Bozen, 15. März 2005
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Von Tilman Zülch
In Deutschland zählen die alteingesessenen Sprachminderheiten insgesamt 200.000 Angehörige: Die Sorben ( 60.000 in der Ober- und Niederlausitz), die Dänen in Südschleswig 50.000), die deutschen Sinti und Roma (80.000) und die Nordfriesen. Die Zahl der Letzteren ist schwer zu messen. Zehntausend etwa sprechen noch nordfriesische Sprachdialekte, weil eine Hochsprache wie auch bei den Ladinern in den autonomen Provinzen Südtirol und Trentino sowie in der Provinz Belluno in der Region Venetien (Italien) bis heute nicht existiert. Gegenüber 6 bis 7 Millionen eingewanderten Ausländern und ihren meist deutschsprachigen Kindern zählen die alteingesessenen kleineren Nationalitäten wenig. 200.000 Seelen unter 83 Millionen Einwohnern.
Das ist schon seit langem anders in Schleswig-Holstein. Die 50.000 Dänen unter 250.000 Schleswig-Holsteinern sind hervorragend organisiert. Mit einem eigenen Schulsystem,. einer eigenen dänischen Kirche, einem Unternehmerverband, einer Bauernvereinigung und zahlreichen Sport- und Kulturvereinen. Aber sie haben auch eine schlagkräftige Partei, den SSW, der befreit von der 5% Klausel mit ein, zwei oder drei Mandaten in der schleswig-holsteinischen Landespolitik durchaus Einfluss ausübte und zwar auch über die Probleme der Minderheiten hinaus. Zu einer unangenehmen Größe, jedenfalls für die bürgerlichen Parteien CDU und FDP wurde, nach deren Wahlsieg, bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Februar 2005 der sozialdemokratisch orientierte Sydslesvigsk Forening, der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der dänischen und auch der friesischen Sprachgruppe.
Doch das mit den Friesen ist ein komplizierte Frage. 1840, als der Nationalstaatsgedanke aufkam, erklärte sich eine überwältigende Mehrheit der Friesen für die deutsche Nationalbewegung. Doch diese Zuneigung der Nordfriesen wurde ihnen nicht immer wirklich gedankt. Jahrhundertelang hat die deutsche Kirchen- und Schulsprache in Nordfriesland gegolten. Die Forderungen der in Haus und Hof gesprochenen friesischen, eigenständigen westgermanischen Sprache Gleichberechtigung zu gewähren, wurde weder in Kiel noch in Berlin respektiert. Dennoch ging die Volksabstimmung für oder gegen den Status als nationale Minderheit in den zwanziger Jahren gegen eine dänische Ausrichtung aus. Etwa 95% der Nordfriesen, die an Unterschriftenlisten und Abstimmungen Für und Wider teilnahmen, wollten eine nichtdeutsche Minderheit sein. Die Nationalsozialisten setzten die Diskriminierung der friesischen Sprache fort, wie es die Weimarer und die wilhelminischen deutschen Behörden gehalten hatten. So wundert es nicht, dass in den nordfriesischen Regionen auch bei den letzten Wahlen der SSW im Durchschnitt nur 5% der Stimmen erhalten hat.
Mit seinen zwei Vertretern im schleswig-holsteinischen Landtag wurde nach dem rot-grünen Wahlverlust der SSW zum unerwarteten Mehrheitsbeschaffer für Ministerpräsidentin Heide Simonis. So entdeckten auch Weitentfernte bundesdeutsche Politik und Medien die Minderheiten in Schleswig-Holstein. Politiker und Journalisten waren überrascht, auch deshalb, weil der SSW klar und deutlich Forderungen formulierte, um der abgewählten rot-grünen Landesregierung ein Weiterleben zuzusichern und sich damit kalkulierend in die Landespolitik einmischte. Einen Frevel, stellten die Sieger von der CDU fest. Statt sich auf bloße Minderheitenbelange zu konzentrieren - in dänischen Schulen beginnt der Unterricht täglich mit einem gesungenen dänischen Volkslied - meldete der SSW Ansprüche an. Unerlaubterweise, erklärte die CDU und verwies darauf, dass der SSW von der üblichen Fünfprozenthürde befreit sei. Deshalb, so der parlamentarische Geschäftsführer der CDU Norbert Röttgen und der hessische Ministerpräsident Roland Koch, seien die beiden SSW-Parlamentarier nicht vollwertig, nur halb legitimiert, gar illegal und demokratiegefährdend, wenn die Minderheitenpartei SSW als "Zünglein an der Waage", als "Königsmacher" agiert.
Diese Botschaft wurde von Nationalisten, Radikalen und dem Pöbel Schleswig-Holsteins verstanden. Der SSW wurde mit übler Post, per Brief, Fax und Mail überhäuft, es gab sogar Todesdrohungen. Die um die Regierungsmacht gebrachte CDU verpackte ihre Drohung in eine Empfehlung, auch für den SSW sollte wieder die Fünfprozenthürde gelten. Außer, der SSW beschränkte sich auf die Probleme der Minderheit und hielte sich raus aus der großen Politik.
Lebt ein beigelegt geglaubter Nationalitätenstreit wieder auf? Seit den vierziger Jahren des 19.Jahrhunderts war das Land Schleswig in Nord und Süd Schauplatz ethnischer Auseinandersetzungen. Als Teil des dänischen Gesamtstaates genoss das Land Schleswig beträchtliche Autonomie. Auch das Land Holstein war mit der dänischen Krone verbunden. Es war ein großer Fehler des dänischen Staates, die deutsche Sprache im schleswiger Land zu diskriminieren oder zu verfolgen. Die Besetzung oder Befreiung Schleswig-Holsteins durch die beiden deutschen Großmächte schaffte Unfrieden zwischen den Deutschen und Dänen, nicht nur im Land Schleswig. 1920 wurde nach einer Volksabstimmung die heutige Grenze mitten durch Schleswig gezogen. Nordschleswig stimmte mit ca. 75% für Dänemark, Südschleswig mit etwa 80% für den Verbleib in Deutschland. Die Städte nördlich von Nordfriesland Tondern, Hoyer und Tinglef stimmten mit großer Mehrheit für die deutsche Seite, mussten aber - obwohl direkt an der Grenze gelegen- zu Dänemark. Das wurde in Nordfriesland als ungerecht empfunden. Auf dem südschleswiger Festland hatten alle Gemeinden eine deutsche Mehrheit. In Südschleswig formierte sich die südschleswigsche Volksgruppe mit einem Schwerpunkt in Flensburg/Flensborg. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte sie einen großen Aufschwung, der eigentlich bis heute anhält.
In der Nazi-Zeit wurde die dänische Minderheit diskriminiert. 1948 drängten die Briten auf eine Befriedung in der deutsch-dänischen Grenzregion. In der Kieler Erklärung 1949 bekannte sich Schleswig-Holstein zu seiner Minderheit. Das schlechte Gewissen nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ermöglichte eine Art Wiedergutmachung. In Kiel ging die CDU-Landesregierung aber davon aus, dass die dänische Regierung der deutschen Minderheit ähnliches zusichern würde. Die Dänen rächten sich aber an der deutschen Minderheit in Nordschleswig, weil sie in ihrer Mehrheit den Einmarsch der Wehrmacht in ihren Gemeinden begrüßt hatten. Wer heute den Knivsberg besucht, der weite Blicke über die Ostsee zulässt, dem wird dort das Denkmal für die gefallenen Soldaten der Minderheit auffallen. Es kommt ohne nationalen Pathos aus. Mit sechs Abteilungen und den Grabsteinen der jeweils Gefallenen, die von Jahr zu Jahr in der Zahl zunehmen, erinnerte an die Instrumentalisierung deutscher Minderheiten in Europa durch das NS-Regime.
Es war politisch wenig klug von dänischer Seite, das Grundvermögen der Nordschleswiger zu konfiszieren und Abschlüsse der deutschen Schulen nicht anzuerkennen. CDU-Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke (Juni 1951 - Oktober 1954) revanchierte sich mit der Einführung einer 7,5%-Klausel, um den SSW aus dem Landtag zu drängen. Auch das war eine offene Geste der Unterdrückung an die dänische Volksgruppe im Süden. Der SSW klagte dagegen erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht.
Doch erst im Vorfeld des NATO-Beitritts der Bundesrepublik klärte sich das Verhältnis zu Dänemark. Am 29. März 1955 wurden die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen verkündet. Die innerstaatlichen Vereinbarungen leiteten eine Politik des Gleichgewichts zwischen Mehrheit und Minderheit auf beiden Seiten der Grenze ein. Einengungen im Schulrecht in Nordschleswig und des Wahlrechts in Schleswig-Holstein wurden aufgehoben. Seit den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen ist der SSW als politischer Vertreter der dänischen Minderheit nicht mehr an die Fünf-Prozent-Klausel gebunden. Eine weise und vorbildliche Entscheidung. Die Verträge beseitigten die Hindernisse, förderten das friedliche Zusammenleben in der Grenzregion mit Dänemark. Sie gilt deshalb als Modellfall und wurde am 29. März 2005 in Sonderburg/Sonderborg und Flensburg/Flensborg gemeinsam von Dänen und Deutschen gefeiert. 1989 schrieb sich das Bundesland eine neue Verfassung. Darin bekennt sich Schleswig-Holstein mit klaren Worten zu Sonderrechten für Minderheiten. Auch das war ein vorbildlicher Schritt europäischer Minderheitenpolitik, initiiert vor allem von der SPD.
Danach muss der SSW zwar von der strikten Klausel befreit sein, er muss aber eine Stimmenzahl erringen, die für ein Landtagsmandat notwendig ist. Seit der Landtagswahl vor fünf Jahren ist das Einstimmenwahlrecht vor allem auf Betreiben der Grünen mit Unterstützung der FDP durch ein Zweistimmenwahlrecht abgelöst worden. Obwohl sich der SSW nur nördlich der Linie Eider-Nord-Ostseekanal der Wahl stellt, ist er systembedingt nun über die Landesliste auch in Holstein wählbar. Wahlkampf betrieb der SSW in Holstein nicht. Die Wählbarkeit der SSW-Liste in Holstein stößt jedoch auf Protest der CDU. Aufgrund gutachterlicher Stellungnahmen von 2001, die die Sonderregelung des SSW auch im neuen Zweistimmensystem für rechtens halten, ist nicht zu erwarten, dass die seit 1955 geltende Ausnahme für die Vertreter der dänischen Minderheit in Frage gestellt wird. Auch das Verfassungsgericht bestätigte die Befreiung des SSW von der Klausel. Trotzdem zündelt die CDU, kritisiert Minderheitenrechte plötzlich als demokratisch bedenkliche Sonderrechte und Privilegien, die sie für die Reste der deutschen Minderheiten in Osteuropa, vor der Vertreibung Mehrheiten zu Recht fordert.
