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Saddams Opfer

Eine Dokumentation der Gfbv über die Menschenrechtslage im Irak

Bozen, 28. Januar 2003

Saddam Hussein - die Zahl der Opfer hat die erste Million überschritten
von Tilman Zülch. Aus bedrohte völker - pogrom 213 3/2002

Die Zahl der Opfer des irakischen Baath-Regimes wird seit seinem Machtantritt im Jahre 1968 die erste Million überschritten haben. Wir haben uns bemüht Zahlen und Fakten zusammenzutragen aus den Jahresberichten von Amnesty international, Reporten von Human Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen, von Hilfswerken, aus Presseberichten, von Überlebenden und kurdischen Organisationen.

Seit 1968 wurden in immer neuen Wellen Kurden exekutiert, bombardiert, vertrieben, massakriert, zu Tode gefoltert oder entführt. Es gibt Schätzungen, denen zufolge eine halbe Million Menschen im Nordirak - unter ihnen auch Assyrer, Yeziden und Turkmenen - in den letzten drei Jahrzehnten diese Art Kurdenpolitik mit ihrem Leben bezahlt haben. Seit der Erhebung der Schiiten im Südirak im März 1991 sind mehrere Hunderttausend Menschen spurlos verschwunden. Schiitische Organisationen beklagen 300.000 Opfer. Menschenrechtsorganisationen sprechen ebenfalls von Hundertausenden Verschwundenen. Auch die genaue Zahl der Getöteten bei Saddams Offensiven gegen die traditionell lebenden Marscharaber ist statistisch nicht erfasst. Zehntausende werden die Zerstörung und planmäßige Austrocknung ihrer Marschen nicht überlebt haben. Dazu kommen die Opfer anderer ethnischer und religiöser Gemeinschaften, die Angehörigen der Opposition und die Liquidierten aus den eigenen Reihen des Regimes. Keiner hat bisher alle diese Toten zählen können.

Saddam Hussein ist einer der grausamsten Diktatoren der Gegenwart. Er hat viele, nicht alle der Methoden Stalins wie Hitlers übernommen. Wie im Reiche Stalins kann auch im heutigen Irak die Verfolgung täglich jeden treffen ob Freund oder Feind. Wie in Hitlerdeutschland müssen ethnische Minderheiten mit ständiger Verfolgung rechnen. Unentwegt lässt der Diktator an der Produktion atomarer, ballistischer, chemischer und biologischer Waffen arbeiten, für den Einsatz nach innen wie nach außen. Im Angriffskrieg gegen den Iran setzte er ebenso chemische Waffen ein wie zur Vernichtung der Kurden. Das jüdische "Problem" im Irak "löste" das panarabische Baath-Regime bereits Ende der 60-er und Anfang der 70-er Jahre durch Massenvertreibungen, nachdem Massaker und Hinrichtungen zuvor schon eine Massenflucht ausgelöst hatten. Während des Golfkrieges richtete Saddam Raketen Anfang 1991 auf Israel und drohte Angriffe mit Giftgas an.

Mehr als 290 Dörfer wurden dem Erdboden mit Bomben und Napalm gleichgemacht, etwa 200.000 kurdische Zivilisten wurden Flüchtlinge oder Vertriebene, mehr als 20.000 im irakisch-kurdischen Krieg getötet, 4000 kurdische Frauen sind zu Witwen geworden. Hinrichtungen politischer Gegner gehören zum irakischen "Way of Life". Hunderte - vor allem kurdische - Opfer von Erschießungskommandos, 60.000 sollen in Lagern sitzen, Verfolgung und Erschießung von irakischen Kommunisten, Attentate gegen kurdische Emigranten.

Bis heute ist das wohl furchtbarste Verbrechen Saddam Husseins, die sog. Anfal-Offensive von 1987/88, in der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben. Der amerikanische Pulitzer Preisträger Roy Gutman geht in seinem Lexikon über Kriegsverbrechen "Crimes of War 1999" von 60.000 Toten aus, während der britische Nah-Ost-Kenner Prof. David McDowall in seinem Standardwerk "A modern history of the Kurds" bereits 1996 eine Zahl von 150.000 Opfern nannte. Kurdische Menschenrechtler haben die Zahl der ermordeten Landsleute mit 182.000 Menschen beziffert.

Die "Anfal-Offensive" begann im Frühjahr 1987 mit Giftgasangriffen gegen kurdische Siedlungen. Weltweit bekannt wurde der Angriff auf die Stadt Halabja mit etwa 5000 Toten. Es folgten gezielte Vorstöße der irakischen Armee, Zerstören und Verbrennen von bis zu 5000 Dörfern und Weilern, die Einkreisung und massenhafte Deportation der kurdischen Zivilbevölkerung, die Verhaftung von Peshmergas, die Selektion von Männern und Frauen, massenhafte Hinrichtungen vor Ort, Deportation in den Mittel- und Südirak mit Liquidierung der Verschleppten, Einweisung in Gefängnisse mit Folterung oder späterer Tötung der Häftlinge, Einweisung der Übrigen in bewachte so genannte Zentraldörfer. Aufgrund der genannten Dokumente liegen auch detaillierte Beweise vor für zahlreiche Angriffe 1987/88 mit chemischen Waffen gegen kurdische Ortschaften.

