Bozen, 23. August 2004
Die Polemik um
die Sinti-Familie Zeni hat es deutlich gemacht - es braucht mehr
als nur einen "Lagerplatz" unter der Autobahn. Die Minderheit der
Sinti und der Roma darf in der Minderheiten-Region Südtirol
nicht weiter ausgegrenzt werden. Der "Wohnplatz" für die
Familie Zeni unter der Autobahn bei Gmund in Pfatten ist von der
Bezirksgemeinschaft Überetsch-Unterland vor einigen Wochen
als eine akzeptable Lösung angepriesen worden. In der
Aussendung kam aber kein Hinweis darüber vor, dass sich der
"Lagerplatz" der mehr als 40-köpfigen Familie unter der
Autobahn befindet. Ein unglaublicher Zustand, kritisierte bereits
die Caritas. Unglaublich fand ihn auch Autobahn-Präsident
Ferdinand Willeit, der die Feuer der Sinti als eine Gefahr
für die Autobahn einstufte.
Kein Wort darüber, dass der Standort eine Gefahr für
die Sinti ist. Die Lärmbelastung und die
verkehrsbedingte Luftverschmutzung gefährden die Gesundheit
der Menschen. Die "Unterbringung" der Sinti-Familie unter der
Autobahn ist auch ein Ausdruck für den geringen Stellenwert
der Sinti. Gemiedene Außenseiter, die unter einer
Transitroute versteckt werden. Der ehemalige
SVP-Landtagsabgeordnete Roland Atz fiel im Wahlkampf vor mehr als
zehn Jahren mit rassistischen Sprüchen gegen Sinti und Roma
auf. "Vergasen, die Lösung", so sein Spruch, für den
ihn auch das Parteischiedsgericht verurteilte. Vergasen, unter
der Autobahn?
Es soll daran erinnert werden, dass die beiden Volksgruppen der
Sinti und Roma in der NS-Ära verfolgt wurden. Auch sie
sollten vernichtet werden. Schätzungsweise mehr als eine
halbe Million Sinti und Roma wurden in den KZ ermordet. Trotzdem
blieb bisher eine gesellschaftliche Wiedergutmachung aus. Die in
den 80er Jahren Italienweit, auch in Südtirol, errichteten
"campi nomadi" sind gescheitert. Diese fixen Standplätze
haben die Integration in die Mehrheitsgesellschaft nicht
erleichtert, vielmehr wurden sie zu Ghettos. Sinti und Roma
dieser Standplätze beklagen auch behördliche und
polizeiliche Willkür, wie das European Roma Rights Center
(ERRC, Budapest) immer wieder dokumentiert.
Die GfbV unterstützt die Forderung der Ethnologin Elisabeth
Tauber nach einem neuen Konzept. Sie fordert die Gemeinden auf,
feste Wohnplätze Sinti und Roma zur Verfügung zu
stellen. Dadurch wird auch der Schulbesuch der Kinder
ermöglicht und garantiert. Es kann nicht sein, dass für
Sinti und Roma nur dort Wohnplätze ausgewiesen werden, die
als wenig menschenverträglich gelten: an Autobahnkreuzen,
unter Autobahnen, an Schnellstraßen, neben
Mülldeponien und Kläranlagen. Die bisherigen
Provisorien "campi nomadi" müssen zu festen Bestandteilen
der urbanistischen Planung werden. Die Ethnologin Tauber erinnert
daran, dass es sich bei Sinti und Roma nicht um "Nomaden"
handelt. Dieser Bezeichnung erleichtert nur das Abschieben der
Sinti und Roma.
Die Sinti und die Roma sind ethnische Minderheiten, die endlich
als solche anerkannt werden sollen - Italienweit, in
Südtirol. In Italien soll es mehr als 100.000 Sinti und Roma
geben, in Südtirol 700 Sinti. Die GfbV appelliert deshalb an
das Land, an Bezirksgemeinschaften und Gemeinden, die Ausweisung
von Wohnplätzen für Sinti und Roma und deren
Integration im Dialog mit den Betroffenen
durchzuführen.
Der ehemalige Generalsekretär des EU-Minderheitenbüros
Eblul, Markus Warasin, kommt in der GfbV-Zeitung "pogrom-bedrohte
Völker" zum Schluß, dass Sinti und Roma gefördert
werden müssen. Sie brauchen einen festen Platz in der
Gesellschaft, ihnen muß die Chance geboten werden, die
Kinder zur Schule zu schicken. Dort soll auch ihre Sprache
angeboten werden. Der Vorsitzende des Kulturvereins der
österreichischen Roma, Rudolf Sarközi, sagte bei einer
Gedenkfeier im österreichischen Parlament, dass Sinti und
Roma einen festen Platz in der Gesellschaft wollen. Aber nicht
unter der Autobahn.