Saddam Hussein - die
Zahl der Opfer hat die erste Million überschritten
von Tilman Zülch. Aus bedrohte
völker - pogrom 213 3/2002
Die Zahl der Opfer des
irakischen Baath-Regimes wird seit seinem Machtantritt im Jahre
1968 die erste Million überschritten haben. Wir haben uns
bemüht Zahlen und Fakten zusammenzutragen aus den
Jahresberichten von Amnesty international, Reporten von Human
Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen, von
Hilfswerken, aus Presseberichten, von Überlebenden und
kurdischen Organisationen.
Seit 1968 wurden in immer neuen Wellen Kurden exekutiert,
bombardiert, vertrieben, massakriert, zu Tode gefoltert oder
entführt. Es gibt Schätzungen, denen zufolge eine halbe
Million Menschen im Nordirak - unter ihnen auch Assyrer, Yeziden
und Turkmenen - in den letzten drei Jahrzehnten diese Art
Kurdenpolitik mit ihrem Leben bezahlt haben. Seit der Erhebung
der Schiiten im Südirak im März 1991 sind mehrere
Hunderttausend Menschen spurlos verschwunden. Schiitische
Organisationen beklagen 300.000 Opfer.
Menschenrechtsorganisationen sprechen ebenfalls von
Hundertausenden Verschwundenen. Auch die genaue Zahl der
Getöteten bei Saddams Offensiven gegen die traditionell
lebenden Marscharaber ist statistisch nicht erfasst. Zehntausende
werden die Zerstörung und planmäßige Austrocknung
ihrer Marschen nicht überlebt haben. Dazu kommen die Opfer
anderer ethnischer und religiöser Gemeinschaften, die
Angehörigen der Opposition und die Liquidierten aus den
eigenen Reihen des Regimes. Keiner hat bisher alle diese Toten
zählen können.
Saddam Hussein ist einer der grausamsten Diktatoren der
Gegenwart. Er hat viele, nicht alle der Methoden Stalins wie
Hitlers übernommen. Wie im Reiche Stalins kann auch im
heutigen Irak die Verfolgung täglich jeden treffen ob Freund
oder Feind. Wie in Hitlerdeutschland müssen ethnische
Minderheiten mit ständiger Verfolgung rechnen. Unentwegt
lässt der Diktator an der Produktion atomarer,
ballistischer, chemischer und biologischer Waffen arbeiten,
für den Einsatz nach innen wie nach außen. Im
Angriffskrieg gegen den Iran setzte er ebenso chemische Waffen
ein wie zur Vernichtung der Kurden. Das jüdische "Problem"
im Irak "löste" das panarabische Baath-Regime bereits Ende
der 60-er und Anfang der 70-er Jahre durch Massenvertreibungen,
nachdem Massaker und Hinrichtungen zuvor schon eine Massenflucht
ausgelöst hatten. Während des Golfkrieges richtete
Saddam Raketen Anfang 1991 auf Israel und drohte Angriffe mit
Giftgas an.
Mehr als 290 Dörfer wurden dem Erdboden mit Bomben und
Napalm gleichgemacht, etwa 200.000 kurdische Zivilisten wurden
Flüchtlinge oder Vertriebene, mehr als 20.000 im
irakisch-kurdischen Krieg getötet, 4000 kurdische Frauen
sind zu Witwen geworden. Hinrichtungen politischer Gegner
gehören zum irakischen "Way of Life". Hunderte - vor allem
kurdische - Opfer von Erschießungskommandos, 60.000 sollen
in Lagern sitzen, Verfolgung und Erschießung von irakischen
Kommunisten, Attentate gegen kurdische Emigranten.
Bis heute ist das wohl furchtbarste Verbrechen Saddam Husseins,
die sog. Anfal-Offensive von 1987/88, in der internationalen
Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben. Der
amerikanische Pulitzer Preisträger Roy Gutman geht in seinem
Lexikon über Kriegsverbrechen "Crimes of War 1999" von
60.000 Toten aus, während der britische Nah-Ost-Kenner Prof.
David McDowall in seinem Standardwerk "A modern history of the
Kurds" bereits 1996 eine Zahl von 150.000 Opfern nannte.
Kurdische Menschenrechtler haben die Zahl der ermordeten
Landsleute mit 182.000 Menschen beziffert.
Die "Anfal-Offensive" begann im Frühjahr 1987 mit
Giftgasangriffen gegen kurdische Siedlungen. Weltweit bekannt
wurde der Angriff auf die Stadt Halabja mit etwa 5000 Toten. Es
folgten gezielte Vorstöße der irakischen Armee,
Zerstören und Verbrennen von bis zu 5000 Dörfern und
Weilern, die Einkreisung und massenhafte Deportation der
kurdischen Zivilbevölkerung, die Verhaftung von Peshmergas,
die Selektion von Männern und Frauen, massenhafte
Hinrichtungen vor Ort, Deportation in den Mittel- und
Südirak mit Liquidierung der Verschleppten, Einweisung in
Gefängnisse mit Folterung oder späterer Tötung der
Häftlinge, Einweisung der Übrigen in bewachte so
genannte Zentraldörfer. Aufgrund der genannten Dokumente
liegen auch detaillierte Beweise vor für zahlreiche Angriffe
1987/88 mit chemischen Waffen gegen kurdische Ortschaften.
