Bozen, 5. Oktober 2005
Vor 70 Jahren am 3. Oktober 1935 startete das damalige
faschistische Italien seinen Eroberungskrieg gegen
Äthiopien. Seit 70 Jahren verdrängt Italien erfolgreich
diesen Teil der Geschichte. Faschistische Kriegsverbrecher wurden
vom demokratischen Nachkriegs-Italien nie zur Rechenschaft
gezogen, genauso wenig gab es eine Wiedergutmachung.
Es ist löblich, dass die italienische Abgeordnetenkammer
sich nicht davor gescheut hatte, den Völkermord der
Türkei an den Armeniern anzuerkennen und zu verurteilen.
Genauso engagiert agiert das Parlament, wenn der sechs Millionen
europäischen Juden gedacht wird, die von Nazi-Deutschland
und seinen europäischen Helfershelfern ermordet wurden.
Ermutigend sind jene Parlamentarier, die sich für die Opfer
der Genozidverbrechen in Darfur im Westsudan oder in
Tschetschenien und für die Verfolgung der Täter
engagieren. Aber auch Italien drückte sich bisher
erfolgreich an einer Entschuldigung von Völkermordverbrechen
des faschistischen Italiens in Afrika vorbei. Im Winter 1929/30
startete Italien die militärische Rückeroberung der
einstigen italienischen Kolonie Libyen. Dabei sollen laut
Untersuchungen der italienischen Historiker Giorgio Rochat und
Giulio Massobrio mehr als 40.000 (bei einer Gesamteinwohnerzahl
von 800.000 Menschen) ermordet worden sein.
1935 startete das faschistische Italien von der bereits 1887
eroberten Kolonie Eritrea einen Großangriff auf das
äthiopische Königreich. Eingesetzt wurden dabei
Hilfstruppen aus Eritrea, mehr als eine halbe Million
italienische Soldaten und Giftgas. Die äthiopische Regierung
ging nach Kriegsende von mehr als 730.000 Ermordeten aus,
italienische Historiker schätzen, dass dem italienischen
Kolonialismus zwischen 1887 und 1941 mehr als 300.000 Menschen
zum Opfer fielen. Die Journalistin Fiamma Nirenstein kritisierte
vor Jahren die Verdrängung der faschistischen
Kriegsverbrechen in Afrika - zugunsten der sogenannten nationalen
Aussöhnung. Der Historiker Angelo Del Boca warf dem
Nachkriegsitalien vor, ein Auskommen mit den Diktatoren in
Libyen, Somalia und Äthiopien gesucht zu haben. Unterlassen
wurde aber bisher die Anerkennung der Kriegsverbrechen und eine
entsprechende Wiedergutmachung.
Diese Nichtaufarbeitung der eigenen Verbrechen war in Italien
Staatspolitik: Von 259 Todesstrafen wurden 168 nicht exekutiert.
Von 5.594 Verurteilten wurden 5.328 nachträglich
freigesprochen oder amnestiert und begnadigt. Für 20 Jahre
Faschismus wurde 266 Personen verantwortlich gemacht. Die
UN-Kriegsverbrecherkommission hatte immerhin 1.200 Italiener als
Kriegsverbrecher angeführt. Der Historiker Giorgio Rochat
klagt das faschistische Italien einer Völkermord-Politik an.
Trotzdem ist kein einziger der für die Genozid-Verbrechen in
Afrika Verantwortliche je bestraft worden.