölker, deren Lebensraum, abgesehen von
Tschernobyl-Auswirkungen, schon durch die Atomversuche der 50er
und 60er Jahre hoch verstrahlt ist Die Tschuktschen z.B. (auch
Rentierzüchter) haben weltweit die höchste Sterberate
an Speiseröhrenkrebs.
Zudem erweist sich die samische Erde reich an Uran und andern
Rohstoffen für die Rüstungsindustrie und moderne
Technologie. Ein lockendes Geschäft. Damit Staat und
Wirtschaft nicht über die Köpfe der Sami hinweg
tätig werden können, wäre es dringend nötig,
dass die Sami endlich den juristischen Status eines eingeborenen
Volkes (indigenous people) bekommen und damit die rechtlichen
Möglichkeiten sich gegen zerstörerische Übergriffe
auf Ihren Lebensraum und ihre Lebensweise zu wehren!
In letzter Zeit sind es die Holzfirmen, die den Sami zu schaffen
machen. Im schwedischen Bezirk Härjedalen versuchen sie mit
juristischen Mitteln den Rentierzüchtern die Weiderechte
abzuerkennen, um dann freie Bahn für die Abholzung zu haben.
Ein anderes Beispiel aus Finnland: Seit 1987 liegen die
Rentierzüchter und Umweltschützer mit der
einflussreichen nationalen Forstbehörde im Streit, die das
Kessi-Vätsäri-Gebiet, einer der letzten Urwälder
Europas zwischen norwegischer und russischer Grenze, zur
Abholzung freigeben will. Die Skolt-Sami am Inari-See (eine
Minderheit in der Minderheit) verlöre damit einen grossen
Teil ihrer Winterweiden. Denn in abgeholzten Gebieten ist der
Schnee fester als im Wald, die Tiere haben Mühe, ans Futter
heranzukommen. Reduktion der Herden wäre die Folge, und
verschärfte Arbeitslosigkeit, die bei den Skolt-Sami ohnehin
schon gross genug ist.
Tschernobyl [ oben ]
Am 26. April 1986 explodiert der Reaktor in Tschernobyl. Der
Wind trägt die Giftwolke nordostwärts, über
Lappland, vor allem über Nordschweden geht sie als Mairegen
nieder. Flechten, Gras, Pilze, Beeren und Fische - Nahrung
für Mensch und Rentier - saugen sich voll mit unsichtbaren
radioaktiven Zerfallsprodukten. Der Boden wird auf Jahre hinaus
verseucht sein. Kaum ein anderes europäisches Gebiet ist
stärker betroffen als der Lebensraum der Sami, die von einem
Tag auf den andern die Basis ihrer Kultur und ihres Alltags
verlieren, vor allem die Rentierzüchter. Unerträglich
tragische Ironie des Schicksals, dass die Katastrophe
ausgerechnet jene am härtesten trifft, denen technologische
Entwicklung kein Ziel ist und die nie so vermessen wären,
der Natur Geheimnisse zu entreissen, die nicht in Menschenhand
gehören.
Die Katastrophe hat zur vitalen Bedrohung hinzu noch eine
weitere verhängnisvolle Auswirkung: sie bringt die Sami
erneut in vermehrte Abhängigkeit vom Staat, der
beispielsweise die Macht hat, Becquerel-Grenzwerte
willkürlich festzulegen und zu kontrollieren, welche Tiere
zum Verkauf zugelassen werden und welche nicht. Schweden setzte
die Grenzwerte niedrig an, mit dem Ergebnis, dass im Herbst 1986
50.000 Tiere vernichtet werden mussten und auch gesundes Fleisch
kaum mehr Käufer fand. Norwegen dagegen setzte die
Grenzwerte hinauf, um die Vernichtung von 80% der geschlachteten
Tiere zu verhindern. Dies geschah mit dem Argument, ein Norweger
esse ja pro Jahr nur etwa l Kilo Rentierfleisch - vergessen wurde
dabei, dass ein Sami täglich Renfleisch zu sich nimmt... Die
Finnen Ihrerseits lösten das Problem, indem sie offiziell in
ihrem Gebiet keine alarmierenden Werte feststellten.
"Wir glauben an die Natur - aber nicht an so Unnatürliches wie Kernkraft. Doch dann fragt man sich: woher nimmt man dann die Energie, die man braucht? Und braucht man überhaupt soviel Energie? Das meiste geht doch zum Luxuskonsum. Wir haben hier keinen elek trischen Strom, keine Wege. Warum müssen dann wir unter den Fortschritten der Welt leiden, wenn wir ihre Vorteile nicht nutzen dürfen? Unschuldige Menschen werden in Mitleidenschaft gezogen und zwar so schwer, dass sich die ganze Kultur verändert. Kultur - das ist eine Lebensform, die Art zu denken und zu bewerten. Die Bewertung ändert sich aber, wenn man selber betroffen wird. Unser ganzer Massstab ändert sich - alles wird finanzieller bewertet. Man berücksichtigt das Rentier nicht mehr so, wie man sollte. Man soll aber zuerst Rücksicht auf das Tier nehmen... Aber jetzt, nach dieser Tschernobyl-Katastrophe, jetzt heisst es: auf Cäsium achten... und das versteht ja das Rentier nicht! Da müssen wir nun ungewollt gegen die Natur arbeiten. Das Rentier spürt, dass es in den Wald möchte... aber es weiss ja nichts von Cäsium in der Renflechte. So kriegen wir andere Richtlinien. Wir ändern unsere Normen gegenüber dem Rentier. Früher haben wir immer zuerst an das Tier als Tier denken können - jetzt müssen wir vielleicht wirtschaftliche Aspekte anlegen und es als produktive Ware sehen! Es ist aber nicht gut, wenn es so kommt. Dann arbeitet man in der Natur gegen die Natur. Und dann geht schliesslich alles zum Teufel! Man kann das nämlich nicht kombinieren: in der Natur - gegen die Natur zu sein. Das hält nicht auf die Dauer." (Lasse im Film "Bedrohung" von Stefan Jarl.)
