Von Yvonne Bangert
Erdgas und Erdöl sind zwar die bekanntesten
Exportprodukte Russlands, die auch in Deutschland für warme
Wohnstuben sorgen. Aber auf auch dem Weltmarkt von Gold und
Diamanten ist Sibrien, die Schatzkammer Russlands, längst
führend vertreten. Goldabbau hat in Russland eine
jahrhundertealte Tradition. Zwei Drittel der Goldreserven
befinden sich in Sibirien und im Fernen Osten des Landes. 40% der
Goldproduktion entfällt auf die Republik Sacha (russisch:
Jakutien), die ansonsten in der Diamantenproduktion führend
ist. Am produktivsten in der Goldgewinnung ist der Oblast
Magadan. Allein 2002 wurden hier 33,5 Tonnen Gold gefördert,
gefolgt von Krasnojarsk (29,3 Tonnen) und Sacha/Jakutien (17,5
Tonnen).
Der Oblast (Verwaltungsregion) Magadan liegt im Nordosten
Sibiriens am Ochotzkischen Meer. Das subarktische Klima mit
dauerhaft gefrorenen Permafrostböden bewegt sich zwischen
Tiefsttemperaturen um die -38°C im Winter und höchstens
+16°C im kurzen Sommer. Neben Gold verfügt das Gebiet
auch über Vorkommen an Silber, Zinn, Wolfram, Quecksilber,
Kupfer, Antimon, Kohle, Öl und Torf. Es gibt etwa 2.000
Fördergebiete, in denen Gold gewaschen wird, 100 Goldminen,
die im Bergbau ausgebeutet werden, und 48 Silbererzvorkommen. Die
Goldreserven im Oblast Magadan werden von der russischen
Tageszeitung Kommersant auf etwa 4.000 Tonnen geschätzt, die
Silberreserven auf mehr als 80.000 Tonnen. Von den etwa 179.000
Einwohnern dieser Verwaltungsregion leben 99.800 in der
Gleichnamigen Hauptstadt Magadan, die 1939 unter Stalin als
Transitstation für die Zwangsarbeiter der Kolyma-Goldminen
gegründet wurde. Die Region ist berüchtigt als Standort
zahlreicher GULAGs (Zwangsarbeitslager). Zweitwichtigster
Industriezweig ist die Fischereiwirtschaft. Gerade sie hat jedoch
zu leiden, wenn die Gewässer durch bei der Goldgewinnung
freigesetztes Cyanid, Quecksilber oder andere Schwermetalle
verseucht werden.
Der Goldabbau greift durch die Infrastruktur für die
Produktionsstätten und die Arbeiter (Städtebau,
Straßen, Vergnügungsstätten, Alkohol,
Prostitution etc.) in die Lebensbedingungen der indigenen
Völker Magadans ein. Evenen, Korjaken und Itelmenen leben
hier noch immer vorwiegend von Fischfang, Zucht und Nutzung
zahmer Rentiere und der Jagd auf wilde Rentiere und anderes Wild.
Die Tiere verändern jedoch ihre Wildwechsel, wenn sie durch
den Goldabbau und seine Folgeerscheinungen gestört werden,
so dass sie für die Jäger immer schwerer zu erreichen
sind. Bei der Trennung des Goldes vom Begleitgestein wird zudem
Cyanid eingesetzt, dessen Rückstände die Gewässer
verseuchen.
Die im Gebiet der Minen lebenden Ureinwohner
werden nicht ausreichend über die Umweltschäden und die
damit einhergehende Gefahr für ihre traditionellen
Wirtschaftszweige informiert oder gar an den Entscheidungen
über Bergbauprojekte beteiligt. Für die Beseitigung des
Abraums still gelegter Minen fühlt sich niemand
zuständig. Alles verrottet, so dass Rückstände
unkontrolliert in Erde und Grundwasser gelangen können. Auf
dem verlassenen Gelände der Karemkin Goldmine im Khasyn
Raion wurde zum Beispiel eine Sondermülldeponie
eingerichtet. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit als
Kontrollinstanz der Minenbetreiber findet kaum statt, obwohl bei
allen Projekten internationale Projektpartner beteiligt sind,
denen die international üblichen Gepflogenheiten bekannt
sein dürften.
