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Pogrom bedrohte Völker Nr. 278-279, 4-5/2013
Bozen, April 2014
Indice
Editorial, Sandy Naake | Christen
im Nahen Osten. Ankawa bringt Menschen zusammen | Russland. Virtuelle Heimat für Tscherkessen |
Kurden. Global verstreut, medial vereint |
Zukunft indianischer Medien in den USA ist
ungewiss. Alle hören KILI | Mapuche in
Chile und Argentinien. "Die chilenischen Medien stigmatisieren
uns" | Mexiko und Guatemala. Von den Maya und
ihren Medien | Nasa in Kolumbien. Indigene
mobilisieren sich online | Algerien. Eigene
Radiosendung stärkte Selbstbewusstsein der Kabylen |
Australiens Ureinwohner und ihre Medien. Ohne
Angst die eigenen Geschichten zu verbreiten
Von Sandy Naake
Minderheiten Machen Medien. Was gibt's Neues? pogrom / bedrohte Völker 278-279 (4-5/2013).
Liebe Leserinnen und Leser,
wer heute die nordfriesischen Inseln Föhr, Amrum oder Sylt
besucht, ist überrascht. Die Ortstafeln haben sich
verändert. Sössarap, Neibel oder Stianodd, lauten die
Namen der Dörfer Süddorf, Nebel und Steenodde heute.
Das Friesische, das deutschen wie dänischen Besuchern
unverständlich ist, wird wieder gepflegt. Friesische Vereine
beschränken sich nicht länger nur auf die Pflege alter
Traditionen. Vielmehr hat die friesische Sprachbewegung
Schulstunden in der autochthonen Regionalsprache durchgesetzt,
Friesisch wird an der Flensburger Hochschule gelehrt und die
Schleswig-Holsteinische Zeitung publiziert in ihren
nordfriesischen Ausgaben eine Sonderseite pro Monat auf Friesisch
und Plattdeutsch.
Die UNESCO schätzt, dass von den mehr als 6.000 weltweit
gesprochenen Sprachen etwa 2.500 vom Aussterben bedroht sind.
Nicht selten sind nur noch ältere Menschen der Sprache ihrer
Vorfahren mächtig - nicht zuletzt aufgrund jahrzehntelanger
Überfremdung oder Unterdrückung. Viele junge Menschen
müssen erst wieder ermutigt werden, sich für das
kulturelle Erbe ihrer Gemeinschaft zu interessieren. Lange genug
haben Regierungen autochthone Sprachen verboten. Das
Überleben von Sprachen bedingt auch das Überleben von
jeweils einzigartigen Kulturen. Wie grau wäre die Welt
jedoch ohne ihre kulturelle und sprachliche Vielfalt?
Weltweit gibt es Gemeinschaften, die um das Überleben ihrer
Sprache und Kultur medial "kämpfen". Mit Mikrofon und
Diktiergerät bewaffnet, rufen sie Radiosender ins Leben. So
wie Radio KUYI in Arizona, das für die Hopi nicht nur eine
wichtige Quelle ist, um vor drohenden Gefahren zu warnen, sondern
gleichzeitig auch ihre indianische Kultur am Leben erhält.
Im Internet organisieren und mobilisieren sich die weltweit
verstreut lebenden Tscherkessen, genauso wie die Armenier. Sie
fordern von Russland oder der Türkei eine Entschuldigung
für die an ihren Völkern begangenen Verbrechen. In
Mexiko läuft seit 2013 die erste Telenovela, in der fast
ausschließlich Maya-Yucateco gesprochen wird und Riten und
Bräuche der Maya genau erklärt werden.
Mediales Engagement hat auch seinen Preis. Viele NGOs in der
Russischen Föderation schweigen lieber, als ihre Stimme zu
erheben. Sie haben Angst, vom Geheimdienst verfolgt zu werden. In
China lebende tibetische und uigurische Blogger laufen Gefahr,
inhaftiert zu werden, weil sie die desolate Lage der
Menschenrechte in der Volksrepublik anprangern. Sogenannte
alternative Medien sind vielen Regierungen ein Dorn im Auge, denn
sie schaffen Gegenöffentlichkeit. Insbesondere
konventionelle Medien berichten kaum oder gar nicht über die
Situation ethnischer und religiöser Minderheiten und/oder
verbreiten Stereotype und Vorurteile.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker engagiert sich
seit mehr als vier Jahrzehnten für Minderheiten, die oft um
ihr Überleben, aber auch für die Erhaltung ihrer
Sprachen, Kulturen und ihrer Umwelt kämpfen. Wir und andere
Organisation waren Teil einer europäischen Bewegung, die
sich für die Stärkung der Minderheitensprachen
eingesetzt hat. Das Ergebnis war 1992 die Verabschiedung der
Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen.
Wir wünschen Ihnen eine spannende und aufschlussreiche
Lektüre über die Lage der Medien von ethnischen
Minderheiten und indigenen Völkern.
Ihre Sandy Naake
Titelbild: Belinda Juaw vom privaten Radiosender SPIRIT FM in der südsudanesischen Stadt Yei verliest die aktuellen Nachrichten. SPIRIT FM sendet in Englisch und Juba-Arabisch sowie in den Regionalsprachen Madi, Kuku und Kakwa. Weltweit rufen Gemeinschaften Radiosender oder andere Medienprojekte ins Leben, um für das Überleben ihrer Sprache und Kultur medial zu "kämpfen". Solche Initiativen schaffen jedoch gleichzeitig Gegenöffentlichkeit zu konventionellen Medien, die viele Minderheiten nicht im Fokus ihrer Berichterstattung haben. Foto: Werner Anderson/ Norsk Folkehjelp Norwegian People's Aid/Flickr BY 2.0.
Von Amir Almaleh
Panorama der nordirakischen Stadt Ankawa. Dort arbeiten Redakteure von www.ankawa.com, die die Internetseite mit Nachrichten aus dem Nahen Osten beliefern.
"Abdul-Jabbar Khedr Tuza wurde am 6. April 2013 gegen 18 Uhr
vor seinem Haus in der irakischen Stadt Mosul von einem
maskierten Unbekannten erschossen. Der irakische Christ war als
Arzthelfer im Krankenhaus tätig. Er war Jahrgang 1957,
verheiratet und hatte drei Söhne", so lautet eine Nachricht
auf der arabischsprachigen Internetseite www.ankawa.com. Jeden
Tag informieren sich dort mehr als 70.000 Menschen über die
Lage der christlichen Assyrer-Chaldäer-Aramäer und
anderer Minderheiten im Nahen Osten. Ankawa wurde im Mai 1999 ins
Leben gerufen und ist eine der meist gelesenen Internetseiten,
die von Christen im Nahen Osten betrieben werden. Mit stets
brandaktuellen Meldungen hat die Internetseite es sich zum Ziel
gesetzt, die Toleranz unter den verschiedenen religiösen und
ethnischen Gruppen im Irak und im Nahen Osten zu
fördern.
Politische Zusammenhänge, aber auch Geschichten aus dem
Alltag sind es wert, veröffentlicht zu werden. Ankawa bietet
Information, Bildung, aber auch Unterhaltung. Auf der von
Schweden aus betriebenen Internetseite kommen die Menschen
zusammen: Sie können Artikel kommentieren und in einem Chat
Themen kontrovers diskutieren. Mehr als 50 Ehrenamtliche -
Autoren, EDV-Techniker und andere Fachkräfte - arbeiten
täglich daran, die Internetseite auf dem neuesten Stand zu
halten. Werbung ist die einzige Einnahmequelle. Bis zu 5.000
US-Dollar (3660 Euro) nimmt Ankawa pro Monat ein. Das reicht
gerade einmal die Betriebskosten der Internetseite, nicht aber
die Redakteure zu bezahlen. Betreut wird die Internetseite in den
Räumlichkeiten des Vereins "Yaomona" in Stockholm, der sich
für die Rechte von Migranten stark macht. Weitere Büros
befinden sich in dem Ort Ankawa nahe von Arbil, der Hauptstadt
von Irakisch-Kurdistan, und in Bagdeda in der Provinz Ninive im
Nordwesten des Irak. Die Redaktion besteht aus sieben Personen,
mehr als 20 Reporter in der ganzen Welt beliefern die
Internetseite täglich mit Nachrichten - unter ihnen
zwölf Iraker und drei aus den Nachbarländern des
Irak.
Amir Almaleh ist Chefredakteur von www.ankawa.com und hat die Internetseite mitgegründet. Der im Irak geborene Christ lebt im schwedischen Exil.
Von Nico
Die Gesellschaft für bedrohte Völker bei einer Aktion anlässlich des Petersburgers Dialogs im Dezember 2013 in Kassel. Auch Tscherkessen nutzten die Olympischen Winterspiele in Sotschi, um das Schicksal ihres Volkes publik zu machen.
Die Olympischen Winterspiele 2014 in der russischen Stadt
Sotschi am Schwarzen Meer stehen kurz bevor, doch das
Sportereignis wird vor allem von Tscherkessen weltweit
missbilligt - sie fordern eine Entschuldigung Russlands sowie die
Würdigung ihrer Toten. Zaristische Truppen gingen in Sotschi
vor 150 Jahren brutal gegen Tscherkessen vor. Nach mehr als 100
Jahren Krieg gegen die Armee der russischen Zaren waren die
tscherkessischen Stämme geschwächt, gespalten und teils
vertrieben, bevor sie 1864 gänzlich niedergeschlagen wurden.
