Bozen, 23. Oktober 2003
Die freiheitliche Landtagskandidatin Ulli Mair hat den
Vorsitzenden von Alleanza Nazionale Gianfranco Fini
anläßlich seines Wahlkampfbesuches in Bozen (23.
Oktober) aufgefordert, sich für die Gräueltaten der
Faschisten an den Südtirolern zu entschuldigen. Der faschistische Staat war aber anderswo in Italien um einiges
brutaler. Viele Opfer zu beklagen hatte die italienische
Arbeiterbewegung und die slowenische Minderheit in Friaul. Der
faschistische Staat ging auch gegen Aostaner und Sarden
vor.
Der Faschismus hat nicht nur in Südtirol eingesperrt,
gefoltert und getötet. 1921/22 wüteten italienweit die
faschistischen Schlägertrupps; 1929/31 wurden bei der
"Rückeroberung" Lybiens bis zu 80.000 Angehörige der
Nomadenstämme in der Gebel-Hochebene ermordet. Bei damals
insgesamt 800.000 Einwohnern kommt dies laut dem Historiker
Giorgio Rochat einem Völkermordverbrechen gleich. Bei der
Eroberung und "Befriedung" Äthiopiens (Abessinien) kamen
laut Darstellung der äthiopischen Nachkriegsregierung bis zu
730.000 Menschen ums Leben. Gewalttätig ging die
faschistische Armee gemeinsam mit NS-Truppenverbänden
während des spanischen Bürgerkriegs gegen die spanische
Zivilbevölkerung vor. Teilweise gilt dies auch für die
italienische Besetzung des Balkans.
Der Historiker Angelo del Boca kommt in seiner Aufarbeitung der
verdrängten faschistischen Kolonialkriege zum Schluß,
dass sich Tausende Italiener an Kriegsverbrechen schuldig gemacht
haben. Obwohl mehr als 1.200 Faschisten auf der
UN-Kriegsverbrecherliste standen, kam es zu keiner
Verurteilung.
Das faschistische Regime deportierte 10.000 italienische Juden in
der Konzentrationslager des Dritten Reichs. In ihrer
Empörung vergißt die Freiheitliche Maier die
Südtiroler Opfer der NS-Besatzung von 1943 bis 1945. Mehr
als 20 Dableiber wurden von den Nazis ermordet, mehr als 50
Meraner Juden starben in den Konzentrationslagern, mehr als 500
Behinderte wurden getötet.
Der Südtiroler Nationalsozialismus wird verschwiegen, man
verweigert die Diskussion darüber; man verweigert sogar den
Opfern die Anerkennung. Erst wenn das gehegte Tabu
Südtiroler Nationalsozialismus gebrochen wird, kann von den
politischen Erben des Faschismus eine Entschuldigung für das
erlittene Unrecht während der faschistischen Ära
eingefordert werden.