GESCHICHTE
Die ursprüngliche Bevölkerung der Shipibo Konibo lebt
in der Senke an dem Rio Ucayali (Nebenfluss des Rio
Marañon, der in den Amazonas mündet). Zurzeit
gehören 30.000 Menschen dieser Bevölkerungsgruppe an,
die sich auf 226 Gemeinschaften in den Departments von Ucayali,
Loreto, Huanuco und Madre de Dios verteilen. Ein Teil davon lebt
in den Großstädten.
Es wird erzählt, dass vom Beginn der menschlichen
Geschichte an, wir Völker aus Amazonien uns in
Großfamilien je nach unserer Sprache organisiert hatten;
seitdem haben unsere Vorfahren unterschiedliche Theorien
über unsere Herkunft entwickelt: Es gab Menschen, die von
den Affen abstammten und sich Shipi (kleinwüchsige Affenart
mit weißem Bart) nannten; und es gab Menschen, die von
einem Fisch Namens Koni (Aalart) abstammten; man erzählt,
dass die große Familie der Shipi, nach langen inneren
Kämpfen um die Herrschaft des Territoriums und auf Anraten
der Weisen, sich mit der Familie der Koni zusammenschloss: daraus
entstand der Name Shipibo Konibo, wobei die Endung "bo" den
Plural in der Sprache des Shipibos kennzeichnet.
Wir zählen zu den ältesten
Bevölkerungsgruppen Amazoniens in Peru. Bis zum Einfall der
Kolonialmächte in unser Territorium hatten wir Jahrtausende
lang ein traditionell organisiertes System, aber mit der Ankunft
der Missionare wurde unsere Lebensweise und unsere
Unabhängigkeit vernichtet. Unsere ursprüngliche Kultur
bestand in der Anwendung der Lehren, der Ideologien und der
Philosophien, die über Generationen in Form von Lebensregeln
und traditionellen Kenntnissen zusammen mit einer strengen
Disziplin für alle Großfamilien überliefert
worden sind.
Das traditionelle Erziehungssystem wurde von den älteren
Mitgliedern jeder Familie mündlich weitergegeben: Sie hatten
keine Schulbildung, beherrschten und behielten aber Kenntnisse
und Informationen über Astrologie, Geographie, Kunst,
Architektur, Fischerei, Medizin und Kriegstechniken. Denn es gab
natürlich auch Konflikte zwischen den Naturvölkern
Amazoniens, die sich hauptsächlich um die fürs
Überleben notwendigen natürlichen Ressourcen und die
damit verbundenen Territorien drehten.
Das Eindringen der Kolonialherren in
unser Gebiet führte zu einer Veränderung unseres
Lebensstils und unserer Existenz: Wir erfuhren die blinde
Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen, wir selbst wurden
zu Sklaven. Nur dank der alten gesellschaftlichen Regeln,
solidarischem Verhalten, Verteilung der Güter und
kollektivem Besitz an Grundstücken haben wir es geschafft,
als Volk zu überleben.
Unsere Vorfahren fingen an, während der Zeit des
Kolonialismus und später während des Prozesses der
nationalen Entwicklung der Republik einen freien Raum zu suchen,
um unsere Organisationsform und unsere Identität als
ursprüngliche Bevölkerungsgruppe aufrecht zu erhalten.
Aus diesem Grund führen wir heute noch unseren
Widerstandskampf durch.
HEUTIGE SITUATION
Heutzutage leidet unsere Kultur unter der Abwesenheit der alten
Weisen, der spirituellen Führer unseres Volkes: Sie gelten
bei uns als lebendige Enzyklopädien, die das traditionelle
Wissen umfassen. Ein Teil dieser Kenntnisse wird den Jugendlichen
nicht mehr vermittelt und somit von den neuen Generationen weder
praktiziert noch aufgenommen. Wir wollen jetzt einige Aspekte
unserer Lebensart betrachten.
POLITISCHE
ASPEKTE
Die Bewegung der ursprünglichen Bevölkerungsgruppen
hat es mit den neuen nationalen und weltweiten Ideologien immer
schwerer. Daher wollen wir unsere Strukturen verstärken: Wir
denken, dass man unsere politische Unabhängigkeit und den
Schutz der traditionellen Territorien ausbauen sollte.
Während der Regierung Fujimori musste sich die Bewegung dem
sogenannten "Neoliberalismus", der zur Veränderung der
politischen Staatsverfassung führte, stellen: Die freie
Marktwirtschaft und die Teilung der gemeinschaftlichen
Grundstücke wurden eingeführt. Tatsächlich war das
ein Versuch, die Organisationen der ursprünglichen Gruppen
aufzulösen und zu vernichten. Die Strategie der Regierung
war es, die Abhängigkeit und die Manipulation der
Gemeinschaften der Ureinwohner zu fördern. Wir ließen
uns aber nicht von dieser Drohung einschüchtern und
verkauften unsere Grundstücke nicht.