Die Zahl der Opfer des Völkermords wird auf mindestens eine
Million geschätzt. Heute leben die Nachfahren über den
Erdball verstreut. Nur in der autonomen Republik
Kabardino-Balkarien in der Russischen Föderation sind die
Tscherkessen mit 52 Prozent in der Mehrheit. 2010 ging
www.cherkessia.net online, eine Plattform für und über
Tscherkessen. So sollen auch diejenigen Tscherkessen, die in der
Diaspora leben, mit aktuellen Nachrichten versorgt werden.
Publiziert wird vorwiegend in Türkisch, einige Artikel
erscheinen auch in Tscherkessisch, Englisch, Arabisch oder
Deutsch. Die GUS-Referentin Sarah Reinke von der Gesellschaft
für bedrohte Völker wollte mehr über die
tscherkessische Plattform erfahren und hat mit Schamis Hatko,
Chefredakteur und Initiator von Cherkessia, sowie mit dem in
Deutschland lebenden Tscherkessen-Aktivisten, Inal Tamzok, der
für die Internetseite schreibt, gesprochen.
bedrohte Völker: Welche Ziele habt ihr mit eurer
Internetseite?
Cherkessia: Wir wollen den Informationsfluss zwischen der
Weltöffentlichkeit und den Tscherkessen wieder
intensivieren. Seit dem Völkermord und der Vertreibung sind
wir aus dem Bewusstsein der Welt verschwunden. Das wollen wir
ändern und von unserem Schicksal, unseren Wünschen
berichten. Natürlich wollen wir mit unserer Plattform auch
die weltweit verstreuten Tscherkessen vereinen und eine Art
"virtuelle" Heimat schaffen. Überall haben sich die
Tscherkessen eigenständig entwickelt, haben teilweise die
Kultur der Länder in der Diaspora angenommen. Das erzeugt
natürlich auch untereinander Unterschiede.
bedrohte Völker: Welche Leser möchtet Ihr
erreichen?
Cherkessia: Wir möchten möglichst viele Tscherkessen
erreichen und für unsere Politik wachrütteln. Wir
wollen aber auch diejenigen Menschen ansprechen, die sich
für Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechte und die Rechte
autochthoner Völker interessieren. Das ist allerdings nur
begrenzt möglich, da wir bislang alle ehrenamtlich arbeiten.
Wir würden noch so gern viel mehr Artikel auf Arabisch,
Englisch oder Deutsch veröffentlichen, aber unsere
Kapazitäten sind begrenzt.
bedrohte Völker: Hat Cherkessia eine bestimmte politische
Ausrichtung?
Cherkessia: Wir vertreten die Interessen des tscherkessischen
Volkes. Insofern sind wir nicht neutral. Aber wir sind weder
politisch noch religiös orientiert: Unter den Tscherkessen
gibt es Liberale, Konservative, Linke, Muslime, Christen und
Atheisten. Wir fühlen uns eindeutig der Demokratie
verpflichtet. Wir wünschen uns, wieder als ein Volk
zusammenzuleben - ohne Angst vor Assimilation. Das bedeutet
nicht, dass wir uns von der Russischen Föderation abspalten
wollen. Aber wir wollen unsere Rechte als autochthones Volk
innerhalb Russlands gewahrt wissen.
bedrohte Völker: Was sind die größten Erfolge von
Cherkessia?
Cherkessia: Innerhalb von knapp vier Jahren Arbeit haben wir es
geschafft, den Wiederaufbau "Tscherkessiens" an unser Volk
heranzutragen. Als wir bei der Internetplattform Circassian
Canada mit diesem Thema anfingen, wurden wir stark kritisiert -
selbst von Vertretern etablierter tscherkessischer
Organisationen. Man sah in uns Provokateure, die die Beziehungen
zu Russland verschlechtern wollten. Dabei wollen wir uns doch mit
Russland aussöhnen. In den Zeiten vor Cherkessia bestand die
Politik der Tscherkessen vor allem darin, die Kultur zu erhalten
sowie Sprache und Gebräuche zu pflegen. Diese
Bemühungen verlangsamen zwar Assimilationsprozesse,
können sie jedoch nicht aufhalten. Wir haben erkannt, dass
wir unsere Strategie, die Kultur der Tscherkessen zu bewahren,
grundlegend ändern müssen und auch politisch brisante
Themen wie den Völkermord im 19. Jahrhundert ansprechen
müssen. Zudem haben wir deutlich gemacht, welche Menschen
eigentlich als Tscherkessen bezeichnet werden. In der Türkei
beispielsweise wurde jedes nordkaukasische Volk wie die Abchasen,
Dagestaner, Tschetschenen oder Inguschen zu den Tscherkessen
gezählt. Mit Cherkessia konnten wir auch viele Tscherkessen
davon überzeugen, dass wir nicht nur Feinde in der Welt
haben, sondern auch Freunde - die noch mehr werden können,
wenn wir uns weiter öffnen.
bedrohte Völker: Mit welchen Schwierigkeiten habt ihr zu
kämpfen?
Cherkessia: Unsere Ideen waren für viele Tscherkessen
völlig neu. Wir sind deshalb oft kritisiert worden.
Tscherkessische Organisationen waren eher russlandfreundlich
orientiert. Das führte sogar so weit, dass viele
Tscherkessen den Völkermord anzweifelten und das Leben in
der Diaspora als freiwillige Auswanderung unserer Vorfahren
ansahen. Die Schuld des zaristischen Russlands an dem
Völkermord wurde heruntergespielt sowie auch die
Verantwortung der heutigen Russischen Föderation, sich
für den Genozid an unserem Volk zu entschuldigen. Uns
fällt es zudem schwer, angemessen journalistisch zu
arbeiten. Wir sind nur Wenige; jeder Autor arbeitet ehrenamtlich.
Dieser Punkt erschwert die Möglichkeit von
Übersetzungen und tiefgründigen Recherchen.
bedrohte Völker: Habt ihr eine Vision? Wie soll sich das
Medium entwickeln, wenn alles ideal läuft?
Cherkessia: Unser Ziel ist es, unsere Arbeit zu
professionalisieren und schließlich eine tscherkessische
Presseagentur zu werden. Wir haben zudem vor, den
Bekanntheitsgrad unseres Volkes weiter zu steigern. Wir binden
auch Facebook in unsere Arbeit ein, um Leser zu erreichen, die
unsere Internetseite nicht kennen.
Von Linus Mandl
Die Kurden fühlen sich über Fernsehen und Internet medial vereint.
In hunderttausenden Wohnzimmern fand im März 1995 auf der
ganzen Welt eine Revolution statt: Erstmals konnten Kurden
Satellitenfernsehen in ihrer Muttersprache empfangen. Med-TV mit
Sitz in London war auf Sendung gegangen. Der Gründer Hikmet
Tabak wollte mit dem Kanal zur Entwicklung der kurdischen Kultur
und Sprache beitragen und den Kurden eine Möglichkeit zur
Kommunikation bieten. Für die Bildung einer kollektiven
Identität war Med-TV ein Meilenstein. Endlich gab es einen
Fernsehsender in kurdischer Sprache - ein Ereignis, das kurze
Zeit zuvor noch undenkbar war, da Kurdisch bis 1992 in der
Türkei verboten war. Für Kurden in der Türkei war
Med-TV von nun an eine Möglichkeit, offen zu ihrer
Identität zu stehen. Sie konnten im Studio anrufen und die
Sendungen live mit ihren Kommentaren bereichern. Der
Fernsehsender hatte damit auch eine einigende Wirkung auf die
kurdische Diaspora. Vier Jahre nach Sendestart war jedoch
Schluss. Die Türkei unterstellte Med-TV Nähe zur
radikalen Arbeiterpartei Kurdistans PKK und setzte damit die
britischen Behörden unter Druck. Es waren turbulente Zeiten
für Hikmet Tabak und seine Mitarbeiter.
Terrorspezialeinheiten der britischen Polizei führten
Razzien in den Räumen des Senders durch. Verhaftungen waren
an der Tagesordnung. 1999 stellte der Sender dann seinen Betrieb
ein, nachdem ihm die Independent Television Commission die
Sendelizenz entzogen hatte. Die Entscheidung wurde damit
begründet, dass Med-TV enge Verbindungen zur PKK hätte.
Trotz dieses Rückschlags schrieb der Sender
Fernsehgeschichte und leistete Pionierarbeit für andere
Kanäle in kurdischer Sprache.
Fast 20 Jahre nach der Gründung von Med-TV hat sich die
kurdische Medienlandschaft erheblich vergrößert: Mehr
als 30 terrestrisch oder über Satellit übertragene
Fernsehkanäle gibt es weltweit, darunter TRT-6, der vom
türkischen Staat betrieben wird und im Januar 2009 auf
Sendung ging. Diese Entwicklung wäre in den 1990er Jahren
noch undenkbar gewesen. Die Türkei sperrte sich lange
erfolgreich gegen sämtliche Zugeständnisse an die
Kurden. Sie glorifizierte den eigenen Nationalismus und
ließ ethnischen sowie religiösen Minderheiten wenig
Raum zur Selbstentfaltung. Die kurdische Sprache war mit
Publikationsverboten öffentlich zum Schweigen gebracht.
