Göttingen, Februar 2006
Inhalt
EINLEITUNG | WALDZERSTÖRUNG
IN FINNLAND | RENTIERHALTUNG IN GEFAHR | DER KONFLIKT VON NELLIM | SÁMI FORDERN IHR RECHT AUF LAND EIN | DAS SÁMI-PARLAMENT "SÁMEDIGGI" | DER PRÄSIDENT DES SÁMI-PARLAMENTS PEKKA
AIKIO | WAS KANN ICH TUN?
EINLEITUNG [ oben ]
Bekommt man eine Ansichtskarte aus Finnland ist
dies ein typisches Motiv: Ein Sámi in Festkleidung mit
einem geschmückten Rentier, ein paar Bäume, Schnee.
Doch wie lebt die Urbevölkerung im heutigen Finnland
jenseits dieser stereotypen Darstellung, die für den
finnischen Tourismus genutzt wird?
Die Sámi (früher: Lappen) sind neben den Inuit in
Grönland das einzige indigene Volk Westeuropas. Ihr Land,
das sie als Sámi-Land, "Sápmi" bezeichnen,
erstreckt sich von Mittel-Norwegen und -Schweden über
Nord-Finnland bis zur russischen Kolahalbinsel. Etwa 75.000
Sámi gibt es heute, 7.000 von ihnen in Finnland. Über
die heutigen Staatsgrenzen hinweg haben sie nach wie vor ein
starkes Zusammengehörigkeitsgefühl als Sámi.
WALDZERSTÖRUNG IN FINNLAND [ oben ]
Die finnischen Sámi erleben Tag für Tag, dass der finnische Staat über ihre Köpfe hinweg die letzten Urwälder Europas abholzt. Diese prägen das traditionelle Sámi-Gebiet Finnlands an der Grenze zu Schweden, wo die Mehrheit der Sámi lebt. Die Sámi selbst haben kein Besitzrecht auf das Land ihrer Ahnen und seine natürlichen Ressourcen, denn Finnisch-Lappland gehört heute zu 90% dem Staat. Und der staatlichen Forstwirtschaft werden der Naturschutz und die Rechtsansprüche der Sámi untergeordnet. Mit seiner massiven Zerstörung der Wälder missachtet der finnische Staat die Kultur und Lebensweise, traditionelle Landnutzung und Wirtschaftsweise der Sámi die von dem intakten Lebensraum Wald abhängig sind. Hier lassen sie ihre Rentiere weiden, sammeln Pilze und Beeren, in den Seen und Flüssen wird gefischt. "Die samische Lebensart ist durch eine enge Verbindung zur Natur gekennzeichnet", erläutert Pekka Aikio, Präsident des Sámi-Parlaments, der politischen Vertretung der Sámi. "Rentierhaltung, Fischen und Jagen sind als frühere samische Erwerbsformen nach wie vor das Rückgrat der Produktion und Bestandteil einer naturnahen Art zu leben. Während der Nachkriegszeit hat die intensive Nutzung der Bodenschätze auf dem samischen Gebiet vor allem durch die staatlichen Großunternehmen erheblich zugenommen. Dies hat oft zu Interessenkonflikten mit den traditionellen Erwerbsformen geführt." Die Zerstörung der Wälder wirkt sich unmittelbar auf die Rentierhaltung aus, die hier von etwa 40% der Sámi betrieben wird und nach wie vor von hoher sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung ist. Die samischen Rentierzüchter, die sich in Genossenschaften zusammengeschlossen haben, lassen ihre Tiere innerhalb weit umzäunter Gebiete von 1000-5000 Km2 umherziehen.
RENTIERHALTUNG IN GEFAHR [ oben ]
Die Rentiere sind auf die Wälder als
Futterlieferant im Winter angewiesen, denn sie fressen die
Flechten, die nur in sehr alten Bäumen und auf dem Boden
wachsen. In den harten Wintern des finnischen Nordens sind diese
Flechten das einzige Futter, das die Tiere im tiefen Schnee
erreichen können. Nur in den uralten Wäldern, in denen
weit über 500 Jahre alte Kiefern wachsen, gibt es sie in
ausreichender Menge. Deshalb ist in Finnland die
Rentierwirtschaft ohne diese Urwälder nicht möglich.
"Es geht nicht um die Bäume allein, sondern um eine ganze
Nahrungskette", erklärt Pekka Aikio. "Die langen Bärte
an den Bäumen spielen dabei eine besondere Rolle. Nur ganz
alter Wald hat diese Flechten. Wenn der Schnee im Frühjahr
zwei Meter hoch liegt, finden die Rentiere kein anderes Futter.