Der Konflikt um den SSW klärt Positionen. So meldete sich das Südtiroler Volksgruppen-Institut mit einer SSW-kritischen Presseerklärung zu Wort. Eine überraschende und bedauernswerte Stellungnahme von Institutsleiter Christoph Pan, der in seiner Zeit als Fuev-Vorsitzender eine phantasievolle Minderheitenpolitik initiierte. Pan warnte den SSW, "die ihm aus Gründen des Minderheitenschutzes gewährte Ausnahmeregelungen ... für allgemeinpolitische Zwecke zu instrumentalisieren". Mit seiner Unterstützung für die SPD-Spitzenfrau Heidi Simonis fügt der SSW laut Pan dem Anliegen des Minderheitenschutzes unermesslichen Schaden zu. Pan geht davon aus, dass künftig "viele Volksgruppen es sehr viel schwerer haben werden, die Befreiung von Prozentklauseln zu erreichen". Pan empfahl deshalb dem SSW eine Beschränkung auf minderheitenspezifische Ziele. Sonst soll es keine Ausnahme von der Sperrklausel geben.
Aber der SSW ist gewählt. Er muss selber bedenken, dass er ein eigenes Schulsystem hat, das hervorragend funktioniert und das er nach eigenen Stücken frei gestalten kann. Ob er unbedingt gegen den Willen einer deutschen Mehrheit den Ausschlag für die Gestaltung des deutschen Schulsystems geben sollte, ist zu Recht umstritten. Die deutliche Festlegung auf die Parteien links der Mitte, wird rechts von der Mitte Wähler dänischer Nationalität eher abschrecken. Der SSW wird dänische Wähler verlieren und deutsche gewinnen.
Instituts-Mitarbeiterin Beate Pfeil verteidigte die Stellungnahme als einen Versuch, vom SSW und von den Minderheiten überhaupt Schaden abzuwenden. Ein solches Schreiben mit den präzisen rechtlichen Überlegungen an den SSW wäre nachvollziehbar gewesen, nicht aber eine Presseerklärung, die sich mit der CDU-Linie deckt. Instituts-Leiter Pan lieferte mit seinen Bedenken auch der FAZ eine argumentative Steilvorlage gegen den SSW. Die FAZ schoss sich auf den SSW ein: Der SSW sei eine "Partei Dänemarks", die einen "Kulturkampf" um skandinavische Schulsysteme und skandinavische Haushaltsmodelle führe. Der SSW mit seiner "allgemeinpolitischen" Linie der Tolerierung einer rot-grünen Minderheitenregierung will laut FAZ in ganz Deutschland skandinavische Modelle implementieren und das mittels Mandaten, die nur durch ein "Wählerstimmenprivileg" gedeckt sind. Konservative Politik und Publizistik sehen gar das Zusammenleben bedroht, wenn die dänische Minderheit allgemein politisch aktiv wird. Die FAZ wiederholt damit eine Kampagne mit umgekehrten Vorzeichen, konservative dänische Zeitungen pöbelten vor fünf Jahren auf rüde Art und Weise die deutsche Minderheit an.
Die FAZ reichte ihrem Kommentar zu allem Überfluss eine üble Karikatur ("Vorbild Schleswig-Holstein") nach: Die "NPD", die ihre Partei "Reichswählerverband" nennen will, um bei den kommenden Bundestageswahlen die Fünfprozenthürde zu umgehen. Warum wohl hat die FAZ die Fassung verloren, wo sie doch sonst sehr seriös und durchaus im Interesse ethnischer Minderheiten berichtet. Die Grünen, die SPD, der Minderheitenbeauftragte der Bundesregierung, die Kirchen, sie alle stellten sich vor den SSW. Solidarisch erklärte sich auch das Präsidium der Föderation Europäischer Minderheiten (FUEV). "Sind einmal Vertretungen der nationalen Minderheiten in einem Parlament gewählt, aufgrund welcher Bestimmungen auch immer, so dürfen diese nicht zur politischen Neutralität verurteilt werden und damit sich zu Parlamentariern zweiter Kategorie degradieren lassen. Wenn in diesem Zusammenhang von undemokratischen Manipulationen die Rede ist, ist dies eine Verkennung der Menschen-und Minderheitenrechte".
Die massive Agitation gegen den SSW heute, hat eine Vorgeschichte. Während der Barschel-Affäre 1987 wurde der SSW-Abgeordnete Karl-Otto Meyer - wie seine Nachfolger heute - bundesweit bekannt. Seine Stimme gab damals den Ausschlag für Neuwahlen. Darin sahen CDU-Politiker in Kiel, Bonn und München einen glatten Missbrauch von Minderheitenrechten.
Von Karl Otto Meyer
Die Geschehnisse nach der schleswig-holsteinischen Landtagswahl vom 13. September 1987 sind in der Bundesrepublik eifrig diskutiert worden. Dabei hat die besondere parlamentarische Situation mit dem Vertreter des Südschleswigschen Wählerverbandes die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mit 33 CDU- und 4 FDP-Abgeordneten auf der einen Seite, mit 36 SPD- und einem SSW-Abgeordneten auf der anderen hatten wir die sogenannte "Patt-Situation". Eigentlich war es jedoch keine, jedenfalls nicht am Wahlabend des 13. September. Das Wahlresultat gab Ministerpräsident Dr. Uwe Barschel 37 Mandate, was bedeutete, daß er nach der Landessatzung weiter regieren konnte. Es gab nicht mindestens 38 Abgeordnete im Parlament, die einen anderen Ministerpräsidenten wählen wollten. Für mich war es am Wahlabend deswegen klar, daß Uwe Barschel als Ministerpräsident eine Realität war und ich nach der eigenen Aussage vor der Wahl, der SSW wolle das Land nicht unregierbar machen, bereit sein müsse, mit der Regierung über Haushaltspläne und Gesetzesvorlagen zu verhandeln. Wenn Wünsche des SSW berücksichtigt würden, wäre der SSW bereit gewesen, einen Haushaltsplan mitzutragen. Das war meine Aussage am späten Abend des 13. September.
Niemals habe ich gesagt, daß ich Ministerpräsident Barschel wählen wolle. Das konnte ich nicht: Er war nach der Landessatzung im Amt, konnte nicht abgewählt werden und stand also nicht zur Wahl. Anders wurde es wenige Tage später, als die CDU nachdenklich geworden war und zu der Überzeugung kam, daß Dr. Barschel nicht zu halten wäre. Auf die Frage, ob ich bereit wäre, einen anderen Regierungschef der CDU/ FDP-Koalition zu wählen, war die Antwort sofort "nein". Der SSW konnte keinen Regierungschef dieser Koalition wählen, weil erstens deren Programm nicht in Übereinstimmung mit der Wahlaussage des SSW stand und zweitens, weil der SSW die Wahl Uwe Barsches zum Ministerpräsidenten nicht korrigieren konnte: Ein konstruktives Mißtrauensvotum hätte 38 Stimmen bedurft. In dieser Situation sind bittere Worte gefallen. Die führenden Politiker Strauß und Geißler sagten, daß der SSW-Abgeordnete nicht entscheiden dürfe, wer Ministerpräsident des Landes sein solle. Strauß: Ein Däne darf doch nicht Schleswig-Holstein regieren. Geißler sagte es milder und nahm es bald auch wieder zurück. Diese Äußerungen sind beispielhaft gewesen in diesen Tagen.
Hier liegt natürlich ein Mißverständnis vor. Die dänische Bevölkerung im Landesteil Schleswig-Holstein ist nicht eine Bevölkerung, die aus eingewanderten Dänen besteht. Der dänische Bevölkerungsteil ist eine Bevölkerung, die ihren Ursprung im Landesteil Schleswig hat, hier, wo seit Jahrhunderten Deutsche und Dänen und Friesen nebeneinander und miteinander gelebt haben. Wir sind nicht aus dem Ausland eingewandert und haben irgendwann die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Wir sind Söhne und Töchter unserer Heimat und wollen hier leben als das, was wir sind, nämlich Dänen und nationale Friesen. Der SSW ist zwar von der 5-Prozent-Klausel befreit, weil er nicht in ganz Schleswig-Holstein Kandidaten zur Wahl aufstellt. Er kandidiert nur in 13 der 44 Landtagswahlkreise. Dies gilt jedoch nicht für Kommunalwahlen mit der Begründung, hier kandidiere der SSW ja im gesamten Wahlgebiet der Gemeinde, der Stadt und des Kreises. Nach unserem Wahlgesetz muß der SSW die volle Stimmenzahl für das letzte, das 74. Mandat (nach d'Hondt), erreichen. Das sind je nach Wahlbeteiligung und Zahl der Parteien zwischen 20000 und 23000 Stimmen. Der SSW bekommt in den Gebieten, in denen er kandidiert, durchweg mehr als fünf Prozent der Stimmen, sonst wäre er nicht im Landtag vertreten. Es wird also der volle Preis für ein Mandat gezahlt.
Und ist man nicht nach dem 13. September an mich herangetreten mit dem Vorschlag, einen Ministerpräsidenten für die CDU/FDP-Koalition zu wählen? Da hätte also der später geschmähte SSW mitentscheiden dürfen! Man kann natürlich fragen, ob sich der SSW eine solche Rolle überhaupt wünsche. Die Antwort lautet klar: nein. Aber wenn der Wähler es will, muß der SSW auch eine solche Situation akzeptieren und meistern. Das heißt: verhandeln und entscheiden. Das hat der SSW getan, weil er die Gesellschaft, in der er lebt, auch als seine empfindet und über die Zukunft und Entwicklung in diesem Land mitentscheiden will. Wir wollen, daß unsere Kinder und Enkel die Möglichkeit haben, in ihrer Heimat mit der Mehrheitsbevölkerung gleichberechtigt zu leben, in Übereinstimmung mit der eigenen Sprache und Kultur.
Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob sich die Dinge in diesem Bundesland entwickeln, wie wir es kürzlich in Kiel erlebt haben, oder ob wir in einer gesunden Demokratie leben, in der ein Regierungswechsel als etwas Natürliches und Selbstverständliches empfunden wird und nicht als Katastrophe. Die Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg sollte etwas ganz Normales sein. Deshalb plädierten wir in allen Verhandlungen nach dem 13. September dafür, daß die 73 Vertreter der deutschen Parteien sich zu einer Mehrheit zusammenraufen sollten. Die kleine Koalition; die große Koalition. Der SSW schlug dann vor, eine Minderheitsregierung zu tolerieren, wo der Ministerpräsident von Fall zu Fall eine Mehrheit im Parlament suchen müßte. Beides wurde abgelehnt. Deswegen müssen die Wähler am 8. Mai 1988 wieder an die Urnen.