Beihilfe zum Völkermord
Viele dieser Verbrechen Saddam Husseins wären ohne Unterstützung der USA, der westeuropäischen Staaten, unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland, der damaligen Sowjetunion und ihres DDR-Satelliten nicht möglich gewesen. Zweimal haben die USA den Massenmord an der kurdischen, yezidischen und assyrisch-aramäischen Bevölkerung des Nordirak durch Nahostpolitik möglich gemacht. 1975 vermittelte Henry Kissinger in Algier ein Agreement zwischen Al Bakr und dem iranischen Schah. Dieser schloss die Grenze zum Irak und löste so den vereinbarten Zusammenbruch der kurdischen Widerstandsbewegung aus. Eine Viertelmillion Kurden flüchtete in den Iran. Dabei mussten Tausende sterben. Am Ende des Golfkrieges im März 1991 rief Georg Bush die schiitische Mehrheit des Irak und die Kurden des Nordens auf, sich gegen Saddam zu erheben. Gleichzeitig erließ er ein Flugverbot, das er jedoch nicht durchsetzte, als Saddams Kampfhubschrauber die Aufständischen im Norden und Süden zusammenschossen. Anderthalb Millionen kurdische Zivilisten flüchteten in die Türkei.

Unzählige europäische und deutsche, auch amerikanische Firmen haben an dem Aufbau der saddamschen Rüstungsindustrien mitgewirkt. Vor allem eine Reihe deutscher Betriebe hat die Errichtung der Produktionsstätten für Giftgas und der dafür notwendigen Exporte weitgehend koordiniert. Diese Betriebe tragen wesentliche Mitverantwortung für den Giftgasmord an kurdischen Kindern, Frauen und Männern. Deutsche Minister wie Jürgen Möllemann und Hans Dietrich Genscher haben lange Zeit so gut wie nichts unternommen, um diese Firmen an ihrem teuflischen Werk zu hindern. Dabei sollte allerdings nicht ganz in Vergessenheit geraten, dass der prominente SPD-Politiker Jürgen Wischnewski bereits 1981 der Baufirma WTB einen Hermeskredit für den Bau unterirdischer Bunkeranlagen Saddam Husseins vermittelt hatte.

Die Sowjetunion lieferte dem Baathregime seit Ende der 60-er Jahre die notwendigen Waffen zur Liquidierung der Kurden und die Migs für die Bombardements ihrer Dörfer. Die Deutsche "Demokratische" Republik hat die irakischen Geheimdienste nach Stasivorbild aufgebaut. Klaus Kinkel, seinerzeit BND-Chef, sorgte dafür, dass die GSG 9 sogenannte irakische Antiterroreinheiten und die für unzählige Kriegsverbrechen verantwortlichen "Republikanischen Garden" ausbildete. Er arrangierte 1990 persönlich, dass der damalige irakische Innenminister Sadour Shakir bei seinem Deutschlandbesuch einen Koffer mit automatischen Waffen ohne Zollkontrolle in seinem Privatjet mitnehmen durfte. Diese gesamtdeutschen Bemühungen haben dazu beigetragen, dass im Irak ein Labyrinth von Geheimdienstagenturen entstanden ist, die nicht nur Kurden, Schiiten, Oppositionelle und missliebige Saddam-Anhänger verfolgen, sondern sich auch gegenseitig kontrollieren müssen.

Iraks Kurden - zu Rechts für die Freiheit?
Der sowjetischen Unterstützung des Antiimperialisten Saddam Husseins folgend führte in der Bundesrepublik die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) mit ihren Sympathisanten 1974/75 eine hasserfüllte Kampagne gegen die kurdische Widerstandsbewegung Barzanis. Der damals ebenfalls einäugige Weltkirchenrat, in dessen Antirassismusprogramm Genozidopfer wie irakische Kurden, Biafraner, Südsudanesen, Ostbengalen und Eritreer nicht vorgesehen waren, stellte auf dem Höhepunkt der Kurdendeportationen 1974/75 sogar fest, im Irak ginge es ganz friedlich zu.

Als die USA 1991 Krieg gegen den Irak führten, um Kuwait und dessen Ölquellen zu befreien, zogen Millionen Friedensbewegte über deutsche Straßen, formten Lichterketten, machten progressive Pastoren Protestgottesdienste und setzten fortschrittliche Lehrer vielerorts ihren Unterricht aus, um gemeinsam mit ihren Schülern gegen die Alliierten zu demonstrieren.

Weder vorher als sie 1987/88 zehntausendfach Giftgasangriffen zum Opfer fielen, noch nachher, als Bush seinen Blitzkrieg gegen Saddam eingestellt hatte, erhielten die Kurden Solidarität und Aufmerksamkeit dieser mächtigen Friedensbewegung. So waren sie wieder allein, als im März 1991 Armee und Republikanische Garden 2,5 Millionen von ihnen in das türkische Hochgebirge jagten. Dort starben Kleinkinder, Alte und Kranke in 2000 m Höhe zu Tausenden auf schneebedeckten Berghängen.

