Bozen, Göttingen, Nasran, 30. September 2004
Unter dem Deckmantel der "Terrorismusbekämpfung" gehen
die russischen Behörden immer massiver gegen
Menschenrechtler, aber auch gegen Mediziner vor. Nach
Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) droht jetzt einer der wichtigsten
Menschenrechtsorganisationen im Nordkaukasus, dem
"Tschetschenischen Komitee zur nationalen Rettung", ein
Arbeitsverbot. Die Staatsanwaltschaft hat wegen Verstoßes
gegen Artikel 13 des Gesetzes "Über die Verhinderung
extremistischer Aktivitäten" Anzeige gegen das Komitee
erstattet. Es hatte in mehreren Presseerklärungen
Augenzeugen zitiert, die schwere Menschenrechtsverletzungen der
russischen Sicherheitskräfte als "Terror" bezeichneten. In
den nächsten Tagen entscheidet das Gericht über eine
mögliche Strafe. Außerdem werden 14 tschetschenische
Ärztinnen als Terroristinnen steckbrieflich gesucht. Auf der
Internetseite "www.rambler.ru" wurden Fotos von ihnen
veröffentlicht. Zuletzt hatte die nordossetische
Wochenzeitung "Slovo Nychas" am 16. September ihre Porträts
und Namen in einem Fahndungsaufruf abgedruckt. Die Frauen
arbeiteten für die amerikanische Hilfsorganisation
"International Medical Corps" und versorgten Flüchtlinge aus
Tschetschenien in der Nachbarrepublik Inguschetien. Die
Ärztinnen haben sich inzwischen mit einem Hilferuf an
internationale Organisationen gewandt.
Die GfbV hat sich am Donnerstag nach einem Telefonat mit dem
Leiter des "Tschetschenischen Komitees zur nationalen Rettung",
Ruslan Badalow mit der Bitte um Hilfe umgehend an das
Auswärtige Amt und Europaparlamentarier gewandt. "Diese
mutigen Menschenrechtler und Ärztinnen gehören zu den
letzten, die unabhängige Informationen aus Tschetschenien
nach außen tragen", sagte die GfbV-Osteuropareferentin
Sarah Reinke. "Doch jetzt sind diese mutigen Menschen durch ihr
humanitäres und menschenrechtliches Engagement ins Visier
der russischen Behörden geraten und ihr Leben ist in
Gefahr." Seit 1999 seien in Tschetschenien von russischen
Sicherheitskräften schon mindestens 13
Menschenrechtsverteidiger getötet und 19 verschleppt worden.
Ebenfalls 19 seien festgenommen und gefoltert worden.
Das "Tschetschenische Komitee" ist in Nasran, der Hauptstadt von
Inguschetien, rechtmäßig registriert. Seine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sammeln unter den
Flüchtlingen Informationen über
Menschenrechtsverletzungen, registrieren Zeugenaussagen. Das
Komitee hat eine renommierte Vereinigung bekannter
Rechtsanwälte in Russland (den "Unabhängigen Rat
legaler Expertise") um Prüfung seiner Presseverlautbarungen
gebeten. Der Rat hatte jedoch keine "extremistischen Inhalte"
feststellen können. Schon 2003 hatte das UN-
Menschenrechtskomitee das Gesetz kritisiert, das zu einer
Verwarnung oder zum Arbeitsverbot für das Komitee
führen könnte.
Der russische Geheimdienst FSB hatte die 14 Ärztinnen
bereits im Frühling als Terroristinnen bezeichnet und zur
Fahndung aufgerufen, dann ein entsprechendes Flugblatt jedoch
wieder zurückgezogen. Hier sind ihre Namen: Die Dermatologin
Ljudmila Auschewa - die Psychotherapeutinnen Fatima Malsagowa,
Tamara Jandiewa, Motja Moguschkowa, Maren Jusupowa, Radimachan
Jandiewa, Fatima Muchiewa - die Kinderärztinnen Maddan
Albogatschiewa, Birlant Schimchanowa, Anna Uschachowa, Marjam
Timurziewa - die Gynäkologinnen Chava Dolgiewa, Zinaida
Batalowa - und die Chirurgin Madina Chutiewa.