Bozen, Göttingen, 20. September 2005
In dankbarer Erinnerung an Simon Wiesenthal (96) erklärt
der Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker
International (GfbV), Tilman Zülch:
Durch den Tod von Simon Wiesenthal hat die Gesellschaft für
bedrohte Völker International (GfbV) einen unersetzbaren
Freund, Schirmherren und Ratgeber verloren. Mehr als drei
Jahrzehnte lang hat Simon Wiesenthal die Arbeit unserer
Menschenrechtsorganisation begleitet und immer wieder
großherzig unterstützt. Die Weltöffentlichkeit
weiß um seine unvergesslichen Verdienste um die Verfolgung
der nationalsozialistischen Kriegsverbrecher, aber zu wenig um
seinen konsequenten Einsatz für die vergessenen Opfer von
Völkermord, Vertreibung und Kriegsverbrechen der Gegenwart.
Dabei lagen ihm die Menschenrechte bedrohter und verfolgter
ethnischer und religiöser Minderheiten immer besonders am
Herzen. Wiesenthal hat immer besonderen Wert darauf gelegt, keine
kollektiven Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern Täter und
ihre Regimes individuell zur Verantwortung zu ziehen.
Wir erinnern uns mit tiefer Dankbarkeit an seine hilfreichen und
wegweisenden Initiativen für Gerechtigkeit und
Versöhnung. 1981 hat Simon Wiesenthal gemeinsam mit der
indischen Ministerpräsidentin Indira Ghandi die
Schirmherrschaft über den von der GfbV organisierten
Welt-Roma-Kongress in Göttingen übernommen, an dem
Roma, Sinti, Gypsies, Gitanos u.a. aus 28 Staaten teilnahmen. Vor
allem ihm haben wir es zu verdanken, dass dieser Kongress und die
folgende Menschenrechtsarbeit weltweit zur Kenntnis genommen und
schließlich Bundespräsident Karl Carstens und
Bundeskanzler Helmut Schmidt dazu bewegt wurden, den Genozid der
Nationalsozialisten an den Sinti und Roma anzuerkennen, sich bei
den Überlebenden offiziell zu entschuldigen sowie eine erste
Wiedergutmachungsregelung durchzusetzen.
Als die bosnischen Muslime Opfer von Völkermord,
Angriffskrieg und ethnischer Säuberung ihrer beiden
Nachbarländer wurden, mahnte Simon Wiesenthal die
internationale Gemeinschaft, auf keinem Auge blind zu sein.
Gemeinsam mit der damaligen Bundestagspräsidenten Rita
Süssmuth und dem bosnischen Ministerpräsidenten Haris
Silajdzic übernahm er die Schirmherrschaft über den von
der GfbV durchgeführten Bonner Weltkongress über den
Genozid in Bosnien im August 1995, an dem 150
Persönlichkeiten aus fünf Kontinenten teilnahmen. 1993
hatte Wiesenthal bereits eine vierköpfige Delegation der
GfbV nach New York eingeladen, um über den Völkermord
in Bosnien zu berichten.
Wir trauern um unseren Freund Simon Wiesenthal, der uns auch in
schwierigen Situationen mit Rat und Tat zur Seite stand.