Und auch nach dieser Wahl wird der SSW Sorge dafür tragen, daß nach Verhandlungen das Land Schleswig-Holstein eine Regierung bekommt. Und sollte Björn Engholm dann 37 Mandate hinter sich haben, hat der Wähler entschieden, daß es keine bürgerliche Regierung geben soll. Und lassen sich keine Mehrheiten durch Koalitionen finden, müßte das Prinzip der skandinavischen Länder, wo man jahrzehntelang mit Minderheitsregierungen gelebt und gearbeitet hat, auch in Schleswig-Holstein zum Tragen kommen. Hier käme dem SSW die wichtige Aufgabe zu, als Vermittler zwischen den deutschen Fraktionen aufzutreten. Der SSW als Vertreter der beiden Minderheiten, der Dänen und der Friesen, wird seine Aufgabe konsequent wahrnehmen.
Karl Otto Meyer war SSW-Landtagsabgeordneter.
Aus: pogrom 139, 3/88
Im Umgang mit den Konflikten in Osteuropa hat die Bundesrepublik Deutschland eine führende VermittIerrolle gespielt. Sie hat sich zudem mit Nachdruck für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eingesetzt. Diese hehren Ansprüche bedeuten gleichzeitig eine Verpflichtung, die Politik an den eigenen Maßstäben messen zu lassen. Die föderale Ordnung Deutschlands hat zweifellos beispielhaften Charakter. Es ist ein Föderalismus unter Gleichen. Gravierende kulturelle und ethnische Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern oder eine Konzentration auf eine Zentrale wie in Frankreich oder England gab es nie. Nichtsdestotrotz ist Deutschland kein ethnisch einheitlicher Staat. Hier leben nicht nur etwa vier bis fünf Millionen Arbeitsimmigranten und Flüchtlinge, denen viele grundlegende Bürgerrechte vorenthalten werden, weil sie keinen deutschen Paß haben, sondern auch an die 200 000 Angehörige nicht-deutscher Volksgruppen, die über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen.
Seit Jahrhunderten leben Dänen in Südschleswig, Friesen im äußersten Norden und Nordwesten Niedersachsens sowie Sinti und Roma über die Republik verteilt. Hinzu kommen die Sorben in der Lausitz, im Südosten der ehemaligen DDR. Weitgehend assimiliert sind die Polen, die sich zu Beginn dieses Jahrhunderts in den Kohlefördergebieten des Ruhrgebiets niedergelassen haben. Einer der bekanntesten Minderheitensprecher in Deutschland ist Karl Otto Meyer, der Vertreter der Dänen im Landtag von Schleswig-Holstein. Die 50.000 Dänen und Däninnen mit deutscher Staatsbürgerschaft genießen geradezu vorbildliche Minderheitenrechte. Sie verfügen über 62 Kindergärten, 53 Schulen, 25 Pastoren, eine eigene Zeitung (Flensborg Avis), eine eigene Bank, eine Jugend- und eine Kulturorganisation sowie andere Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Zu den "Privilegien" der Dänen gehört es, daß sie bei Landtagswahlen nicht unter die Fünf-Prozent-Klausel fallen. Ihr Süd-Schleswigscher Wählerverband erhält bereits mit etwa zwei Prozent der Stimmen einen Landtagssitz.
Karl Otto Meyer weiß natürlich, daß die Dänen mit einem eigenen Nationalstaat im Rücken zu den besonders privilegierten Minderheiten gehören. Er schaut deshalb über den eigenen Tellerrand hinaus. Während der Barschel-Affäre wurde er über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt: Seine Stimme gab damals den Ausschlag für Neuwahlen. Manche etablierte Politiker in Kiel oder in Bonn sahen darin schon einen Missbrauch von Minderheitenrechten.
K.L: Herr Meyer, Sie wurden vor Jahren heftig
kritisiert, weil Sie als Vertreter einer Minderheit in einer
wichtigen landespolitischen Frage den Ausschlag gegeben und damit
das politische Geschick eines ganzen Bundeslandes bestimmt haben.
Akzeptieren Sie solche Kritik? Wie sehen Sie Ihre Rolle als
Vertreter einer Minderheit in der deutschen Politik?
Meyer: Ich stehe voll und ganz zu meiner damaligen
Entscheidung. Eine nationale Minderheit ist genau wie die
Mehrheitsbevölkerung dafür verantwortlich, wie regiert
wird und wer regiert. Wenn man eine korrupte Regierung hat,
muß die Minderheit ebenso wie die Mehrheit dafür Sorge
tragen, daß sie abgelöst wird. Alle Beschlüsse,
die in Bonn, Kiel oder in den Gemeinden getroffen werden,
betreffen ja auch uns. Insofern müssen wir uns
einmischen.
K.L: Nun gehören Sie zu einer besonders
privilegierten Minderheit, die einen eigenen Nationalstaat im
Rücken hat. Ist das für Sie ein Anlaß zur
Zufriedenheit?
Meyer: Natürlich sind wir stolz auf das Erreichte.
Noch vor fünfzig Jahren war das keineswegs
selbstverständlich. Es verpflichtet uns, auch anderswo
für Verhältnisse einzutreten, die jedem Menschen
ermöglichen, in seiner eigenen Heimat in
Übereinstimmung mit seiner eigenen Kultur, seiner eigenen
Sprache und seinem eigenen politischen Standpunkt zu leben. Wenn
wir heute sagen, daß diese in der Verfassung des Landes
Schleswig-Holstein festgeschriebenen Rechte für alle
Minderheiten in Deutschland in der gesamtdeutschen Verfassung
verankert werden müssen, dann helfen wir auch den Friesen,
den Sorben, den Polen, den Sinti und Roma oder Minderheiten, die
vielleicht erst noch entstehen. Wir unterstützen die
deutschen Minderheiten in Polen, der Tschechoslowakei, in
Rußland, Rumänien und Ungarn. Und wir schaffen einen
Maßstab für alle anderen Minderheiten in Ost-,
Südost- und Westeuropa, wenn wir eine solche Ergänzung
des Grundgesetzes durchfechten. Dann nämlich können wir
entsprechende Regelungen auch von anderen verlangen. Die Rechte
der Minderheiten müssen in den Verfassungen der einzelnen
Staaten verankert werden. Dann erst werden sie juristisch
einklagbar.
K.L: Wie sind Ihre Erfahrungen mit Minderheitenschutz
im internationalen Rahmen? Auf internationalen Konferenzen ist er
inzwischen ja häufig ein Thema.
Meyer: Ja, es wird viel geredet, zum Beispiel bei der
(KSZE) Sicherheitskonferenz in Genf. Dort hat man einen
Kompromiß erarbeitet zwischen Frankreich, das keine
Minderheiten innerhalb der eigenen Grenzen anerkennt, sowie
Deutschland und Dänemark, die dies tun. Ergebnis war eine
Resolution, die herrlich klingt, formvollendet ausformuliert,
aber für die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht bindend ist.
Wir brauchen also eine Instanz, vor der Minderheiten ihre Rechte
einklagen können. Diese müssen entweder, wie hier, in
der Verfassung verankert werden- mit einem
Bundesverfassungsgericht als letzter Instanz-, oder es muß
ein internationales Rechtssystem entwickelt werden, dem sich der
Einzelstaat unterwerfen muß. Wie schwierig das ist, steht
außer Frage, wenn man nach Frankreich, England,
Griechenland oder der Türkei schaut.
K.L.: Zusammenkünfte im Rahmen der KSZE haben
immer etwas Unverbindliches, allenfalls Appellatives. Anders ist
es mit der EG. Welche Konsequenzen hat die Europäische
Vereinigung aus Ihrer Sicht für die Minderheiten?
Meyer: Wir Dänen in Südschleswig rechnen
kurzfristig mit negativen Konsequenzen. Die Angleichung der
Steuern wird sicher zunächst dazu führen, daß
Besucher aus Dänemark als Konsumenten wegbleiben.
Darüber hinaus verlieren wir bereits durch die deutsche
Vereinigung: Die Zonenrandföderung entfällt. Wir
befürchten deshalb den Verlust von Arbeitsplätzen mit
der Folge, daß junge Menschen unseren Raum verlassen
müssen. Hier ist Bonn gefragt, den negativen Konsequenzen
der Europäischen Vereinigung entgegenzuwirken. Bonn
muß aus regional-, struktur- und kulturpoliti. schen
Gründen Mittel zusteuern, damit die Angehörigen von
Minderheiten eine Chance haben, in ihrer Heimat Wohnung und
Arbeit zu bekommen.
K.L.: Und welche Perspektiven sehen Sie darüber
hinaus für die kleinen Völker im Vereinten
Europa?
Meyer: Eines ist klar: Wenn man im Vereinten Europa die
freie Wanderung der Arbeitskräfte will, dann wird es auch
die freie Wanderung der Kulturen geben. Man muß mit der
Möglichkeit rechnen, daß neue sprachliche und
kulturelle Minderheiten entstehen. Und offene Grenzen können
dazu führen, daß die Bürger aus den Regionen, in
denen Not herrscht, dorthin ziehen, wo es Wohlstand gibt. Ich bin
erstaunt darüber, dass viele diese Konsequenzen nicht
gesehen haben.
K.L.: Das aber kann auch für kleine Völker
problematisch werden. Wenn die Jugend aus einem Randgebiet in die
Metropolen zieht, kann sich die Identität eines kleinen
Volkes kaum bewahren.
Meyer: Ganz sicher. Ich habe schon immer gesagt,
daß wir die Arbeit dorthin bringen müssen, wo die
Menschen sind, und nicht umgekehrt. Heute kommen die Mittel, die
wir geben, zu zwei Dritteln oder mehr zu uns zurück, wie bei
der Entwicklungshilfe oder der Aufbauhilfe für den Osten. So
sorgen wir dafür, daß dort Arbeitslosigkeit entsteht
und wir immer reicher werden. Dieses Prinzip müssen wir
ändern, damit die Menschen in den Regionen bleiben
können. In der EG gibt es dafür die Fonds. Aber die
werden auch mißbraucht. Man plant damit, macht den Menschen
Versprechungen, beruhigt sie, und nach ein paar Jahren stellt
sich heraus, daß die EG nicht zahlt, und das Projekt
stirbt. Die nationale Regierung entzieht sich der Verantwortung
dafür, dass nichts passiert. Sie muß aber in die
Pflicht genommen werden.
