Zum 15. Gedenktag für die 5.000
Opfer der Giftgasangriffe in der irakisch-kurdischen Stadt
Halabja (16. März 1988) hat die Gesellschaft für
bedrohte Völker (GfbV) die Bundesregierung daran erinnert,
dass deutsche Firmen erhebliche Mitschuld für den qualvollen
Tod dieser Kinder, Frauen und Männer tragen. "Es ist
selbstverständliche Pflicht Deutschlands, jetzt an der Seite
der überlebenden Opfer zu stehen", erklärte der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Freitag. "Wenn
dieser Krieg jetzt von Deutschland und anderen Ländern nicht
mehr verhindert werden kann, muss die Bundesregierung dringend
die kurdische Zivilbevölkerung im autonomen Nordirak vor
neuen Giftgasangriffen schützen." Der Menschenrechtler
forderte, dass sofort Gasmasken und Medikamente zur Behandlung
von Giftgasopfern in die gefährdeten Gebiete gebracht
werden. "Es ist unerträglich, dass im Kriegsfall nur die
angreifenden amerikanischen Truppen, nicht aber die kurdischen
und assyrischen Zivilisten über Gasmasken verfügen
werden."
Mindestens 60 deutsche Firmen hatten sich am Aufbau der
irakischen Giftgasindustrie beteiligt, unter ihnen die beiden
hessischen Unternehmen Karl Kolb GmbH und Pilot Plant, die vor
allem den Aufbau der Giftgasanlagen im irakischen Samarra
vorangetrieben hatten. Die GfbV hatte diese Firmen bereits im
April 1987 öffentlich beschuldigt, für die Vernichtung
von Tausenden Kurden und christlichen Assyrern Verantwortung zu
tragen. Das Bonner Landgericht hatte der GfbV bei einer Androhung
von zweimal 500.000 DM Bußgeld am 4. August 1987 untersagt,
diese Beschuldigungen zu wiederholen. Das Kölner
Oberlandesgericht hatte diesen Richterspruch im 11. Januar 1988
aufgehoben.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch
hatte gemeinsam mit kurdischen Menschenrechtlern vier Millionen
Dokumente des Saddam Hussein-Regimes durchgesehen, die von
kurdischen Freiheitskämpfern erbeutetet worden waren. Diesen
Dokumenten zufolge hatte Ali Hassan Al- Majid, der Cousin des
irakischen Diktators, 1986 bis 1988 die von Giftgasbombardements
begleitete so genannte Anfal-Offensive gegen die kurdische
Bevölkerung durchgeführt. Die Giftgasangriffe seien so
furchtbar gewesen, notierte ein Report der Vereinten Nationen,
"und von so gewaltigem Umfang, dass nur wenige
Präzedenzfälle seit dem Zweiten Weltkrieg zu finden
sind". Überlebende Opfer in den kurdischen Siedlungen wurden
liquidiert. Hunderttausende von kurdischen und assyrischen
Zivilisten wurden ins Innere des Landes getrieben, viele
zehntausend von ihnen bei Massenerschießungen hingerichtet.
Nach kurdischen Angaben, aber auch nach Schätzungen der GfbV
und anderer Menschenrechtsorganisationen liegt die Zahl der
"Anfal"-Toten bei 180.000. Nach der Niederschlagung des von
George Bush sen. ausgelösten Kurdenaufstandes im
Frühjahr 1991 gestand Ali Hassan Al-Majid den kurdischen
Unterhändlern allerdings ein, er hätte mit seiner
Offensive 100.000 Kurden vernichtet. Mehr seien es nicht
gewesen.
Siehe auch Dokumentation: "Saddam Hussein - die Zahl der Opfer hat die erste Million überschritten"