Offener Brief an
den Bundespräsidenten von Österreich Herrn Dr.
Thomas Klestil
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
Sie haben den Vorsitzenden der neofaschistischen
Regierungspartei Ihres Nachbarlandes, Herrn Gianfranco
Fini, mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik
Österreich ausgezeichnet. Diese Auszeichnung wirkt
u.a. deshalb befremdend, als Sie sich noch vor zwei Jahren
massiv für die europaweite Isolierung Ihres
rechtspopulistischen FPÖ-Vordenkers Jörg Haider
engagiert haben.
Beiden Politikern ist eines gemein: Sie sind durch Plädoyers für den nationalsozialistischen bzw. faschistischen Diktator aufgefallen. Die verschiedenen Äußerungen Haiders muss ich in diesem Zusammenhang nicht zitieren. Gianfranco Fini, Chef der Allianza Nationale, hatte Benito Mussolini als "größten Staatsmann" bezeichnet und diese Aussage nie wirklich widerrufen. Auch wenn er vor wenigen Monaten einschränkend geäußert hat, er würde "das nicht mehr so sagen", rechtfertigt das schwerlich die Auszeichnung mit dem Goldenen Ehrenzeichen. Es sei denn, sehr verehrter Herr Bundespräsident, Sie wären nicht dafür, einen deutlichen Trennungsstrich zu dieser furchtbaren europäischen Vergangenheit zu ziehen.
Zu den Taten des "größten Staatsmannes" Mussolini gehören die Massenmorde des faschistischen Italiens 1935 an mehreren Hunderttausend Äthiopiern, die Ausrottung von 60.000 Nomaden in der libyschen Cyrenaika, faschistische Morde an Juden, Homosexuellen, Roma, Demokraten und Kommunisten und die Einführung antisemitischer Gesetze in Italien. Auch Alessandra Mussolini, die populäre Parteifreundin Finis, steht bis heute zu dieser Politik, ausgedrückt mit dem Spruch: "Mein Großvater ist der größte, ich werde es sagen, so lange ich lebe."
Sie haben die Auszeichnung des Mussolini- Freundes Fini mit seinen Verdiensten um die Versöhnung zwischen Österreich und Italien begründet. Im Sinne dieser Versöhnung hatte die Stadtverwaltung der Südtiroler Hauptstadt Bozen den so genannten "Siegesplatz" mit dem scheußlichen Faschistendenkmal in "Friedensplatz" umbenannt. Diese Geste im Geiste europäischer Versöhnung und des Zusammenlebens der deutsch- und italienischsprachigen Regionen Europas wurde durch die chauvinistische Intervention Finis gerade zunichte gemacht.
Unser Vorschlag: Sie
setzen sich jetzt in Rom dafür ein, dass dieses
Denkmal mit den Rutenbündeln abgetragen und durch eine
Gedenkstätte für die deutsch-, ladinisch- und
italienischsprachigen Opfer von Faschismus und
Nationalsozialismus in Südtirol ersetzt wird. Sie
sollten diesen Widerstand ehren, nicht die Fürsprecher
der Gewaltherrscher.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Tilman Zülch für die Gesellschaft
für bedrohte Völker International