K.L.: Das alles klingt sehr negativ. Sehen Sie keine
positiven Aspekte oder Perspektiven in der europäischen
Vereinigung?
Meyer: Zunächst muß geklärt werden, wie
das künftige Europa aussehen soll. Es ist denkbar, daß
man in Europa einen Bund von selbständigen Staaten schafft,
die miteinander vereinbaren, welche Fragen sie geeinsam
lösen wollen. Das wäre eine positive Perspektive, zum
Beispiel für Fragen der Umwelt, der Energieversorgung oder
auch der Forschung, damit nicht, wie hier geschehen, enorme
Mittel für Windenergie-und Biogas-Erforschung diesseits und
jenseits der Grenze doppelt ausgegeben werden.
K.L.: Zählen Sie die Kulturpolitik auch zu den
Gebieten, die gemeinsam angegangen werden sollten?
Meyer: Nein, die möchte ich ausdrücklich
ausnehmen. Kultur darf nicht zentralisiert werden. Was versteht
die große Zentrale in Brüssel von
Minderheitenkulturen? Überhaupt nichts. Wir Minderheiten
müssen tagtäglich die nationalen und kulturellen
Grenzen überwinden, in der Familie, mit den Nachbarn.
Deshalb sind wir, mit entsprechender Unterstützung, selbst
am besten geeignet, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu
fördern.
K.L.: Aber es ist doch nicht zu leugnen, daß die
EG-Bürokraten keine nationalistische Politik betreiben, wie
die Zentralregierungen in Paris, London oder Madrid. Insofern
sollte Brüssel doch in der Lage sein, kulturelle
Freiräume zu schaffen, die nationale Regierungen bislang
nicht akzeptieren.
Meyer: Die Bürokraten in Brüssel interessiert
es nicht, welche Nationalität jemand hat. Was ihnen jedoch
nicht gleichgültig ist, sind die vielen Sprachen. Man merkt,
dass sie verärgert sind, weil sie nun neue Sprachen anwenden
müssen. Sie arbeiten intensiv darauf hin, zwei oder drei
Hauptverkehrssprachen durchzusetzen. Wenn Brüssel irgendwann
gesetzgeberische Funktionen bekommt- und damit müssen wir
rechnen-, dann wird die Gesetzgebung vielleicht nicht mehr in der
jeweiligen Sprache eines europäischen Volkes erlassen. Jedes
Volk hat aber das Recht auf Gesetze in der eigenen Sprache, egal,
wie schwierig es wird, diese Fülle von Übersetzungen zu
bewältigen. Das gehört einfach zu den Grundrechten der
Völker. Fängt man erst einmal an, sich auf Deutsch,
Französisch und Englisch, vielleicht noch Spanisch, zu
beschränken, dann lebt Europa nicht länger vom Reichtum
seiner Kulturen und Sprachen. Und dann gehen auch die
Minderheiten zugrunde. Deshalb bestehen wir auch auf unseren
eigenen Institutionen, auf dänisch-sprachigen
Kindergärten und Schulen. Nur so können wir unsere
Identität leben und weitergeben. Diese Botschaft gilt allen
Staaten: Wenn ihr die Minderheiten in euren Grenzen schützen
wollt, dann müßt ihr ihnen auch die Institutionen
geben, in denen sie sich entfalten können.
K.L.: Kann Deutschland in dieser Hinsicht Vorbild
für die EG sein?
Meyer: Was uns Dänen angeht, sicher. Ansonsten
möchte ich es aber einschränken. Ein Beispiel: Ich
hatte einmal ein Erlebnis mit einem deutschen Mitglied des
Europäischen Parlaments. Es ging um einen Resolutionsantrag,
in dem unter anderem das Recht der Minderheiten stand, in ihrer
jeweiligen Sprache vor Verwaltungen, Gerichten und Parlamenten zu
sprechen. Ich sagte ihm: Vielen Dank, daß du das
unterschrieben hast. Die Resolution ist zwar noch nicht
angenommen, aber sie soll ja später beschlossen und auf die
einzelnen Mitgliederstaaten übertragen werden. Dann kann ich
in Kiel vor dem Gemeindeparlament und überall sonst
Dänisch reden. Darauf meinte er: Du bist wohl verrückt,
das haben wir für Südtirol gedacht und nicht für
euch. Man muß also immer die Motive sehen. Vorbildcharakter
hat nur, was auch allgemeine Gültigkeit haben kann. Auch die
Verankerung der Minderheitenrechte in der deutschen Verfassung
ist nicht so einfach wie es scheint. Solange nur von Dänen,
Friesen und Sorben die Rede ist, sind alle einverstanden. Aber
was ist mit den Sinti und Roma? Das ist ein sehr heikles Thema in
Deutschland. Oder die Polen im Ruhrgebiet, die ja
Minderheitenrechte hatten, bis sie ihnen 1933 von Hitler
weggenommen wurden. Wir müssen uns also noch sehr intensiv
miteinander austauschen. Vor einigen Jahren hat man noch
geglaubt, wenn die Bedeutung der Grenzen wegfällt, werden
die Minderheiten aussterben. Heute spüren wir auf einmal,
daß wir unser europäisches Haus nur aufbauen
können, wenn wir die Probleme der Minderheiten
lösen.
Aus: pogrom 169, Feb/März 1993
Von Heinrich Schulz
"Die moderne Geschichte der dänischen Minderheit in
Deutschland beginnt 1920, als in Folge des Versailler
Friedensvertrages Volksabstimmungen stattfanden, in denen sich
Nordschleswig für den Anschluss an Dänemark,
Südschleswig, heute der nördlichste Teil des
Bundeslandes Schleswig-Holstein, für den Verbleib bei
Deutschland entschieden. Wie ist die heutige Situation dieser
Volksgruppe, wie stellt sie sich zum Scheitern des
Minderheitenschutzes in der deutschen Verfassung?
"Nationale Minderheiten nicht existent" - so überschrieb der
Südschleswigsche Wählerverband (SSW), die politische
Vertretung der dänischen und der friesischen Volksgruppe in
Schleswig-Holstein, am 8. September eine Presseerklärung zur
gescheiterten Minderheitenklausel in der deutschen Verfassung.
"Alle Parteien wollten den Minderheitenschutz im Grundgesetz
verankern", so der SSW-Landesvorsitzende Klüver, "aber die
Verwirklichung scheiterte letztlich an der Unfähigkeit,
einen tragbaren Kompromiss herbeiführen zu können. ...
Wir nehmen diese Entwicklung einstweilen zur Kenntnis. Das
Problem ist allerdings keineswegs vom Tisch!"
Trotz der intensiven Bemühungen v. a. des Landes Schleswig- Holstein - Ministerpräsidentin Heide Simonis hatte noch am Tag vor der letzten Abstimmung mit einem "Hilferuf in letzter Minute" an alle Bundestagsabgeordneten schriftlich appelliert, die Schutzklausel anzunehmen - hatte man sich nichtmals auf die Minimalformel einigen können: "Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten." Daran hatten auch die guten Erfahrungen nichts ändern können, die Schleswig-Holstein mit der Einführung eines entsprechenden Paragraphen in die eigene Landesverfassung bezüglich der dänischen und friesischen Volksgruppen seit 1990 gemacht hatte.
Die Dänen in Deutschland
Seit 1864 gibt es eine dänische Minderheit außerhalb
Dänemarks, so Heinrich Schulz, Vorsitzender des Sydslesvigks
Forening/SSF (Südschleswigscher Verein/SSV), der
Hauptorganisation der dänischen Volksgruppe in
Südschleswig. Mit den beiden Volksabstimmungen von 1920, bei
denen sich die Bevölkerung Nordschleswigs mehrheitlich
für den Zusammenschluss mit Dänemark, diejenige
Südschleswigs für den Verbleib bei Deutschland
entschied, habe die moderne Geschichte der dänischen
Volksgruppe in Deutschland begonnen. Während des Dritten
Reiches seien die dänischen Organisationen zwar nicht
gleichgeschaltet worden; die Volksgruppe als solche war dennoch
Repressionen ausgesetzt, so dass auch sie das Jahr 1945 als
Befreiung empfunden habe.
Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung Südschleswigs mit Dänemark erfüllten sich nach Kriegsende nicht. Heute, sagt Schulz, sei eine derartige Grenzveränderung für die dänische Volksgruppe kein Thema mehr: Er betont ausdrücklich, daß die deutsch-dänische Grenze von der dänischen Minderheit als unveränderbar akzeptiert ist, und daß die Dänen in Südschleswig der Bundesrepublik gegenüber loyal sind. 1949 bereits legte die damalige Landesregierung in der "Kieler Erklärung" fest, dass das Bekenntnis zur dänischen Kultur frei und von Amts wegen weder zu bestreiten sei, noch überprüft werden dürfe. Im Zuge des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO im Mai 1955 entstanden auch die Bonn-Kopenhagener Vereinbarungen, in denen die Existenz- und Entfaltungsrechte sowohl der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig als auch der dänischen Minderheit im deutschen Südschleswig festgelegt wurden.
Die formale Absicherung der Minderheitenrechte für die dänische und auch die friesische Volksgruppe im Bundesland Schleswig-Holstein wurde 1990 im Rahmen der Novellierung der Landesverfassung durch den §5 endgültig verankert. Die Freiheit des Bekenntnisses zur Minderheit, das vom Staat nicht überprüft werden darf, ist für Heinrich Schulz ein wesentlicher Grundsatz der Minderheitenpolitik. Jeder, der sich zur dänische Minderheit und zur dänischen Kultur bekenne, sich mit ihr identifiziere, werde als Angehöriger dieser Minderheit akzeptiert. Eine statistische Erfassung ist damit problematisch.
"Es gibt keine exakten Zahlen über Größe und Umfang der dänischen Volksgruppe, weil z. B. in Volkszählungen nicht nach nationaler Identifizierung und Muttersprache gefragt wird. Es darf sie auch nicht geben, weil eine katasterähnliche Registrierung von Minderheitenangehörigen in diesem Jahrhundert schon mehrmals zu Verfolgung und Übergriffen auf Minderheiten durch Verwendung solcher Listen geführt hat. Wir haben jedoch eine geschätzte Zahl, die auf einer Hochrechnung von Mitglieds- und Schülerzahlen sowie der Einbeziehung von Wahlergebnissen der politischen Partei SSW basiert. Wir gehen mit gutem Gewissen und ohne Übertreibung davon aus, daß die dänische Minderheit heute ca. 50 000 Personen zählt.