Schriftsteller, Schauspieler und Sänger wurden bis 1992
verhaftet, wenn sie sich dieser Sprache in ihrer Kunst bedienten.
Die türkische Justiz warf ihnen vor, Terroristen oder
Vaterlandsverräter zu sein. So scheint es heute nahezu
unglaublich, dass der staatliche TRT-6 mit türkischen
Steuergeldern ein kurdisches Programm produziert.
Eine mediale kurdische Gemeinschaft formiert sich nicht nur via
Fernsehen, sondern auch im Internet. Dort werden politische
Debatten geführt, Freundschaften geknüpft, Musik
getauscht, Gedichte geschrieben und Filme veröffentlicht -
alles in den kurdischen Dialekten Kurmanci, Sorani, Zakaki und
Gorani. Selbst virtueller Sprachunterricht und die passende
Literatur sind im World Wide Web zu finden. Die Tabuisierung der
kurdischen Sprache und Kultur in der Türkei wird somit
hinfällig: Im Gegensatz zu Printmedien, die früher
rigoros zensiert wurden und nur kleine, regionale Leserkreise
erreichten, ist es für Staaten schwieriger, das Internet zu
reglementieren. Zudem verkleinert die virtuelle Gemeinschaft die
Distanz zwischen Diaspora und Heimatgemeinden erheblich. Kurden
in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern können
Diskurse in der Heimat mitverfolgen und sich aktiv an ihnen
beteiligen.
Die Bedeutung der Medien für die kurdische Identität
hat auch eine politische Tragweite: Kurdischer Nationalismus und
das Zeigen von Symbolen sind wesentlicher Programmbestandteil der
meisten kurdischen Fernsehsender. Die Zuschauer sollen das
Gefühl bekommen, Bürger einer kurdischen Gemeinschaft
zu sein. Damit steht das Ringen um Medien- und Meinungsfreiheit
auch immer im Zeichen kurdischer
Unabhängigkeitsbestrebungen. Längst ist der Kampf um
den eigenen Staat ein Propagandakrieg geworden. Die Türkei
fährt mit TRT-6 schwere mediale Geschütze gegen die PKK
auf, die mit Roj TV bis 2012 ebenfalls einen eigenen
Fernsehsender betrieb. TRT-6 versuchte, mit einem kurdischen
Unterhaltungs- und Nachrichtenprogramm einen Gegenpol zur
PKK-Propaganda zu etablieren. Da TRT-6 zum türkischen
Staatsfernsehen gehört, befürchtete die PKK, dass der
Kanal nun auf Kurdisch türkischen Nationalismus propagiere
und verzerrt über türkische Militäreinsätze
in den Kurdengebieten berichte. Jeder, der TRT-6 schaue, sei ein
Verräter, erklärte die radikale Partei.
Nicht nur in der Türkei sind kurdische Medien im Aufwind. In
Irakisch-Kurdistan unterhalten die beiden großen kurdischen
Parteien PUK und DKP jeweils eigene Fernsehsender: Kurdsat und
Kurdistan TV. Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD)
in Syrien verschickt via Internet täglich Newsletter in alle
Welt und berichtet auf dem parteieigenen Fernsehkanal Ronahi TV
vom syrischen Bürgerkrieg.
Die Angebotsvielfalt offenbart jedoch auch innerkurdische
Konflikte: Unter den kurdischen Gruppen in Syrien, im Irak und
Iran sowie in der Türkei ist längst ein Machtkampf
entbrannt, bei dem regionale Führungsansprüche um das
ganze kurdische Gebiet laut werden. Dieses Tauziehen spiegelt
sich auch in der Berichterstattung der unterschiedlichen
kurdischen Privatsender wider. Zwar birgt die kurdische
Medienlandschaft mittlerweile großes Potential, die
Anliegen dieser Minderheit einer breiteren, internationalen
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Andererseits fehlt
es ihr bisweilen an professioneller Distanz, da sich viele Sender
nicht klar genug von politischen Einstellungen abgrenzen. Mit der
Diversität der kurdischen Medienlandschaft nimmt auch die
Meinungsvielfalt zu. Medien lösen Streitigkeiten nicht mit
der Waffe in der Hand, sondern in der Debatte. So ist es auch
ihre Aufgabe, den aktuellen Friedensprozess zwischen Kurden und
Türken als objektive Beobachter mitzutragen und damit ihre
Rolle als demokratische Kraft innerhalb der kurdischen
Gemeinschaft unter Beweis stellen.
Linus Mandl absolvierte im Sommer 2013 ein Praktikum im Nahost-Referat der Gesellschaft für bedrohte Völker. Seit September 2012 ist er Student des "German Turkish Master's Program in Social Sciences" der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara und der Humboldt-Universität in Berlin. Er war bereits in Ankara und Istanbul und hat auch die kurdischen Gebiete in der Südosttürkei und dem Nordirak besucht.
Von Sandy Naake
Fanny Bräuning drehte 2009 den preisgekrönten Dokumentarfilm "No More Smoke Signals". Sie porträtierte das für die Lakota so wichtige Radio KILI . "Ein vergessener Ort zwischen Kampf und Hoffnung, zwischen indianischem Mythos und dem Alltag im ärmsten Reservat der USA. (…) Bei KILI RADIO läuft alles zusammen. Statt Rauchzeichen sendet KILI seine Signale durch die Weite der grandiosen Landschaft, mit einer wunderbaren Mischung aus Humor und Melancholie.
Die Lakota-Großmutter aus South Dakota, die zu
traditionellen Klängen erwacht, der indianische Landwirt,
der den Wetterbericht hört, der junge Vater, der die
Stellenangebote verfolgt und der Teenager, der einfach nur das
Radio wegen Rock'n Roll-Musik laut aufdrehen möchte - all
diese Menschen sollen erreicht werden. So hat es sich KILI Radio
vorgenommen. Seit 1983 sendet die "Stimme der Lakota" im
Pine-Ridge-Reservat in South Dakota.
Doch der Sendungsbeginn wurde kritisch beäugt. "Terroristen
bauen Radiostation auf", titelte damals die Rocky Mountain News.
KILI Radio wurde von Mitgliedern der Amerikanischen
Indianerbewegung (American Indian Movement/AIM) - eine
indianische Protestbewegung - gegründet, die vor allem in
den 1970er Jahren von der US-Politik kriminalisiert wurde: 1973
besetzte die AIM 71 Tage lang das im Pine-Ridge-Reservat gelegene
Dorf Wounded Knee - ein geschichtsträchtiger Ort, an dem
US-Soldaten 1890 hunderte wehrlose Lakota massakrierten. Die
Protestbewegung forderte die Überprüfung von
Vertragsbrüchen und die Untersuchung der Zustände in
den Reservaten. Es kam immer wieder zu Schusswechseln zwischen
FBI, Militär und den Besatzern.
Im Jahr 2006 erlebte KILI Radio einen Tiefpunkt. Im Frühling
schlug ein Blitz in die Rundfunkantenne ein. "Seit KILI Radio
nicht mehr sendet, wissen wir gar nicht mehr, was bei uns
passiert", klagte damals ein Hörer. Knapp ein Jahr dauerte
es, bis eine neue Antenne dank Spenden angeschafft werden konnte.
Dieser "Blackout" hat den Lakota jedoch deutlich gemacht, dass
eine selbstverwaltete Radiostation keine
Selbstverständlichkeit ist und wie wichtig KILI Radio als
Informationsmedium ist: Sportereignisse und politische
Anhörungen werden live übertragen oder Geburtstage,
Todesanzeigen und Stellenangebote im Reservat vorgelesen. Vieles
wird in Lakota gesendet, um die Sprache und die Kultur zu
bewahren.
Bobby Gomes (rechts) von Radio KAHU in Hawaii heißt junge Musiker willkommen. KAHU war von 2010 bis 2013 die einzige Radiostation im Besitz von indigenen Hawaiianern. Weil die Produktionskosten nicht mehr getragen werden konnten, musste Gründer Wendell Kaehuaea die Sendelizenz an Hawai`i Public Radio verkaufen.
Desolate digitale Infrastruktur
Das Radio-Engagement der Lakota darf jedoch nicht über die
desolate Situation indianischer Medien in den USA
hinwegtäuschen. Nach Angaben von Native Public Media (NPM) -
eine Organisation, die seit 2004 Native Americans beim Aufbau von
Radiostationen beratend zur Seite steht - haben nur 53 von 566 in
den USA lebenden indianischen Völkern eigene Radiostationen.
Hinzu kommt, dass die digitale Infrastruktur in den Reservaten
kaum ausgebaut ist. Nur jede dritte Familie, die in einem
Reservat lebt, hat einen Telefonanschluss. Weniger als zehn
Prozent der in den Reservaten lebenden Native Americans haben
überhaupt Breitbandanschlüsse.