Der Bergbau verbraucht enorme Flächen an Land. Untertagebau
wird bei dem sinkenden Goldgehalt im Gestein zunehmend
unrentabel, der Tagebau wird entsprechend favorisiert. So wird
das Vorkommen Natalkinskoje, das ab 2010 ausgebeutet werden soll,
von vornherein als Tagebaumine konzipiert. In 50 Jahren
Betriebszeit sollen dort mehr als 1.080 Tonnen Gold
gefördert werden. "Das Abbaugebiet wird eine Fläche von
ungefähr zehn Quadratkilometern umfassen. Vorerst sind an
der Stelle noch alte technische Anlagen eines Bergwerkes und eine
Siedlung zu sehen. Es ist aber geplant, dass jährlich an die
40 Millionen Tonnen Erz verarbeitet werden, was 200.000 Tonnen
Gestein täglich entspricht, das 1,7 Gramm Gold pro
Kubikmeter enthält" (Nachrichtenagentur RIA Nowosti, 4. Juli
2005).
Dieser um sich greifende Landverlust gefährdet die
traditionelle Lebensweise der indigenen Völker. Im
Severo-Evenski-Gebiet im nördlichen Teil der
Verwaltungsregion Magadan bilden Evenen, Korjaken und Itelmenen
die Bevölkerungsmehrheit. Sie sind Jäger,
Rentierzüchter und Fischer. In ihrem Gebiet liegt die Kubaka
Goldmine, die mit etwa 14 Tonnen Goldproduktion pro Jahr der
zweitgrößte Goldproduzent Russlands ist. Betreiber ist
die Omolon Mining Company, die zu 98,1% der kanadischen Kinross
Gold Corporation gehört. Die Verwaltungsregion Magadan
bestreitet die Hälfte ihres Jahreseinkommens aus Einnahmen
der Kubaka Mine, die seit 1997 in Betrieb ist. Auf dem Landweg
ist sie nur vier Monate im Jahr über eine Eispiste
erreichbar. Deshalb verfügt die Mine über zwei eigene
Landebahnen für die Versorgung der Arbeiter.
Die US-amerikanische Umweltorganisation Pacific Environment
beobachtet das Kubaka-Projekt von Anfang an sehr kritisch. Sie
wirft den Betreibern der Mine die Verletzung zahlreicher
internationaler Umweltstandards vor
(www.pacificenvironment.org/article.php?id=171). So wurden
zum Beispiel die Niederschlagsmengen falsch berechnet, so dass
die Rückhaltebecken für den Minenabraum überliefen
und den Kubaka-Fluss verseuchten. Auch wurden in den Becken
undichte Stellen festgestellt, durch die das cyanidhaltige
Abwasser austreten konnte. Für die Zeit nach der
Schließung der Mine existieren weder Pläne für
eine Sanierung des Geländes und der Umwelt noch
entsprechende Rücklagen. So liegt der Verdacht nahe, dass
auch dieses Minengelände nach der Schließung sich
selbst überlassen bleibt. Omolon soll zwar den
ansässigen Indigenen eine Entschädigung für den
durch die Mine entstandenen Schaden zugesagt haben, Geld gesehen
haben diese jedoch bislang nicht. Sollte sich die Meldung der
Nachrichtenagentur RIA Nowosti (22. November 2005) bewahrheiten,
derzufolge künftig auch Privatpersonen legal nach Gold
schürfen dürfen (bislang war dies nur Unternehmen
erlaubt), könnte bald ein ungehemmter Goldrausch zahlloser
Glücksritter einsetzen, deren Verhalten gegenüber den
indigenen Völkern und der Umwelt unkontrollierbar
wäre.
Auch in der Republik Sacha ist die Wirtschaft vor allem durch
den Bergbau geprägt. Gefördert werden Gold, Diamanten
und Eisenerz. Die Republik Sacha ist etwa so groß wie
Indien und besser bekannt unter der offiziellen russischen
Bezeichnung Jakutien. Siedlungszentrum ist Jakutsk. Seit 1992 ist
die Republik offiziell anerkannt und untersteht direkt der
Jurisdiktion der Russischen Föderation. Die drei
größten Gruppen der mit durchschnittlich 30 Jahren
sehr jungen Bevölkerung sind Russen (50,3%), Sacha/Jakuten
(33,4%) und Ukrainer (7%). Insgesamt lebten in der Republik 2002
rund 950.000 Menschen (Zahlenangaben nach wikipedia.org).