Die dänischen Organisationen und
Institutionen
Die dänische Volksgruppe in Südschleswig kann auf eine
breitgefächerte Organisationsstruktur zurückgreifen,
die alle Lebensbereiche umfaßt. Der "Dansk Skoleforening"
(dänische Schulverein) sichert mit insgesamt 53 Schulen -
darunter vier Realschulen und ein Gymnasium - sowie 62
Kindergärten die Vorschul- und Schulbetreuung der Kinder und
Jugendlichen. 1994 wurden insgesamt 5 465 Schüler und etwa 1
900 Kindergartenkinder in ganz Südschleswig betreut. In
einer Informationsschrift von September 1994 verzeichnet das
Dänische Generalsekretariat für beide Bereiche eine
steigende Tendenz. Der Schulverein betreibt ebenfalls eine
Heimvolkshochschule und eine Jugendinternatsschule.
Die kulturelle Hauptorganisation der dänischen Volksgruppe ist der '"Sydslesvigsk Forening/SSF" (der Südschleswigsche Verein/SSV). Er ist der Dachverband der dänischen Vereine, dem auch das Generalsekretariat, die Gebietssekretariate, Versammlungshäuser usw. angeschlossen sind. Er arbeitet eng mit dem "Verein der nationalen Friesen" zusammen. Der SSF ist in 130 Distrikte gegliedert, die ihrerseits in sieben Kreisverbände zusammengefaßt sind. Mehr als 17 000 Dänen sind im SSF organisiert, der Einzugsbereich dürfte jedoch weitaus größer sein, da häufig nur ein Familienangehöriger im SSF als Mitglied registriert ist.
Die Jugendarbeit und die sportlichen Aktivitäten werden vom "Sydslesvigsk Ungdomsforeninger"/SdU betreut, der zur Zeit etwa 74 Einzelvereine mit insgesamt 12 142 Mitgliedern umfaßt. Im SdU sind zahlreiche Orts- und Regionalvereine versammelt. Der Jugendverband betreibt 12 Freizeitheime, 28 Jugendtreffs, zwei Sporthallen, das Aktivitetshuset in Flensburg und die Jugendbildungsstätte Christanslyst bei Süderbrarup. Es gibt auch eine eigenständige dänische Kirche, die "Dansk Kirke i Sydslesvig", deren 44 organisierte Gemeinden (mit fast 7 000 Mitgliedern) von 24 Pastoren seelsorgerisch betreut werden.
Politisch werden die Dänen vom "Südschleswigschen Wählerverband"/SSW" vertreten, der in Gemeinden, Stadträten und Kreistagen Sitz und Stimme hat, nach den Kommunalwahlen von 1994 mit 158 Mandaten. Zum Vergleich: 1990 lag dieser Anteil noch bei 109 Mandaten. Im Landtag Schleswig-Holsteins ist der SSW durch den Abgeordneten Kar! Otto Meyer vertreten. Durch die Bonn-Kopenhagener Vereinbarungen ist der SSW zwar von der 5% Klausel befreit, muß aber mindestens soviele Stimmen erhalten, wie das mit dem geringsten Stimmenanteil gewählte, "letzte" Mandat (nach dem d'Hontschen Zählverfahren).
An Bundestagswahlen nimmt der SSW seit 1965 nicht mehr teil. Die Beziehungen auf Bundesebene werden durch einen Kontaktausschuß geregelt, der sich aus Mitgliedern der Minderheit und der Regierung zusammensetzt. Vertreter der dänischen Volksgruppe sind in den letzten Jahren auch in die Delegation der Bundesrepublik für die Treffen im Rahmen der KSZE aufgenommen worden. Ein wichtiger Aktivposten für das Kulturleben der dänischen Volksgruppe ist das dänische Büchereiwesen, das über eine Zentralbibliothek in Flensburg mit Filialen in Schleswig und Husum, Büchereibusse und Ausleihstellen an mehreren Schulen verfügt. Die Versorgung mit dänischsprachiger Literatur ein wichtiges Moment für den Erhalt einer Minderheitensprache, ist also gesichert.
Der Wohlfahrtsverband "Dansk Sundhedstjeneste" (Dänischer Gesundheitsdienst) stellt auch die eigene Sozialversorgung sicher.: Er unterhält Sozialstationen, beschäftigt mehr als 20 Gemeindeschwestern, betreibt ein Kinderheim, ein Altersheim und Rentnerwohnungen. Auch Vorschul- und Schulärztliche Versorgung werden vom Gesundheitsdienst organisiert. Auf eine Tageszeitung in der eigenen Sprache müssen die Dänen ebenfalls nicht verzichten. Die Zeitung "Flensborg Avis" dient als zentrales Informationsorgan und Diskussionsforum der Dänen in Südschleswig und verkauft etwa 40% seiner Auflage von 7 000 Exemplaren auch nördlich der Grenze. Jeden Donnerstag veröffentlicht "Flensborg Avis" die Mitgliederseiten des SSF. Die Zeitung ist somit auch ein wichtiges Bindeglied zum Mutterland Dänemark.
Dänen und Deutsche
Das Verhältnis zwischen den Angehörigen der deutschen
Mehrheit und der dänischen Minderheit in Südschleswig
hat sich, so Heinrich Schulz, in den letzten Jahrzehnten "in eine
sehr positive Richtung entwickelt. Die Angehörigen der
dänischen Minderheit sind loyale Bürger und in der
Mehrzahl auch deutsche Staatsbürger. Die dänische
Minderheit ist aus historischen Gründen unfreiwillig Teil
Deutschlands geworden. Wir stellen heute jedoch nicht die
staatliche Zugehörigkeit zum demokratischen Deutschland in
Frage. Die Grenze liegt fest!"
Das Verhältnis zur Landesregierung sei heute ausgezeichnet, fahrt er fort, zu einigen der Kommunen und Kreise jedoch nicht ungetrübt. Besonders auf der Gemeindeebene werde die Bedeutung der Bestimmungen der Landessatzung bezüglich der Volksgruppen vielfach noch nicht verstanden. "Die dänische Minderheit erwartet und fordert die Gleichberechtigung mit der Mehrheitsbevölkerung in allen südschleswigschen Kommunen. Wir zahlen genauso unsere Steuern wie alle anderen Bürger und erwarten deshalb mit Fug und Recht einen entsprechend gleichberechtigten Anteil an den Finanzmitteln der öffentlichen Hand. Manche Gemeinderäte und Bürgermeister verstehen leider nicht, daß wir keine Bevorteilung der dänischen Arbeit, sondern lediglich Gleichberechtigung fordern."
Die dänischen Südschleswiger beteiligen sich ihrerseits nicht nur rege an dem dänischen Vereinsleben, sondern wirken auch in deutschen Organisationen mit, von den örtlichen Freiwilligen Feuerwehren über Philatelisten- oder Kleingärtnervereine bis zu den Volkshochschulen. Die große Zahl deutsch-dänischer Ehen spricht ebenfalls für die beiderseitige Integration der Dänen in die deutsche, aber auch der Deutschen in die dänische Gesellschaft. Dabei, so Schurz, habe die Jugend mit einem problemlosen Miteinander erheblich weniger Schwierigkeiten, als die ältere Generation, in der es zum Teil noch immer große Vorbehalte gegenüber den Deutschen gebe. "Schwarz-weiß-Vorstellungen, die in der Vergangenheit auf beiden Seiten eine große Rolle spielten, lösen sich bei der jungen Generation allmählich auf." Dies bedeute nicht zwangsläufig Assimilation: "Solange sich die Angehörigen der Minderheit ihrer dänischen Identität, Nationalität und Kultur bewußt sind, werden sie sie durch den Kontakt mit Deutschen nicht verlieren."
Nationale und internationale Beziehungen Zur Stabilität der dänischen Minderheit in Südschleswig trägt maßgeblich die große Unterstützung aus Dänemark bei. "Für den SSF", so Schulz, "beruht das Verhältnis zu Dänemark auf drei Säulen: dem Fünferausschuss des dänischen Unterrichtsministeriums, der für die Verteilung der jährlich vom dänischen Staat für die Minderheit geleisteten 300 Mio. Kronen verantwortlich ist, dem Grenzverein und dem vom SSF beschäftigten Informationsmitarbeiter in Kopenhagen. Außerdem gibt es regelmäßige Konsultationen zwischen der dänischen Minderheit und der dänischen Regierung. In Südschleswig wird die alltägliche Verbindung zu Dänemark durch das dänische Generalkonsulat in Flensburg wahrgenommen.
Gut sind auch die Beziehungen der dänischen Volksgruppe zu den anderen Minderheiten in Deutschland. Traditionell gut war schon immer das Verhältnis zu den Nordfriesen, was nicht zuletzt in der engen Zusammenarbeit beider Gruppen im SSW zum Ausdruck kommt, den Schulz als "gemeinsame politische Partei" bezeichnet. Auch habe man die schon in der Zwischenkriegszeit bestandenen guten Beziehungen mit den Sorben nach der Wende schnell wiederhergestellt. "Im Rahmen des Europäischen Bureau für weniger verbreitete Sprachen (EBLUL) arbeitet die dänische Minderheit mit den Sorben, Friesen sowie den Sinti und Roma zusammen. Auf EG-europäischer Ebene wird durch dieses Bureau mit den jeweiligen Komitees in den anderen EG-Ländern (außer in Griechenland, wo es ein solches Komitee leider noch nicht gibt), zusammengearbeitet. Auf gesamteuropäischer Ebene arbeitet die dänische Minderheit mit den meisten anderen Volksgruppen innerhalb der Föderativen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) zusammen, die dänische Jugend (SdU) mit den entsprechenden Jugendverbänden in der Jugend Europäischer Volksgruppen GEV)."
Der Jugendverband SdU habe aus seinen Erfahrungen innerhalb der JEV die Konsequenz gezogen, berichtet Schulz, sich insbesondere um Kontakte zu den besonders schlecht gestellten Minderheiten Mittel- und Östeuropas zu bemühen. Er plane derzeit gemeinsame Aktivitäten mit den Roma in Südungarn. Weil Roma und Sinti noch immer von vielen Menschen und Staaten gering geschätzt würden, zeige die dänische Minderheit bewußt ihre Solidarität gerade mit dieser äußerst bedrohten Minderheit. Der dänischen Minderheit in Südschleswig ist es heute trotz enger finanzieller Rahmenbedingungen möglich, ihre Sprache, Kultur und Identität zu pflegen, vor allem dank des Engagements unzähliger ehrenamtlicher Mitarbeiter in den Vereinen. "Aber die Sicherung und Entfaltung der dänischen Minderheitenexistenz setzt voraus, daß die organisatorischen und institutionellen Bedingungen gegeben sind. Jede einzelne Institution, sei es Schule, Versammlungshaus, Museum oder Kirche, ist ein dänisches Kulturzentrum. Deshalb ist auch in Zukunft umfassende materielle Förderung der Minderheit vonnöten."