In Norwegen und Schweden zahlt der Staat Entschädigungen
für die verseuchten Tiere. Es Ist jedoch fraglich, ob die
Steuerzahler über mehrere Jahre hinweg bereit sein werden,
für die Zuschüsse aufzukommen. Noch fraglicher ist, ob
die Sami es psychisch verkraften, ihre Tiere für die
Müllhalde aufzuziehen und zu pflegen, und ob sie es
ertragen, als Sozialhilfeempfänger dazustehen. Die
Rentierzüchter versuchen mit dem Unabänderlichen
irgendwie fertig zu werden und ihrem Beruf trotzdem treu zu
bleiben. Tiere werden 500 km weit nach Süden auf Weiden
verfrachtet, die weniger verseucht sind. Aber nur eine
verschwindende Zahl kommt in diesen Genuss, die Weideflächen
sind beschränkt und es gibt Nutzungskonkurrenz mit
ändern Wirtschafszweigen. Fütterung mit Heu oder
speziell hergestelltem Kraftfutter oder Medikamenten ist teuer
und bekommt den Tieren möglicherweise nicht. Langsam sinken
zwar die Werte, aber in Schweden enthielten 1988 von 100.000
geschlachteten Tieren 30.000 noch soviel Cäsium, dass sie
höchstens als Futter in Pelztierfarmen in Frage kamen. Laut
Angaben der Zeltschrift Svenska Dagblatt betrug im Juli 1988 die
durchschnittliche Belastung samischer Rentierzüchter
zwischen 25.000 und 55.000 Becquerel, bei Sami in andern Berufen
2.000 Becquerel.
Politisch hat Tschernobyl die samische Bewegung nach innen und
aussen in Mitleidenschaft gezogen: Nach einigen Jahren, in denen
die gesamtsamische Identität erstarkt war, kommt es nun
wieder zu Spannungen zwischen Rentierzüchtern und andern
Sami, zwischen stark betroffenen Südsami und den weniger
stark betroffenen Sami im Norden. Wobei angemerkt werden muss,
dass die Gefahr der Polarisierung zwischen Rentierzüchtern
und andern Sami nicht erst mit Tschernobyl entstanden ist,
sondern latent zum Beispiel schon im Alta-Kampf spürbar war,
als die Rentierzüchter zum Symbol wurden, unter das sich
alle Sami fügen sollten. Die latenten Spannungen zwischen
den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Sami hat damit zu
tun, dass die Geldwirtschaft und neue Gesetze die
jahrhundertealten Gesellschaftsstrukturen zu verändern
vermochten. Die frühere starke Bindung zwischen Rentier -
Sami und Jäger- und Bauern-Sami hat sich aufgelöst,
weil letztere keine Rentiere mehr halten dürfen,
überhaupt Rentiere als Nebenverdienst nicht mehr erlaubt
sind und ein Aufstieg in die angesehene Schicht der Rentierhalter
nicht mehr möglich ist, während die Rentierhalter (mit
Herden von bestimmter Grösse) von Staats wegen besondere
Rechte und Privilegien geniessen: Subventionen für Hausbau
an den verschiedenen Weideplätzen zum Beispiel, oder
Entschädigungen für verseuchte Tiere. Eine starke
Bindung an die (norwegische) Bürokratie und Verwaltung Ist
entstanden, auf Kosten der samischen Einheit. Heute sind sich die
Sami dieser Gefahr bewusst.
Aus dem politischen Programm [ oben ]
Die Sami verstehen sich als eigenständiges Volk mit gemeinsamem Siedlungsgebiet, eigener Sprache, eigener Sozialorganisation und eigener Kultur und Geschichte. Nachdem sie erfahren mussten, wie Ihnen von Fremden ihr Land weggenommen, Steuern aufgezwungen, ihre Gemeinschaft durch Staatsgrenzen zerrissen und ihre Tradition und Kultur für wertlos erklärt wurden, fordern sie nun im Kampf um die Erhaltung ihrer Identität
"Die Toten tanzen im Nordlicht, um den
Lebenden zu leuchten", sagen die Skolt-Sami.
Gedicht von Aslak Guttorm (norwegisch)
Samesprak - gullsprak,
hvorfor sover du?
Hvorfor er du sa motlos?
Forstum ikke, morsmal!
Selv om fremmede sprak - tankesett
alt graver en grav for deg
selv om du enna ikke har slatt ut
i full blomst
og knoppen enna ikke har sprunget ut.
Samensprache - Goldsprache
weshalb schläfst du?
Weshalb bist du so mutlos?
Verstumme nicht, Muttersprache!
Selbst wenn fremde Sprachen - fremdes Gedankengut
schon ein Gab für dich graben,
selbst wenn du noch nicht in voller Blüte
ausgeschlagen hast und die Knospe
noch nicht aufgesprungen ist.
Quellen und Literaturverzeichnis [ oben ]
Zeitschriften, Verschiedenes
Bücher
Für mündliche Auskünfte danke ich herzlich Reidar Erke, Kautokeino/ Norwegen. Hans Ulrich Schwaar, Langnau im Emmental/ Schweiz. Näkkälä/Finnland und Alex Diederich Schallstadt/Deutschland