Bozen, Göttingen, 31. August 2005
Anlässlich der zur Zeit laufenden Beratungen über
eine Abschlusserklärung zum bevorstehenden
Jubiläumsgipfel der Vereinten Nationen (UN) hat die
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch
davor gewarnt, dass die Verfolgung von ethnischen oder
religiösen Minderheiten unter dem Deckmantel der
Terrorbekämpfung legitimiert wird. Deshalb müsse im
Vorfeld des Gipfels zum 60-jährigen Bestehen der UN die
Chance genutzt werden, um eine menschen- und völkerrechtlich
eindeutige Formulierung zu finden, die willkürliche Gewalt
und kollektive Verfolgung ganzer Volksgruppen durch den Staat und
seine Truppen als Mittel der Terrorbekämpfung verurteile.
Eine Kerngruppe von 32 Staaten verhandelt seit Montagabend in New
York über gemeinsame Initiativen der UN-Mitgliedsstaaten bei
der Terrorismusbekämpfung, die im Rahmen eines neuen
Grundsatzprogrammes der UN Mitte September von Staats- und
Regierungschefs aus aller Welt verabschiedet werden soll.
Schon seit Beginn des weltweiten Antiterrorkrieges nutzten
Verfolgerstaaten wie Russland, China und Ägypten diesen
Kampf, um ihre eigenen, hausgemachten Konflikte zu rechtfertigen,
kritisierte die GfbV. Diese Strategie sei kontraproduktiv, weil
sie Menschenrechte grob missachte und in einigen Ländern
sogar zum Erstarken terroristischer Aktivitäten geführt
habe. Sollte die von den USA vorgeschlagene Definition des
Begriffs Terrorismus in der UN-Schlusserklärung
festgeschrieben werden, bestehe die Gefahr, dass
Staatsterrorismus legitimiert werde. So seien Russlands
"Antiterror-Kampf" in Tschetschenien seit 1994 rund 200.000
Menschen zum Opfer gefallen. Die politische Ursache des Konflikts
jedoch, das Streben der Tschetschenen nach einem
unabhängigen Staat, werde von Wladimir Putin ignoriert,
meinte die GfbV. Tschetschenien und insbesondere die Hauptstadt
Grosny wurden dem Erdboden gleich gemacht, Massaker,
Flächenbombardements, Folter in so genannten
Filtrationslagern, willkürliche Verhaftungen und Ermordungen
trieben Zehntausende in die Flucht. Die russischen Soldaten gehen
weitgehend straffrei aus. Als Reaktion auf dieses Verbrechen
gegen die gesamte Zivilbevölkerung Tschetscheniens
hätten einzelne tschetschenische Extremisten Terrorakte
verübt, die die GfbV auf das Schärfste verurteilt. Doch
nur eine politische Lösung des Konfliktes könne eine
Ausweitung der Gewalt verhindern, betonte die
Menschenrechtsorganisation.
In China drohe eine neue Welle der Repression gegen muslimische
Uiguren, warnte die GfbV. Allein im August 2005 seien mehr als
190 Uiguren in der Provinz Xinjiang aus politischen Gründen
verhaftet worden. Der kommunistische Parteichef der Region, Wang
Lequan, habe erst am vergangenen Sonntag auf einem Parteitag
einen verstärkten Kampf gegen uigurische "Terroristen"
angekündigt. "Terroristen werden gehasst und verabscheut.
Sie sind wie Ratten, die auf der Strasse laufen und jeder ruft:
Zermalme sie!", erklärte der regionale Parteichef Ismail
Tiliwaldi. Unter dem Deckmantel des Antiterror-Kampfes schlage
China brutal alle Proteste gegen die Diskriminierung der Uiguren
nieder und verdächtige eine ganze Volksgruppe pauschal des
Terrorismus, warnte die GfbV. Auch in Ägypten leiste der
Antiterror-Kampf schweren Menschenrechtsverletzungen Vorschub. So
seien nach dem Bombenanschlag von Sharm el-Sheik am 23. Juli mehr
als 700 Beduinen willkürlich verhaftet worden, viele der
Inhaftierten seien gefoltert worden. In den ägyptischen
Medien könne darüber nicht berichtet werden, nachdem
die Behörden eine Informationssperre verhängten. Rund
5.000 Polizisten und Soldaten durchkämmten zur Zeit die
Berggebiete des Sinai und erklärten Beduinen als
"vogelfrei". So werde auch in Ägypten eine ganze
Bevölkerungsgruppe pauschal als "Terroristen"
diffamiert.