Beihilfe zum Völkermord
Viele dieser Verbrechen Saddam Husseins wären ohne
Unterstützung der USA, der westeuropäischen Staaten,
unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland, der damaligen
Sowjetunion und ihres DDR-Satelliten nicht möglich gewesen.
Zweimal haben die USA den Massenmord an der kurdischen,
yezidischen und assyrisch-aramäischen Bevölkerung des
Nordirak durch Nahostpolitik möglich gemacht. 1975
vermittelte Henry Kissinger in Algier ein Agreement zwischen Al
Bakr und dem iranischen Schah. Dieser schloss die Grenze zum Irak
und löste so den vereinbarten Zusammenbruch der kurdischen
Widerstandsbewegung aus. Eine Viertelmillion Kurden
flüchtete in den Iran. Dabei mussten Tausende sterben. Am
Ende des Golfkrieges im März 1991 rief Georg Bush die
schiitische Mehrheit des Irak und die Kurden des Nordens auf,
sich gegen Saddam zu erheben. Gleichzeitig erließ er ein
Flugverbot, das er jedoch nicht durchsetzte, als Saddams
Kampfhubschrauber die Aufständischen im Norden und
Süden zusammenschossen. Anderthalb Millionen kurdische
Zivilisten flüchteten in die Türkei.
Unzählige europäische und deutsche, auch amerikanische
Firmen haben an dem Aufbau der saddamschen
Rüstungsindustrien mitgewirkt. Vor allem eine Reihe
deutscher Betriebe hat die Errichtung der Produktionsstätten
für Giftgas und der dafür notwendigen Exporte
weitgehend koordiniert. Diese Betriebe tragen wesentliche
Mitverantwortung für den Giftgasmord an kurdischen Kindern,
Frauen und Männern. Deutsche Minister wie Jürgen
Möllemann und Hans Dietrich Genscher haben lange Zeit so gut
wie nichts unternommen, um diese Firmen an ihrem teuflischen Werk
zu hindern. Dabei sollte allerdings nicht ganz in Vergessenheit
geraten, dass der prominente SPD-Politiker Jürgen
Wischnewski bereits 1981 der Baufirma WTB einen Hermeskredit
für den Bau unterirdischer Bunkeranlagen Saddam Husseins
vermittelt hatte.
Die Sowjetunion lieferte dem Baathregime seit Ende der 60-er
Jahre die notwendigen Waffen zur Liquidierung der Kurden und die
Migs für die Bombardements ihrer Dörfer. Die Deutsche
"Demokratische" Republik hat die irakischen Geheimdienste nach
Stasivorbild aufgebaut. Klaus Kinkel, seinerzeit BND-Chef, sorgte
dafür, dass die GSG 9 sogenannte irakische
Antiterroreinheiten und die für unzählige
Kriegsverbrechen verantwortlichen "Republikanischen Garden"
ausbildete. Er arrangierte 1990 persönlich, dass der
damalige irakische Innenminister Sadour Shakir bei seinem
Deutschlandbesuch einen Koffer mit automatischen Waffen ohne
Zollkontrolle in seinem Privatjet mitnehmen durfte. Diese
gesamtdeutschen Bemühungen haben dazu beigetragen, dass im
Irak ein Labyrinth von Geheimdienstagenturen entstanden ist, die
nicht nur Kurden, Schiiten, Oppositionelle und missliebige
Saddam-Anhänger verfolgen, sondern sich auch gegenseitig
kontrollieren müssen.
Iraks Kurden - zu Rechts für die Freiheit?
Der sowjetischen Unterstützung des Antiimperialisten Saddam
Husseins folgend führte in der Bundesrepublik die Deutsche
Kommunistische Partei (DKP) mit ihren Sympathisanten 1974/75 eine
hasserfüllte Kampagne gegen die kurdische
Widerstandsbewegung Barzanis. Der damals ebenfalls einäugige
Weltkirchenrat, in dessen Antirassismusprogramm Genozidopfer wie
irakische Kurden, Biafraner, Südsudanesen, Ostbengalen und
Eritreer nicht vorgesehen waren, stellte auf dem Höhepunkt
der Kurdendeportationen 1974/75 sogar fest, im Irak ginge es ganz
friedlich zu.
Als die USA 1991 Krieg gegen den Irak führten, um Kuwait
und dessen Ölquellen zu befreien, zogen Millionen
Friedensbewegte über deutsche Straßen, formten
Lichterketten, machten progressive Pastoren Protestgottesdienste
und setzten fortschrittliche Lehrer vielerorts ihren Unterricht
aus, um gemeinsam mit ihren Schülern gegen die Alliierten zu
demonstrieren.
