Bozen, Göttingen, 2. November 2004
Als "entlarvende Aufforderung der russischen Justiz zum
offiziellen Bruch mit der internationalen
Menschenrechtskonvention" hat die Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) die Forderung des russischen
Generalstaatsanwalts Wladimir Ustinov nach Sippenhaft für
Angehörige mutmaßlicher Terroristen in Russland
bezeichnet. Die Äußerungen von Ustinov seien ein
"weithin hörbares Eingeständnis für die
Wiederannäherung Russlands an den Stalinismus, zumal
für die russische Regierung alle Tschetschenen kollektiv
für 'Terroristen' gehalten werden", kritisierte der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch am Montag in
Göttingen. Gleichzeitig betonte der Menschenrechtler, dass
die GfbV Terrorakte von tschetschenischer wie russischer Seite
gleichermaßen auf das Schärfste verurteile. Ustinov
hatte am vergangenen Freitag vor der Duma, dem russischen
Parlament, verlangt, Terroristen durch "Kontergeiselnahmen" ihrer
Verwandten vor Augen zu führen, was Geiselhaft
bedeute.
Sippenhaft sei in Tschetschenien zwar längst Praxis
russischer Sicherheitskräfte. Doch bisher habe die russische
Regierung diese Menschenrechtsverletzungen immer geleugnet, sagte
Zülch. Nicht nur einfache Zivilisten, auch prominentere
Politiker seien davon betroffen. So seien nach einer so genannten
"Spezialoperation" Anfang März 2004 in Grosny, Benoi und
Noschai Jurt etwa 20 Verwandte von Magomed Chambiew festgenommen
worden. Dann sei dem ehemaligen tschetschenischen
Verteidigungsminister unter dem früheren Präsidenten
Aslan Maschadow ein Ultimatum gesetzt worden: Wenn er sich den
Sicherheitskräften nicht bis zum 8. März stelle,
würden die Festgenommen erschossen. Chambiew gab nach und
stellte sich. Daraufhin wurden seine Angehörigen, die
tagelang in Todesangst versetzt worden waren, wieder auf freien
Fuß gesetzt.