Wie geht es weiter? Für die Zukunft hat Heinrich Schulz zwei Varianten parat, eine negative und eine positive. Variante eins geht von der Hypothese aus, daß eine Reduzierung der Zuschüsse des dänischen Staates, die in der jetzigen Form noch bis 1995 gesichert sind, nicht aus deutschen Kassen ausgeglichen wird. Dies hätte einen Rückgang der dänischen Aktivitäten, die Schließung von Schulen und Kindergärten z. B., die von so entscheidender Bedeutung für die Zukunftssicherung einer Minderheit sind, zur Folge. Der "identitätsbewahrende Rahmen", wie Schulz es nennt, würde zerfallen.
Schlimme Folgen hätte es auch, für die Dänen und alle anderen Einwohner der strukturschwachen Region, wenn nicht endlich mehr Investitionen in dieses Gebiet gelenkt würden. Denn die Generation der 20 bis 40jährigen müsste dann abwandern, was nicht nur für die Minderheit den Verlust der aktivsten Altersgruppe bedeuten würde. Die optimistische Variante geht von der Annahme aus, daß die vollständige Gleichberechtigung im Sinn des Minderheitenparagraphen 5 der Landesverfassung Schleswig-Holsteins verwirklicht wird. Dies nämlich würde ebenfalls eine Gleichberechtigung im Sinne finanzieller Zuschüsse und der Besetzung öffentlicher Ämter bedeuten; dänische Südschleswiger würden sich dann auch im gehobenen öffentlichen Dienst, bei den Universitäten, Pädagogischen und Fachhochschulen oder in anderen, für die Volksgruppe wichtigen Schlüsselstellungen, etwa bei der Landeszentrale für politische Bildung, wiederfinden.
"Zur positiven Variante gehört auch, daß von bundes deutscher Seite in Zukunft genauso viel für die Minderheiten in Deutschland getan wird, wie für die deutschen Minderheiten in Osteuropa und der ehemaligen UdSSR. Eine Politik, die nur die Interessen der deutschen Minderheiten wahrnimmt, ohne entsprechende Schritte für die Sicherung der Minderheiten im eigenen Land zu unternehmen, bekommt leicht den Schein von Unglaubwürdigkeit. Die Erfahrungen, die wir als aufmerksame Beobachter nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme machen konnten, haben gezeigt, daß die nationalen Minderheiten nicht aus der Welt zu schaffen sind. Selbst in einem so repressiven Staat wie der Sowjetunion, wo Minderheiten verfolgt, deportiert, verschleppt, interniert und zwangsweise assimiliert wurden, konnte man die nationalen Minderheiten nicht vernichten. Sie sind in die Geschichte zurückgekehrt und fordern heute ihr Recht. Daß dies leider oftmals mit schweren, auch gewalttätigen Konflikten verbunden ist, muß uns leider auch bewuß sein. Es wird die Minderheiten immer geben solange es Menschen gibt, die sich mit der jeweiligen Kultur und Sprache identifizieren.
Gleiches gilt auch für die dänische Volksgruppe in Südschleswig: Es wird sie solange geben, wie es Menschen gibt, die sich zur dänischen Kultur, Mentalität und Sprache bekennen. Ich bin also Optimist und wage zu sagen, daß es die dänische Minderheit nicht nur gestern und heute, sondern sicherlich auch noch morgen geben wird, als wichtiges Aktiv der Gesellschaft und des gesamten kulturellen Lebens in Südschleswig." Darüber hinaus schließt Heinrich Schulz sich dem Appell der Landtagspräsidentin Schleswig-Holsteins, Ute Erdsiek-Rave, an; die nach dem Negativentscheid der Bundesregierung und des Bundestages an Dänen, Friesen, Sorben, Sinti und Roma appellierte, sich weiterhin und sogar noch verstärkt für ihre Interessen einzusetzen. "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, einen bundesweiten Dachverband einzurichten, der politische Informationsarbeit leisten kann", wird sie in den "Mitteilungen des Landtags" vom 7. September zitiert.
Auch für Heinrich Schulz stellt sich nicht die Frage ob, sondern wie die autochthonen Minderheiten in Deutschland ihren Kampf für die Minderheitenrechte fortsetzen.
Quellen: Hintergrunddokumente, Presseerklärungen, Verlautbarungen des Landtags von Schleswig-Holstein, des SSw, u. a.; zusammengestellt von der Pressestelle des Dänischen Generalsekretariats in Flensburg, Broschüren des Dänische Generalsekretariats von Oktober 1991 und September 1994; Heinrich Schulz: Die Dänische Volksgruppe heute und morgen; aus: Aspekte der Minderheiten- und Volksgruppenpolitik, Vorträge einer Ringvorlesung, Christian-Albrechts- Universität/ Schleswig Holsteinischer Landtag Kiel 1994, sowie weitere Informationen von Heinrich Schulz; Text: pogrom/bgt
Von Ferdinand Selberg
In Nordschleswig im südlichen Dänemark, von den Dänen Sonderjylland genannt, leben heute etwa 250.000 Menschen, von denen etwa acht bis zehn Prozent der deutschen Minderheit angehören. Die ethnisch-kulturelle Grenze ist somit nicht identisch mit der Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark, zumal es auch eine dänische Minderheit im Landesteil Schleswig südlich der Grenze gibt. Dies ist die Folge der geschichtlichen Entwicklung im Grenzraum, der in den vergangenen Jahrhunderten wechselweise unter dänischem und deutschem Einfluß stand.
Historischer Hintergrund
Das Herzogtum Schleswig entstand im 12. Jahrhundert und
gehörte bis 1864 zur dänischen Krone. Es umfaßte
das Gebiet zwischen der Königsau im Norden und der Eider im
Süden. Seit 1460 bestanden enge Beziehungen zum Herzogtum
Holstein, das deutsches Bundesland war, aber ebenfalls den
dänischen König zum Oberhaupt hatte. Die Menschen
lebten in Frieden mehr als 400 Jahre innerhalb des dänischen
Gesamtstaates, der auch Norwegen umfaßte.
Mit dem Aufkommen nationaler Strömungen um 1830 kam es zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Dänen in den Herzogtümern, da Dänemark mit einer neuen Verfassung Schleswig politisch in das Königreich einbeziehen wollte. Es folgte mit der schleswig-holsteinischen Erhebung der erste schleswigsche Krieg von 1848-1851 und der zweite schleswigsche Krieg 1864, die mit Niederlagen der Schleswig-Holsteiner und der Dänen endeten: Das Herzogtum Schleswig wurde preußische Provinz. Von 1851 bis 1864 versuchte Dänemark durch nationalistische Maßnahmen (Sprachreskripte, Ausweisungen etc.), Mittelschleswig zurückzubekommen, aber die Bevölkerung hielt größtenteils an ihrer deutschen Identität fest. Was die Dänen falsch gemacht hatten, wiederholte der preußische Staat im mehrheitlich dänischen Nordschleswig durch harte Germanisierungmaßnahmen. Die auferlegten Zwänge festigten jedoch die dänische Identität in der Region.
Unter Berufung auf das vom amerikanischen Präsidenten Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker und den Artikel V des Prager Friedens von 1866, der eine Volksabstimmung im nördlichen Schleswig vorsah, wurde nach dem 1. Weltkrieg 1920 ein Referendum abgehalten mit dem Ergebnis, daß 75 Prozent der etwa 100.000 Stimmberechtigten für den Anschluß an Dänemark stimmten, während 25 Prozent sich für den Verbleib beim Deutschen Reich aussprachen. Bei der Abstimmung in Nordschleswig war das Gesamtergebnis entscheidend, während in der zweiten Zone gemeindeweise abgestimmt wurde. Damit erhofften die Dänen, die Stadt Flensburg zu gewinnen. Bei der folgenden Grenzziehung blieben deutsche Mehrheiten in den Städten Tondern (76 Prozent), Sonderburg (55), Apenrade (54) sowie im Flecken Hoyer (73) und in einigen Landgemeinden im südlichen Nordschleswig unberücksichtigt. Die dänische Regierung hatte bei den Alliierten eine Wassergrenze gefordert - nur eine solche sei kontrollierbar -, und so geht die heutige Staatsgrenze entlang des Scheidebaches im Osten und der Wiedau im Westen.
Die Entwicklung der deutschen Volksgruppe
Die deutsche Minderheit mußte sich also auf ein Leben im
dänischen Herbergstaat einstellen. Nach Gründung des
Schleswigschen Wählervereins 1920 kam sie sofort in
Gegensatz zur Staats macht, weil sie die Grenzziehung als
ungerecht empfand und eine Grenzrevision forderte. Man muß
es den Dänen und ihrer liberalen Gesetzgebung hoch
anrechnen, daß der deutschen Minderheit trotz ihrer
ablehnenden Haltung die Möglichkeit gegeben wurde, ein
kulturelles Eigenleben zu führen. Das kam zum Ausdruck in
der Duldung deutscher Vereine und Tageszeitungen, im Aufbau eines
deutschen Schulwesens mit deutscher Unterrichtssprache in
öffentlichen und privaten Schulen, in der Weiterführung
oder Errichtung von Kindergärten, der Gründung eines
deutschen Büchereiwesens sowie im Fortbestand des
deutschsprachigen Kirchenlebens.
Auf der anderen Seite machten nationalistische Kreise der Dänen keinen Hehl daraus, daß sie die deutsche Volksgruppe schnellstens assimilieren wollten. Der bedeutende dänische Politiker H.P. Hansen sagte, daß die deutsche Minderheit in wenigen Jahren verschwinden würde wie Tau in der Sonne. Es wurden auch entsprechende Maßnahmen ergriffen. Nachdem Deutsch und Dänisch Jahrhunderte hindurch als Kirchensprache gleichberechtigt gewesen waren, wurde 1923 allein Dänisch als offizielle Kirchensprache eingeführt. Im selben Jahr wurde durch die Einführung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen die Zuwanderung aus dem Süden unterbunden, während Zuwanderungen aus dem sogenannten Reichsdänemark stark gefördert wurden. In der Landwirtschaft wurde nationale Siedlungspolitik getrieben und dänische Einrichtungen wie Volkshochschulen, Kasernen und staatliche Betriebe wurden verstärkt gefördert.