Der Wald ist ein Garten und seine einzigen Früchte sind
diese Flechten. Nur so überleben die Herden die lange kalte
Zeit. Für zwei bis vier Monate ist das ihre einzige
Nahrung." Die Urwälder sind keineswegs durch
Aufforstungsprojekte zu ersetzen. Holzeinschlag zerstört
sowohl Boden- als auch Baumflechten. Für die Rentierhaltung
ist ein solcher Wald verloren.
Die Rentierhaltung ist in Gefahr. Besonders die kleineren
Rentierwirtschaften drohen zu verschwinden. Der Staat und die EU
fördern die Rentierzüchter
unverhältnismäßig wenig, da dieser Erwerbszweig
nicht genug Gewinn abwirft. Während ein Züchter
für ein Rentier nur 20 Euro Unterstützung von der EU
erhält, bekommt ein Landwirt für ein Schaf bis zu 194
Euro. Diese Politik wird bei den Vertretern des Samenparlaments
als gezielte Fortsetzung der Kolonialisierung verstanden, denn
wenn die Rentierzüchter ihre Tiere nicht länger halten
können, werden sie auch ihr Nutzungsrecht an Weideland nicht
beanspruchen. Zusätzlich erschweren die zunehmenden
Absatzschwierigkeiten des Fleisches auch in den
Nachbarländern den Rentierhaltern das wirtschaftliche
Überleben. Die Tschernobyl-Katastrophe 1986 hat dazu
wesentlich beigetragen. Für die Sámi, so Pekka Aikio
ist somit nicht nur das wirtschaftliche Überleben, sondern
auch ihr Kulturgut und wichtiger Bestandteil ihrer gesamten
Lebensweise bedroht.
Die Abholzung der finnischen Wälder wurde in der letzten
Zeit sehr verstärkt. In den 1990er Jahren hat der Staat
über sein Forstamt den Einschlag vor allem in den alten
Wäldern von Inari ausgebaut. Seitdem spitzt sich der
Konflikt um die Waldnutzung zwischen den samischen Rentierhirten
und den staatlichen Forstbetrieben zu. Im Jahre 2005 hat der
Einschlag ein solches Ausmaß angenommen, dass die
traditionellen Rentierherden verschwinden werden, wenn Finnland
die Rechtsansprüche der Sámi nicht endlich ernst
nimmt und seinen Holzweg verlässt. Finnland gilt als das
waldreichste Land der EU, doch von den ursprünglichen
Wäldern sind nur noch knapp 5% erhalten. Die übrigen
Wälder sind für die Rentierwirtschaft unbrauchbare
Forstplantagen. Mit dem Verschwinden des Waldes ist die
Lebensgrundlage der Sámi-Rentierhalter also schon massiv
beeinträchtigt, und der Ertragswert der Herdenhaltung
deutlich zurückgegangen. Die finnische Regierung behauptet,
in Lappland viele Wälder unter Schutz gestellt zu haben. Ein
großer Teil der für die Sámi wichtigen
Urwälder liegt jedoch außerhalb der Schutzzonen. Zudem
ist in einigen Schutzzonen der Holzeinschlag durchaus erlaubt.
Was zählt ist, wo sich das wertvollste Holz befindet.
Sprache [ oben ]
In Nellim, einem östlich des Inari-Sees gelegenen, 27.000
ha umfassenden Waldgebiet, hat der gemeinsame Widerstand von
Sámi und Umweltschützern im Herbst 2005 Schlagzeilen
gemacht hat. Das staatliche Forstamt hatte in Urwäldern mit
dem Holzeinschlag begonnen, die für die dort ansässigen
Sámi von zentraler Bedeutung sind. Die samischen
Rentierzüchter, denen hier die meisten Herden gehören,
sind im Vorfeld weder konsultiert noch informiert worden.
Die Reaktionen auf ein gemeinsames Widerstandscamp von
Umweltschützern und Sámi zeigen, wie vehement das
Interesse an der Waldabholzung vertreten wird. So hat die
gewerkschaftliche Dachorganisation FFC zu einem Boykottaufruf
gegen Rentierfleisch auf die Proteste reagiert. Ähnlich fiel
die Antwort der Gemeinde von Inari aus, die Unterschriften gegen
das Camp gesammelt und die protestierenden Sámi
aufgefordert hat, sich zu erkennen zu geben, damit der
Rentierfleisch-Boykott direkt gegen sie gerichtet werden
könne. Arbeiter vom staatlichen Forstamt haben sogar in
traditioneller Sámi-Kleidung gegen das Camp demonstriert,
was von den Sámi als Respektlosigkeit aufgefasst wurde.
