Von Liane Gruda
Bozen, Berlin, 22. Oktober 2006
Die Sámi sind im Norden Norwegens,
Schwedens und Finnlands (und auf der russischen Kohlahalbinsel)
ethnische Minderheit - aber sie sind dort die
Ursprungsbevölkerung. Sie haben Rechte, die ihnen die
UN-Konvention ILO 169 und nationale Gesetze garantieren. So
können Sámi in den nördlichsten Gemeinden
Schwedens wählen, ob sie ihre Kinder in einen Samischen
Kindergarten und auf eine samische Schule schickem möchten,
oder auf eine schwedische und vor den Behörden hat jeder
Sámi das Recht, seine Angelegenheiten in samischer Sprache
vorzubringen und er hat Anspruch auf eine behördliche
Antwort in seiner Sprache. Starke kulturelle Identifikation geht
für die schwedischen Sámi noch heute von der Renzucht
und allem damit Zusammenhängenden aus.
Noch immer ziehen die samischen Renhirten mit ihren Tieren zu den
Sommerweiden im Gebirge und auf den Tundren und kehren im Winter
zurück in die Wälder des Mittelgebirges und des
Flachlandes. Dass dies auch ein Zug über die
schwedisch-norwegische Grenze darstellt, interessiert weder die
Rentiere noch ihre Hirten! Das Recht der schwedischen Sámi
zur Sommerweide in Schweden (und der norwegischen Sámi zur
Winterweide in Schweden) ist seit 1751 im Lappkodicillen, einem
Vertrag zwischen den beiden beteiligten Königen, geregelt -
und es gilt noch heute. So sind die Kälbermarkierungen im
Sommer in Norwegen und die Schlachtungen im Herbst und die
Scheidungen der Herden im Winter traditionelle und
traditionsreiche Sammel- und Fixpunkte im Laufe des
Renzüchterjahres.
Doch der norwegische Staat dreht an den
Verträgen! Als im Juli 2006 die schwedischen Sámi der
Wirtschaftsgemeinschaft Sarivouma Sameby zur
Kälbermarkierung am See Altevatn in Norwegen ihr dortiges
Rengehege in Betrieb nehmen wollten, um die Herden dort zusammen
zu treiben, fanden sie ihren Zaun nicht mehr vor! Die norwegische
Polizei hatte ihn im Auftrag der Renweidebehörde mit einem
Helikopter abtransportiert. Die Sámi sehen hierin mehr als
nur einen Konflikt um Renweiderechte; der Renzüchter Nils
Torbjörn Nutti erzählt:
"Ich bin Sámi aus Saarivouma Sameby; wir betreiben
Renzucht im Gebiet von Altevatn, Bardu und Dividal/Anjavass in
Troms Fylke Norwegen. Das Land dort wird von uns als Sommerweide
genutzt. Es geht in diesem Konflikt um dieses Land, auf dem heute
sowohl norwegische als auch schwedische Sámi
grenzüberschreitend Renzucht betreiben. Wir haben unsere
Wohnsitze und unsere Herden im Winter im Gebiet Soppero in
Schweden. Die Sámi von Saarivouma und anderen
Wirtschaftgemeinschaften ("samebyar") in Schweden haben seit
undenklichen Zeiten Land auf der norwegischen Seite der Grenze
bis hin zur Atlantikküste genutzt, samische Familien haben
dieses Gebiet besiedelt und genutzt, für Renweide, Jagt und
Fischerei."
Der norwegische Staat hat dieses Land konfisziert und uns
vertriebe, immer weiter nach Osten, näher an die schwedische
Grenze heran. Dies geschah methodisch durch politische
Beschlüsse und die Norwegisierung der Gebiete. Durch
Konventionen hat man uns unseres Landes beraubt, über unsere
Köpfe hinweg, ohne uns zu fragen oder auf unsere Proteste zu
hören und wir wurden land- und rechtlos. Der schwedische
Staat hat zu dieser Vertreibung Beihilfe geleistet, indem er die
Interessen der Sámi nicht vertreten hat und sich passiv
verhalten in den Verhandlungen über die Renweiderechte
zwischen Norwegen und Schweden. In dem Maße, in dem man
sich das Land angeeignet hat, wurde es mit Norwegern aus dem
Süden besiedelt, andere Wirtschaftszweige gefördert und
in den letzten 30 bis 40 Jahren sogar norwegische Sámi aus
anderen Weidegebieten (Finnmarken) dorthin umgesiedelt. Der Sinn
der Maßnahmen ist klar: Das Land soll entwickelt und
industrialisiert werden und mit der modernen Zivilisation
gesegnet werden, damit auch dort die regionale norwegische
Wohlfahrtpolitik betrieben werden kann.
Der Konflikt eskalierte weiter in den letzten
Jahren durch Schikanen und Provokationen und fortgesetzten
Übergriffen von Seiten des norwegischen Staates, unter
anderem durch Niederreißen unserer Rengehege, neue
politische Beschlüsse, die dem Lappcodisillen zuwiderlaufen,
rechtswidrige Beschlagnahme von Fischernetzen, Behinderung
unserer Berufsausübung sowie Forderung hoher Geldbußen
für angeblich unzulässiger Weidenutzung und mehr. All
dies geschieht im Jahre 2006, da ich glaubte, wir befänden
uns in einer modernen Zeit und in einem Rechtsstaat, da die
Rechte der Mensch respektiert werden! Wir Sámi haben das
Gefühl, dass es nun genug sein muss, nun müssen diese
Übergriffe aufhören. Wir fordern, dass die Staaten zur
Vernunft kommen und Verantwortung übernehmen und
insbesondere Norwegen unserer Recht auf das Land anerkennt und
dazu beiträgt, dass der Konflikt eine Lösung findet.