Es entbrannte ein "Volkstumskampf" um die Menschen, die national nicht Stellung bezogen hatten, und um ihren landwirtschaftlichen Boden, weil die Volksgruppe genau wie bei den Dänen ihre Stärke in der selbständigen Bauernschaft hatte. Der "Bodenkampf" ging verloren, indem etwa 34.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in dänische Hände übergingen (1925-1939). Bei der Werbung um die Nationalindifferenten ergab sich ein Unentschieden, das sicher auch konjunkturbedingt war: Viele deutschgesinnte Sozialdemokraten wurden auf Drängen ihrer Gewerkschaft und des dänischen Arbeitsplatzes Mitglieder der dänischen SPD, aber auch, weil die Volksgruppenleitung unter Pastor Schmidt-Wodder ihnen zu konservativ war.
Die Zeit von 1933 bis 1945
Die finanzielle und kulturelle Abhängigkeit vom "Muttervolk"
zeigte sich deutlich nach der nationalsozialistischen
Machtübernahme 1933. Krisenbedingte soziale Konflikte,
besonders in der Landwirtschaft seit den zwanziger Jahren, und
ein überzogenes Nationalgefühl hatten in Nordschleswig
bei der Volksgruppe genau wie im Nachbarland Schleswig-Holstein
guten Nährboden für den Nationalsozialismus bereitet,
während die Dänen aufgrund einer langjährigen
demokratischen Tradition durchweg dagegen gefeit waren. Die
deutsche Minderheit wurde nunmehr in den Jahren bis 1938
"gleichgeschaltet".
Die Partei der deutschen Nordschleswiger, die Schleswigsche Partei (SP), die seit 1920 einen Sitz im dänischen Parlament hatte, wurde von der NSDAP übernommen, der alte Name jedoch aus taktischen Gründen beibehalten. Die Spannungen zu Dänemark verstärkten sich daraufhin nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern vor allem wegen der nachdrücklichen Grenzrevisionsforderungen. Die Gegensätze verschärften sich schließlich ungemein, als das Dritte Reich Dänemark am 9. April 1940 völkerrechtswidrig besetzte, indem obendrein der Nichtangriffspakt von 1939 gebrochen wurde. Die deutsche Besatzungsmacht spannte die Minderheit in ihre Kriegs- und Besatzungsaktivitäten ein. Bis 1945 meldeten sich 2300 junge Nordschleswiger freiwillig an die Front, 750 von ihnen wurden Opfer des Krieges. Die Volkszugehörigkeit dürfte die stärkste Motivation gewesen sein, nicht zu vergessen ist aber auch die Empfänglichkeit vieler für die Ideale des Nationalsozialismus. In den letzten Kriegsjahren wurde von der Wehrmacht ein "Volkssturm" aus Vertretern der Minderheit rekrutiert (Zeitfreiwillige), der aber nie zum Einsatz kam.
Der schwierige Neuanfang
Die Rechnung für die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht
erhielt die deutsche Minderheit am 5. Mai 1945, als die deutschen
Truppen in Dänemark kapitulierten. Das Verhalten der
Minderheit wurde als Landesverrat an Dänemark gewertet. Etwa
3500 Angehörige der Volksgruppe wurden verhaftet, in Lager
gesteckt und zunächst in "Schutzhaft" gehalten. Später
wurden 2948 von ihnen nach Gesetzen mit rückwirkender Kraft
zu Gefängnisstrafen von einem bis zu zehn Jahren bestraft.
Die meisten erhielten zwei Jahre Gefängnis, die
NS-Volksgruppenleitung die hohen Strafen. Jede deutsche Familie
in Nordschleswig war von der sogenannten Rechtsabrechnung
betroffen, die Kriegsfreiwilligen besonders hart.
Die deutschen Besatzungstruppen hinterließen acht Milliarden Dänenkronen Schulden bei der dänischen Nationalbank. Dänemark hielt sich nicht nur schadlos am deutschen, Reichsbesitz in Dänemark, sondern auch am Eigentum der Volksgruppe, obwohl diese aus dänischen Staatsbürgern bestand. Alle Einrichtungen der Minderheit wurden beschlagnahmt und später enteignet. Es hab 1945 89 deutsche Schulen, davon 39 öffentliche, mit etwa 4000 Kindern und noch einmal 600 Kinder in Kindergärten. Diese mußten zwangsweise in dänische Schulen aufgenommen werden, wo Deutsch erst im 7. Schuljahr als Fremdsprache gelehrt wurde. Die Rechtsabrechnung wurde als Instrument nationalistischer Maßnahmen genutzt. Deutsche Bauern, die Darlehen in einer deutschen Kreditanstalt aufgenommen hatten, wurden Opfer der Enteignungen, ebenfalls Pächter von Höfen, die im Besitz dieser Kreditanstalt waren, Der Zorn der dänischen Bevölkerung, der sich im Laufe der fünf jährigen Besatzungszeit angestaut hatte, entlud sich auf die Volksgruppe. Das Haus der deutschen Tageszeitung und der Turm auf dem Knivsberg, der deutschen Versammlungsstätte, wurden gesprengt, deutsche Denkmäler zerstört, die Bootshäuser deutscher Ruderclubs abgebrannt und Bomben wurden in deutsche Geschäfte geworfen.
Die liberale Gesetzgebung der Jahre vor 1945 wurde vom dänischen Parlament aufgehoben. Ein Schulgesetz ließ zwar die Errichtung von Privatschulen auf Volksschulebene zu, jedoch ohne Examensrechte für die Schulen. Die Neugründung des "Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig" als Träger eines deutschen Schulwesens im Herbst 1945 konnte nur bewirken, daß in sehr bescheidenem Umfang deutscher Unterricht in einer Volksschule an geboten wurde.
Bund deutscher Nordschleswiger
Trotz der Strafverfolgung und anderer widriger Umstände
gelang im November 1945 ein neuer politischer Anfang mit der
Grün dung des Bundes deutscher Nordschleswiger (BdN). Ein
Kreis von Regimegegnern in Hadersleben hatte bereits im November
1943: Grundsätze formuliert, die einen endgültige.
Schlußstrich unter die Grenzrevisionsansprüche der
deutschen Minderheit - verbunden mit einer
Loyalitätserklärung an Dänemark ziehen sollten.
Diese kamen zum Ausdruck in der Gründungserklärung des
BdN:
1. Als deutsche Nordschleswiger bekennen wir uns zu unbedingter
Loyalität zum dänischen König, dem dänischen
Staat und der jetzigen Grenze gegenüber und erstreben einen
ehrlichen Frieden in unserer Heimat.
2. Wir wollen uns auf den Boden demokratischer Staatsauffassung
stellen und im politischen leben die Grundsätze der
Demokratie bestätigen. Daher verwerfen wir alle Politik,
soweit sie nicht zu vereinbaren ist mit den Grundsätzen des
Rechtes, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit.
3. Wir halten fest an der sittlichen Hoheit und Kraft der auf dem
Boden des Christentums gewachsenen deutschen Kultur.
Alle deutschen Nordschleswiger - ohne Rücksicht auf die
politische Vergangenheit-, die diese Grundsätze anerkannten,
konnten Mitglied des BdN werden. Damit wurde die Zersplitterung
der Minderheit vermieden, aber auch die Auseinandersetzung mit
der nationalsozialistischen Vergangenheit auf spätere Zeiten
verschoben. Die vornehmliche Aufgabe des Bundes deutscher
Nordschleswige war in den ersten Nachkriegsjahren der Versuch,
die Folgen der Rechtsabrechnung zu mildern, von dänischer
Seite wurden jedoch keine Zugeständnisse gemacht. Nach der
Entlassung der meisten Inhaftierten konnte 1948 langsam wieder
aufgebaut werden. Auf dem Schulsektor hatte der Mangel an Lehrern
und Gebäuden einen ansprechenden Unterricht fast
unmöglich gemacht. Die Lehrer waren überwiegend
bestraft worden und mit Berufsverbot belegt, die deutschen
Staatsbürger unter ihnen mussten das Land verlassen. Erst
Anfang der fünfziger Jahre gelang es, 13 der enteigneten
Schulgebäude zurückzukaufen, so daß nicht mehr in
Privathäusern unterrichtet werden mußte. Eine
Änderung des Wahlgesetzes im Jahre 1953 ermöglichte dem
Landwirt Schmidt-Oxbüll mit 10.000 Stimmen den Einzug ins
dänische Folketing.
Die politische Wandlung des Grenzlands
Während die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig
vor 1945 etwa 10000 Personen ausmachte, entstand nach Kriegsende
im Zeichen der totalen Niederlage des Naziregimes eine
dänische Heimatbewegung, die den Anschluß an
Dänemark forderte. Ohne ein deutsches Staatsgebilde und auf
dem Hintergrund von Not und Desillusion wuchs die Bewegung so
stark an, daß sie bei der ersten Wahl zum
schleswig-holsteinischen Landtag an die 100.000 Stimmen
erreichte. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, daß
das Entstehen einer starken dänischen Minderheit ein
Glück für die deutschen Nordschleswiger war, wenn man
sich das Schicksal anderer deutscher Volksgruppen vor Augen
hält. Denn so mußte es früher oder später
zur Verständigung über eine Minderheitenpolitik
zwischen Dänemark und einem noch kommenden deutschen Staat
kommen.
Für die deutsche Minderheit waren die Ergebnisse der Verhandlungen von 1955 allerdings eine Enttäuschung, trotz der in den Erklärungen von Bonn und Kopenhagen garantierten Toleranz der jeweiligen Minderheit gegenüber. Ihre Forderung nach Amnestie und Rückgabe des enteigneten Eigentums waren von dänischer Seite als Einmischung in innerdänische Angelegenheiten gesehen und zurückgewiesen worden. Die deutsche Minderheit erhielt lediglich die Examensrechte für ihre Schulen zurück und durfte wieder ein Gymnasium in Apenrade einrichten. Der Wert der Erklärungen von Bonn und Kopenhagen muß allerdings auch langfristig gesehen werden, stehen sie doch für eine Klimawende im Grenzraum.
Brücke im Grenzland
In den fünfziger und sechziger Jahren konnten dann durch die
Förderung des Bundes und ,des Landes Schleswig-Holstein
Schulen, Kindergärten und Büchereien eingerichtet
werden. Die industrielle Entwicklung in Nordschleswig mit der
einhergehenden Abwanderung aus den ländlichen Gebieten in
die Städte und verbunden mit einer ständigen
Zuwanderung aus anderen Teilen Dänemarks führten zu
einer politischen Schwächung der Minderheit, so daß
die parlamentarische Vertretung 1964 verlorenging, weil nicht
mehr genügend Stimmen für ein Direktmandat werden
konnten.