An der Großdemonstration gegen Saddams neue Kriegsverbrechen im April 1991 beteiligten sich 8000 deutsche Kurden, einige Hundert Assyrer und nur noch ganze 500 Deutsche. Die GfbV war Mitorganisator, gemeinsam mit Kurden und Teilen der Friedensbewegung, die von ihrer Basis im Stich gelassen worden war.

Dennoch sorgten die Medien überall in der Welt und zahlreiche Journalisten vor Ort in Kurdistan für weltweite Öffentlichkeit und Betroffenheit. Was leider große Teile der "fortschrittlichen Kräfte" den Kurden des Irak verweigerten, brachte diese Berichterstattung: Solidarität. Die USA und Großbritannien richteten eine Flugverbotszone im Norden ein. Die kurdische Widerstandsbewegung befreite zwei Drittel des kurdischen Sprachgebietes. In dem irakisch kontrollierten Drittel finden weiter Kurdenverfolgungen und Massenvertreibungen statt. Etwa 800.000 kurdische, yezidische, assyrisch-aramäische und turkmenische Nordiraker sind so zu Vertriebenen geworden. Die deutsche Hilfsorganisation WADI gibt die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Irak mit 3,5 Millionen an.

Trotz innerkurdischer Auseinandersetzungen ist der Nordirak heute eine Zone der Stabilität, erlebt unter den Bedingungen des Irakembargos bescheidenen Wohlstand und erste demokratische Reformen. Jetzt droht allen Bewohnern des Irak ein von den USA geführter Krieg gegen den "Terrorstaat" Saddam Husseins. Viele Organisationen der irakischen Opposition aber sehnen ihn herbei oder erklären ihre Neutralität. Zur Haltung der großen Mehrheit der irakischen Bevölkerung befragt, erklären sie hinter vorgehaltener Hand, diese würde selbst dem Teufel folgen, käme er, um sie zu befreien.

Die Freunde Saddams
Die bunt schillernde Solidaritätsbewegung für Saddam Hussein klagt den Weltsicherheitsrat, die USA und andere an, mit den Iraksanktionen den Tod von Hundertausenden Irakern verursacht zu haben. Da Saddam unaufhörlich weiter in den Aufbau international geächteter Waffensysteme investiert und Milliarden dem Luxuskonsum der Führungsschicht zuführt, gerät die durch Genozid und verfehlte Wirtschaftspolitik weitgehend verarmte Bevölkerung in zunehmende Verelendung.

Die Kurden und Minderheiten des autonomen Nordirak werden prozentual an den Ölverkäufen beteiligt. Dort verteilen die Vereinte Nationen selbst die Hilfsgüter, so dass es hier keinen wesentlichen Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten gibt. Leider darf die UN diese Aufgabe im Südirak nicht erfüllen.

Die bunte Liste der Freunde Saddams sieht das anders und unterhält enge Beziehung zum Baath-Regime. Zu diesen Freunden gehören neben dem grün/liberalen NRW-Abgeordneten Jamal Karsli, Jürgen W. Möllemann und Horst Mahler, Jörg Haider, Jean-Marie Le Pen, die deutsche NPD, die deutsche Nationalzeitung des Gerhard Frey, der Ghaddafi-Freund Alfred Mechtersheimer, verschiedene antiimperialistische Gruppen in Deutschland und Österreich, radikale Zeitungen wie "Junge Welt" und "Junge Freiheit" sowie dogmatische Teile der deutschen Friedensbewegung und Mitarbeiter des vom Bund subventionierten Deutschen Orient Instituts, wie Aziz Alkazaz, privat auch Generalsekretär der deutsch-irakischen Gesellschaft und Vizepräsident des baathischen "Kongresses" der Auslandsiraker.

Weiterführende Informationen:
* Irak/Saddam Hussein - Der Henker von Bagdad - pogrom/bedrohte Völker (Nr. 3 - 2003)
* Kurdistan und die Kurden (Band 1, 2,3) - Taschenbuchreihe pogrom
* Völkermord an den Kurden - Eine Dokumentation der GfbV (Luchterhand)
* Kurdistan: Befreiung ohne Publizität (pogrom -Report 5/74)
* Genozid im Irak - Verfolgung und Vernichtung von Kurden und assyrischen Christen 1968-1990 (bedrohte Völker/Menschenrechtsreport Nr. 1991)
* Kein Waffenexport für Völkermord - Eine Dokumentation der GfbV (April 1992).

Siehe auch "Krieg und Öl. Nein zum Krieg gegen den Irak!"


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-3/021031ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020221de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020315de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/15-3-dt.html | www.gfbv.it/2c-stampa/1-01/15-3-dt.html
* www: www.iccnow.org

Letzte Aktual.: 29.1.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/2c-stampa/03-1/030128de-dok.html | XHTML 1.0 | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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