Loris Ann Taylor auf dem Hopi-Reservat in Arizona war zehn Jahre
alt, als sie das erste Mal in ihrem Leben Radio hörte. Ein
Tourist schenkte ihrem Großvater ein batteriebetriebenes
Radio, denn Elektrizität gab es in ihrem Dorf nicht. Dieses
Erlebnis scheint sie geprägt zu haben: Heute ist Taylor
Präsidentin von NPM. "Viele Native Americans bezeichnen
indianische Radiostationen als ,Heimat', als ,Bewahrer von
Kultur, Geschichte und Sprache', als eine ,Schule ohne Mauern'.
Es gibt so viele dunkle Flecken [bezüglich der Existenz von
Radiostationen, d. A.], die wir beseitigen müssen", sagt
Taylor.
Werden gedruckte Zeitungen überleben?
Indianische Medien schaffen eine Gegenöffentlichkeit zu
konventionellen Medien, die über die Probleme der Native
Americans wenig oder gar nicht berichten oder Stereotype und
Vorurteile verbreiten. Bereits 1828 erschien die erste von
Indianern herausgegebene Zeitung The Cherokee Phoenix in den
Sprachen Cherokee und Englisch. Sie berichtete vor allem
über politische und juristische Entscheidungen, die die
Cherokee betrafen. Mit der Monatszeitschrift
Ádahoonílígíí folgte nach The
Cherokee Phoenix in den 1940er und frühen 1950ern die
zweite, regelmäßig erscheinende Zeitung von Native
Americans, die zunächst ausschließlich in der Sprache
Navajo publiziert wurde - nach 1947 auch in Englisch. Der Betrieb
wurde 1957 aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eingestellt. Nur
zwei Jahre später ging der Nachfolger Navajo Times in Druck
- eine Wochenzeitung, die bis heute überlebt hat und zurzeit
mit einer Auflage von 25.000 Exemplaren die größte,
(noch) gedruckte indianische Zeitung in den USA ist.
Die führende mediale Stimme der indianischen
Bürgerrechtsbewegung in den 1960er und 1970er Jahren war die
Akewsasne Notes. Am Küchentisch des Mohawk Ernest
Kaientaronkwen Benedict wurde im Dezember 1968 die Idee einer
"Widerstandszeitung" geboren. Da sie mit Spenden finanziert
wurde, konnte sie sich ihre Unabhängigkeit weitestgehend
bewahren. Die Akewsasne Notes war eine stammesübergreifende
Zeitung. Sie verstand sich als Stimme der Haudenosaunee ("Leute
des Langhauses"), der Six Nations - sechs Stämme, die einer
gemeinsamen Sprachfamilie angehören: Cayuga, Mohawk, Oneida,
Onondaga, Seneca und Tuscarora. Sie berichtete nicht nur
über den eigenen Widerstand und die Lebensbedingungen in den
Reservaten, sondern schaute auch über den Tellerrand hinaus:
So waren die Unterdrückung der Tibeter oder die
Zerstörung des Regenwaldes immer wieder Thema.
Im Januar 1988 stand die Zeitung kurz vor dem Aus. Unbekannte
warfen eine Brandbombe in die Redaktionsräume der Akewsasne
Notes in Akewsasne im Bundesstaat New York nahe der kanadischen
Grenze. "Unsere Büros wurden von denen unter uns in
Akwesasne zerstört, die nicht möchten, dass wir
über die Probleme der Haudenosaunee berichten - über
kriminelle Taten und unmoralisches Handeln. Sie hätten es
fast geschafft, aber wir werden überleben", schrieb die
Akwesasne Notes in der ersten Ausgabe nach dem Anschlag. 1997
wurde das Erscheinen der Zeitung aufgrund zu hoher
Produktionskosten eingestellt.
Die Wochenzeitung Indian Country Today ist heute die
führende Nachrichtenquelle für Native Americans,
sozusagen eine panindianische Publikation. Seit Sommer 2013 ist
die Zeitung nur noch digital zu beziehen. "In unserer Zeit ist
die Technik so weit fortgeschritten, dass wir nur sicher gehen
wollen, unserer Leserschaft das zu geben, was sie wirklich
braucht", begründet Herausgeber Ray Halbritter den Schritt,
den Druck einzustellen - obwohl nur 43 Prozent der Native
Americans und weniger als zehn Prozent, die in Reservaten leben,
Internetzugang haben. Diese Statistiken schrecken auch Suzanne
Sobel von Indian Country Today nicht ab. Viele würden eh ihr
Smartphone benutzen und sich informieren, sagt sie. Zudem
erreiche man online viel mehr Leser und somit vielleicht auch
potenzielle Unterstützer und Lobbyisten für die
Beseitigung von Missständen, argumentiert Sobel.
Sheena Louise Roetman mit Creek- und Lakota-Vorfahren sieht das
kritischer. Vor allem die Älteren würden dann keine
Informationsquelle mehr haben, meint sie. Der Oglala Lakota Tim
Giago, der Indian Country Today 1981 gegründet und 1998 an
die Oneida Nation verkauft hat, schließt sich ihrer Meinung
an: "Die Navajo Times ist nun die größte indianische
Zeitung in Amerika und die Auflage wächst weiter, weil die
Leser immer noch lieber eine richtige Zeitung in den Händen
halten. Denn viele Navajo haben keinen Internetzugang."
Liegt die Zukunft doch im Radio?
"Im Hopi-Reservat gibt es keine Feuerwehr. Wenn es
Buschbrände gibt, sind wir die einzigen, die die Menschen
warnen können", sagt Richard Davis vom Radiosender KUYI.
2010 überzog ein Schneesturm das Reservat. KUYI informierte
die Hopi darüber, an welchen Stellen die Nationalgarde
Lebensmittel aus der Luft abwerfen werde.
Radio ist insbesondere im geographisch isolierten Alaska
elementar, um die Gemeinschaften miteinander zu verbinden. "Wir
sind die einzige Radiostation innerhalb von 94.000 Quadratmeilen"
(94.000 Quadratmeilen sind umgerechnet 243.450 Quadratkilometer.
Das entspricht der Fläche von Großbritannien), sagt
Jeff Seibert vom Radio KBRW in Barrow, der nördlichsten
Stadt der USA. Weil die Menschen dort sehr spirituell sind, gibt
es viele religiöse Sendungen auf Englisch und Iñupiat
- eine der Sprachen der in Alaska lebenden Indigenen.
Nur 57 Prozent aller indianischer Stationen in Nordamerika senden
in ihrer Stammessprache. "Natürlich versuchen wir mit allen
Mitteln, mehr Inhalte in unserer Sprache auszustrahlen. Aber es
ist ein Wettlauf gegen die Zeit, weil es nur wenige Sprecher
gibt", klagt Margaret Rousu, "Nur noch vier Menschen in unserem
Reservat können fließend Ojibwe sprechen." Rousu
arbeitet für Niijii Radio in dem Reservat White Earth in
Minnesota.
Doch nicht nur das bereitet indianischen Radiomachern Sorgen: 35
Stationen sind auf Zahlungen von der Corporation for Public
Broadcasting (CPB) angewiesen - eine vom US-Kongress
gegründete Stiftung, die Gelder an verschiedene
Institutionen verteilt. Das Budget lag für das Jahr 2014 bei
4,5 Millionen US-Dollar (3,3 Millionen Euro). Das sind
durchschnittlich nur 95.000 Euro pro Station, um den Sendebetrieb
aufrechtzuerhalten. Das Jahr zuvor war der Etat für die
Radiosender noch fünf Prozent höher.
Richard Davis vom Hopi-Radio KUYI mahnt: "Natürlich kann
unsere Gemeinschaft auch ohne uns [dem Radiosender, d. A.]
überleben, aber das würde sie in Gefahr bringen. Wir
machen hier wirklich revolutionäre Arbeit. Jeder Tag, an dem
wir unsere Sprache über den Äther verbreiten, ist ein
weiterer Tag, an dem wir das Sterben unserer Kultur aufhalten
können."
Ein Mapuche-Aktivist kettet sich an die Kathedrale in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, um gegen willkürliche Verhaftungen von Mapuche protestieren. Foto: the future is unwritten/Flickr BY-NC-SA 2.0.
"Die Mauern der Intoleranz einreißen", "nicht auf
Quellen zurückgreifen müssen, die uns sowieso nur
diskriminieren", so stellt sich Mapuexpress (www.mapuexpress.org)
vor, eine Online-Plattform, die über die Lage der etwa zwei
Millionen Mapuche in Chile und Argentinien berichtet. Besonders
in Chile ist ihre Situation besorgniserregend. Dort leben
zwischen 1,4 und 1,6 Millionen von ihnen. Seit Jahrzehnten
protestieren sie friedlich dagegen, dass sie ihr Land, das ihnen
in der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973 bis
1990) genommen worden war, nicht zurückbekommen. In dem
Protest der "Menschen der Erde", so wie sich die Mapuche selbst
bezeichnen, sehen die politischen Machthaber jedoch
Terrorismus.