Hat man den alten Vertrag, Lappcodisillen von 1751 versteckt und
vergessen, den beider Staaten Könige zum Schutze und zur
Sicherung der Rechte der Sámi unterzeichnet haben? Dieser
Vertrag kann ja nicht einseitig von einem Beteiligten aufgesagt
werden und auch nicht von beiden gemeinsam, ohne auf den Rechten
der Sámi rumzutrampeln. Wir haben lange Zeit dafür
gekämpft, unsere gestohlenen Gebiete zurück zu
bekommen. Unsere Situation ist schwer genug und sollten wir noch
mehr Land verlieren, wird das Überleben auf der Basis von
Renzucht in diesem Gebiet nicht mehr möglich sein. Ein Teil
unserer Identität als Volk der Sámi ginge damit
verloren.
Was den Konflikt mit unseren samischen Kollegen, den Sámi
in Norwegen, betrifft, so sind unsere alten Sommerweidengebiete
an die norwegischen Sámi als Winterweideland gegeben
worden, obwohl sie sich nach den natürlichen Gegebenheiten
gar nicht als Winterweide eignen, weil es dort unter anderem an
Renflechte mangelt. Sicher kann dort sporadisch für kurze
Zeit geweidet werden, aber nicht einen ganzen Winter lang. Wir
haben deshalb Weiderechte auf unseren Winterweidegebieten in
Schweden angeboten, um das Problem zu lösen, jedoch ohne
Gehör mit unserem Vorschlag zu finden - weder von Seiten der
Sámi noch des norwegischen Staates. Es hat den Anschein,
als seien sie mit der Situation zufrieden und würden ihre
Tiere mit pelletiertem Trockenfutter über den Winter
bringen. Dass dieses Gebiet nur als Sommerweide anwendbar ist, so
wie es seit Jahrhunderten der Fall ist, dass haben auch unsere
samischen Kollegen in Norwegen verstanden, denn sonst
müssten sie nicht mit Pellets füttern. Soll das aber
die Zukunft der Renzucht sein? Darf der Staat einige
auserwählen, die seinen Interessen förderlich sind und
andere ausstoßen? Ich bin der Meinung, dass wir uns
besinnen müssen und eine Lösung durch Gespräche
finden müssen. Wir sind um des Überlebens willen zur
Zusammenarbeit gezwungen. Denn niemand will wohl den anderen
übervorteilen. Oder ist die Norwegisierung schon so weit
fortgeschritten, dass wir Sámi das Geschäft des
Staates betreiben?
Ansonsten haben wir in den letzten zehn bis
zwanzig Jahren Norwegen als einen Staat gesehen, der sich
für die Menschenrechte und auch für die Rechte das
Sámi eingesetzt hat, u. a. durch Unterzeichnung der
UN-Konvention ILO 169, Bildung der samischen Vertretung
"Sametinget" und zuletzt des "Finnmarksgesetzes" und mehr. Aber
erstreckt sich in der Praxis das Wohlwollen nur auf die eigenen
Mitbürger und Steuerzahler? Nun sieht es doch so aus, als
wollte Norwegen die Sámi nicht als ein Volk anerkennen,
als die Ursprungsbevölkerung mit eigener Sprache, eigener
Kultur und eigenen Wirtschaftsformen, das sich durch
jahrhunderte- und jahrtausendelangem Gebrauch des Landes und der
Gewässer das Recht zur Nutzung erworben hat. Wir sind ein
Volk, aber wir wurden als Ergebnis der Politik der
Großmächte als Staatsbürger aufgeteilt auf
verschiedene Staaten. Gleichzeitig haben sowohl Norwegen als auch
Schweden gegen Unrecht und Ungerechtigkeit in anderen
Ländern gekämpft. Oder ist das nur ein Spiel für
die Galerie, um von dem eigenen schlechten Gewissen wegen
begangenen Unrechts abzulenken? Übrigens war es Schweden,
das seinerzeit die Initiative zur Einsetzung der Kommission zur
Ausarbeitung der ILO 169 ergriffen hatte.
Viele Briefe der Lokalbevölkerung in Troms Fylke in
Norwegen unterstützen uns in unserem Kampf um die
Rückgabe der alten Weidegründe und sie fordern von den
norwegischen Politikern dasselbe. Dass die Bevölkerung uns
unterstützt, das haben wir auch früher schon ohne
Zweifel erfahren, in Begegnungen und Gesprächen und
Beiträgen in den lokalen Medien. Nun erwarten wir das
dasselbe Verständnis von den Verantwortlichen in Oslo und
Stockholm. Es wird Zeit, dass die Staaten und die Politiker
Verantwortung übernehmen und den schönen Worten Taten
folgen lassen und zu beweisen, dass man nicht nur Beschützer
von Minderheiten und Fürsprecher einen multikulturellen
Gesellschaft in anderen Ländern und gegenüber anderen
Mitbürgern ist, sondern auch gegenüber seiner
Ursprungsbevölkerung - den Sámi!
Kontakte und weitere
Informationen:
Nils Torbjörn Nutti, Tel. 0046 - (0)980 - 213 29
Hans-Joachim Gruda, c/o homo peregrinus, Tel. 0049 - (0)30 - 405
399 48