Das Forstamt ging so weit, ein "Anti-Terror-Info-Center
aufzubauen und den gegen die Waldzerstörung eintretenden
Rentierhirten Gewalt zu unterstellen. Gleichzeitig gab es
verschiedene Einschüchterungsversuche gegen die
protestierenden Sámi, wie nächtliche Drohungen per
Telefon oder Eindringen ins Camp mit Waldmaschinen.
Nachdem die Sámi im Frühjahr 2005 zunächst
erfolgreich den Dialog mit dem Forstamt aufgenommen hatten, brach
das Forstamt die Verhandlungen mit den Vertretern des
Sámi-Parlaments und den Rentierhaltern im Juni ab und
begann im August 2005 erneut zu fällen. Die Rentierhalter
Eero, Veijo und Kalevi Paadar haben daraufhin Beschwerde beim
lokalen Gericht eingereicht, da die Abholzung die Rentierhaltung
beeinträchtige und so die Kultur der Sámi bedrohe.
Doch das Forstamt hatte als Voraussetzung für einen
Einspruch eine Vorab-Schadensersatz-Zahlung von 1 Million Euro
von den drei Brüdern verlangt, so dass ihnen der Rechtsweg
verstellt war. Nachdem der Einspruch auf nationaler Ebene also
gescheitert war, wandten sich die drei Sámi an den
UN-Menschenrechtsausschuss, einem UN-Vertragsorgan, das
Individualbeschwerden entgegen nimmt, wenn sich die
Bürgerinnen und Bürger seiner Mitgliedsstaaten in ihren
zivilen und politischen Rechten verletzt sehen. Der
Menschenrechtsausschuss sprach der finnischen Regierung die
Empfehlung aus, den Einschlag zu unterbrechen. Nachdem Proteste
von Greenpeace und der samischen Rentiervereinigung der
Empfehlung Druck verliehen hatten, erklärte sich der
staatliche Forstbetrieb schließlich bereit, sich von seiner
Arbeit in der Gegend von Nellim zwischenzeitlich
zurückzuziehen. Mit diesem Abholzungstopp ist die
Winterweide vorläufig gesichert worden. Es bleibt jedoch
eine baldige Wiederaufnahme der Waldzerstörung zu
befürchten. Finnland kann den Einschlag in diesem
Frühjahr jederzeit wieder aufnehmen. Umso mehr bedarf es
gerade im Ausland einer kritischen Öffentlichkeit
gegenüber der finnischen Regierung, die auf ihren Ruf
durchaus bedacht ist.
SÁMI FORDERN IHR RECHT AUF LAND EIN [ oben ]
Die politische Vertretung der Sámi in Finnland, das
Sámi-Parlament, hat den finnischen Staat wiederholt
dafür kritisiert, den Sámi keine Besitzrechte
über Land und Ressourcen zu gewähren. Denn nur die
offizielle Anerkennung ihrer Rechte kann die Sámi, ihre
Kultur und Lebensweise sowie ihre Rentierhaltung wirksam
schützen. Der finnische Staat nimmt das Land für sich
in Anspruch, obgleich die Landfrage rechtlich nicht geklärt
ist. In staatlichen Studien zu Nutzungsrechten und Verwaltung im
traditionellen Sámigebiet wurde die Landbesitzfrage
ausgeklammert. Grundsätzlich hat das finnische Parlament
vermieden, zu den Landrechten der Sámi Stellung zu nehmen.
Die Sámi müssen wie andere finnische Bürgerinnen
und Bürger vor Gericht über Landrechtsfragen
entscheiden lassen. Die Einigung über Landrechte wird
staatlicherseits immer wieder mit dem Argument hinausgeschoben,
man müsse die Frage der Landrechte erst sorgfältig
prüfen und eine juristische Studie durchführen. Aktuell
warten die Sámi darauf, dass das finnische Parlament die
Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, deren Erscheinen
wiederholt verschoben worden ist. Es ist jedoch zu vermuten, dass
der finnische Staat an seiner Auslegung festhält, die
Sámi hätten dem Staat das Land freiwillig
überlassen und von seinen Maßnahmen, wie z.B. dem
Straßenbau, profitiert. Das Sámi-Parlament deutet
die Geschichte der Kolonialisierung des Landes jedoch anders und
fordert das Recht auf seinen traditionellen Lebensraum ein.
Derweil wird das Sami-Land den wirtschaftlichen Interessen des
Landes preisgegeben. Besonders vor dem Hintergrund der
rücksichtslosen Forstpolitik des Landes ist es also von
großer Dringlichkeit für die Sámi, dass ihre
Forderung nach Landrechten endlich erfüllt wird.
