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Gemischter Chor - Zwischen Gleichberechtigung und Ausgrenzung

Zeitungen, Radios und TV-Anstalten von Minderheiten machen die sprachliche Vielfalt in der EU hör- und sichtbar. Trotz aller Schwierigkeiten, Beschränkungen und Diskriminierungen. Ein Zustandsbericht

Bozen, 13. Mai 2002

Von Wolfgang Mayr

"Warten Sie nicht auf Initiativen ihres Staates oder der EU, sondern üben Sie Druck aus, auch auf ihre Obrigkeiten", empfahl Onno P. Falkena vom friesischen Fernsehen Omrop Fryslan TV den versammelten Journalisten in Bozen (Südtirol-Italien). Auf einer Tagung über die Rolle der Lokalsender in Gebieten mit sprachlichen Minderheiten (26./ 27.11.1999) forderte der friesische Journalist zur Selbsthilfe auf. Es lohne sich, mit unabhängigen Projekten die Staaten in Zugzwang zu bringen. Es gibt inzwischen - auch dank der vielen Graswurzel-Initiativen - in verschiedenen Regionen der Minderheiten ein reges mediales Leben. Den Anstoß dafür gab 1985 das European Bureau for lesser used languages (EBLUL,www.eblul.org) mit einer Tagung auf Sardinien. Damals erschien es vielen Delegierten als ausgemachte Illusion, irgendwann über eigene Medien zu verfügen. Inzwischen sendet in Holland täglich das friesische Fernsehen, an der irischen Westküste können gälischsprechende Iren den gälischen öffentlich-rechtlichen TV-Sender TG4 empfangen, in der Bretagne wagte sich Patrick Le Lay (der ehemalige bretonische Intendant des staatlichen TF1) mit seinem privaten Satelliten-TV "TV Breizh" auf den Markt. Das TV-Programm ist privat finanziert, sendet wöchentlich 21 Stunden bretonisches Fernsehprogramm.

Le Lay forderte bereits die bretonischsprachigen Bürger auf, sein TV-Angebot zu abonnieren. Mehr als 300.000 Abonennten sind notwendig, um TV Breizh auf eine solide Basis zu stellen. In der Bretagne erzählen sich engagierte Bürger, dass Le Lay seinem Vater auf dem Sterbebett versprochen hatte, ein eigenes bretonisches TV zu gründen. Phantasie ist gefragt. 1988 übertrug Euskal Telebista Fußballspiele von Atletiko Bilbao, Real Sociedad und Alavesa. Es wurde baskisch kommentiert. Die Einschaltquote ging über den baskischsprechenden Bevölkerungsanteil in der autonomen baskischen Region und in Navarra hinaus. In Frankreich startete Le Lay seine Werbekampagne für TV Breizh während der Fußballweltmeisterschaft. Alle Spiele des französischen Teams kommentierte Le Lay auf bretonisch.

In vielen Ecken Europas, in den Regionen der Minderheiten, entstanden in den vergangenen Jahren Fernseh-Anstalten in Minderheitensprachen. In jenen Regionen, in denen relativ große Gruppen eigenständige Sprachen sprechen, konnten die TV-Pioniere das Experiment wagen. Sianel Pedwar in Wales 1980, Euskal Telebista im Baskenland 1982, Omrop Fryslan 1994 im niederländischen Friesland, TG4 in der Republik Irland im Jahr 1996. Jetzt ziehen die numerisch kleinen Sprachminderheiten nach. Auch sie fordern Sendeplätze, wie die Sorben in Deutschland. Sie hoffen auf die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates, die ausdrücklich minderheitensprachliche Radio- und TV-Sendungen im Maßnahmenkatalog erwähnt. Aufgrund des Föderalismus ist die Lage der Minderheiten, besonders deren mediale Versorgung, sehr unterschiedlich. So garantiert der Mitteldeutsche Rundfunk in Sachsen für die sorbische Sprachgruppe täglich - wenn auch nur ein Minimalprogramm - für sorbische Sendungen. Der MDR bietet aber für die 60.000 Angehörigen der Sorben kein TV-Programm an. Zahlt sich nicht aus, so der Grundtenor der Ablehnung aus den Chefetagen des MDR. Bessergestellt sind hingegen die 6.000 Sorben in Brandenburg. Der Ostdeutsche Rundfunk hat in seinem Programm eine Stunde täglich für die Sorben reserviert und strahlt monatlich das Fernsehmagazin Lyzica (Lausitz) aus.

Beschämend ist das friesische Sendeangebot des Norddeutschen Rundfunks NDR für die 10.000 friesischsprachigen Schleswig-Holsteiner. Die nur minutenlangen Sendungen pro Woche sind ein negatives Zeugnis für den NDR und für Schleswig-Holstein. Über den offenen Kanal Westküste drängen nordfriesische Radiomacher inzwischen zu ihren Hörern vor, mit der monatlichen Sendung "Radio Friislon". Diese lokale Sendefrequenz "offener Kanal" ist offen für Bürgerinitiativen, Migrantengruppen, Studenten, engagierte ältere Menschen und Minderheiten. Öffentliche Geldmittel gibt es aber keine. In den autonomen Regionen Spaniens, in Katalonien und im Baskenland, fördern die Regionalregierungen über die sogenannte Sprach-Normalisierung (Gleichstellung der Minderheitensprachen mit der Staatssprache in Schule, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft) auch das Entstehen eigenständiger katalanischer und baskischer Medien (pogrom 194/ 1997). Hunderttausende Konsumenten sind ein schwergewichtiges Argument. Kleine Sprachgruppen hingegen haben selten eigene fast "staatliche" Strukturen im Hintergrund. Für moderne Medien fehlt ihnen oft auch das sprachliche Hinterland.