Das dänische Folketing berief dafür einen Kontaktausschuß mit Vertretern aller Parteien des Parlaments, in welchen die Volksgruppe drei Mitglieder entsenden durfte. Ohne Kompetenzen verlor der Ausschuß sehr bald an Bedeutung für die Minderheit. Daher kam es 1973 zu einer wahltechnischen Zusammenarbeit zwischen der neugegründeten Partei der Zentrumsdemokraten und der Schleswigschen Partei, die im Huckepackverfahren den Chefredakteur der deutschen Tageszeitung "Der Nordschleswiger" Jes Schmidt in das Folketing entsenden konnte. Seine Wahl wurde 1975 und 1977 bestätigt. Nach dem Tode Schmidts und durch interne Auseinandersetzungen innerhalb der Zentrumsdemokratischen Partei zerbrach auch die wahltechnische Zusammenarbeit. In den sechs Bündnisjahren konnte sehr viel für die deutsche Volksgruppe erreicht werden, zumal der deutsche Abgeordnete durch seine Tüchtigkeit und Mitarbeit in der Fraktion der Zentrumsdemokraten sich sehr viel Sympathie und Achtung erwerben konnte.
Seit 1983 wird der Kontakt zur Regierung und zum Parlament vom Sekretariat der deutschen Volksgruppe in Kopenhagen aufrechterhalten. Von Seiten des Bundes deutscher Nordschleswiger wird jedoch betont, daß man die Option auf eine parlamentarische Vertretung nicht aufgegeben hat. Die direkte politische Vertretung der Volksgruppe beschränkt sich heute auf einen Vertreter im Nordschleswigschen Amtsrat (Kreistag) und 16 Abgeordnete in acht von 23 Großgemeinden, die nach der Kommunalreform 1970 entstanden waren. Vorher hatte die Minderheit in den kleineren Gemeinden 46 Vertreter.
Das Wahlverhalten der jüngeren Generation innerhalb der Volksgruppe ist aus Sicht einer Minderheit problematisch. Die politischen Bindungen an sie sind nicht mehr so ausgeprägt wie die der Eltern und Großeltern. Die kulturellen Angebote der Minderheit werden als selbstverständlich aufgefaßt und auch wahrgenommen, aber es fehlt an Verständnis für die politische Absicherung. Die schwierige Aufgabe für den Bund deutscher Nordschleswiger ist es, das Gleichgewicht zu halten auf dem schmalen Pfad zwischen Identität und Integration. Im Gegensatz zu früher isoliert man sich nicht mehr, sondern ist bemüht, gleichberechtigt an den Aufgaben im dänischen Staate teilzuhaben.
Der BdN begrüßt die europäische Zusammenarbeit und versteht sich selbst als Brücke im Grenzland. Die historische Epoche der Gegensätze fand 1986 ihren Abschluß, als die dänische Königin Margrethe II der deutschen Volksgruppe einen offiziellen Besuch abstattete. Sie bezeichnete die Minderheit als eine unentbehrliche Dimension im Grenzland und forderte sie auf, an ihrer Eigenart festzuhalten.
Organisationen und Vereine
Der Bund deutscher Nordschleswiger ist die Hauptorganisation der
deutschen Minderheit und vertritt sie in allen Fragen nach
außen. Mit einer Mitgliederzahl von etwa 4500 ist er der
größte Verband. Er ist zugleich Herausgeber der
Tageszeitung "Der Nordschleswiger" (Auflage: 4000), die wiederum
wichtiges Sprachrohr der Volksgruppe ist. Die Schleswigsche
Partei ist Teil des BdN, hat aber einen selbständigen
Vorstand. Der deutsche Schul- und Sprachverein tür
Nordschleswig ist der Zusammenschluß von örtlichen
Schul- und Kindergartenvereinen, die selbst Träger ihrer
Einrichtungen sind. Insgesamt gibt es 18 deutsche Privatschulen,
davon fünf Realschulen und ein Gymnasium mit 1217
Schülern und 24 Kindergärten mit 515 Kindern (Stand:
1987). Ziel des Unterrichts ist die Einführung in die
deutsche Sprache und Kultur sowie die Ausbildung der Kinder zu
einem gleichberechtigten Leben in Dänemark. Mit dem
Schulabschluß erreichen sie sowohl ein dänisches wie
auch ein deutsches Examen. Die Schülerzahlen sind in
Dänemark in den letzten Jahren allgemein
rückläufig, was auch für die deutschen Schulen
gilt.
Die Anmeldung eines Kindes an der deutschen Schule wird von national eingestellten Dänen als offenes Bekenntnis zur deutschen Identität aufgefaßt. In sogenannten gemischten Ehen können wir davon ausgehen, dass sieben von zehn Eltern sich für die öffentliche Schule entscheiden und nur drei für die deutsche Privatschule, die eine kostenlose Alternative bietet. Das "Großelternsyndrom" - Vorurteile gegen alles, was deutsch ist - spielt bei der Entscheidung gewiß auch eine Rolle. Der deutsche Jugendverband tür Nordschleswig ist der Dachverband für 24 deutsche Sportvereine, Jugendgruppen und Jugend- und Freizeitclubs mit etwa 2.500 Mitgliedern. Er führt sportliche und kulturelle Veranstaltungen sowie Fahrten und Lager durch. Er betreibt den Jugendhof Knivsberg mit seinen außerschulischen Aktivitäten und ein Ferienheim an der Flensburger Förde, ist zudem Veranstalter des Knivsbergfestes, eines sommerlichen Volksfestes der deutschen Nordschleswiger, dessen Tradition auf das Jahr 1894 zurückgeht.
Die deutschen Landwirte sind im Landwirtschaftlichen Hauptverein tür Nordschleswig organisiert. Er nimmt die wirtschaftlichen und fachlichen Interessen von etwa 1100 Mitgliedern wahr und beschäftigt acht Fachberater in Pflanzenbau, Rinderhaltung, Schweinemast und Buchhaltung. Er ist als selbständige Gruppe Mitglied im dänischen Bauernverband. Der Verband deutscher Büchereien Nordschleswig betreibt eine Zentralbücherei, vier Stadtbüchereien und in Verbindung mit den ländlichen Schulen 16 Dorfbüchereien. Drei Bücherbusse fahren im 4-Wochen-Turnus in die ländlichen Gebiete und liefern Lesestoff frei Haus. Die Entleihungen sind von 1970 bis 1987 von 100.000 auf 400.000 angestiegen, obwohl man in Norqschleswig drei deutsche Fernsehprogramme empfangen kann.
Die soziale Arbeit liegt in den Händen des Verbandes Sozialdienst Nordschleswig, eines Zusammenschlusses von 20 Krankenpflegevereinen, Frauenvereinen und Seniorenklubs mit 2560 Mitgliedern. Die Aufgaben des Verbandes haben sich der sozialstaatlichen Entwicklung in Dänemark anpassen müssen, so daß der Krankenpflegedienst wegfiel und das Schwergewicht auf Sozialbetreuung und Familienberatung verlagert wurde. Besonders widmet man sich den Senioren, denen Kuraufenthalte, Ausflüge und Reisen ermöglicht werden.
Die kirchliche Arbeit
In den vier Stadtgemeinden Apenrade, Hadersleben, Sonderburg und
Tondern hat die dänische Volkskirche (Staatskirche mit
Kirchenministerium) seit 1920 eigene Pastoren für den
deutschsprachigen Teil der Gesamtgemeinde eingesetzt. Im
ländlichen Bereich gibt es die Nordschleswigsche Gemeinde,
die heute sieben Pfarrbezirke hat und je von einem Pastor betreut
wird. Nach dänischem Recht ist sie eine anerkannte
Freigemeinde. Sie ist der Nordelbischen
Evangelischen-Lutherischen Kirche angeschlossen. Von den elf
Pastoren kommen zehn aus der Bundesrepublik und nur einer aus der
Minderheit, die konfessionell zu 99 Prozent evangelisch ist.
Darüber hinaus gibt es viele weitere Organisationen und
Vereine, von denen hier nur noch der Deutsche Ruderverband, die
Bürger- und Handwerkervereine, die Schützenvereine, der
Kameradschaftsverband Nordschleswig und die Heimatkundliche
Arbeitsgemeinschaft erwähnt seien.
Dänen und Deutsche - Minderheiten im
Grenzgebiet
Beide Minderheiten sind nationale Minderheiten, die auf der
Grundlage eines freien Bekenntnisses existieren, sich aber
ethnisch nicht von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden.
Sie werden von den Mutterländern ideell und finanziell in
besonderem Maße gefördert, aber auch die beiden
Staaten unterstützen jeweils die Minderheit, die bei ihnen
Heimatrecht hat. Sprachlich gesehen ist die deutsche Volksgruppe
heute hunderprozentig zweisprachig, doch sprechen zwei Drittel
als Haussprache sonderjydsk (plattdänisch). Deutsch ist die
Sprache des Gottesdienstes, der Feste und der Vereine. Die
überwiegende Haussprache bei den dänischen
Südschleswigern ist vielfach plattdeutsch und hochdeutsch.
Die sprachlichen Gepflogenheiten haben somit nicht unbedingt mit
der Gesinnung zu tun.
Die noch nicht gelösten Probleme bei der Volksgruppen ähneln sich sehr: Schülerbeförderung, Anerkennung von Kindergärten, kommunale Zuschüsse für die kulturelle Arbeit und manches mehr. Diese können erst gelöst werden, wenn die Mehrheit einsieht, daß Gleichberechtigung nur dann erreicht werden kann, wenn den Minderheiten gelegentlich eine positive Sonderbehandlung zugestanden wird. Beide Minderheiten sind international organisiert in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), deren Generalsekretär neuerdings ein deutscher Nordschleswiger ist. Das Sekretariat der FUEV hat seit vielen Jahren seinen Sitz beim dänischen Generalsekretariat in Flensburg. An der friedlichen Entwicklung im Grenzland haben beide Volksgruppen großen Anteil. Deutsche und Dänen haben erkannt, daß der kulturelle Wettbewerb für beide Seiten eine Bereicherung ist. Die Minderheiten in Europa machen etwa 60 Millionen Menschen aus. Viele Staaten könnten von dem schleswigschen "Modellfall" lernen.
Von Ferdinand Selberg
Aus: pogrom 179 - Oktober/November 1994