Bozen, Göttingen, 23. September 2007
Im Zusammenhang mit dem Besuch des Dalai Lama in Deutschland hat
die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Sonntag
eine "eindeutige Abkoppelung der Entwicklungshilfe von
wirtschaftlichen Interessen" gefordert. "Solange Peking die
Menschenrechte missachtet und versucht zu verhindern, dass das
geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter von
Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen wird, müssen Hilfen
für China ausgesetzt werden", sagte der
GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch während der
Jahresversammlung der Menschenrechtsorganisation in
Göttingen. Die rund 250 Delegierten forderten in einer
Resolution von der Bundesregierung einen größeren
Einsatz für den Erhalt der traditionellen Kultur und
Gesellschaft der Tibeter und Uiguren, die von der chinesischen
Regierung systematisch zerstört werden.
Angesichts der Diskussionen über einen möglichst
baldigen Abzug der US- Truppen aus dem Irak forderte die GfbV,
dass die EU-Staaten das autonome Irakische Bundesland Kurdistan
und die angrenzenden Minderheitengebiete in Schutz nehmen. Der
internationale islamistische Terror, die Nachbarländer
Türkei, Iran und Syrien wollten sich mit der Existenz dieser
autonomen Region nicht abfinden und bedrohten sie mit
militärischem Einmarsch. Der Nato-Partner Türkei sei
besonders gefährlich, weil er die Grenzen zum Nordirak immer
wieder mit kriegerischen Einsätzen verletze. In dem
mehrheitlich von Kurden besiedelten Gebiet lebten auch
verschiedene kleinere Völker und religiöse Minderheiten
oder hätten dort einen sicheren Zufluchtsort vor dem Terror
im Süd- und Zentralirak gefunden wie
assyro-chaldäisch-aramäische Christen, Yeziden,
Turkmenen, Mandäer oder Shabak. Der Kulturminister aus
Irakisch-Kurdistan, der Christ Nimrud Youkhana, hatte vor den
Menschenrechtlern am Samstag betont, dass seine Regionalregierung
allen ethnischen, religiösen und kulturellen Gruppen
elementare Rechte garantiere.
Der Botschafter Boliviens, der Indianer Prudencio Magne Veliz,
hatte den Einsatz der GfbV für die rund 370 Millionen
Ureinwohner der Welt bestärkt: "Wir dürfen nicht
länger bevormundet, sondern müssen endlich als
gleichberechtigte Partner anerkannt werden."
Die Delegierten der GfbV aus Deutschland und aus ihren
ausländischen Sektionen sowie Repräsentanten von
ethnischen und religiösen Minderheiten von mehreren
Kontinenten diskutierten am Wochenende außerdem Strategien
gegen den Völkermord im westsudanesischen Darfur, für
die Förderung des Friedensprozesses im Südsudan,
für die Aufnahme Bosnien-Herzegowinas in die EU und den
Schutz der Minderheiten der Roma und Aschkali im Kosovo sowie
gegen die Diskriminierung von Deutschstämmigen aus den
ehemaligen GUS-Staaten und die Kürzung der Fördermittel
des Bundes für die Sorben. Für die Rentierherden der
schwedischen Sami, die einzige indigene Gruppe auf
europäischem Boden, forderte die GfbV einen kontrollfreien
Übergang zu ihren traditionellen Weidegründen in
Norwegen.
Mit einem bunten Fest hatte die GfbV zuvor ihr neues Domizil,
ein ehemaliges Universitätsgebäude, eingeweiht. Es
wurde nach dem britisch- jüdischen Humanisten, Verleger und
Schriftsteller Victor Gollancz benannt, um sein vorbildliches
Engagement für die Opfer von Willkür und Gewalt zu
würdigen. Gollancz hat sich Zeit seines Lebens dafür
eingesetzt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekannt zu machen
und Hilfe für Überlebende zu mobilisieren. Bereits 1933
dokumentierte er die Verbrechen Hitlers minutiös und setzte
sich bei seiner Regierung für die Aufnahme von
jüdischen Flüchtlingen ein. Später, nach dem
Zusammenbruch des Dritten Reiches, wandte er sich gegen die
Kollektivschuld der Deutschen, führte Kampagnen gegen den
Hunger und verurteilte die Massenvertreibungen. Victor Gollancz
gehörte mit Bertrand Russell und Robert Jungk zu den
Initiatoren der Bewegung gegen Atomwaffen und wurde für
viele Jahre zum Anwalt der deutsch-britischen
Versöhnung.