Russisch und Sacha/Jakutisch sind auch die beiden offiziellen
Sprachen der Republik. Weitere Bevölkerungsgruppen sind
Ukrainer, Ewenken, Ewenen, Tataren, Burjaten, Jukagiren und
Tschuktschen. Die Ureinwohner sind traditionell Jäger,
Fischer und Rentierzüchter.
99% der Diamantenvorräte Russlands - mehr als 13% der
Diamantenvorkommen der Welt - lagern in Sacha. Entsprechend
entfallen auf Sacha 90% der Diamantenund 40% der Goldproduktion
Russlands. 2003 lieferte Russland aus den Minen Sachas 20% der
weltweiten Diamantenproduktion. 2004 lag Russland mit einer
Diamantenproduktion im Wert von 1.470 Millionen US Dollar
weltweit auf Rang 2 (bezogen auf den Wert der geförderten
Steine). Aktiv ist in erster Linie der Staatskonzern Alrosa
(Almazy Russii-Sakha/Diamanten aus Russland und Sacha) mit 97,3%
Beteiligung. Die Reserven Russlands sind so groß, dass die
Diamantenproduktion mindestens weitere 25 Jahre auf dem jetzigen
Niveau gehalten werden kann, sofern alle Vorkommen erschlossen
werden. Ein Vorkommen, das bereits ausgebeutet wird, liegt am
Viliui, einem Nebenfluss der Lena im Gebiet der Viliui-Sacha.
1949 wurden im Viliui Diamanten entdeckt, 1955 begann die
Förderung der Edelsteine in den Minen Mir und
Udachnyi.
Mir war bis 2001, als sie stillgelegt wurde, die weltweit
größte Tagebaumine für den Diamantenabbau. In der
Sowjetzeit wurde dem Umweltschutz keine große Beachtung
gegeben, das Interesse galt ausschließlich der
industriellen Entwicklung. Um den enormen Energiebedarf der
Diamantenförderung zu befriedigen, wurde hier sogar das
weltweit erste Wasserkraftwerk auf Permafrostboden errichtet. Das
Kraftwerk hat den Wasserhaushalt der ganzen Region stark
verändert. So ist das Wasser flussabwärts des Dammes
kälter als zuvor. Fische wie Stör oder Lachs, von denen
der Fluss einst wimmelte, sind inzwischen zu einer Rarität
geworden. Leidtragende sind die Fischer unter den Viliui-Sacha.
Außerdem überschwemmte der Stausee 356.000 acre
wertvolles Weideland und eine Siedlung, in der vorher 600 Sacha
lebten. Durch den Zersetzungsprozess der unter der
Wasseroberfläche verrottenden Vegetation werden Kupfer und
Karbol freigesetzt.Wenn Wasser aus dem Staubecken abgelassen
wird, verseucht es daher den Viliui-Fluss.
Gleiches gilt für Thallium, Bestandteil einer Chemikalie,
die zur Trennung der Diamanten vom Wirtsgestein verwendet wird.
Um diesen Prozessen der Umweltzerstörung und der Vernichtung
der Existenzgrundlage der Indigenen entgegenzuwirken, müssen
die Ureinwohner Sibiriens auch im Bergbau nach Diamanten, Gold
und anderen Edelmetallen in alle Entscheidungen einbezogen und an
den Gewinnen mit einem fairen Anteil, der ihnen den Aufbau
alternativer Wirtschaftsformen erlaubt, beteiligt werden. Die
internationalen Konzerne, die an dem Abbau beteiligt sind,
müssen dieselben Auflagen erfüllen, als wären sie
in ihren eigenen Staaten aktiv. Russland sollte überdies
endlich die aus seinen internationalen Verpflichtungen
erwachsenen Menschenrechts- und Umweltklauseln gegenüber der
eigenen indigenen Bevölkerung in geltendes Recht umsetzen
und die Konvention 169 der ILO, das einzige internationale
Rechtsinstrument für die Grundrechte von indigenen
Völkern, ratifizieren.
Aus pogrom-bedrohte Völker 235 (1/2006)