Weder vorher als sie 1987/88 zehntausendfach Giftgasangriffen
zum Opfer fielen, noch nachher, als Bush seinen Blitzkrieg gegen
Saddam eingestellt hatte, erhielten die Kurden Solidarität
und Aufmerksamkeit dieser mächtigen Friedensbewegung. So
waren sie wieder allein, als im März 1991 Armee und
Republikanische Garden 2,5 Millionen von ihnen in das
türkische Hochgebirge jagten. Dort starben Kleinkinder, Alte
und Kranke in 2000 m Höhe zu Tausenden auf schneebedeckten
Berghängen.
An der Großdemonstration gegen Saddams neue
Kriegsverbrechen im April 1991 beteiligten sich 8000 deutsche
Kurden, einige Hundert Assyrer und nur noch ganze 500 Deutsche.
Die GfbV war Mitorganisator, gemeinsam mit Kurden und Teilen der
Friedensbewegung, die von ihrer Basis im Stich gelassen worden
war.
Dennoch sorgten die Medien überall in der Welt und
zahlreiche Journalisten vor Ort in Kurdistan für weltweite
Öffentlichkeit und Betroffenheit. Was leider große
Teile der "fortschrittlichen Kräfte" den Kurden des Irak
verweigerten, brachte diese Berichterstattung: Solidarität.
Die USA und Großbritannien richteten eine Flugverbotszone
im Norden ein. Die kurdische Widerstandsbewegung befreite zwei
Drittel des kurdischen Sprachgebietes. In dem irakisch
kontrollierten Drittel finden weiter Kurdenverfolgungen und
Massenvertreibungen statt. Etwa 800.000 kurdische, yezidische,
assyrisch-aramäische und turkmenische Nordiraker sind so zu
Vertriebenen geworden. Die deutsche Hilfsorganisation WADI gibt
die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Irak
mit 3,5 Millionen an.
Trotz innerkurdischer Auseinandersetzungen ist der Nordirak
heute eine Zone der Stabilität, erlebt unter den Bedingungen
des Irakembargos bescheidenen Wohlstand und erste demokratische
Reformen. Jetzt droht allen Bewohnern des Irak ein von den USA
geführter Krieg gegen den "Terrorstaat" Saddam Husseins.
Viele Organisationen der irakischen Opposition aber sehnen ihn
herbei oder erklären ihre Neutralität. Zur Haltung der
großen Mehrheit der irakischen Bevölkerung befragt,
erklären sie hinter vorgehaltener Hand, diese würde
selbst dem Teufel folgen, käme er, um sie zu befreien.
Die Freunde Saddams
Die bunt schillernde Solidaritätsbewegung für Saddam
Hussein klagt den Weltsicherheitsrat, die USA und andere an, mit
den Iraksanktionen den Tod von Hundertausenden Irakern verursacht
zu haben. Da Saddam unaufhörlich weiter in den Aufbau
international geächteter Waffensysteme investiert und
Milliarden dem Luxuskonsum der Führungsschicht zuführt,
gerät die durch Genozid und verfehlte Wirtschaftspolitik
weitgehend verarmte Bevölkerung in zunehmende
Verelendung.
Die Kurden und Minderheiten des autonomen Nordirak werden
prozentual an den Ölverkäufen beteiligt. Dort verteilen
die Vereinte Nationen selbst die Hilfsgüter, so dass es hier
keinen wesentlichen Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten
gibt. Leider darf die UN diese Aufgabe im Südirak nicht
erfüllen.
Die bunte Liste der Freunde Saddams sieht das anders und
unterhält enge Beziehung zum Baath-Regime. Zu diesen
Freunden gehören neben dem grün/liberalen
NRW-Abgeordneten Jamal Karsli, Jürgen W. Möllemann und
Horst Mahler, Jörg Haider, Jean-Marie Le Pen, die deutsche
NPD, die deutsche Nationalzeitung des Gerhard Frey, der
Ghaddafi-Freund Alfred Mechtersheimer, verschiedene
antiimperialistische Gruppen in Deutschland und Österreich,
radikale Zeitungen wie "Junge Welt" und "Junge Freiheit" sowie
dogmatische Teile der deutschen Friedensbewegung und Mitarbeiter
des vom Bund subventionierten Deutschen Orient Instituts, wie
Aziz Alkazaz, privat auch Generalsekretär der
deutsch-irakischen Gesellschaft und Vizepräsident des
baathischen "Kongresses" der Auslandsiraker.
Weiterführende
Informationen:
* Irak/Saddam Hussein - Der Henker von Bagdad - pogrom/bedrohte
Völker (Nr. 3 - 2003)
* Kurdistan und die Kurden (Band 1, 2,3) - Taschenbuchreihe
pogrom
* Völkermord an den Kurden - Eine Dokumentation der GfbV
(Luchterhand)
* Kurdistan: Befreiung ohne Publizität (pogrom -Report
5/74)
* Genozid im Irak - Verfolgung und Vernichtung von Kurden und
assyrischen Christen 1968-1990 (bedrohte
Völker/Menschenrechtsreport Nr. 1991)
* Kein Waffenexport für Völkermord - Eine
Dokumentation der GfbV (April 1992).
Siehe auch "Krieg und Öl. Nein zum Krieg gegen den Irak!"