Gälisches TV in den Highlands
Es gibt aber Ausnahmen, beispielsweise die gälischen Schotten, die seit 1993 ein höchst professionelles Fernsehen in eigener Sprache empfangen - und das auch noch täglich. Ein Fernsehen für 60.000 Gälen in den Highlands und auf den Islands. Es war, unvorstellbar, die betont englischkonservative Premierministerin Margaret Thatcher, die 1991 für einen gälischen TV-Sender 9,5 Millionen Pfund (15 Millionen Euro) reservierte. Thatcher-Berater Ciento Bielonovski, ein nach Australien emigrierter Mazedonier, empfahl seiner Chefin, mit dem Aufbau einer Fernsehanstalt die Unterentwicklung in den Highlands zu bekämpfen. Sein Argument - mit dem gezielten Einsatz von Geldmitteln ist ein wirtschaftlicher Aufschwung möglich. Tatsächlich arbeiten heute für den gälischen TV-Sender in Schottland mehr als 300 Menschen und das in hochqualifizierten Arbeitsplätzen.

Kleine Medienbetriebe arbeiten BBC Schottland und Grampian TV zu. Bei der Eröffnung der Fernsehstudios in Stornoway auf den Outer Hebrides sagte Prinz Charles, er hoffe, dass das neue gälische Fernsehen der gälischen Sprache auf die Sprünge hilft. Eine Prinzenempfehlung, die inzwischen Wirkung zeigt. Gälisch im Fernsehen trug dazu bei, das Image der gälischen Sprache gewaltig anzuheben. The gaelic television committee (GTC) ist für die Verteilung der Gelder an das Fernsehen zuständig. Mit Hilfe der GTC-Finanzen entwickelte BBC-Schottland ein europäisches Magazin (Eorpa) aus der Sicht Schottlands. Inzwischen trägt BBC-Wales dieses Projekt mit. In diesem Europa-Programm kommen selbstverständlich Belange anderer Minderheiten wie der Kosen, der Friesen, der Basken zur Sprache - aus dem Blickwinkel der Schotten und Waliser. Es gibt nicht mehr die Filter der BBC-Korrespondenten, die in der Logik ihres Nationalstaates stehen und dementsprechend berichten. Das schottische Eorpa-Magazin hat Nachahmer gefunden. Euskal Telebista bietet ein Europa-Magazin an, ebenso Omrop Fryslan. Diese TV-Anstalten tauschen untereinander ihre Sendeprodukte aus.

Die Pioniere der Sami-Radios
Auch im hohen europäischen Norden, in Schweden, Norwegen und in Finnland, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk geöffnet. Die großen Rundfunk-Anstalten sprechen auch Sami. Der norwegische Rundfunk NRK bietet seit 1946, die finnische Sendeanstalt YLE seit 1947 und die schwedische SR seit 1953 Sami-Sendungen an. Die ersten Sami-Übertragungen waren sporadischer Natur, inzwischen zählt das Sendeangebot in der Sami-Sprache (die entsprechenden neuen Gesetze in Finnland und Norwegen schreiben es vor) zum festen Programm der finnischen (2.035 Sendestunden/ 15 Redakteure) und norwegischen Radio-Anstalten (1.790 Sendestunden/ 36 Redakteure). Zögerlich und knauserig verhält sich der schwedische Rundfunk (190 Sendestunden/ 11 Redakteure). Die Sami-Radio-Redaktionen der drei Rundfunk-Anstalten arbeiten eng zusammen. Diese Kooperation ist gewollt und wird auch von den Anstalten gefördert. Die Sami-Radios haben das Zusammengehörigkeitsgefühl der Sami in Schweden, Norwegen und Finnland gestärkt, sagt Juhani Nousuniemi von der Sami-Redaktion des finnischen YLE in Inari. In diesem Sinne tauschen auch die Sami-Radios in Karasjok (Norwegen), in Kiruna (Schweden) und Inari (Finnland) ihre Produktionen aus. Laut Veli-Pekka Lehtola, einem Sami-Historiker, sind die Sami-Radios keine Geschenke und Konzessionen, sondern das Ergebnis hartnäckiger politischer Kämpfe. Die Sami-Organisationen und die Sami-Redaktionen fordern ein vollständiges Sendeangebot - im Radio wie auch im Fernsehen. Das TV-Angebot ist derzeit noch dünn. NRK, SR und YLE wollen jetzt mit der digitalen Sendetechnologie das Sami-Angebot im Fernsehen erhöhen. Als erfolgreich herausgestellt hat sich der Info-Text in Sami des finnischen YLE. Das Projekt wird von der EU mitfinanziert. Genauso ansprechend ist das Online-Angebot in Sami, englisch und finnisch. Mehr als 10.000 Besucher schauen sich die Sami-Web-Seite an. Europa ist mehr als ein Bund von Vaterländern.

Von Wolfgang Mayr. Aus pogrom 212 (2/2002).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-medien-de.html | www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-medien-eu.html | www.gfbv.it/3dossier/ladin/medialad.html | www.gfbv.it/3dossier/rai-en.html | www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/rai-a.html | www.gfbv.it/3dossier/edicolmin/indexmin.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/autonom.html | www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/it-mayr.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060316de.html

* www: www.eurominority.org/version/eng/

Letzte Aktual.: 22.3.2006 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/rai3-99/min-ausgrenz.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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