Willkürliche Verhaftungen stehen auf der Tagesordnung. Umso
wichtiger ist es, sich im 21. Jahrhundert auch medial zu
organisieren und auf die Probleme der Mapuche aufmerksam zu
machen. Im Jahr 2000 riefen deshalb die in den Niederlanden
lebenden Mapuche Alfredo Sequel und Rafael Railaf Mapuexpress ins
Leben. Mittlerweile wird die Internetseite täglich von 3.000
Menschen besucht, die dort mehr als 6.000 Artikel lesen
können. Die Redaktion von "bedrohte Vöker - pogrom" war
neugierig auf die Arbeit von Mapuexpress und hat mit Rafael
Railaf gesprochen.
Rafael Railaf, einer der Gründer von Mapuexpress.
bedrohte Völker: Warum ist die Internetseite von
Mapuexpress nicht in Chile angemeldet?
Rafael Railaf: Wir haben uns entschieden, eine freie und
unabhängige Plattform außerhalb Chiles online zu
stellen, um Probleme mit der chilenischen Regierung zu vermeiden.
Dort werden die Mapuche nicht nur verfolgt, sondern auch ihr
Kommunikationsnetz wird streng überwacht. Auf Mapuexpress
haben unsere Mitglieder in Chile somit eine Möglichkeit,
Informationen und Nachrichten über die Mapuche zu
veröffentlichen. Unsere erste Domain war in den Niederlanden
gemeldet und wurde von der Mapuche Folil Foundation betreut. Seit
2013 ist Mapuexpress komplett unabhängig und hat ein eigenes
Webteam. Die neue Internetseite ist ebenfalls nicht in Chile
gehostet, genau aus dem gleichen Grund, als wir Mapuexpress ins
Leben gerufen haben.
bedrohte Völker: Was ist das Hauptziel von
Mapuexpress?
Rafael Railaf: Als wir das Netzwerk noch nicht hatten, waren wir
gezwungen, uns in der normalen Presse zu informieren, die jedoch
sehr gegen uns eingestellt ist. Die chilenischen Medien berichten
zudem sehr reißerisch und parteiisch und sind
hauptverantwortlich dafür, dass die Mapuche stigmatisiert
werden. Sie sind es, die Angst unter den Chilenen schüren.
Mapuexpress hingegen ist eine unabhängige Plattform, die die
Probleme der Mapuche ohne Zensur weltweit publik macht. Es muss
an dieser Stelle aber auch erwähnt werden, dass die
Medienmoguln Geschäftsmänner sind, die Land in der
Region Araukanien (Region im Süden Chiles, in der die
Mapuche leben) gekauft haben. Sie haben nur ein wirtschaftliches
Interesse daran, die Situation von Angst und Unterdrückung
aufrechtzuerhalten.
bedrohte Völker: Für wen macht ihr Mapuexpress?
Rafael Railaf: Für all diejenigen, die wissen möchten,
was in den Mapuche-Gemeinden wirklich passiert.
bedrohte Völker: Wie kommt ihr an eure Informationen?
Rafael Railaf: Wir haben Mitglieder in verschiedenen Gebieten in
Chile und Argentinien, in denen Mapuche leben, und die uns von
dort die Information zukommen lassen. Das können Studenten,
aber auch Fachleute sein. Andere Nachrichten bekommen wir auch
von Nicht-Mitgliedern, die uns Informationen per E-Mail
schicken.
bedrohte Völker: Habt ihr Drohungen für eure Arbeit
erhalten?
Rafael Railaf: Ja, zu Beginn, als wir mit Mapuexpress begonnen
haben. Aber das hat ziemlich rasch wieder aufgehört, als
klar wurde, dass wir eine unparteiische Plattform sind.
bedrohte Völker: Wer hat euch bedroht?
Rafael Railaf: Die Chilenen glauben kaum, dass die Mapuche dazu
fähig sind, ein großes indigenes Netzwerk aufzubauen.
Gerade zu Beginn wurden wir als radikale Mapuche stigmatisiert,
die außerhalb von Chile finanziert werden. Sie konnten sich
nicht wirklich vorstellen, dass Mapuexpress eine Initiative von
einer neuen Mapuche-Generation ist, die in Europa aufgewachsen
ist, hier studiert hat und sich dennoch den Mapuche in
Südamerika zugehörig fühlt und diese
unterstützt.
Von Stephanie Brause
Szenenbild aus dem Trailer zur mexikanischen Telenovela "Baktún", in der fast ausschließlich Maya-Yucateco gesprochen wird. In der Serie werden auch kulturelle Elemente der Maya wie die hier abgebildete Zeitrechnung erklärt.
Der junge Maya Jacinto wandert nach New York aus. Zuhause gibt
es keine Arbeit. Als sein Vater im Sterben liegt, kehrt er in
seine Heimat zurück. Jacinto versucht dort, seine vergessene
Muttersprache Maya-Yucateco sowie seine kulturellen Wurzeln
wiederzufinden. Langsam erkennt Jacinto die Notwendigkeit, seine
Kultur zu bewahren und diese zeitgleich in die "moderne" Welt zu
integrieren. Eine Geschichte aus dem Leben wie es scheint: Doch
Jacintos Geschichte ist der Plot der ersten Telenovela
"Baktún", in der fast ausschließlich Maya-Yucateco
gesprochen wird - seit Juli 2013 wird sie im mexikanischen
Bundesstaat Quintana Roo ausgestrahlt. Telenovelas sind in
Mittel- und Südamerika ein sehr beliebtes Sendeformat.
Deshalb, meint Regisseur Bruno Cárcamo, dass dieses Genre
Potenzial habe, indigene Sprachen zu stärken. Die Macher der
Telenovela versuchen, die Traditionen der Maya so authentisch wie
möglich darzustellen sowie kulturelle Elemente wie die
Zeitrechnung der Maya oder Riten und Bräuche zu
erklären. Selbst die Handlung wurde kulturellen Normen
angepasst: 300 Kuss-Szenen wurden herausgeschnitten, da
öffentliche Bekundungen von Zuneigung vor der Heirat bei den
Maya wenig Zustimmung findet. In Mexiko leben etwa 759.000
Menschen, die Maya-Yucateco sprechen. Maya-Yucateco ist eine von
zahlreichen Varianten der Maya-Sprachfamilie Maya; rund zehn
Millionen können daher die Fernsehproduktion verstehen. Das
Projekt hat bereits großes Interesse in anderen
Ländern wie Peru und Bolivien geweckt.
Maya-Yucateco ist auch die erste indigene Sprache, in die der
Internetbrowser Firefox übersetzt wurde. Auf diese Idee
kamen die Mitarbeiter von Firefox, als die mexikanische Regierung
im Jahr 2009 364 indigene Sprachen neben dem Spanischen offiziell
anerkannt hat. Ziel dieses ehrgeizigen Projekts ist es, die
indigenen Sprachen Mexikos zu stärken. Zudem sollen
Internetnutzer erkennen, dass ihre Sprachen wesentlich mehr
Reichweite haben können, als nur bei Gesprächen
über den Gartenzaun. Indigene Sprecher haben so auch die
Möglichkeit, ihr Wissen in ihrer eigenen Sprache im Netz zu
verbreiten und sich stärker mit ihr zu identifizieren. Die
Anfänge des Pilotprojekts waren jedoch mit einigen
Schwierigkeiten verbunden: Indigene Muttersprachler mussten
gefunden werden. Indigene Gemeinden waren zunächst
skeptisch. Die Projektentwickler mussten den Gemeindemitgliedern
erst erklären, welche Vorteile das Internet bietet und wie
dort gefundene Informationen verwertet werden können. Ein
weiteres Problem war das Bildungsniveau der indigenen Sprecher.
Die Übersetzung komplexerer Texte in die jeweilige indigene
Sprache war daher problematisch. Viele beherrschen zudem ihre
Sprache nur mündlich. Da kaum Literatur in ihrer Sprache
existiert, können sie diese oft weder lesen noch
schreiben.
Trotz der Schwierigkeiten wurde Firefox mittlerweile in 26
indigene Sprachen wie Nahuatel, Zapotekisch und Wixárika
übersetzt. Das Projekt geht jedoch inzwischen über
seinen ursprünglichen Rahmen hinaus und nimmt auch indigene
Sprachen aus anderen Ländern wie Guatemala, Ecuador und El
Salvador auf.
Menschenrechtler aus verschiedenen Ländern helfen 2011 einer Maya-Gemeinschaft in Guatemala beim Aufbau eines Radiosenders, damit sie sich gegen einen kanadischen Konzern wehren können, der in der Region Gold abbaut.
Doch auch konventionelle Kommunikationsmittel wie das Radio
sind in Mexiko weiterhin von großer Bedeutung. 1979
startete das "System indigener, kultureller Radiosender",
initiiert von der staatlichen Institution "Nationale Kommission
für Entwicklung Indigener Völker". Mit diesem Programm
soll insbesondere die indigene Bevölkerung auf dem Land
erreicht werden. Momentan läuft jeder der verschiedenen
Radioprogramme durchschnittlich zwölf Stunden pro Tag. Mehr
als 21 Sender erreichen etwa 5,5 Millionen Indigene in über
950 Gemeinden. 75 Prozent der Radiomitarbeiter gehören
selbst einer indigenen Gruppe an. Die Sendungen werden neben der
Amtssprache Spanisch auch in jeweils einer der 31 indigenen
Sprachen der Region übertragen. Die Themen sind
vielfältig: Bildung, Gesundheit, Kultur oder Menschenrechte.
