Bozen, Göttingen, Berlin, 23. August 2007
Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bei ihrer am Sonntag
beginnenden China-Reise die massiven Menschenrechtsverletzungen
in der Volksrepublik nicht tabuisieren, sondern offen ansprechen.
Das hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in
einem dringenden Schreiben an die Bundeskanzlerin am Donnerstag
gefordert. Da die Bundesregierung seit Jahren mit Nachdruck
betone, dass sie sich zwar nicht für die Unabhängigkeit
Tibets, jedoch für die Erhaltung der traditionellen
tibetischen Kultur und Religion engagiere, dürfe Merkel
nicht schweigen.
"Jetzt muss die Bundesregierung glaubwürdig zu ihrem Wort
stehen und einen wirksameren Schutz dieser Jahrtausende alten
Kultur fordern, denn diese ist durch Chinas Politik akut von der
Vernichtung bedroht", heißt es in dem GfbV-Schreiben. Die
Ansiedlung von hunderttausenden neuen chinesischen Siedlern in
Tibet, die Zwangsumsiedlung von 700.000 tibetischen Nomaden, neue
Restriktionen bei der Ausübung des tibetischen Buddhismus
sowie eine Verstärkung der Repression gegen buddhistische
Nonnen und Mönche und Einschränkungen des Unterrichts
in der tibetischen Sprache erzeugten einen immer massiveren Druck
auf die tibetische Bevölkerung. Tibet sei in 15 Jahren
zerstört, wenn China die systematische Sinisierung Tibets
weiter ungehindert vorantreiben könne, warnte jüngst
der Dalai Lama. Immer häufiger komme es zu
Zusammenstößen zwischen eingewanderten chinesischen
Siedler und Tibetern, da die seit alters her ansässige
tibetische Bevölkerung in Wirtschaft und Gesellschaft
systematisch benachteiligt werde.
Chinas Nationalitäten-Politik stehe auch im benachbarten
Xinjiang (Ostturkestan) vor einem Scherbenhaufen, da die dort
lebenden muslimischen Uiguren systematisch kriminalisiert
würden, wenn sie ihre verfassungsmäßig
garantierten Rechte einforderten, kritisiert der GfbV-
Asienreferent Ulrich Delius. Mit willkürlichen Verhaftungen,
Schließungen von Moscheen und Koran-Schulen,
Bücherverbrennungen, staatlich verordneten
Umerziehungskursen für muslimische Geistliche und der
Ansiedlung von hunderttausenden Han-Chinesen schüre die
chinesische Regierung ein Klima der Gewalt, Willkür und des
Misstrauens. Auch die acht Millionen Uiguren fürchteten eine
Zerstörung ihrer traditionellen Kultur, da China
systematisch die Bevölkerungsstruktur der Autonomen Region
Xinjiang verändere.
"Die Tibeter und Uiguren brauchen dringend Fürsprecher aus
dem Ausland, da sie in China über ihre dramatische Lage
weder in den Medien noch im Internet informieren dürfen",
sagt der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. So sehe eine neue
Medienverordnung jahrelange Haftstrafen für die Verbreitung
von Nachrichten vor, die "nicht der Wahrheit entsprechen" oder
"das friedliche Zusammenleben der Völker gefährden".
Der letzte hochrangige deutsche Staatsgast in Peking,
Bundespräsident Horst Köhler, hatte bei seinem Besuch
im Mai 2007 Menschenrechtsthemen gemieden, nachdem sich die
chinesische Regierung über eine kritische Resolution des
Bundestages beschwert hatte.