Zwar existiert ein Gesetz, das die Vereinbarkeit von Rentierzucht
und Holzwirtschaft regeln soll, und das besagt, dass das
Weideland der Rentiere durch den Einschlag nicht nachhaltig
geschädigt werden darf; Streitfragen werden vor Gericht
jedoch meist zugunsten des Staates entschieden. Außerdem
können – wie das Beispiel aus Nellim gezeigt hat - im
Vorhinein hohe Kompensationszahlungen erhoben werden, die zu
leisten den Klägern nur selten möglich ist.
Der Verlauf des Konflikts in Nellim kann als typisch für den
Umgang der finnischen Behörden mit der Minderheit der
Sámi betrachtet werden. Wichtig wäre es, den
Sámi die Wasser- und Landrechte in ihren traditionell
bewohnten Gebieten offiziell zuzuschreiben. Bisher war Finnland
dazu jedoch nicht bereit. Entsprechend hat es die ILO-Konvention
169 nicht ratifiziert, die das einzige internationale und
völkerrechtlich verbindliche Abkommen ist, um indigenen
Völkern die Grundrechte für ihr Überleben
zuzusichern. Die unterzeichnenden Staaten der ILO Konvention 169
erkennen an, dass indigene Völker das Recht haben, ihre
Zukunft selbst zu bestimmen, über Land und Ressourcen zu
verfügen, an sie betreffenden Entscheidungen beteiligt zu
werden, angemessene Arbeitsbedingungen zu haben und ihre
Lebensweise und Kultur ohne Diskriminierung verwirklichen zu
können. Die finnische Regierung hat argumentiert, sie
könne die ILO Konvention 169 nicht unterzeichnen, da die
finnische Verfassung den Sámi keine speziellen
Besitzrechte über ihr traditionelles Gebiet zugestehe, da
die Landrechte nicht geklärt seien.
DAS SÁMI-PARLAMENT "SÁMEDIGGI" [ oben ]
Alle vier Jahre wählen die Sámi in Finnland das
Sámi-Parlament als ihre politische Vertretung. Seine 20
Mitglieder sollen die Rechte und Interessen der Sámi
vertreten, wahren und fördern. Das Sámi-Parlament hat
jedoch allein beratende Funktion. Es wird im Finnischen Parlament
nur angehört und hat dort keine Vertreter. Entsprechend
können die Sámi keine politischen Entscheidungen
über Angelegenheiten fällen, auch wenn diese sie direkt
betreffen.
1996 wurde erstmals verfassungsrechtlich verankert, dass die
Sámi als indigenes Volk Finnlands das Recht haben, ihre
eigene Kultur und Sprache zu erhalten und zu entwickeln. Somit
wurde den Sámi die Selbstverwaltung bezüglich ihrer
Sprachen und Kultur offiziell gewährt. Selbstbestimmung
sieht das Sámiparlament jedoch nicht verwirklicht, solange
der Staat den Sámi das Recht auf Rentierzucht, Fischfang
und Jagd auf ihrem eigenen Land nicht zugesteht. Deshalb fordert
das Sámi-Parlament seit 1993 die Selbstbestimmung auf
Land, Gewässer und Bodenschätze auszuweiten.
DER PRÄSIDENT DES SÁMI-PARLAMENTS PEKKA AIKIO [ oben ]
Pekka Aikio ist bereits seit 10 Jahren als Präsident des Sámi-Parlaments aktiv. Der heute 61jährige studierte Zoologe ist ein besonderer Kenner der samischen Geschichte und Kultur. Er betont, wie wichtig es für die samische Lebensweise ist, die Rentierzucht zu erhalten und sich trotz der Herausforderungen der Moderne mit einer traditionellen samischen Lebensweise verbunden fühlen zu können. So tritt Pekka Aikio gegen die Abholzung der Wälder, für die Beteiligung der Sámi an den sie betreffenden Entscheidungen und für die samischen Landrechte ein. Die Anerkennung samischer Landrechte ist für ihn eng verbunden mit der Bewahrung der Sámi-Kultur und der Rentierhaltung. Er repräsentiert die Lebensweise der Sámi auch außerhalb Finnlands nicht als eine im Verschwinden begriffene, sondern als eine lebendige Kultur – eine Kultur allerdings, die um ihre Existenz kämpfen muss.
WAS KANN ICH TUN? [ oben ]
Aus den finnischen Wäldern wird vor allem Papier gemacht. Mit 11,7 Tonnen jährlich ist Deutschland ein wichtiger Abnehmer dieses Papiers. Entsprechend können wir unseren Einfluss geltend machen!