Dank der Zweisprachigkeit kann mit diesem Projekt, eine
Brücke zwischen indigener und nicht-indigener
Bevölkerung geschlagen werden.
In Guatemala gibt es ebenfalls vielversprechende Radioprojekte.
Eines ist das "Guatemaltekische Institut für Bildung via
Radio" - eine Radioschule, die 1979 aufgrund der Tatsache
entstand, dass viele Menschen vor allem auf dem Land wenig oder
gar keinen Zugang zur Bildung haben. Die Radioschule bietet auch
Kurse in den Mayasprachen Q'eqchi' und Kaqchikel an und ist auch
via Internet zu empfangen. Inzwischen sind es 42.000 Schüler
und Studenten, die - wo immer sie auch leben - von dem
Rundfunk-Bildungsinstitut profitieren.
Medienprojekte werden in Guatemala auch staatlich gefördert
wie der multikulturelle Fernsehsender TV Maya, der 2007 auf
Sendung ging. Die Akademie der Maya-Sprachen, die den
redaktionellen Inhalt verantwortet, möchte mit TV Maya, die
Werte, Kultur, Sprachen der Maya-Völker in Guatemala
bewahren, stärken und sie mit der guatemaltekischen
Mehrheitsgesellschaft sowie der Weltöffentlichkeit teilen.
Der multikulturelle Charakter Guatemalas soll dennoch erhalten
bleiben. Daher kommen auch Ladinos, Xinca oder Garifuna (Ladinos
sind spanischsprachige Nachfahren von weißer und indigener
Bevölkerung. Die Xinca sind eine indigene
Bevölkerungsgruppe, die im Süden von Guatemala leben.
Garifuna sind Nachfahren westafrikanischer Sklaven und Kariben)
zu Wort. Das Programm ist mehrsprachig. So wird etwa die
Kultursendung "Riqachoch" sowohl in Spanisch als auch in
Kaqchikel ausgestrahlt.
Diese Projekte sind erfolgversprechend für die Zukunft
indigener Medien in der jungen Demokratie. Erst 1996 endete in
Guatemala der Jahrzehnte währende Bürgerkrieg zwischen
staatlichen Militärs und Guerillatruppen, dem bis zu 200.000
Menschen - vor allem Maya - zum Opfer fielen. Dennoch gibt es
noch tausende Radiosender, die ohne staatliche Genehmigung ihr
Programm ausstrahlen. Einer dieser Piratensender ist das
Maya-Radio Ixchel im Verwaltungsbezirk Sumpango. Dort verdienen
die Menschen durchschnittlich gerade einmal 250 US-Dollar im
Monat. Sendelizenzen sind vor allem für die ländliche
Bevölkerung unerschwinglich. Hunderttausende US-Dollar
müssen Radiobetreiber auf den Tisch legen, um offiziell
senden zu dürfen. Im Jahr 2006 haben Polizisten die
Räume von Radio Ixchel durchsucht und technische Geräte
konfisziert. Doch der Piratensender gab nicht auf: Mithilfe von
Spenden kann er nun seine bis zu 8.000 Zuhörer mit
Nachrichten und Marimbaklängen versorgen. Heute werden es
die Behörden schwer haben, den kleinen Sender zu
schließen, müssen sie die Redaktionsräume doch
erst einmal finden. Nichts weist von außen daraufhin, dass
in dem Gebäude "mediale Piraten" aus dem Untergrund auf
Kaqchikel senden.
Stephanie Brause unterstützte von Oktober 2013 bis Januar 2014 das Referat für Indigene Völker der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sie macht zurzeit ihren Master of North and Latin American Studies und hat Mittel- und Südamerika im Rahmen ihres Studiums bereits mehrfach bereist.
Von Ulrich Morenz
Nasa in der Region Cauca/Kolumbien.
Auf die Straße gehen, um Gerechtigkeit, Land, Autonomie
sowie politische Teilhabe zu fordern - klassische Protestformen
sind nach wie vor ein bewährtes Mittel. Doch die etwa
200.000 Nasa in Kolumbien, die nach den Wayúu die
zahlenmäßig zweitgrößte indigene
Gemeinschaft des Landes sind, nutzen seit einigen Jahren auch
zunehmend das Internet, um auf ihre Situation aufmerksam zu
machen.
Die Nasa siedeln überwiegend in der südwestlichen
Region Cauca, die die internationale Wirtschaft seit den 1980er
Jahren im Visier hat, um dort etwa Ölpalmen anzubauen oder
Kohle zu fördern. Der traditionelle Lebensraum der Nasa ist
daher gefährdet. Zudem tummeln sich dort Drogenschmuggler
und -produzenten. Die Abgeschiedenheit der in den Bergen
gelegenen Region ist "prädestiniert" für den Anbau von
Kokapflanzen und deren Weiterverarbeitung zu Kokain. Cauca dient
auch der marxistischen Guerillagruppe FARC, die einen politischen
Umsturz mit militärischen Mitteln anstrebt, als
Rückzugsgebiet. Seit dem Jahrtausendwechsel hat sich dort
der Kampf zwischen kolumbianischen Militär und der FARC
verschärft. Überdies sind seit Ende der 1990er Jahre
verschiedene paramilitärische Verbände in der Region
aktiv, die ebenfalls in den Drogenhandel verwickelt sind und
gewaltsam territoriale Ansprüche von
Großgrundbesitzern und Konzernen durchsetzen - zu Lasten
der afrokolumbianischen und indigenen
Zivilbevölkerung.
In diesem Krieg sind die Nasa zunehmend zwischen die Fronten
geraten und wiederholt Opfer von starken
Menschenrechtsverletzungen durch alle beteiligten bewaffneten
Konfliktparteien geworden. Mord, Vertreibung, Zwangsrekrutierung
von Kindern und Jugendlichen, illegale Enteignungen,
Zwangsprostitution, Verfolgung sowie Entführungen sind und
waren probate Praktiken, die Interessen anderer durchzusetzen.
Der Krieg hat so die ohnehin schon stark sozioökonomisch und
kulturell benachteiligten kolumbianischen Minderheiten noch
weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt.
Dennoch lassen sich die Nasa nicht entmutigen; ihr
Durchhaltevermögen ist bewundernswert. So wie die Mapuche im
Süden von Chile wehrt sich das Volk seit dem Beginn der
Kolonialzeit in den 1530er Jahren gegen Unterdrückung und
Diskriminierung.
Für den indigenen Nasa-Aktivisten Adolfo Gustavo
Ulcué (Ulcué ist Mitarbeiter von ACIN
(Asociación de Cabildos Indígenas del Norte del
Cauca, Vereinigung der indigenen Räte des Nord-Cauca) und
betreut die Internetseite der Organisation. In seiner
politisch-journalistischen Aktivität ist er zunehmend
bedroht worden. Er sah sich 2009 schließlich gezwungen,
seine Familie und seine Gemeinde zu deren Schutz zu verlassen)
der seit Jahren verschiedene Medienprojekte im Internet
koordiniert, ist es notwendig, dass die Nasa auch im Netz
präsent sind: "Die Berichterstattung in den privaten und
öffentlichen Medien vermittelt ein verzerrtes und stark
abweichendes Bild von der tatsächlichen Lebensrealität
der indigenen Völker. Dieses Bild wird jedoch für
kulturelle Propaganda gebraucht, um das Land touristisch
aufzuwerten. Wenn wir aber auf die Straße gehen, um uns
Rechte einzufordern, inszenieren uns die Massenmedien als
Aufständische, Guerilleros oder gar als Wilde.
Sie kriminalisieren unsere Forderungen. Das Internet hat uns
ermöglicht, unsere eigene Sicht der Dinge darzustellen und
zu zeigen, warum wir aufbegehren." Es ist immens wichtig, eine
Gegenöffentlichkeit zu schaffen: Der Medienmarkt in
Kolumbien ist stark konzentriert; er ist zu 80 Prozent in der
Hand von nur vier Unternehmergruppen. Nicht nur auf
Internetseiten informieren die Nasa deshalb über ihre
Probleme, sondern nutzen gleichzeitig soziale Netzwerke und
mobile Formen des Internetzugangs. "Durch das mobile Internet
schaffen wir es, Demonstrationen live im Netz zu übertragen
und in Echtzeit Fotos, Audios, Videos oder Kommentare auf unseren
Internetseiten einzubauen. Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass
viele Internetnutzer die Informationen über Twitter und
Facebook weiterverbreiten. So können wir in vielen Teilen
der Welt wahrgenommen werden. Das Internet ist für uns ein
wichtiges Werkzeug der Verteidigung und Solidarität
geworden", meint Ulcué.
Überschwemmung in Cauca/Kolumbien. Die Region liegt sehr abgeschieden. Das zieht illegale Holzfäller und Drogenschmuggler an - auf Kosten der Nasa, die sich gegen die Eindringlinge zu wehren versuchen.
Der Online-Aktivismus der indigenen Gemeinschaft ist nicht nur
nach außen gerichtet, sondern das Internet ist
gleichermaßen für die Nasa auch untereinander ein
wichtiges Kommunikationsmedium: Schnell und flächendeckend
wird online über anstehende politische Kampagnen informiert.