Mit der neuen Regierung Toledo wurde die Nationale Kommission
für ursprüngliche Bevölkerungen aus Amazonien und
den Anden gegründet, nachdem zuvor bereits das Technische
Sekretariat für die Fragen der ursprünglichen und
afroamerikanischen Gruppen (SETAI) eingerichtet worden war. Damit
könnten wir eigentlich positiv in die Zukunft blicken, doch
bislang ist noch kein Ergebnis zu sehen.
Es ist eine Tatsache, dass sich in der Geschichte Perus kein
Präsident um die Fragen der Gemeinschaften der Ureinwohner
gekümmert hat. Ohne eine nachhaltige Entwicklung politisch
zu fördern, haben die verschiedenen Regierungen
wirtschaftliche Abkommen mit großen multinationalen
Unternehmen abgeschlossen. Dadurch erhielten sie billig unser
Land, das sie noch immer rücksichtslos ausbeuten. Negative
soziale Auswirkungen sind die Folge.
Ein Beispiel dafür: Am 30. Dezember 2001 wurden in der
Tageszeitung "El Peruano" die Resolutionen 1349-2001-AG und
1351-2001-AG, vom 27. Dezember 2001, veröffentlicht. Mit
diesen Resolutionen wollte man nach der Forstmappierung des
Nationalinstituts für die natürlichen Ressourcen
(INRENA) Gebiete wieder aufforsten und Wälder für die
industrielle Nutzung schaffen. Mit diesen Resolutionen und den
Abkommen mit den wirtschaftlich interessierten Gruppen
(multinationale Konzerne) sollten für diese Grundstücke
40-jährige Konzessionen erteilt werden. Wir wurden nicht
gefragt. Gleichzeitig verkündet Präsident Toledo bei
jeder Gelegenheit, dass er sich stets für die Grundrechte
der ursprünglichen Bevölkerungen einsetzen
würde.
Es ist uns schon bewusst, dass wir von den großen
Parteien, von den politischen Bewegungen und von den
verschiedenen Regierungen je nach ihren Interessen manipuliert
wurden und immer noch werden: Ihre Ziele stehen unserer
Realität diametral gegenüber, sei es aus Unwissenheit,
sei es aus Mangel an einer starken politischen Kultur. Trotzdem
haben wir uns politische Räume geschaffen, in denen wir
unsere elementaren Rechte einfordern können.
In unseren Gemeinschaften nehmen Diskussionen über die
neuen organisatorischen Muster immer größeren Raum
ein: Daraus ist die Zentrale Kommission für die Politische
und Wirtschaftliche Unabhängigkeit der Shipibo Konibo
entstanden, das größte Ziel unserer Generation. Wir
glauben, dass unser politischer Kampf sich auf zwei verschiedenen
Ebenen abspielen soll. Erstens müssen wir uns als
Organisation vollständig in das nationale peruanische
Projekt einbringen, das die Veränderung und den Wechsel
will; zweitens müssen wir darum kämpfen, um in den
höchsten staatlichen Institutionen - in den Gemeinden und im
Parlament - Entscheidungsmacht zu erlangen. Damit könnte die
kritische Lage unserer Gemeinschaften verbessert
werden.
WIRTSCHAFTLICHE ASPEKTE
Unsere Wirtschaft war für lange Zeit eine
Lebensunterhaltswirtschaft: Wir haben die natürlichen
Ressourcen ausgenutzt, ohne dass der Handelswert, die Kosten, die
Verdienste, die Steuer, die Ersparnisse und die Anlagen wichtig
waren. Heutzutage müssen wir aber mit den Tücken der
Marktwirtschaft fertig werden, die uns zur Suche nach neuen
Entwicklungsformen und -modellen drängt. Nur so ist die
Kontinuität in unserer Kultur und in unserer Organisation
möglich. Von daher sind wir dazu gezwungen, uns in
unterschiedlichen Bereichen ausbilden zu lassen, z.B. in
Unternehmensführung und -verwaltung. Nur so können wir
mit der Mehrheitsgesellschaft auf dem großen Markt
konkurrenzfähig werden.
Mit der Globalisierung schließen sich die mächtigen
Länder in große wirtschaftliche Blöcke zusammen.
Sie bilden große Konzerne mit dem Ziel, unsere
natürlichen Ressourcen auszubeuten. Unsere Regierungen
nutzen die politischen Konjunkturen des Landes aus, um die
Wälder Amazoniens zu privatisieren. Wirtschaftliche Krisen
und Arbeitslosigkeit dienen immer wieder dazu, um
ausländische Investoren aufzufordern, wirtschaftliche
Abkommen zur Ausbeutung der knappen Ressourcen zu
schließen. Sie werden legitimiert, "gesetzmäßig"
zu handeln, ohne zu beachten, dass wir diese Wälder
bewohnen. Unser Einverständnis bzw. unsere Ablehnung wird
überhaupt nicht berücksichtigt.
