Offener Brief an die CDU/CSU
Bozen, 28. April 2005
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
es war löblich, dass Sie den Bundestag mit den Vertreibungen
und Massakern an den Armeniern am 24. April 1915 befasst haben.
Ihr Mut blieb aber auf halber Strecke stecken, die Vertreibungen
und Massaker an Armeniern, Assyrern und Ponto-Griechen waren der
erste Völkermord im vergangenen Jahrhundert. Den Begriff
"Völkermord" haben Sie aber ausgespart. Damit hat Ihre
Initiative ihren Grundwert verloren. Löblich war auch Ihr
Engagement gegen die von Bundeskanzler Gerhard Schröder
angestrebte Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen die
"Volksrepublik" China, löblich Ihr Widerstand gegen
Schröders "Männer-Freundschaft" mit dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin, der für den zweiten Krieg
gegen Tschetschenien verantwortlich ist und damit für einen
Völkermord, der mit der Ideologie einer "Endlösung"
vorangetrieben wird.
Auf dem ersten Blick erscheint Ihr Verhalten als eine konsequente
menschenrechtliches. Schade nur, dass es vorrangig Fassade ist.
Und parteipolitisches Kalkül. In der Angelegenheit der
sogenannten "Visa-Mißbrauch-Affäre" ist Ihre Haltung
weit ab jeder menschenrechtlicher Ethik. Wir verteidigen nicht
Außenminister Joschka Fischer, ganz im Gegenteil. Kaum ein
anderer Außenminister hat sich opportunistischer,
skrupelloser und noch dazu arroganter verhalten als der gefeierte
Joschka. Nicht nur in Fragen wie Tschetschenien, China, Irak oder
Türkei hat er kläglich versagt und gegen die von seiner
Partei ehemals selbstgerecht geforderter Prinzipien
verstoßen, sprich Menschenrechte und Demokratie außer
Acht gelassen. In der Visa-Angelegenheit hat er sich
widersprüchlich, hochmütig und gewissenlos verhalten -
sicher, es war nicht sein persönliches Schicksal, über
das er leichtfertig und selbstverliebt Beschlüsse
fasste.
Die Kritik der CDU/CSU jedoch können wir in diesen
Auswüchsen nicht teilen. Greifen Sie bitten den
verantwortlichen Politiker an, kriminalisieren Sie nicht die
Ukrainer! Sie stellen die nach Deutschland eingereisten
Ukrainerinnen und Ukrainer pauschal als Schwarzarbeiter,
Prostituierte, Kriminelle und Mafiosi dar. Das ist Rassismus. Wo
bleibt das Engagement für Ost-Europa, wie es vom geistigen
Erbe eines Alt-Kanzlers Kohl entsprechen würde? Wo die
Differenzierung, wo die Ethik, wo der christliche Auftrag, den
mit gesellschaftlicher Verachtung Gestraften, Wohlwollen entgegen
zu bringen und statt Vorurteilen und Vorverurteilungen den Tadel
an den Verurteilenden zu praktizieren? Haben Sie sich die SPD zum
Vorbild genommen, die unter dem Vorsitzenden Oskar Lafontaine die
"Aussiedler" aus den GUS-Staaten als Kriminelle
beschimpften?
Zwar solidarisierte sich die CDU/CSU mit der orangen Revolution,
ganz im Gegensatz zur rot-grünen Regierung, die sich vor
einer klaren Positionierung drückte (ob aus Ignoranz, aus
Ergebenheit gegenüber Putin oder aus genereller
Skrupellosigkeit, ist einerlei). Ihre Solidarität mit den
Ukrainern in der Ferne ist pharisäerisch, wenn die Ukrainer
vor der Haustür als Gefahr hingestellt werden. Kritisieren
Sie bitte Fischer, ohne die Ukrainerinnen und Ukrainer zu
kriminalisieren, denn das - und wir wiederholen uns - ist
Rassismus.