Ebenso bietet das Internet die Möglichkeit, die Traditionen
der Nasa darzustellen und die Kultur wiederzubeleben - einige
entfremden sich aufgrund von gesellschaftlicher Diskriminierung
zunehmend von ihrer eigenen Kultur.
Diese Form des Internetaktivismus steckt momentan noch in den
Kinderschuhen aufgrund begrenzter finanzieller Mittel. Angesichts
eines anhaltenden Klimas der Gewalt konzentriert sich die Arbeit
der Nasa im Internet derzeit eher auf politische und
menschenrechtliche Themen. Eine Rückkehr zu den
traditionellen Wurzeln der Nasa soll in den kommenden Jahren
jedoch weiter durch das Internet ausgebaut werden, vor allem mit
der Wiederbelebung der Sprache Nasa Yuwe. "Wir haben in
jüngster Zeit interaktive Spiele entwickelt, die das
Erlernen von Nasa Yuwe in Bildungseinrichtungen erleichtern. Wir
haben vor, diese Spiele in die digitale Welt einzubetten. Das
soll den herkömmlichen Lernprozess ergänzen und zur
Bewahrung unserer Sprache und Kultur beitragen", sagt
Ulcué.
Das Beispiel der Nasa zeigt - stellvertretend für alle
anderen indigenen Völker dieser Welt - die immense Bedeutung
des Internets für die Durchsetzung ihrer Rechte. Sie haben
eine Gegenöffentlichkeit schaffen sowie nationale und
internationale Solidarität erzeugen können. Finanzielle
und technisch-infrastrukturelle Probleme stehen jedoch einem
erfolgreicherem Engagement im Internet noch im Weg. Aber der
"virtuelle Kampf" hat erst begonnen.
Ulrich Morenz absolvierte 2013 ein Praktikum im Referat für Indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er studierte Lateinamerikastudien (Bachelor) und Internationale Beziehungen (Master) in Eichstätt-Ingolstadt. Morenz schrieb seine Masterarbeit über "Indigenen Cyberaktivismus im lateinamerikanischen Kontext - Das Beispiel der Nasa in Kolumbien". Er verbrachte 2012 sechs Monate in Kolumbien, um für seine Arbeit zu recherchieren.
Von Ouzemour Thinhinane
Abendstimmung in der Hafenstadt Béjaïa in der Kabylei.
Erzähler machen Geschichten lebendig - gleich
einem Film, den man sich ansieht, jedoch einen Film, der vor dem
inneren Auge abläuft. Seit jeher werden kabylische
Märchen durch die Tajmaat, eine Dorfversammlung, in die
Familien getragen und an nachfolgende Generationen weitergegeben.
Diese Erzähltradition konnte die kabylische Sprache
bewahren, war sie doch im Lauf der Geschichte immer wieder
verschiedenen kulturellen Einflüssen ausgesetzt wie die
Arabisierung im siebten und achten Jahrhundert oder die
Herrschaft der Osmanen. Die Kabylen sind die überwiegend in
Nord-Ost-Algerien, in der Kabylei, siedelnde
Bevölkerungsgruppe, die, neben den Tuareg und den Chaoui, zu
der ethnischen Minderheit der Masiren gehört. Etwa 3 bis 3,5
Millionen Kabylen leben in der Kabylei sowie weitere 2 bis 2,5
Millionen in algerischen Großstädten. Taqbaylit, die
kabylische Sprache, zählt zu den Sprachen des Tamazight
(Masirisch), welche erst seit 1995 in algerischen Schulen
unterrichtet wird. 2002 folgte die Anerkennung als nationale
Sprache im überwiegend arabischsprachigen Algerien. Der
Kampf um die Bewahrung der Sprache war auch immer zugleich ein
Kampf um den Erhalt der kabylischen Kultur. Dabei spielte das
Radio eine wesentliche Rolle.
"Radio ist eines der effizientesten Mittel, um Kultur und
Identität zu bewahren", sagt Rabah Boudjemaâ,
Mitarbeiter und lokale Berühmtheit des kabylischen
Radiosenders Chaine 2. Bereits in den 1920er Jahren wurde die
erste Radiosendung auf Kabylisch ausgestrahlt. Die damalige
Besatzungsmacht Frankreich förderte insbesondere die Kultur
der Kabylen, um die zahlenmäßig nicht unbedeutende
Minderheit an sich zu binden und für sich zu gewinnen. "Die
Radiopolitik war in diesem Zusammenhang nur eine Facette der
,Dividere-et-imperare"-Strategie' (,Teile und
herrsche'-Strategie, d. Red.); dennoch verärgerte die
Gleichstellung der beiden Sprachen in der Programmstruktur der
ELAK (Émissions en Langue Arabe et Kabyle) die Araber in
besonderer Weise, sahen sie doch im Arabischen eine heilige
Sprache, die mit einem "Berberdialekt" nicht auf eine Stufe
gestellt werden durfte", schreibt Philipp Zessin in seiner
Publikation "Die Stimme der Entmündigten. Geschichte des
indigenen Journalismus im kolonialen Algerien" (2012).
Kabylen um 1900 in Béjaïa.
In der Entstehungsgeschichte des kabylischen Radios spielte
Madame Lafage, die Frau eines französischen Offiziers, eine
bedeutende Rolle: Sie lebte in der Region von Akbou in der
Kleinen Kabylei, beherrschte die Sprache und ermöglichte
durch ihren gesellschaftlichen Einfluss einer Gruppe von Frauen,
1924 die erste Radiosendung in Kabylisch zu produzieren. Die
Frauen berichteten in ihren jeweils zehn bis 15 Minuten dauernden
Radiosendungen über Themen aus dem Alltag. Und gerade diese
Alltäglichkeit hat einen elementaren Beitrag zur Erhaltung
des kabylischen Kulturerbes geleistet. Dies geschah lange, bevor
die Chouyoukhs, maghrebinische Sänger, das Radio für
sich entdeckten und der technische Fortschritt die Einrichtung
weiterer kabylischsprachiger Studios Mitte der 1940er Jahre
ermöglichte.
Boudjemaâ ist sich sicher, dass das Radio das Bewusstsein,
ein Kabyle zu sein, gestärkt sowie Ikonen des Kampfes um die
Anerkennung der kabylischen Kultur wie etwa Mouloud Mammeri
(Kabylischer Schriftsteller (1917-1989), dem lokale Behörden
bei einer Konferenz über antike kabylische Poesie
Auftrittsverbot erteilt hatten. Kurz darauf brachen Unruhen in
der Kabylei aus. Dies war der Auftakt zum Printemps
berbère) inspiriert hat. Zudem habe das Radio einen nicht
unerheblichen Beitrag zu politisch bedeutsamen Aufständen
wie dem Printemps berbère (Kabylen demonstrierten im
Anschluss an das Auftrittsverbot von Mouloud Mammeris gegen die
Unterdrückung des Staates und besetzen in Tizi Ouzou/Kabylei
die Universität, das Krankenhaus und einige Fabriken. Am 20.
April 1980 stürmten Polizei und Militär die
Gebäude und verhafteten viele Demonstranten, vor allem
jedoch führende Vertreter der Bewegung) 1980 oder dem
späteren Printemps noir (Schwarzer Frühling) im Jahr
2001 geleistet. Bei dem sogenannten Printemps noir demonstrierten
Kabylen im Anschluss an den tragischen Tod von Massinissa Guermah
friedlich gegen Polizeigewalt und die mangelnde Anerkennung ihrer
Kultur. Der junge Kabyle war damals verhaftet und von einem
Polizisten auf einer Polizeistation angeschossen worden - er
starb wenig später im Krankenhaus. Sicherheitskräfte
eröffneten bei den Protestaktionen während des
Printemps noir das Feuer auf die Demonstranten: 132 Menschen
starben, Tausende wurden verletzt.
Boudjemaâ betont, dass es Zeiten gegeben hätte, in
denen man beim bloßen Aussprechen des Wortes "Amazigh"
("Masire") eine Gefängnisstrafe zu fürchten hatte. Nach
der Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich im Jahr 1962
leitete der damalige Präsident Houari Boumedienne seine
"Kulturrevolution" ein - in der Hoffnung, das Trauma der
kolonialen Vergangenheit zu überwinden und eine nationale,
arabische Identität zu schaffen mit dem Islam als
Staatsreligion. Fortan gab es keinen Platz mehr, weder für
die französische Sprache noch für die kabylische
Kultur.
Heute gehören die Proteste der Vergangenheit an: Tamazight
hat den Status einer nationalen Sprache und Radio Algerien sendet
sein zweites Programm, den Kanal Chaine 2, vollständig in
kabylischer Sprache. Zudem finden Konferenzen und Veranstaltungen
auf Kabylisch statt. Seit den Oktoberunruhen 1988 (Am 4. Oktober
1988 strömten Jugendliche aus den Vororten der Hauptstadt
Algier auf die Straßen, um gegen gravierende soziale
Missstände zu protestieren. Die Demonstrationen breiteten
sich innerhalb von wenigen Tagen im ganzen Land aus. Die
Regierung rief den Ausnahmezustand aus. 161 Menschen starben bei
den Unruhen. Andere Quellen sprechen gar von 200 bis 500 Toten.