Wie können wir ein Lebensminimum für die lokale
Bevölkerung schaffen? Das ist eine wesentliche Frage, die
nie beantwortet wurde und die sich für die Zukunft stellt.
Es ist sicher, dass die Plünderung der Wälder, die
Okkupation der Territorien sowie die Auswanderung von
Männern und Frauen in die Großstädte weiter gehen
werden. Dort müssen die Männer oft wie Sklaven
arbeiten, die Frauen werden zur Prostitution gezwungen. Wir
gelten nur als Wächter von Ressourcen, die wir schützen
müssen, um zu überleben; das wird diplomatisch
ausgedrückt, indem Worte wie "nachhaltige Entwicklung"
erfunden werden. Aber die einzige für die ursprüngliche
Bevölkerung gangbare Alternative ist das "Schützen um
zu überleben". Die Themen, an die man herangehen soll,
werden für uns immer komplizierter und die Experimente
für eine wirtschaftliche Entwicklung der lokalen
Bevölkerungen haben bis jetzt zu keinem positiven Ergebnis
geführt: Es handelt sich sehr oft um Versuche, die nur zum
Erlangen eines akademischen Studientitels gut sind.
Es ist für uns sehr wichtig:
- über unsere gesamten Territorien zu verfügen;
- eine zweisprachige Erziehung zu erwirken;
- unser kulturelles Vermögen mit Bezug auf die
Biovielfältigkeit zu schützen;
- die Beziehung Mensch-Natur muss ernst genommen werden.
Wir verfügen über eine Menge natürlicher
Ressourcen, die wir mit mehr Kompetenzen ausnutzen wollen:
Beispielsweise könnten wir durch konkrete Analysen
wirtschaftlich einträgliche Alternativen finden und unsere
Untehrnehmensfähigkeiten verbessern, um die jetztige
Situation zu verändern. Wir müssen diese Ressourcen
ausgeglichen nutzen und eine Wirtschaft schaffen, die Zugang zum
Markt hat.
ERZIEHRISCHE UND KULTURELLE
ASPEKTE
Die Erziehung ist durch das neue Schulprogramm der
Zweisprachigen Interkulturellen Erziehung (EBI) zu einem der
wichtigsten Elemente in unseren Gemeinschaften geworden. Durch
die permanente Ausbildung der zweisprachigen Lehrer garantieren
wir unseren Kindern eine gute Bildung, indem wir ihnen die
ursprüngliche Kultur, aber auch die kulturelle
Vielfältigkeit unserer Umgebung vermitteln. Dabei werden
auch die Vorteile der modernen Technologie nicht außer Acht
gelassen.
Die Interkulturalität ist für uns ein neues Thema.
Aber wir sind davon überzeugt, dass sie ein notwendiger
Prozess ist, um eine Gesellschaft aufzubauen, die die Toleranz
und den Respekt der Unterschiede als Grundsätze
ausgewählt hat. Heutzutage besitzen vor allem Jugendliche
eine hochstehende Bildung, aber nur wenige von ihnen erkennen
ihre eigene kulturelle Identität an - eine Folge der
offiziellen Kultur.
DAS TERRITORIUM
Das Territorium, worüber wir heute verfügen, ist sehr
klein: Wir arbeiten mit der Interethnischen Vereinigung für
die Entwicklung des Peruanischen Urwaldes (AIDESEP) zusammen, um
ein größeres Territorium für die
ursprünglichen Bevölkerungen zu erhalten. Das Risiko
besteht darin, dass wir keine Anerkennung für diese
Territorien bekommen, die vom Staat noch nicht anerkannt worden
sind. Wir verfügen bis jetzt über einige wenige vom
Staat anerkannte Gebiete und Reservate, in denen es oft
Führungsprobleme gibt. Es ist daher notwendig, einen
Gebietsanspruch als ursprüngliche Bevölkerung zu
fordern und nicht nur als Gemeinschaften. Dafür müsste
aber eine unabhängige Regierung der ursprünglichen
Bevölkerungen gründet werden. Das heißt nicht,
dass wir uns von der offiziellen peruanischen Regierung trennen
würden, sondern wir sicherten lediglich unsere Existenz als
Volk mit einer eigenen Kultur. So könnte man die
gemeinschaftliche Kenntnis über die Biovielfältigkeit
und ihre Nutzung garantieren und jene Elemente unserer Kultur
bewahren (Schamanismus, Heilpflanzen usw.), die für uns und
die kommenden Generationen unverzichtbar sind.
Der Schutz der traditionellen Kultur hat den Schutz der
Vielfältigkeit der natürlichen Ressourcen und ihre
nachhaltige Nutzung zum Ziel. Die daraus erwirtschafteten
Verdienste müssen gerecht verteilt werden. Diese Ziele
möchten wir als junge Vertreter der Gemeinschaften der
Ureinwohner erreichen. Möglich ist das aber nur, wenn uns
Freunde und Institutionen, die sich mit unserer Sache
identifizieren, dabei helfen.