Von Melanie Haller und Lena Windegger
Bozen, 28. Februar 2007
Der Cocastrauch hat für die Bewohner von
Bolivien, Peru und Kolumbien eine sehr große Bedeutung,
weil er als Nahrungsmittelergänzung und als Anregungsmittel
dient. Der Gebrauch der Blätter des Cocastrauches geht auf
3.000 v.Chr. zurück und hat bis heute eine bedeutende Rolle
bei Festen und religiösen Ritualen. Die Menschen kauen die
Blätter oder verwenden sie zur Herstellung von Tee. Die
Verwirrung beginnt bereits beim Begriff "kauen". Denn eigentlich
wird das Cocablatt nicht gekaut und schon gar nicht gegessen,
sondern mit Speichel und Llipta vermengt im Mund zu einem
Bällchen geformt und gelutscht.
Cocablätter bilden zwar den Rohstoff zur Herstellung von
Kokain, haben jedoch eine verschwindend geringe Mengen an
Alkaloid- Kokain, sind also nur ein kleiner Bestandteil des
Suchtmittels. Die stimulierende Wirkung von Cocablättern
erleichtert den Indios das Leben und die tägliche Arbeit im
Andenhochland, bei Höhen von über 3.000 m
Meereshöhe. Sie verleiht ihnen das Gefühl
größerer Kraft und Ausdauer und verbessert das
Allgemeinbefinden. Für die andine Bevölkerung ist das
Cocablatt auch Medizin gegen allerlei Beschwerden, etwa gegen
Zahn- und Bauchschmerzen, Kreislaufbeschwerden, Rheumatismus und
Muskelverspannung, Höhenkoller und Depressionen. Ein Cocatee
zur rechten Zeit soll vor Erkältung schützen, ein
Cocablatt auf der Haut die Wundheilung beschleunigen.
Coca ist eine Kult-
und Kulturpflanze, über die heute noch viele verschiedene
Legenden erzählt werden. Die erste Legende erzählt von
einer schönen Frau in einem unreinen Körper, die
deshalb getötet werden musste. Sie wurde halbiert und an
zwei Orten begraben, an denen später Sträucher wuchsen.
Diese Sträucher wurden von den Inkas "mamacoca" und
"cocamama" genannt. Eine andere Legende erzählt von Manco
Capac, dem Gründer der Inka- Dynastie. Er wurde von seinem
Vater, dem Sonnengott Inti auf die Sonneninsel im heiligen
Titicaca- See herabgesandt und brachte den Menschen die
Coca-Pflanze als Geschenk mit. Das Blatt der Cocapflanze stellte
den Respekt der andinischen Bevölkerung gegenüber der
Erde da. Sie benutzten es, die Stimmung aufzuhellen, die sozialen
Verbindungen zu stärken, um ihr körperliches und
geistiges Wohlbefinden zu verbessern und um es bei rituellen
Festen und Feiern den Göttern als Opfer zu reichen. Als die
Europäer ins Land kamen, wurde der Anbau und die Benutzung
der Pflanze verboten. Und als den katholischen Missionaren die
religiöse Bedeutung der Cocapflanze klar wurde, wollten auch
sie die Pflanze als heidnisches Mittel vernichten.
Kokain (chemisch:
Cocahydrochlorid) hingegen wird durch ein kompliziertes
chemisches Verfahren von der Cocapflanze hergestellt. Es ist ein
weißes, kristallines, bitter schmeckendes Pulver und wird
durch Zugabe von Wasser und Chemikalien aus den Blättern des
Cocastrauches, der vor allem in Südamerika wächst,
gewonnen. Der Kokainkonsum stimuliert das zentrale Nervensystem,
erhöht die Herz- und Atemfrequenz und vermittelt ein
Gefühl der Wachheit. Zudem wird es auch in der Medizin im
Bereich der Lokalanästhesie verwendet. Im Gegensatz dazu
besagt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem
Jahr 1995, dass der Konsum von Cocablättern keine negativen
Auswirkungen, aber positive therapeutische, religiöse und
soziale Funktionen hat. Denn Cocablätter enthalten
große Mengen an Kalzium, Kohlenhydraten, Proteinen, Eisen,
Vitamin A, und Vitamin B2.
Die meisten Bauern in den genannten Ländern bebauen ihre
Felder mit Cocapflanzen, da für diese der beste Preis auf
dem Markt bezahlt wird. Für sie bildet diese Einnahme die
Lebensgrundlage, mit der sie sich und ihre Familien ernähren
können. Die UN- Drogenkonvention von 1961 setzte den
Cocastrauch auf die Liste der kontrollierten Substanzen und
gleichzeitig erklärten sie den Anbau der Pflanze als
illegal. In den drei Anbauländern ist die Anbaumenge streng
durch das Gesetz reglementiert und durch nationale und
internationale Staatsinstanzen kontrolliert.
Der Export ist für eine geringe Anzahl an Unternehmen
erlaubt, was ein virtuelles ausländisches Monopol dieses
natürlichen Andenproduktes geschaffen hat. In den darauf
folgenden Jahren setzten sich vor allem die USA für den
Kampf gegen die Drogen und somit den Anbau der Cocapflanze ein.
So starteten sie zum Beispiel die Bekämpfung des Anbaus von
der Luft aus, in dem sie Entlaubungsmittel auf die Felder
spritzten und somit die Ernte zerstörten. Auch finanzieren
sie in Bolivien die Organisation der Alternativen Entwicklung,
deren Ergebnisse die Bauern jedoch als ineffizient bezeichnen.
Ein Projekt der Alternativen Entwicklung versuchte mittels
Pfeffer den Wegfall der Cocapflanze zu kompensieren, jedoch
scheiterte der Versuch kläglich.
Vorteile der Cocapflanze sind, dass sie eine sehr kurze
Wachstumszeit hat und man sie drei bis vier Mal im Jahr ernten
kann. Ihre Blätter werden zuerst getrocknet und können
dann lange gelagert werden; durch die ständige Nachfrage
erzielen sie einen hohen Preis auf dem Markt. Die
Andenbevölkerung könnte mit der Legalisierung des
Anbaus der Cocapflanze einen neuen Markt mit Produkten wie
Cocatee, Zahnpasta, kosmetischen Produkten oder
Erfrischungsgetränken erschließen. Die Cocabauern in
Bolivien haben mit ihren Gewinnen aus der Pflanze sogar Schulen,
Strassen und Krankenstationen errichtet, also eine Art
Sozialsystem etabliert. Die Regierung war nie im Stande, oder
wollte es auch nicht, ihrer Bevölkerung diese
Dienstleistungen zu bieten. Wenn man nun versucht, den Menschen
Coca wegzunehmen, nimmt man ihnen auch die Chance auf ein Leben
ohne Hunger. Sie sehen in Coca nicht die gefährliche Droge
Kokain, sondern eine heilige Pflanze, die sie in ihrer Geschichte
immer schon begleitet hat. Erst durch einen langwierigen
chemischen Prozess wird aus der Pflanze eine Droge.
Quellen:
Hafner, Georg und Tazlan, Kamil: Zum Beispiel Kokain,
Göttingen, 1988.
Lessmann, Robert: Zum Beispiel Kokain, Göttingen 2001.
Schley, Gernot (Hg.): Im Schatten der heiligen Pflanze. Boliviens
Coca- Bauern klagen an, Unkel- Rhein und Bad Honnef, 1992.
Baur, Alex: Koka, Coke, Kokain : Die wechselvolle Geschichte der
Kokapflanze, in NZZ Folio, Juni 1995:
www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/a8a45d2c-335a-45dd-a037-34928c040b01.aspx.