Der damalige Präsident Chadli Benjedid versprach Reformen,
um die Unruhen zu beenden.. Das Mehrparteiensystem wurde
eingeführt und bürgerliche Rechte wie Meinungs- und
Versammlungsfreiheit sowie das Recht zur Gründung
politischer Vereine gesetzlich verankert) gibt es keine Zensur
mehr. Boudjemaâ unterstreicht, dass seitdem "kabylische
kulturelle Organisationen wie Pilze aus dem Boden gesprossen"
seien.
Ouzemour Thinhinane ist selbst Kabylin und studiert "European Studies" in Berlin.
Von Yvonne Bangert und Marion Caris
Aboriginals beim Unterricht in Arnhem Land/Australien. Die Sender SBS sowie National Indigenous Television (NITV) haben 2013 ein Projekt initiiert, um studierende Aboriginals und Torres Strait Islanders dabei zu unterstützen, in den Medien beruflich Fuß zu fassen.
"Meine Mutter hörte Anfang der 1980er Jahre in Alice
Springs zum ersten Mal Radio CAAMA (Central Australian Aboriginal
Media Association). Nach ihrer Heimkehr meinte sie: ,Tiga, du
hättest diese Blackfellas (Synonym für Aboriginals) in
Alice sehen sollen. Die haben da ihre eigenen Radioprogramme. Ich
gehe jetzt zum Radiosender unserer Gemeinde und sage denen, dass
wir auch Teil der Gemeinde sind und einen Anteil an der Sendezeit
fordern. Und Du kommst mit.' Damals hatten neun Gemeinde-Sender
gerade neue Sendelizenzen bekommen und wir aus der Gemeinde
Redfern (Stadtteil von Sydney) bekamen vom Sender Skid Row zehn
Stunden Sendezeit pro Woche angeboten. Daraus entstand dann Radio
Redfern, das heutige Koori Radio.
Unsere indigenen Medien haben die Aufgabe, zu informieren, zu
bilden, zu unterhalten und unsere Interessen zu vertreten. Sie
sollen unsere eigene Geschichte, unsere Erfahrungen und unsere
Identität zum Ausdruck bringen als Dienstleistung für
alle, auch für die Angehörigen der
Mehrheitsgesellschaft", berichtet Tiga Bayles (Bayles ist vom
Wirri-Clan der Birri Gubba Nation und gehört mit zu den
Aboriginal-Bürgerrechtlern der ersten Stunde, die 1972 in
Canberra eine symbolische Zeltbotschaft der Aboriginals
errichtete n. Diese Botschaft ist ein Symbol für den
Anspruch der Aboriginals auf ihre Rechte. Bis heute ist sie
Anlaufpunkt für Aboriginal-Aktivisten und Menschen, die sich
für die Situation der Ureinwohner interessieren) über
seine ersten Erfahrungen in der Medienlandschaft der Aboriginals.
Bayles war bis November 2013 Vorstandsmitglied von AICA
(Australian Indigenous Communications Association).
AICA ist ein von der Regierung finanzierter Dachverband, der die
Medienlandschaft für die Aboriginal- und
Torres-Strait-Islander-Bevölkerung in ganz Australien regelt
und Rahmenbedingungen für Funk, Fernsehen und Print festlegt
- eine unabhängige Finanzierung ist nach wie vor sehr
schwierig (Aboriginal- und Torres Strait Islander ist ein
Sammelbegriff für die Ureinwohner Australiens und
schließt die auf den Inseln in der Meeresenge Torres Strait
zwischen Nordaustralien und Neuguinea lebenden Menschen ein).
Indigene Medien könnten AICA zufolge zu Themen wie
Gesundheit, frühkindliche Erziehung, Sicherheit in den
Gemeinden und lebenslanges Lernen noch wesentlich mehr beitragen.
Damit sie aber in den Zeiten von zunehmender Medienkonzentration
überleben können, sei ein verstärktes Engagement
der öffentlichen Hand gefordert.
Die Medienwelt der Aboriginals in Australien ist vielfältig.
Für Menschen, die seit Jahrtausenden das Wissen über
ihre Kultur mündlich überliefert haben, sind
audiovisuelle Medien wie Rundfunk und Fernsehen nunmehr von
großer Bedeutung. Nennenswert ist etwa der Kanal National
Indigenous Television (NITV, www.nitv.org.au), der in mehreren
Sprachen sendet und sein Programm ausschließlich den
Anliegen der Ureinwohner widmet. 35 der 50 Mitarbeiter sind
selbst Aboriginals.
Im Printbereich werden die Aboriginals von mehreren Zeitungen
versorgt. Alle 14 Tage erscheint die Zeitung Koori Mail
(www.koorimail.com), die zu 100 Prozent im Besitz der Aboriginals
ist. Gewinnüberschüsse werden an Schüler und
Studenten der Aboriginals und Torres-Strait-Islanders in Form von
Stipendien weitergegeben oder als finanzielle Unterstützung
zur Organisation von Veranstaltungen indigener
Gemeinschaften.
Die Central Australian Media Association mit Sitz in Alice Springs wurde 1980 gegründet und setzt sich über ihren Radiosender und weitere Medienkanäle für die Verbreitung und den Erhalt von Kultur, Sprache, Tanz und Musik der Ureinwohner Australiens ein.
Die National Indigenous Times (NIT, www.nit.com.au) erscheint seit 2002
und ist die einzige in ganz Australien verbreitete
Wochenzeitschrift für indigene Angelegenheiten. Die
Herausgeber gaben ihren Lesern damals zwei Versprechen: zu tun,
was in ihrer Macht steht, um eine Brücke zwischen dem
weißen und dem schwarzen Australien zu bauen, und ohne
Angst oder Gefälligkeiten über die Angelegenheiten der
Aboriginals zu berichten. Die Blattmacher sind indigene sowie
nicht-indigene Australier. Da die NIT nicht aus öffentlichen
Mitteln bezuschusst wird, muss sie sich ausschließlich
durch den Verkauf und über Anzeigen finanzieren. Berichtet
wird etwa über soziale und politische Themen, die die
Aboriginals betreffen, sowie über Erfolge, die indigene
Australier im Geschäftsleben, der akademischen Welt oder im
Sport errungen haben.
Seit 2011 gibt der Aboriginal Land Council von New South Wales -
eine Selbstvertretungsorganisation der Aboriginals - die
Monatszeitschrift Tracker (www.tracker.org.au) heraus. "Mit
dem Magazin Tracker wollen wir die Diskussion über unsere
Zukunft wieder in die Hände des eigenen Volkes legen", sagt
Bev Manton, Vorsitzende des Land Council. Für den Tracker
schreiben so renommierte Autoren wie die beiden Träger des
australischen Journalistenpreises Walkley Award Chris Graham, der
auch Chefredakteur vom Tracker ist, und Brian Johnstone sowie
Aboriginal-Aktivist Gary Foley und Nicole Watson, Expertin
für die Rechte der Aboriginals. Ebenfalls mit von der Partie
ist der bekannte australische Journalist Jeff McMullen, der
seinen Schwerpunkt auf die Landrechte der Aboriginals und
Torres-Strait-Islanders legt. Mit einer Druckauflage von 35.000
Exemplaren ist der Tracker eine der größten
Publikationen in Australien, die von den Ureinwohnern selbst
herausgegeben werden.
Die meisten Medien der Aboriginals senden und publizieren in
Englisch. Das liegt vor allem daran, dass im Osten des Landes
viele Menschen ihre Sprachen gar nicht mehr sprechen können:
Ihre Vorfahren wurden dort nach der Besiedlung durch die Briten
1788 entweder ausgerottet oder sind an eingeschleppten
Krankheiten gestorben. So hatten die Aboriginals kaum die
Möglichkeit, ihr Wissen an die nachfolgende Generation
weiterzugeben. Für viele Aboriginals ist Englisch auch die
Muttersprache.
Der Norden, Westen und das Zentrum Australiens wurden erst
später kolonisiert. Deshalb sind dort die Sprachen der
Aboriginals noch existent und werden jeweils als Lingua franca,
als Verkehrssprache, gesprochen. Radiosender wie Larrakia Radio,
Yolngu Radio und Waipiri Media Association strahlen daher ihr
Programm in lokalen traditionellen Sprachen aus.
Dass Englisch in den Medien der Aboriginals vorherrscht, hat
jedoch auch einen anderen Grund: Die Ureinwohner wollen die
"anderen" Australier nicht ausschließen. Auch sie sollen
von den Problemen der Aboriginals und ihren Lebenswelten erfahren
- Lobbyarbeit mit Hilfe der Medien.
Marion Caris arbeitet als freiberufliche Übersetzerin in Berlin. Sie hat Verwandte in Australien und schon früh wurde ihr Interesse für den fünften Kontinent geweckt. Sie hat das Land mehrfach bereist und setzt sich intensiv mit der Position der Aboriginals auseinander.
Einen sehr guten Überblick über die Sprachen der Aboriginals und deren Verteilung finden Sie unter www.abc.net.au/indigenous/map/.
Pogrom-bedrohte Völker 278-279 (4-5/2013)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/crescita2012-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/woman2011-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasil-belo.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global-sozial.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html
in www: www.mapuexpress.org